Roman Birke, Theo Tiger, Georg Ismael, Revolutionärer Marxismus 41, Februar 2010
Für gut zwei Monate hielt die Besetzungsbewegung europäischer StudentInnen die Regierungen und ihre BildungsministerInnen in Atem. Die an die Eroberung der „Akademie der Bildenden Künste“ anschließende Besetzung des größten Hörsaals der Universität Wien (Audimax) war dabei der Auslöser für eine europaweite bzw. zum Teil auch über die Grenzen Europas hinausgehende Bewegung. Zu ihrem Höhepunkt waren über 80 Universitäten besetzt. Dabei liegt die Besonderheit der Proteste weniger in ihrer Militanz oder auch in den von ihnen erkämpften Forderungen begründet, sondern ist vielmehr in der Spontaneität ihrer Entstehung und ihrer raschen Internationalisierung zu sehen. Besonders bemerkenswert werden diese Punkte vor dem Hintergrund der oftmals durch Abwesenheit glänzenden offiziellen Studierendenvertretungen.
Trotz ihrer ohne Zweifel bestehenden Besonderheiten darf die Besetzungsbewegung jedoch nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr reiht sie sich in eine ganze Reihe von Bildungsprotesten ein, die ein Resultat der kontinuierlichen Angriffe auf den öffentlichen Bildungsbereich sind. Auch haben sich die Proteste in der Vergangenheit keineswegs auf den universitären Bereich beschränkt, sondern gingen oftmals auch von SchülerInnen aus, zum Teil ohne eine Übertragung auf die Universitäten. So war der Bildungsstreik in Deutschland Ende 2008 noch vor allem von SchülerInnen dominiert, im Juni 2009 gelang es dann jedoch mit insgesamt 265.000 TeilnehmerInnen auch Teile der Studierenden zu mobilisieren. In Österreich gingen im Frühjahr 2009 zehntausende SchülerInnen auf die Straße, um gegen die Angriffe auf LehrerInnen und die Kürzung freier Tage zu demonstrieren – ohne sichtbare studentische Beteiligung.
Wenngleich es natürlich in den vergangenen Protestbewegungen durchaus unterschiedliche Motive gab, die sowohl im Zusammenhang mit dem jeweils betroffenen Bildungssektor als auch im Rahmen nationalstaatlicher Besonderheiten zu lokalisieren sind, kann man sehr wohl auch Gemeinsamkeiten feststellen. Im universitären Bereich sind dies vor allem die permanente Stutzung der öffentlichen Finanzierung des Hochschulwesens und die daraus folgende Verlagerung auf private Finanzquellen, nicht zuletzt mittels Studiengebühren.
Diese Tendenz zum (mit zynischen Worten beschriebenen) „Cost-Sharing“ hat sich in den letzten Jahren deutlich beschleunigt. Während in 18 untersuchten OECD-Ländern der Anteil öffentlicher Finanzierung 1995 noch bei 78% gelegen hat, sank dieser Wert während der darauffolgenden zehn Jahre auf 72% ab. (1) Dabei sind große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern – auch jenen der EU – zu erkennen. Während Großbritannien den Bildungssektor zur Zeit lediglich mit einem Anteil von 64,8% aus öffentlichen Mitteln speist, weist z.B. Finnland einen Anteil von 95,5% aus. In Deutschland und Österreich werden noch 85,0 bzw. 84,5% der Ausgaben öffentlich bestritten – in allen Ländern ist jedoch eine fallende Tendenz zu erkennen. (2)
Um den Forschungs- und Lehrbetrieb, trotz sinkender Budgetierung in den staatlichen Haushalten relativ zum BIP, aufrechterhalten zu können, werden oftmals private Investoren in Form von großen Konzernen an Bord geholt, die für sie nützliche, d.h. verwertbare, Forschungsarbeiten in Auftrag geben. Während Wissenschaft und Forschung immer schon auch für militärische Zwecke betrieben wurden, gehen die Herrschenden nun auch dazu über, öffentlich finanzierte Unis als militärische Forschungseinrichtungen zu betrachten. Erst in diesem Jahr ist erneut die Diskussion um das „Karlsruhe Institute of Technology“ entbrannt, das militärische Forschung im Interesse der NATO-Truppen und der EU-Battle-Groups betreibt. Auch die NATO selbst betreibt ein Forschungsprogramm, für das unter anderem auch ein Professor der Universität Salzburg gewonnen werden konnte. Die Bundeswehr ist mittlerweile einer der größten „Arbeitgeber“ für SozialwissenschaftlerInnen, der auch eigene Forschungsinstitute unterhält.
Grundlage für diese privaten Investitionen bilden oftmals Gesetze, die eine höhere (finanzielle) Autonomie der Universitäten festschreiben und damit einhergehend den Einsatz eines höheren Niveaus an „managerial-skills“ fordern. Nicht umsonst wird das in Österreich beschlossene Universitätsgesetz 2002 von den EU-Bildungsministern über den grünen Klee gelobt. Immerhin hat die Regierung (damals ÖVP/FPÖ) mit dem UG 2002 einen „Universitätsrat“ geschaffen, in dem 4 der 9 Mitglieder in feudaler Weise direkt vom Wissenschaftsministerium beschickt werden und zum Teil direkt aus den Geschäftsführungen (z.B. AiCuris, Pharmakonzern) (3) oder Generaldirektionen (z.B. Casinos Austria, Glücksspielunternehmen) (4) großer Unternehmen kommen.
Solche Gesetze waren dabei auch schon Dreh- und Angelpunkt von Protestbewegungen. So haben französische Studierende auf das 2007 beschlossene „Gesetz über die Autonomie der Universitäten“ mit Protestmaßnahmen reagiert. Neben Erlösen aus privaten Mitteln von Unternehmen sind es jedoch auch die Studierenden selbst, die durch Gebühren zur Kasse gebeten werden. Vom gesamten privaten Finanzierungsanteil von 15,5% im Jahr 2006 wurde in Österreich 5,4% von privaten Haushalten, d.h. StudentInnen oder ihrer Eltern, getragen. Auch hier ist Großbritannien wiederum ein Negativbeispiel: 26,6% der insgesamt 35,2% an privater Finanzierung werden durch Haushalte geleistet. (5)
Die private Finanzierung wird meistens über Studiengebühren abgewickelt, die je nach Land in ihrer Höhe variieren. Während sie in Österreich im Jahr 2000/2001 eingeführt und später wieder abgeschafft worden sind, variiert Höhe und Form der Gebühr in Deutschland je nach Bestimmungen der Länder. Zum Teil ist es wie in Hessen auch gelungen, durch Protestmaßnahmen ihre Rücknahme zu erreichen.
Nicht zufällig haben alle europäischen Protestbewegungen auf den Bologna-Prozess als Ursache vieler Probleme an den Hochschulen hingewiesen. Mit der Erklärung von Bologna aus dem Jahr 1999 hat sich die europäische Bourgeoisie in der Tat einen Fahrplan zurecht gelegt, mit dessen Hilfe grundlegende Veränderungen im Hochschulsektor forciert werden sollten. Die zentralen in der Öffentlichkeit kommunizierten Schlagwörter wie Förderung der Mobilität oder Minderung der sozialen Selektion waren dabei nur gut klingende Feigenblätter. Während Organisationen wie ESU (European Students Union) sich damit haben einkaufen lassen, hat das europäische Kapital mit Bologna in Wirklichkeit zum Generalangriff geblasen.
Vorangetrieben von Frankreich, Italien, Großbritannien und Deutschland, die 1998 mit der Erklärung an der Sorbonne zentrale Vorarbeit geleistet haben, trafen sich ein Jahr darauf 29 europäische BildungsministerInnen, um die Bologna-Erklärung anzunehmen. Neben dem Versuch, die Hochschulen zur Schaffung einer europäisch-homogenisierten Kultur zu verpflichten und die Förderung eines „Gefühls der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen sozialen und kulturellen Raum“ (6) als ihre Aufgabe zu verstehen, finden sich immer wieder Verweise auf die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Während man diesen Terminus in der Bologna-Erklärung nur auf die Hochschulen angewandt hat, war zwei Jahre später beim Treffen in Prag klar, worum es wirklich ging. Im gemeinsamen Kommuniqué hielt man fest, „dass die Qualität der Hochschulausbildung und -forschung eine wichtige Determinante der internationalen Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit Europas sein sollte.“ (7)
Dieser permanente Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit zeigt, dass die Hochschulen im Kapitalismus nie einzig und allein einem akademischen Interesse dienen können. Gerade in Verbindung mit dem Lissabon-Prozess und dem erklärten Ziel, Europa bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt“ (8) zu machen, wird hier ein weiterer Schritt in Richtung kapitalistischer Verwertbarkeit gemacht.
Dabei wäre es jedoch illusionär und in Wirklichkeit zutiefst ahistorisch anzunehmen, dass „früher alles besser“ gewesen wäre. Es liegt auf der Hand, dass sich mit einer permanent vollzogenen Wandlung der Wirtschaft auch die dafür notwendigen Anforderungen an den Ausbildungsbereich ändern. Die wirtschaftliche Wandlung der europäischen Länder wurde dabei durch den Versuch einer supranationalen Zusammenfassung der europäischen Bourgeoisie beschleunigt. Durch eine strategische Orientierung auf den Hochtechnologiesektor und die permanente Auslagerung des Billiglohnsektors in verarmte Halbkolonien ist zurzeit ein klarer Anstieg der Qualifikationsprofile für Jobs in der EU zu erkennen, auf den mittels des Bologna-Prozesses versucht wird zu reagieren.
Eine an die Schulen anschließende, rigide und straff aufgebaute zusätzliche Möglichkeit zum Qualifikationserwerb soll dabei durch das mit Bologna eingeführte Bachelor / Master / PhD -System gewährleistet werden. Der Prozess ist für die herrschende Klasse der EU jedoch nicht vollkommen widerspruchsfrei. Während man mit Bologna versucht hat, ein angelsächsisches Hochschulmodell auch auf Kontinental-europa zu übertragen, sieht man gerade in Ländern wie Deutschland oder Österreich strategische Probleme in der Umsetzung. Durch eine nach wie vor sehr spezialisiert organisierte Sekundarbildung (HAK, HTL in Österreich) oder durch inhaltlich sehr anspruchsvolle Berufsausbildungsgänge, in Deutschland praktisch ausschließlich von AbiturentInnen und RealschülerInnen besucht, werden Qualifikationsprofile auch außerhalb der Universität geschaffen, die im Bologna-Modell eigentlich für die Bachelor-Abschlüsse der (Fach-)Hochschulen reserviert sind. Man sieht sich somit zunehmend mit einer Situation konfrontiert, in der das Bakkalaureat zu einer in der wirtschaftlichen Anwendung nutzlosen Qualifikation wird. Wieso Studienab-solventInnen anstellen, wenn man für weniger Geld auch AbsolventInnen technischer Schulen oder hoch qualifizierte FacharbeiterInnen beschäftigen kann?
Während die bereits implementierten Änderungen durch den Bologna-Prozess wohl nicht grundlegend rückgängig gemacht werden, kann eine „Reform“ v.a. der Lehrpläne durchaus erwartet werden.
Gleichzeitig hat die herrschende Klasse auch das Problem, dass eine ihre Grundannahmen nur noch eingeschränkt zutrifft. 2010 zum „dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt“ aufzusteigen, hat offensichtlich nicht funktioniert. Im Gegenteil, das deutsche und französische Kapital sehen sich einer extrem verschärften Konkurrenzsituation gegenüber, in der Personalabbau und Verlagerung von Produktion, nicht Neueinstellungen anstehen.
In dieser Situation wird auch die „beste“ Bildungsreform an die Grenzen der Verwertungsprobleme des Kapitals stoßen. Für die einzelnen Kapitale erscheinen Bildungsausgaben immer als „überschüssige“ Kosten, die den Profit des Kapitals schmälern. Daher müssen die Kosten „reduziert“, muss gespart, privatisiert usw. werden – kurz ein größerer Teil der Kosten für das Bildungssystem auf die Gesellschaft in Form des proletarischen Steuerzahlers oder direkt auf die Jugendlichen und deren Eltern abgewälzt werden.
Zum anderen soll die „Reform“ einen direkten Zugriff auf die Inhalte der Ausbildung sichern oder Renditemöglichkeiten für Anlage suchendes Kapitals schaffen (z.B. Gebäudeprivatisierung inkl. darauf folgenden langfristigen Leasings durch Unis oder Schulen, Auslagerung von Reinigungsdiensten, Mensen/Schul-küchen, Pförtnern, Teilen der Verwaltung).
Die staatliche bzw. suprastaatliche Bildungsplanung stößt prinzipiell an die Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise. Einerseits sollen nämlich möglichst genau und kostengünstig am Ende ihre Ausbildung die nötigen Arbeitskräfte hervorgebracht worden sein. Andererseits ist dieser zukünftige Bedarf des Gesamtkapitals aufgrund des anarchischen Charakters der kapitalistischen Marktwirtschaft nie vorausbestimmbar, weil er sich mit dem Gang der Konkurrenz stetig ändern muss. So gibt es regelmäßig „zu viele“ oder „zu wenige“ AbsolventInnen für bestimmte Sparten. Dieser innere Widerspruch bürgerlicher Bildungspolitik verschärft sich in Krisenperioden enorm, so dass eine „Bildungsreform“ die andere jagt, ohne dass dabei eine Lösung der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Probleme selbst heraus kommt (oder auch nur heraus kommen könnte). Wir müssen also in jedem Fall mit einer fortgesetzten Krise im Bildungssystem rechnen.
Inmitten einer solchen Konstellation der Kräfteverhältnisse, bei der Studierende die Rücknahme bzw. Reformierung von Bologna fordern und die Herrschenden gleichzeitig keine reale Strategie für die Beseitigung auch ihrer Probleme an den Hochschulen haben, gilt es einen klaren Klassenstandpunkt zu wahren. Nur weil einige Zugeständnisse gemacht wurden oder auch in Zukunft gemacht werden können, darf der allgemeine Protest an den Hochschulen nicht zum Erliegen kommen.
Klar waren Teile der Bewegungen durchaus konsequent im Kampf für ihre Forderungen. Die Proteste haben aber auch gezeigt, dass sowohl RektorInnen als auch der Regierung oder den Ministerien zum Teil naives Vertrauen entgegengebracht wurde.
So wichtig ein Protest gegen die unmittelbaren Auswirkungen von Bologna auch ist: in letzter Instanz dürfen sich die Proteste nicht einzig und allein um den europäischen Bologna-Prozess drehen. Auch außereuropäische Länder sahen Protestbewe-gungen gegen Studiengebühren. So bestreikten mexikanische StudentInnen in den Jahren 1999-2000 die Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) für ganze 292 Tage, um gegen die neoliberalen Umbaumaßnahmen (Erhöhung der Studiengebühr auf $ 150 pro Semester) der Regierung zu protestieren.
Beispiele wie die Proteste in Mexiko zeigen, dass eine Reduzierung der Probleme auf den von europäischen Staaten vorangetriebenen Bologna-Prozess nicht ausreicht. Die Hochschulpolitik der herrschenden Klasse muss dabei vielmehr in einen größeren gesellschaftlichen Kontext gestellt werden. Schule und Universität stellen dabei einen für die kapitalistische Gesellschaft enorm wichtigen Bereich dar. Nicht nur, dass in diesen Institutionen Ideologie produziert und reproduziert wird, sind sie auch zentrale Bereiche zur Vermittlung von im kapitalistischen Wirtschaftskreislauf zu realisierender Qualifikation.
Dass eine solche Qualifikationsvermittlung unmittelbar mit den Anforderungen der großen Konzerne korrespondiert ist nicht nur eine Frage der Finanzierung. Es ist auch eine Frage der direkteren Kontrolle der Bildungseinrichtungen. Nicht zufällig hat man in Österreich mit dem UG 2002 systematisch (und erfolgreich) versucht, Studierende aus den Entscheidungsgremien zu drängen und stattdessen ManagerInnen in hohe Positionen gehievt. Auch der Rektor der Universität Wien, Georg Winckler, hat dabei einen bezeichnenden „Nebenjob“ als Vizeaufsichtsratsvorsitzender sowohl bei der Erste Bank Group (9) als auch bei der Versicherungsgesellschaft Uniqa (10).
Politisch wäre es somit blauäugig, würde man keine zusätzlichen Perspektiven als den Protest gegen Bologna haben. Was notwendig ist, ist ein Kampf um die Veränderung der Machtverhältnisse in Universität und Gesellschaft, d.h. die Kontrolle der Forschungs-, Lehr- und Lernbedingungen durch Studierende und Lehrende selbst. Gerade wegen der Zentralität des Bildungsbereichs für das kapitalistische System kann dies jedoch nur durch eine gesamtgesellschaftliche Klassenkampfperspektive erreicht werden; ein universitärer Protest alleine reicht hier nicht aus. Die Verbindung der Studierendenproteste mit den Anti-Krisen-Mobilisierungen, gewerkschaftlichen Kämpfen und dem nichtwissenschaftlichen Personal an der Universität müssen dabei erste Schritte sein, um das gesellschaftliche Kräfteverhältnis soweit zu beeinflussen, dass die Erzwingung von Forderungen möglich wird.
Die Versäumnisse dieser politischen Perspektive wurden spätestens während des stärker werdenden Niedergangs der Bewegung offensichtlich. Die Grundlage für eine mangelnde politische Perspektive ist dabei jedoch nicht nur in fehlender Erfahrung der Protestbewegung zu suchen, sondern v.a. in der bewussten Ablehnung einer Einordnung der Studentenproteste in eine gesamtgesellschaftliche, auf die Arbeiter-klasse orientierte Strategie von Seiten postmoderner Strömungen, die bald eine ideologische Dominanz über die Bewegung erlangten. Gleichzeitig mit der Diskrepanz zwischen der Spontaneität der Bewegung und der nur schleppenden Reaktion der offiziellen Studierendenvertretungen wurde die Führungskrise auf der Uni deutlich sichtbar.
Obwohl die Bildungsbewegung im Jahr 2009 Hunderttausende auf die Straßen brachte, gelang es den SchülerInnen und StudentInnen in der Mehrzahl der Fälle nicht, ihre zentralen Forderungen umzusetzen, teilweise fehlte es auch an gemeinsamen Forderungen. Ebenfalls misslang der Aufbau kampffähiger und effizienter Strukturen auf nationaler und internationaler Ebene, es blieb bei losen Koordinierungen und unverbindlichen Konferenzen. Diese Entwicklung war von den vorherrschenden politischen Akteuren in der Bildungsbewegung gewollt. Im Folgenden wollen wir diese Kräfte und Strömungen genauer betrachten.
Sobald wir über die politischen Strömungen und Kräfteverhältnisse in der Bildungsbewegung sprechen, müssen wir zunächst versuchen, eine marxistische Klassenanalyse vorzunehmen. Besonders die StudentInnen sind eine heterogene Gruppe, die sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat. Der Anteil von StudentInnen mit proletarischem Hintergrund ist massiv gesunken. Lag dieser Anteil Mitte der 70iger Jahre in Deutschland noch bei über 30%, so liegt er heute bei weniger als 15%. In Österreich hat sich der Anteil von 26% im Jahr 1998 auf 18% im Jahr 2009 verschlechtert. Die Studierendenschaft stammt mehrheitlich aus den lohnabhängigen Mittelschichten und dem gehobenen Kleinbürgertum. Ebenso gibt es natürlich einen großbürgerlichen Anteil.
Innerhalb der Studierenden gab es in den letzten zwei Jahrzehnten eine abnehmende Politisierung. Erst die Änderung des HRG (Hochschulrahmengesetz) 1999 und die Einführung der Studiengebühren 2003 in Deutschland führten wieder zu vermehrtem Widerstand auf dem Campus. Damals demonstrierten in vielen Bundesländern die StudentInnen gegen allgemeine und Langzeitstudiengebühren – dieser Angriff führte jedoch auch zu einer weiteren Selektion. Die Studiengebühren vertrieben wiederum viele StudentInnen mit proletarischem Hintergrund von den Universitäten.
Dementsprechend geprägt ist heute die politische Landschaft am Campus. Während die radikalisierten kleinbürgerlichen StudentInnen in verschiedenen anarchistischen, autonomen und libertären Kleinstprojekten ihre Politik weit entfernt von der Mehrheit der StudentInnen betreiben, ist die übergroße Masse der StudentInnen von reformistischen, bildungsbürgerlichen und offen bürgerlichen Einflüssen bestimmt. Ihr Protest gegen BA/MA ist stark von ihrer Klassenherkunft geprägt – ihre Berufsperspektiven stehen im Vordergrund, sie sehen sich im Konkurrenznach-teil durch die BA-Reformen.
Hinter dieser verschärften Konkurrenz der Studierenden untereinander und dem erhöhten Selektions- und Leistungsdruck zeigt sich aber auch, dass sich die soziale Zukunft vieler HochschülerInnen verschoben hat. In immer größeren Maß ist ihre Perspektive eine als Lohnabhängige. Ein größerer Teil der Studierenden sieht einer Zukunft als Teil der (wenn auch gehobenen, besser qualifizierten und bezahlten) Arbeiterklasse entgegen.
Das drückt sich jedoch nur vermittelt im Bewusstsein aus, teilweise sogar in verschärfter Konkurrenz untereinander im Kampf für weniger werdende Jobs.
Für MarxistInnen liegt die grundlegende Bedeutung dieser Entwicklung jedoch in der Tendenz zu einer fortschreitenden Proletarisierung von Teilen der Uni-AbsolventInnen (v.a. des BA) und damit der Zuspitzung sozialer Fragen für diese Schicht der Studierenden, die nach gewerkschaftlichen und sozialistischen Antworten drängt. Zum anderen zeichnet sich in den Bologna-Reformen auch eine klarere Trennung zwischen der Herausbildung zukünftiger LohnarbeiterInnen (BA) und höheren Klassen (Master, Doktor, …) in Form der Abschlüsse selbst ab.
Mehr noch als an den Unis ist das Schulwesen von einer klaren Selektion geprägt, die sogar von den bekannten „Pisa-Studien“ benannt wird. Kinder mit proletarischem und migrantischem Hintergrund werden systematisch benachteiligt. Ihre Chancen auf das Abitur sind sehr viel geringer als die von Kindern mit bürgerlichem Hintergrund. Besonders das dreigliedrige Schulsystem im deutschen Schulwesen, mit Haupt-, Realschule und Gymnasium zementiert die soziale Selektion. SchülerInnen der Hauptschule haben miserable Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Hier wird in der Abschlussklasse schon mal das Ausfüllen des Hartz IV-Antrags geübt – entweder sie landen beim „Amt“ oder im Niedriglohnbereich. In der Bildungsbewegung waren meist die GymnasiastInnen stärker beteiligt. Gerade sie hatten am Ende ihrer Schullaufbahn genügend Frust angesammelt. Turbo-Abitur und verstärkter Leistungsdruck in den Gymnasien sowie die Aussicht auf ein BA/MA -Studium mobilisierten viele AktivistInnen. An den Haupt- und Realschulen gab es auch verstärkte Repressionsandrohungen,. Die SchülerInnen wurden stark behindert in der Ausübung ihrer politischen Rechte,. Ebenso gibt es wenige arbeitsfähige SchülerInnenstrukturen an diesen Schulen.
Die Bildungsbewegung hat in vielen Bereichen ihren Ursprung im radikalisierten kleinbürgerlichen Milieu an Universität und Schule.
Umso wichtiger ist daher eine antikapitalistische Intervention in die Bewegung. Diese muss nicht nur den verbleibenden proletarischen Teilen der Studierenden- und Schülerschaft eine politische Perspektive geben. Sie muss auch offen die organisierten kleinbürgerlichen und reformistischen Strömungen angreifen und überwinden.
Bei den meisten Protesten und Mobilisierungen standen die offiziellen Vertretungsorgane von SchülerInnen und StudentInnen eher im Abseits. Nur selten waren sie aktive Kräfte, die den Protest unterstützten, geschweige denn anführten. An den Unis sind die ASTA oder die ÖH meist in den Händen von reformistischen oder libertären Kräften (Ausnahmen bilden offen bürgerliche ASTA, in Deutschland RCDS), die sich in der Gremienarbeit aufhalten, ihren eigenen Projekten frönen, die spätere Politikkarriere vorbereiten und oft zum Protest getragen werden mussten. Vielerorts nutzen die Vertretungen die Proteste, um AktivistInnen für ihre Uni-Arbeit einzubinden. Dies sind dann meist Evaluationsprojekte in Fachbereichen, Unterschriftensammlungen und Petitionen – aktive Unterstützung kam selten zustande. In manchen Fällen durften die AktivistInnen noch nicht mal die Räumlichkeiten der studentischen Selbstverwaltung benutzen. Nicht anders sieht es in den SchülerInnenvertretungen aus, in SVen oder LSVen. Diese sind zumeist von reformistischen NachwuchspolitikerInnen besetzt, die zwar gerne in den Medien mal etwas zum Protest erzählen, aber selten aktiv in den Bildungsbündnissen oder Streikkomitees mitarbeiten.
So waren die AktivistInnen meist erstmal damit beschäftigt, sich eigene Strukturen aufzubauen, eigene Räumlichkeiten zu organisieren, um somit für die Bildungsproteste werben zu können. Im Verlauf der Proteste kristallisierten sich verschiedene politische Akteure heraus, die allermeisten nicht dazu geeignet, der Bewegung eine kämpferische Perspektive zu weisen. Im Folgenden wollen wir auf die beiden Hauptströmungen eingehen.
Mit diesen Begriffen lässt sich eine Hauptströmung der Bildungsbewegung skizzieren, besonders in Deutschland und Österreich waren diese Kräfte vorherrschend. Diese Strömung setzt sich zum einen aus „organisierten“ anarchistischen und autonomen Kräften zusammen, welche an den Unis in ASTA oder den Gremien der ÖH aktiv sind, wie auch aus unorganisierten kleinbürgerlichen AktivistInnen. Obwohl es innerhalb dieser Strömung auch grundlegende politische Unterschiede gibt, werden wir erstmal die Gemeinsamkeiten beleuchten. Da ist zum einem die postmodernistische Methode und das Organisationskonzept für die Bewegung. Auf fast allen studentischen Konferenzen wurde das Mehrheitsprinzip abgelehnt. Statt dessen sollte nach dem Konsensprinzip gehandelt werden.
Dies wurde meist mit Begriffen wie „basisdemokratisch“ und „Hierarchiefreiheit“ begründet. Nach dieser Konzeption ist allein die Tatsache, dass es eine Mehrheit oder Minderheit geben könnte, ein Ausdruck systemischer Hierarchiereproduktion, welche AktivistInnen ausschließen würde. Gleichzeitig würde durch die Herstellung von Mehrheit und Minderheit die Bewegung blockiert werden. Ein offener Diskurs, welcher alle Meinungen und Ansichten integrieren würde, wäre durch Abstimmungen nicht möglich. Dadurch soll ein „freier“ Diskurs ermöglicht werden. Diesem Ziel werden auch alle politischen Erfordernisse untergeordnet – die Konferenzen dürfen nichts beschließen, nur Empfehlungen aussprechen. Die Bewegung wird abstrakt als Einheit angesehen und nicht als eine heterogene politische Gruppe mit verschiedenen Analysen und Taktiken. Der Diskurs und die Konsensfindung gelten an sich schon als politische Praxis und Wirkung. Es wird behauptet, dass diese Methode der Bewegung in die Gesellschaft hinein wirkt und dadurch Veränderungen erreicht werden können, wobei unklar bleibt, welche dadurch erreicht wurden.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Dezentralität ihrer Methode – alle verbindlichen Strukturen werden abgelehnt. So soll festgehalten werden, dass jede Subjektivität der AktivistInnen sich gleichberechtigt beteiligen kann. In der Realität führt genau die Dezentralität der Bildungsbewegung zu großen Problemen. Es gibt keine gemeinsamen Diskussionen über die Ziele der Bewegung. Die minimalen Forderungen stehen für Alle und jedes Bündnis kann sich quasi aussuchen, ob es an einer Mobilisierung teilnimmt oder nicht. Gleichzeitig befördern die dezentralen Strukturen keinen demokratischen Prozess. Nichts wird überprüft oder gewählt.
Augenfällig ist das Demokratiedefizit dieser Strömung – nicht nur, dass Abstimmun-gen verboten werden. Durch so genannte ModeratorInnen wird sogar der Diskurs unter den Versammelten beschränkt. So wurden bei einer Bildungskonferenz im Workshop drei Stunden lang Methoden zur Diskursvermeidung vom Moderator angewendet. Allein das flehentliche Bitten nach einer offenen Diskussion über die Perspektive der Bildungsproteste gab den TeinehmerInnen schlussendlich 30 Minuten Zeit zur Diskussion. In den Plena agieren die ModeratorInnen nicht neutral, sondern brechen jede entstehende Diskussion ab mit Hinweis auf andere Methoden der Beteiligung, fragen nach dem Konsens sowie möglichen Einsprüchen gegen diesen. Als letztes Beispiel dieses Demokratieverständnisses soll erwähnt werden, dass teilweise sogar den TeilnehmerInnen vorgeschrieben wird, welche „Killerphrasen“ sie zu unterlassen haben bzw. welche auch allzu deutliche Meinungsäußerungen schwierig wären für den gemeinsamen Diskurs und den angestrebten Konsens.
In der Praxis ist somit der kleinste gemeinsame Nenner das vorherrschende Ergebnis dieser Versammlungen. Damit ist diese Strömung auch immer wieder anschlussfähig an die rechten und reformistischen Kräfte in der Bewegung.
Die Unterschiede innerhalb dieser Strömung werden zum einen durch verbalradikale AktivistInnen (Kapitalismus abschaffen als Phrase, ohne Analyse und Programm) und zum anderen durch rein bildungsorientierte AktivistInnen (für freie Bildung ohne Systemzwänge) verkörpert. Ihr gemeinsamer Nenner, die postmoderne Methode, ist dann auch die Grundlage für die Kooperation mit reformistischen Organisationen.
Natürlich waren auch zahlreiche, sich selbst als sozialistisch bezeichnende Gruppen und Organisationen beteiligt (in Deutschland SDS, Jusos; in Österreich VSStÖ bzw. SJ). Ihr Einfluss auf die Bewegung, theoretisch und praktisch, war unterschiedlich groß. Gemeinsam war ihnen jedoch das Bemühen, die Proteste nicht auf eine höhere Stufe zu heben, sondern sie vielmehr auslaufen zu lassen und zu verhindern, dass es zum Aufbau von demokratischen Delegiertenstrukturen kommt. Denn die Radikalisierung und die demokratische Organisierung der Bewegung hätten den Einfluss und die Position dieser reformistischen Organisationen unter der Studierendenschaft und deren Institutionen gefährden können. Eine solche Entwicklung wäre zu einer direkten Herausforderung der bürokratischen Strukturen und dem traditionellen reformistischen Politikverständnis von SDS/solid/VSStÖ/SJ geworden. Die reformistischen Organisationen traten jedoch oft nicht offen in der Bewegung mit ihren Konzepten auf.
Zum einen unterstützten die (links)-reformistischen Organisationen überall die Methoden der libertären Konsensströmung, traten nicht mit eigenem Programm auf und verzichteten bei vielen Besetzungen und Aktionen darauf, als Organisation aufzutreten. Gleichzeitig schaffte es der SDS z.B., informelle Strukturen wie Presse und Öffentlichkeitsarbeit zu besetzen. In Deutschland gab es erst am Ende des Jahres 2009 ein offizielles Papier der wohl größten politischen studentischen Organisation zur Perspektive des Bildungsstreiks (Streikagenda 2010 von Friederike Benda, Steffi Graf, Oskar Stolz und Ben Stotz).
In diesem Papier wird zum einen kritisiert, dass bestimmte Akteure den Bildungsstreik als „antikapitalistisch“ einengen wollen. Damit würden sie die Be-wegung in die „strategische Isolation“ führen. Dies spiegelt wider, wie sich der „Sozialistische Demokratische Studierendenverband“ die politische Ausrichtung der Bildungsbewegung vorstellt. Damit fällt der SDS, zusammen mit der Jugendorgani-sation solid, hinter die Entwicklung der SchülerInnenbewegung 2008 in Deutschland zurück. Dort gab es politische Mehrheiten für eine antikapitalistische Ausrichtung der Proteste, dort gab es auch gewählte Strukturen und Vertretungen der Bewegung. Dies alles wird nun abgelehnt. Diese „SozialistInnen“ verstecken sich hinter einer vorgeblichen kleinbürgerlichen Majorität in der Bildungsbewegung und bekämpfen auch aktiv jeden Versuch, in der aktuellen Bewegung einen antikapitalistischen, sozialistischen Pol aufzubauen. Statt dessen setzen sie auf parlamentarische Gepflogenheiten, unterstützen Dialogrunden mit den Unileitungen oder gar den Ministerien, lassen sich von der KMK (Kultusministerkonferenz) und der EU zum Bologna-Gipfel einladen und vertrösten die AktivistInnen auf eine mögliche Partizipation in der Bildungspolitik – dies ist klassischer Reformismus.
Diese Kräfte integrieren auch eher die offen rechten Strömungen in der Bildungsbewegung, als an dem Aufbau einer antikapitalistischen, sozialistischen Strömung beteiligt zu sein. Diese rechte Strömung stellt ihre Forderungen allein nach ihren Interessen beim Bildungsabschluss auf. Ihnen geht es um die Verbesserung des BA/MA-Abschlusses. Ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt steht bei ihnen im Vordergrund. Jeder Bezug zu anderen politischen Themen oder Bereichen wird von den rechten Strömungen abgelehnt – sie sehen jede „linke“ Parteinahme für die Bildungsbewegung als Gefahr für ihre Forderungen.. Gegenüber diesen Kräften agieren diese reformistischen Kräfte besonders handzahm. Anstatt innerhalb der Bewegung den Bezug von Bildungsabbau und Kapitalismus herzustellen, laufen sie den rechten Forderungen hinterher und versuchen, diese stets aufzugreifen.
Als Begründung wird abstrakt eine mögliche „Politisierung“ benannt, bei der alle AktivistInnen beim kleinstmöglichen Nenner abgeholt werden sollen und diese nicht „verschreckt“ werden dürfen durch weitergehende politische Agitation. Rückendeckung bekommen diese reformistischen Organisationen auch von ihrer „linken Flanke“, den verschiedenen zentristischen Gruppen. Die Sektionen des CWI (SAV in Deutschland und SLP in Österreich) oder der IST (Marx 21 in Deutschland und Linkswende in Österreich) bspw. agieren stets im Nachtrab der reformistischen Organisationen, betreiben ebenfalls keine offene, antikapitalistische oder gar sozialistische Agitation. Diese Taktik geht ebenfalls davon aus, dass erst ein größerer Teil politisiert, dann im Kampf radikalisiert werden muss und erst später für mögliche antikapitalistische Positionen offen ist.
Dieser Kräftekonstellation haben wir, von der internationalen Jugendorganisation REVOLUTION und den Sektionen der Liga für die 5. Internationale, stets eine antikapitalistische und sozialistische Agitation entgegen gestellt. Wir sind offen als SozialistInnen aufgetreten und haben damit keine AktivistInnen verschreckt – im Gegenteil – viele, die mit der Politik der Hauptströmungen nicht einverstanden sind, haben uns stets als Alternative wahrgenommen und unsere Politik in Bündnissen und Konferenzen unterstützt.
Wir haben von Anfang an für eine weiterführende Perspektive der Bildungsbewe-gung geworben, für den gemeinsamen Kampf mit Krisenprotesten und Arbeitskämpfen gegen die Kürzungen durch den Staat und die Interessen des Kapitals.
Die vorangegangene Kritik an kleinbürgerlichen Radikalen und Reformisten wirft zugleich die Frage nach einer alternativen politischen Perspektive und demzufolge einem zu beziehenden Klassenstandpunkt auf. In den oberen Abschnitten haben wir bereits so gut wie möglich versucht, die Angriffe der KapitalistInnen auf die Bildung zu skizzieren. Doch welche Forderungen gilt es aufzustellen, wie und mit welchen Mitteln diese zu erkämpfen?
Zentral ist hierbei ohne Frage der zu beziehende Klassenstandpunkt! Wir glauben, dass die Angriffe, die gezielt auf die Bildung vorgenommen werden, nur dauerhaft durch eine antikapitalistische und revolutionäre Bildungsbewegung gestoppt und gleichzeitig auch Forderungen durchgesetzt werden können. Es ist illusorisch, dass Forderungen nach einer freien und solidarischen Bildung innerhalb der Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft realisiert werden können. Denn die Bildung selbst stellt nicht nur einen der elementaren Sektoren der ideologischen Reproduktion dieses Systems dar, sondern dient auch der Ausbildung von für das Kapital angepassten Arbeitskräften. Innerhalb dieses Reproduktionsmechanismus schwimmende Inseln zu schaffen, die vorbehaltlos von Kapital und bürgerlichem Staat geduldet werden, ist nicht nur utopisch, sondern eine Schlussfolgerung, die umso gefährlicher ist, als sie von einem Großteil der Bewegung momentan vertreten wird. Ideen wie die Schaffung von eigenen, von der Bewegung kontrollierten „Universitäten“ (z.B. die Krisu in Wien), sind zwar keine prinzipiell abzulehnenden Forderungen. Gleichzeitig muss jedoch auch der beschränkte Charakter dieser Herangehensweise aufgezeigt werden. Auch Aussagen im Wiener Audimax à la „Wir sind das Parlament“ sind zwar nette rhetorische Kniffe, insgesamt bleiben sie genauso wie die Idee von Alternativuniversitäten jedoch in der Illusion gefangen, dass man ohne eine Herausforderung aktueller Herrschaftsstrukturen Veränderungen durch die Schaffung von progressiven Insellösungen herbeiführen könnte. Auch wenn wir stets bereit sein werden, für Alltagsforderungen einzutreten, insofern sie Fortschritte darstellen und somit keinen reaktionären Charakter haben, wissen wir doch zugleich, dass diese im Kampf gewonnenen Errungenschaften nicht auf Dauer innerhalb des Kapitalismus bestehen können, ohne von Gegenangriffen der KapitalistInnen bedroht zu sein!
Dazu ist es notwendig, über den Protest im Bildungsbereich hinaus eine gesamtgesellschaftliche Perspektive zu entwickeln. Um eine Brücke zwischen der Erkämpfung der dringendsten Forderungen und der Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse zu schlagen, muss eine klare Analyse über die Ursachen der Bildungskrise angestellt werden. Denn während einige von der Protestbewegung aufgestellten Forderungen durchaus auch erkämpft hätten werden können (z.B. eine Erhöhung der Budgets oder aber auch kleine Veränderungen in den Lehrplänen), stellen anderen Forderungen ganz klar die Frage nach den Machtverhältnissen auf der Uni und in der Gesellschaft. Forderungen wie die „Demokratisierung der Universitäten“ kratzen dabei an etablierten Herrschaftsstrukturen.
Gleichzeitig muss auch eingesehen werden, dass die Bildungskrise nicht durch Bildungsproteste alleine gelöst werden kann. Denn die Ursache der Probleme liegt nicht bloß in der schlechten Umsetzung der Bologna-Reformen, sondern ist vielmehr ein Resultat einer bewussten Förderung der sozialen Selektion an den Schulen und Universitäten. Um diese grundlegenden Probleme lösen zu können, ist ein gemeinsamer Kampf von SchülerInnen, StudentInnen, Azubis und der ArbeiterInnenbewegung notwendig, der über Forderungen im Bildungssektor hinausgeht.
Die Aufgabe, die sich RevolutionärInnen in der Bildungsbewegung stellen müssen, besteht deshalb nicht nur darin, einen konsequenten Kampf für die Interessen der SchülerInnen, StudentInnen, Azubis und den Beschäftigten im Bildungsbereich zu führen. Jegliche Intervention muss dabei auch einen klaren Bezug zu den Ursachen der Bildungskrise, dem Kapitalismus, herstellen und aufzeigen, wie eine gesellschaftliche Alternative erkämpft werden kann. Hierin liegt auch oft die grundlegende Errungenschaft von Streiks, Demonstrationen und Aktionen in der Bildungsbewegung, auch wenn sie direkte Tagesforderungen bisher nicht in signifikantem Ausmaß realisieren konnte, nämlich in der Stärkung der Organisierung der Beteiligten, der Aktivierung ungeahnter Kräfte. Unwillkürlich werfen diese Aktionen politische Fragen auf und zwingen die Studierenden und SchülerInnen, sich gegenüber Uni-Leitung, Ministerien, Polizei, aber auch zu anderen Kämpfen zu positionieren. Das bietet eine viel günstigere Basis für RevolutionärInnen, ganze Schichten der Jugend für eine revolutionäre, sozialistische Lösung der Misere zu gewinnen.
Ein zentraler Punkt der Forderungen ist mit Sicherheit der Kampf gegen den Bologna- Prozess auf europaweiter Ebene. Dieser ist das Hauptangriffsziel der Forderungen eines Großteils der Studentnnenbewegung momentan. Hieran sind unglaublich viele Kampffelder geknüpft wie der Kampf gegen Studiengebühren, das BA/MA-System oder aber auch die Förderung weiterer Exzellenzinitiativen unter gleichzeitig voranschreitender Privatisierung großer Teile des universitären Bereichs. Hier haben wir, wenn auch durch Nuancen unterschieden, fast in ganz Europa und auch darüber hinaus exakt die (zeit-)gleichen Angriffe auf das Bildungssystem in den letzten Jahren beobachten können.
In vielen SchülerInnenprotesten haben wir oft unterschiedlichste Anlässe auf internationaler wie auch auf regionaler Ebene gesehen. So zum Beispiel die CPE-Gesetze, die hunderttausende Jugendliche in Frankreich 2006 auf die Straße brachten, die Kürzung von schulfreien Tagen in Österreich oder Bildungsreformen wie z.B. das G 8 -Abitur (Abitur in 12 Jahren) in Deutschland.
Im Kern jedoch lassen sich einige grundlegende Kampffelder und Hauptlosungen innerhalb der momentanen Bildungsbewegung herauskristallisieren (11). Diese wären die Forderung nach einer kostenlosen, staatlich finanzierten Bildung, nach einer Bildung für Alle und somit gegen jedwede Selektion innerhalb des Bildungssystems, die Forderung nach einer bedingungslosen Komplettfinanzierung der Bildung sowie die immer sehr vage formulierte Forderung der Demokratisierung des Bildungssystems.
Natürlich unterstützen wir alle diese Punkte. In der Bewegung wurden sie jedoch oft entweder völlig getrennt und zusammenhanglos präsentiert oder aber zutiefst reformistische Forderungskataloge ausgearbeitet, die im „Rahmen des Möglichen“, also den Grenzen der bürgerlichen Gesellschaft bleiben sollten. Letzteres beinhaltet auch die Vorstellung, dass eine „gute Bildung“ ja im Interesse Aller, also auch der Unternehmer wäre, die mit besser und umfassender qualifizierten Arbeitskräften hochwertigere und konkurrenzfähigere Produkte herstellen könnten.
Dabei wurde nur selten und sehr ungern die Frage diskutiert, wer überhaupt sämtliche Forderungen der Bewegung bezahlen sollte. Wir sind der Meinung, dass nicht diejenigen zahlen dürfen (mithilfe von (in)direkten Steuern), die direkt von der Unterfinanzierung des öffentlichen Bildungs- und Sozialsystems betroffen sind, nämlich die ArbeiterInnenklasse und arme Jugendliche. Nein! Zahlen sollen diejenigen, in deren Sinn die kapitalistische Ausbildung stattfindet und zwar durch starke Steuern auf Kapital und Vermögen!
Auch die Frage, wie letztendlich die geforderte Demokratisierung genau aussehen sollte, wurde von ReformistInnen und Libertären entweder sehr wässrig bzw. nicht beantwortet oder aber wurde eine stärkere Mitbestimmung und Eingliederung in bürgerliche/n Strukturen gefordert. Wie diese Bestimmungsrechte letztendlich aussehen, haben wir hervorragend bei Schulstreiks innerhalb der Schülervertretungen gesehen. Dies liegt nicht einmal daran, dass diese meistens von „rechten“ oder offen bürgerlichen Elementen beherrscht werden. Vielmehr sind sie grundlegend bürgerliche Organe, innerhalb deren eine volle Selbstbestimmung und Selbstverwaltung in Wirklichkeit unmöglich ist. Daher stellt sich auch für uns die Frage, welche Strukturen die Bewegung braucht, welche Organe und Formen des Austauschs, um einerseits so demokratisch wie möglich zu funktionieren, andererseits um so effektiv wie notwendig zu arbeiten. Dabei dürfen wir natürlich nie die politische Perspektive vergessen, in deren Zusammenhang diese Strukturen bestehen! Struktur, Organisation, Partei Eines hat sich ganz klar in den letzten Monaten gezeigt: die Bildungsbewegung wird und kann nicht dazu in der Lage sein, einen dauerhaften und verallgemeinerten Kampf zu führen ohne verbindliche Strukturen! Die Hintergründe der „Strukturpolitik“ des rechten Flügels der Bewegung haben wir bereits nachgewiesen. Kommen wir also zu unseren Vorschlägen für die Bewegung.
Wir glauben, dass es für das Gelingen der folgenden Protestwellen unabdingbar sein wird, überall wo dies möglich ist, Streik- und Aktionskomitees aufzubauen, sei es an Schule, Uni oder am Ausbildungsplatz. Ihre Aufgabe muss es sein, ein Sammelpunkt für alle kämpferischen AktivistInnen zu sein, um die Mobilisierungen vor Ort zu planen und durchzuführen, ihre KollegInnen für die politischen Forderungen zu gewinnen und auch im Kampf anzuführen.
Trotz alledem sind diese Strukturen eine Art Bündnis oder Einheitsfront. Sie sind daher vor allem eines – Aktionsorgane, in denen sich unterschiedliche politische Gruppen und Einzelpersonen treffen, um gemeinsame Aktionen durchzuführen. Grundlegend für eine gemeinsame Arbeit muss die ständige Meinungsfreiheit sein, die Freiheit, auch die anderen Partner dieses Bündnisses kritisieren zu können.
Natürlich werden Bündnisse politische Fragen ausführlich diskutieren und versuchen, zu einer gemeinsamen Lösung und Vorgehensweise zu kommen. Aber sie müssen nach Diskussionen auch zu Entscheidungen kommen, was von wem zu tun ist. Dazu vertreten wir das Mehrheitsprinzip. Das mag banal klingen, doch innerhalb der Bewegung ist dies eine wichtige Forderung vor allem gegenüber den Libertären. Die Erfahrung der letzten Jahre hat nämlich gezeigt, dass das so genannte „Konsensprinzip“ eine Fessel für die Bewegung ist, weil es jeder noch so kleinen Minderheit das „Recht“ einräumt, die Mehrheit, also die Gesamtbewegung, am Handeln zu hindern.
Hinzu kommt, dass damit auch jede Transparenz und Klarheit über unterschiedliche politische Vorschläge erschwert, wenn nicht gar blockiert ist, denn das ist die Grundvoraussetzung, damit auch offen Kritik geübt werden kann.
Vor allem ist es fatal, weil in der Bewegung unterschiedliche Fraktionen bzw. Strömungen existieren, die objektiv unterschiedliche (Klassen-)Interessen zum Ausdruck bringen. Diese Differenzen zu verschweigen, kommt einem Maulkorberlass gegenüber dem proletarischen, revolutionären Flügel gleich. Es zeigt auch von dieser Seite den reaktionären Charakter des „Konsensprinzips“. Die Bewegung wird nämlich ihre Schwächen nur überwinden können, wenn unterschiedliche Strategien und Vorschläge offen diskutiert und verbindliche Beschlüsse für die Aktion gefasst werden – nicht, indem unterschiedliche Standpunkte zu einem nicht existierenden „Konsens“ verwässert werden, was reale Differenzen nur verschleiert, nicht löst.
Zurück zu den Streikkomitees. Sie müssen danach streben, sich lokal und regional in Form von Bündnissen zu organisieren, bereit sein, verbindliche Absprachen zu treffen und gemeinsame Aktionen durchzuführen, Seite an Seite mit politischen Gruppen, die die Forderungen des Bildungsstreiks vertreten (ausgeschlossen sind natürlich Rassisten, Sexisten, Faschisten etc.). Auch auf nationaler und erst recht auf internationaler Ebene reichen die Modelle informeller Absprachen nicht, wie wir sie bisher gesehen haben.
Wir schlagen daher Konferenzen vor, die auf Delegiertenbasis, beschickt von regionalen Streikkomitees, politischen Gruppen und z.B. Gewerkschaften stattfinden, die natürlich von ihren eigenen Strukturen gewählt wird. Außerdem müssen diese Konferenzen für Beobachter offen stehen. Die Delegierten müssen ihrer Basis gegenüber rechenschaftspflichtig sein und von dieser abgewählt werden können. Auf ihnen könnten auch tatsächlich verpflichtende Beschlüsse gefällt werden. Sie wären außerdem weitaus transparenter und nachvollziehbarer, als es momentan der Fall ist.
Diese Strukturen sind die einzige Möglichkeit, um wirklich gegen informelle „Zusammenhänge“ und undemokratische, selbst ernannte FührerInnen (Libertäre, SDS, VSStÖ/SJ) der Bewegung vorzugehen und sie durch handlungsfähige und demokratische Strukturen zu ersetzen.
Diese Strukturen können der Keim für eine SchülerInnen- und StudentInnengewerkschaft sein, die ein mächtiges Bollwerk sein könnte nicht nur in der Verteidigung unserer Rechte, sondern auch im Kampf für unsere Zukunft. Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, dass die Bewegung in den Zeiträumen zwischen den Mobilisierungen und Großaktionen oft in sich zusammenfällt. Das ist ein Stück weit auch unvermeidbar. Ein Streikkomitee ohne Streik wird natürlich zu einer leeren Hülle und kann nicht dauerhaft über längere Monate auf diese Weise existieren. Hinzu kommt, dass die Studierenden und SchülerInnen keine oder zumindest keine vom Staat unabhängige, landesweite Organisation haben. Daher ist die Losung einer SchülerInnen- und StudentInnengewerkschaft wichtig, um eine dauerhafte, kämpferische Organisation zu schaffen, die eine Kontinuität aller AktivistInnen auch für die Zeiten schafft, wenn die Bewegung wenig aktiv ist.
Die Wichtigkeit einer StudentInnengewerkschaft und noch viel mehr von Streikkomitees und deren Zentralisierung zu Streikräten liegt darin, dass sich diese Strukturen als unbedingt notwendig erwiesen haben zur Organisierung von Aktionen. Nur so wird es möglich sein, ausgehend von der Besetzung einzelner Räume zu unbefristeten Besetzungsstreiks/Vollbesetzungen zu kommen. Dazu braucht es demokratische und handlungsfähige Organe – eben Streikräte -, die Besetzungen nach innen organisieren und ausweiten, sie durch Streikposten gegen StreikbrecherInnen, Sicherheitsdienste oder Polizei verteidigen und die Bewegung nach außen vertreten.
Entgegen SDS/SJ und Libertären wissen wir, dass all dies jedoch immer klar mit einer Perspektive verknüpft sein muss, die über das Bildungssystem hinausgeht, die es sich zum Ziel macht, die Ursache, die kapitalistische Gesellschaft, auf Grundlage eines revolutionären proletarischen Programms zu bekämpfen! Doch wir wissen, dass dazu nicht allein Einheitsfrontorgane ausreichen werden.
Dazu werden wir eine kommunistische Partei der Arbeiterklasse brauchen, die gemeinsam mit einer revolutionären Jugendorganisation Seite an Seite für die Interessen der Jugend eintritt! Die ihr Programm verbreitet, die Kämpfe verallgemeinert und in der Lage ist, die Erfahrungen politisch auszuwerten.
Entgegen Kräften wie den ReformistInnen (SDS/Solid, VSStÖ/SJ), den Autonomen oder Libertären haben wir von der internationalen Jugendorganisation REVOLUTION und den Sektionen der Liga für die 5. Internationale, stets eine antikapitalistische und sozialistische Argumentation dagegen gestellt. Wir sind offen als SozialistInnen aufgetreten und haben damit keine AktivistInnen verschreckt – im Gegenteil – viele, die mit der Politik der Hauptströmungen nicht einverstanden sind, haben uns stets als Alternative wahrgenommen und unsere Politik in Bündnissen und Konferenzen unterstützt.
Wir haben von Anfang an für eine weiterführende Perspektive der Bildungsbewegung geworben, für den gemeinsamen Kampf mit Krisenprotesten und Arbeitskämpfen gegen die Kürzungen durch den Staat und die Interessen des Kapitals.
Wenn wir von REVOLUTION und den Sektionen der L5I von einer sozialistischen Bildung sprechen, so sprechen wir von einer Bildung, die von der Mehrheit der Bevölkerung im Rahmen einer gesellschaftlichen Veränderung durch eine Überwindung des Kapitalismus erkämpft werden muss.
Ein Bildungssystem, welches der Jugend und der ArbeiterInnenklasse dienen soll, entsteht natürlich zum einen aus der Negation des jetzigen kapitalistischen Bildungssystems. Die kapitalistische Bildung richtet sich nach den Verwertungsinteressen der Bourgeoisie. Dort gibt es eine „Elitenbildung“ mit Privatschulen für die bourgeoisen Sprösslinge. Dort wird der Nachwuchs der herrschenden Klasse ausgebildet. Ebenso gibt es z.B. die Hauptschulen in Deutschland und Österreich, welche selbst nach bürgerlichen Maßstäben die „Ware Arbeitskraft“ unzureichend ausbilden. Der öffentliche Bildungssektor wird immer weiter ausgeblutet. Viele AbsolventInnen werden direkt in den Niedriglohnbereich überführt, um den Erfordernissen des kapitalistischen Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Gleichzeitig konkurrieren auch immer mehr AbsolventInnen der Universitäten um immer weniger Jobs.
Diese Trennung zementiert durch eine Klassenbildung natürlich auch die Klassenspaltung – hier das Proletariat mit begrenztem Bildungszugang und Möglichkeiten, dort das Klein- und Großbürgertum mit Spezialistenbildung. Dies sehen wir auch verschärft im heutigen Bildungssystem. Ein Bildungssystem, das diese Selektion überwindet, welches allen nach ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen Bildung und Wissen zukommen lässt, kann nur eine sozialistische Bildung sein. Seine Realisierung setzt freilich keine Reform, sondern die Überwindung der Grundlagen der bestehenden Klassenbildung, also den Sturz der Kapitalistenherrschaft und die Errichtung der Herrschaft der ArbeiterInnenklasse voraus.
Eine Bildung der Mehrheit für die Mehrheit muss zunächst die höchstmögliche wissenschaftliche Bildung für alle frei zugänglich machen, d.h. ohne jegliche Art von Gebühren und anderen Beschränkungen. Jedem Kind und jedem Erwachsenen müssen alle Möglichkeiten offen stehen. Bildung als Menschenrecht, wie es in manch bürgerlichen Politikerfloskeln benannt wird, wird erst dann Realität, wenn Bildung unabhängig von der Klassenlage allen offen steht. Ein Bildungssystem des Proletariats muss bemüht sein, ein „lebenslanges Lernen“ tatsächlich zu verwirklichen. Damit meinen wir den unbegrenzten Zugang zu allen neuen Methoden und Erkenntnissen der Wissenschaft.
Heute sind diese Zugänge stark eingeschränkt. Allein ein Blick in öffentliche Bibliotheken zeigt, dass dort entweder veraltetes Wissen angeboten wird bzw. die finanziellen Mittel nicht da sind, um die Literatur und die Medien auf den neuesten Stand zu bringen. In einer sozialistischen Gesellschaft muss die Versorgung aller Bildungseinrichtungen stets die Aufgabe des Gemeinwesens sein. Das betrifft alle Arten von Schulen genauso wie kommunale Einrichtungen.
Gleichzeitig wird dem Bildungssystem in einer sozialistischen Gesellschaft auch die Aufgabe zufallen, die aufgrund der kapitalistischen Klassengesellschaft geschaffenen Unterschiede in Kultur- und Bildungsniveau abzubauen. Das Bildungssystem in einer sozialistischen Gesellschaft dient deshalb auch der Überwindung noch bestehender Klassenunterschiede, anstatt solche wie im heutigen System zu befördern. Um diese Umkehr zu erreichen, müssen z.B. die Maßnahmen der Bolschewiki wie die Schaffung von voruniversitären Bildungseinrichtungen für ArbeiterInnenkinder zur Vorbereitung auf ein Universitätsstudium aufgegriffen werden. Ebenso setzte die frühe russische Revolution erste Schritte zu einer grundlegenden Veränderung des Ausbildungssystems, indem sie versuchte, die Trennung von praktischer und theoretischer durch die Schaffung polytechnischer Ausbildung zu überwinden.
Darüber hinaus geht es auch darum, den Bildungsbegriff auszuweiten. Keine Frage: auch in einem sozialistischen System muss es um eine Vermittlung von Qualifikationen gehen. Gleichzeitig ist diese Vermittlung jedoch zwei zentralen Veränderungen unterworfen: erstens reden wir von einer von der Mehrheit der Bevölkerung kontrollierten Wirtschaft, d.h. auch einer Qualifikationsvermittlung, die sich nach diesen Maßstäben richtet. Zweitens von einer Bildung, die wirtschaftlich nicht unmittelbar verwertbare Qualifikationen nicht als lästigen Zusatz versteht, sondern die Ausbildung der Menschen zu Trägern der Gesellschaft als Kernaufgabe der Bildung definiert.
Mit dem Fortschreiten zum Kommunismus wird Bildung/Ausbildung mehr und mehr aufhören, als eine besondere, von der Arbeit oder Freizeit getrennte Sphäre zu existieren. Die Voraussetzung dafür ist jedoch nicht die Umsetzung eines „Bildungsideals“ oder einer besonders ausgeklügelten „Reform“, sondern in erster Linie die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft selbst.
(1) Education at a Glance 2009, S. 223; siehe auch: http://www.oecd.org/dataoecd/41/25/43636332.pdf (Zugriff: 22.01.2010). Anmerkung: Während der Bericht aus 2008 noch von 79% im Jahr 1995 und von 73% im Jahr 2005 schreibt, ist die Verringerung des öffentlichen Anteils um 6% zwischen den Berichten von 2008 und 2009 gleich geblieben.
(2) ebenda.
(3) Dr. Helga Rübsamen-Schaeff, Mitglied des Universitätsrates der Universität Wien und Geschäftsführerin der AiCuris GmbH & Co. KG; siehe: http://www.univie.ac.at/universitaetsrat/mitglieder_ruebsamen-schaeff.html
(4) Dr. Karl Stoss, Mitglied des Universitätsrates der Uni Wien und Generaldirektor der Casinos Austria AG; siehe: http://www.univie.ac.at/universitaetsrat/mitglieder_stoss.html.
(5) Education at a Glance 2009, S. 233; siehe: http://www.oecd.org/dataoecd/41/25/43636332.pdf
(6) Der Europäische Hochschulraum (Bologna-Deklaration): Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsminister, 19. Juni 1999, Bologna.
(7) Auf dem Wege zum europäischen Hochschulraum: Kommuniqué des Treffens der europäischen Hochschulministerinnen und Hochschulminister am 19. Mai 2001 in Prag.
(8) Europäischer Rat: Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 23. und 24. März 2000, Lissabon; siehe auch: http://www.europarl.europa.eu/summits/lis1_de.htm (Zugriff 21.01.2010).
(9)siehe:http://www.erstegroup.com/Über_uns/Management/Aufsichtsrat/
(10) siehe: http://www.uniqagroup.com/uniqagroup/cms/de/ group/management/holding/index.jsp (Zugriff: 22.01.2010)
(11) Da die Darstellung aller konkreten Forderungen den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, verweisen wir auf das Aktionsprogramm von REVOLUTION „Kampf der kapitalistischen Bildungskrise: Widerstand aufbauen! Bildung erkämpfen“