Arbeiter:innenmacht

Waffenstillstand in Raten: das imperiale Tauziehen um die Ukraine

Basque mapping, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Martin Suchanek, Neue Internationale 290, April 2025

Die „intensiven“ Gespräche über eine 30-tägige Waffenruhe zwischen Russland, den USA und der Ukraine, die am 23. März begannen, haben bisher nur zu einer begrenzten Einigung geführt – nämlich, dass die Energieinfrastruktur und die Schifffahrt im Schwarzen Meer nicht angegriffen werden sollen. Russland stellte jedoch sofort klar, dass diese Waffenruhe erst in Kraft treten würde, nachdem die Sanktionen gegen den Handel mit Lebens- und Düngemitteln aufgehoben worden seien. Im Gegenzug beschuldigte Selenskyj den Kreml, die Waffenstillstandsbedingungen zu manipulieren. Die USA üben jedoch weiterhin keine Kritik an Russland.

Auch wenn unklar ist, wie das Abkommen letztlich aussehen wird, geben sich der Kreml und das Weiße Haus zufrieden. „Wir haben über alles gesprochen, es war ein intensiver Dialog – nicht einfach, aber sehr nützlich für uns und die Amerikaner“, erklärte der russische Unterhändler Grigory Karasin, der auch die Veröffentlichung einer gemeinsamen Erklärung mit den USA versprach.

Bewertungen

Für Russland lässt sich die positive Bewertung der Gespräche leicht nachvollziehen. Schließlich eröffnete schon der Kurswechsel der US-Administration Putin und seinem Kabinett die Perspektive auf einen „Frieden“, der faktisch auf die Anerkennung der russischen Kriegsgewinne und eine mehr oder weniger demütigende Kapitulation der Ukraine hinausläuft.

1. Anerkennung der russischen Eroberungen und Abtretung von rund 20 % des ukrainischen Territoriums an Russland.

2. Keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, auch wenn nicht näher definierte „Sicherheitsgarantien“ in Aussicht gestellt wurden.

3. Aufhebung der Sanktionen gegen Russland.

Der eigentliche Knackpunkt der Verhandlungen besteht in Punkt 2. Eine NATO-Mitgliedschaft wäre für Russland nicht akzeptabel, sie ist aber unter der neuen US-Administration ohnehin in weite Ferne gerückt. Für Russland und die USA stellen die „Sicherheitsgarantien“ kein zentrales Problem dar. Sie könnten sich wohl auf die Formel einigen, dass diese für die Ukraine in der Übertragung von Rohstoffen, Kraftwerken und anderen Vermögenswerten an die USA bestünden. Russland würde im Gegenzug Deals mit den USA eingehen.

Der Konflikt mit der Ukraine und ihren westeuropäischen Verbündeten besteht darin, ob und welche „Friedenstruppen“, die faktisch zur Annahme der Resultate der Abmachungen zwischen den USA und Russland gezwungen werden sollen, stationiert werden. Russland fürchtet westeuropäische Truppen, weil dies faktisch die Einverleibung der Ukraine in ein europäisches Bündnis bedeuten würde und längerfristig auch die weitere Expansion der NATO (insbesondere falls sich die Beziehungen zu den USA wieder verschlechtern sollten). Daher werden jetzt auch die UNO und andere Staaten als „Friedensgarant:innen“ ins Spiel gebracht.

Faktisch hat der US-Imperialismus die Seiten gewechselt: vom Unterstützer der Ukraine zum scheinbar neutralen Vermittler, der hofft, durch eine geänderte außenpolitische Strategie Russland aus der engen Bindung an China zu lösen. Auch wenn das wohl zu den illusionären Elementen der Trump-Politik gehört, so ändert das nichts daran, dass die USA dieses Ziel verfolgen. Zum anderen geht es auch darum, den europäischen Verbündeten eine neue, untergeordnete Rolle im Verhältnis zu den USA zuzuweisen.

Ukraine und der Kampf um die Neuaufteilung der Welt

Hinter dem Ringen um einen „Waffenstillstand“ oder gar einer „Friedenslösung“ steht freilich ein viel größerer globaler Konflikt. Die internationale Lage wird schon seit Jahren durch den Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den großen Mächten geprägt. Die russische Invasion in der Ukraine im Februar 2022 markiert dabei einen politischen Wendepunkt. Auch wenn es sich dabei um keinen direkten imperialistischen Krieg zwischen den Großmächten handelt und der Kampf für das Selbstbestimmungsrecht des ukrainischen Volkes in diesem Krieg einen berechtigten Charakter trägt, so stellt der innerimperialistische Gegensatz einen zunehmend bestimmenderen Faktor für die Entwicklung des Krieges dar.

Erst recht gilt für dies für von den USA und Russland durchgesetzte Verhandlungen um einen Waffenstillstand oder „Frieden“. Dabei begegnen sich die beiden Großmächte als Gleiche, wenn auch durchaus mit verschiedenen Interessen und auch keineswegs ohne Konflikte, wie die Wiederaufnahme der Waffenlieferungen an die Ukraine verdeutlicht, die als Druckmittel gegenüber Putin fungieren, um nicht allzu lange auf Zeit zu spielen. Umgekehrt wurde Selenskyj nachdrücklich seine zukünftige Rolle vorgeführt. Er muss die US-Politik seinem Volk vermitteln. Die russischen Gebietsgewinne müssen anerkannt werden, die Bodenschätze der Ukraine gehen an die USA, die Schulden des Landes bleiben natürlich.

Die weltpolitische Bedeutung des Ukrainekriegs liegt darin, dass er den Kampf um die Neuaufteilung der Welt auf eine neue, direkt sichtbare Stufe hob, was sich auch im Begriff der „Zeitenwende“ im bundesdeutschen politischen Diskurs ausdrückt. Dieser Wendepunkt hat durch den erneuten Wahlsieg Trumps und die Veränderungen in der US-amerikanischen geostrategischen Ausrichtung eine neue Qualität angenommen, und Merz versucht nun, zum Vorreiter der deutschen Antwort auf diese neue „Zeitenwende“ zu mutieren.

Der Ukrainekrieg ging mit dem Versuch einher, Russland durch massive Sanktionen zu schwächen und in die Knie zu zwingen und damit auch dessen viel gewichtigeren Verbündeten China zu schwächen. Diese Politik ist aus mehreren Gründen gescheitert. Erstens erwies sich Russland nicht nur als militärische Großmacht, sondern auch die ökonomische Basis des russischen Imperialismus wurde unterschätzt. Auch wenn die inneren Widersprüche enorm sind, so konnte das Land seine Ökonomie so weit reorganisieren, dass es seit der gescheiterten ukrainischen Offensive stetig massiv Nachschub liefert und auf dem Vormarsch ist. Zweitens weigerte sich ein Großteil der Welt (einschließlich traditioneller Verbündeter wie Israel und Saudi-Arabien), die westlichen Sanktionen umzusetzen, so dass Russland keineswegs so isoliert war wie erhofft. Die Kosten der Sanktionen fielen vielmehr auf die Weltwirtschaft und v. a. auch auf die EU-Staaten zurück. Drittens war die Strategie des Westens darauf ausgelegt, einen Sieg Russlands zu verhindern oder zu erschweren, nicht jedoch die Ukraine in die Lage zu versetzen, militärisch zu siegen. Darauf war auch die Unterstützung der Ukraine zugeschnitten, was auch zu einer zunehmenden Desillusionierung der ukrainischen Bevölkerung bezüglich der NATO führen musste.

Grundlegend führte der Krieg jedoch zu einer Neubestimmung des Verhältnisses zwischen EU-Mächten wie Deutschland und den USA (und damit natürlich auch zu China und Russland). Die transatlantische Orientierung der europäischen Mächte und deren Unterordnung unter die USA schienen bis Anfang 2025 alternativlos. Die politischen und ökonomischen Beziehungen zu Russland wurden weitgehend gekappt. China spielt weiterhin eine zentrale Rolle, aber die politischen Beziehungen wurden konfrontativer. Mit Trumps Präsidentschaft wird das Verhältnis zwischen den Großmächten (oder jenen, die es werden wollen) erneut grundlegend erschüttert, eine neue „Zeitenwende“ gewissermaßen, die den deutschen Imperialismus und die EU in einer Position der Schwäche trifft.

Eine Veränderung der US-Strategie bezüglich der Ukraine zeichnete sich im Grunde schon 2024 ab. Da Russland stetig, wenn auch bei hohen Kosten an Material und Menschenleben, Geländegewinne erzielte, drängten bedeutende Teile der US-Bourgeoisie und, hinter vorgehaltener Hand, auch andere Verbündete auf eine Befriedung. Allerdings erwiesen sie sich in gewisser Weise als Gefangene ihrer eigenen Politik. Auf der einen Seite wurde die Unterstützung der Ukraine, bei der es immer um eigene imperialistische Interessen ging, zum Kampf zwischen „Demokratie“ und „Freiheit“ und auf der anderen Seite autoritärer Despotie stilisiert. Russland müsse in die Schranken gewiesen werden. Die NATO wurde erweitert und die Rüstungsanstrengungen der NATO-Staaten selbst stiegen. Der Ukraine wurde eine Mitgliedschaft in EU und NATO in Aussicht gestellt. Auch wenn man von westlicher Seite den Krieg beenden wollte, so sollte Russland nicht als Gewinner aus dem Krieg hervorgehen.

Die Trump-Administration löste diesen inneren Widerspruch der westlichen Ukrainepolitik mit einem Schlag auf. Der Krieg müsse rasch beendet werden, da er für die USA nicht von strategischem Interesse wäre. Vielmehr würde er Ressourcen verschlingen, die bei der Konzentration auf den Hauptfeind China faktisch fehlten. Das verkündeten Vance und andere Trumpist:innen schon lange. Auch die Strategiepapiere der Heritage Foundation (insbesondere Project 2025) enthielten diese Ausrichtung. Auch wenn das alles noch keine Regierungspolitik ausmacht, so stellt Trumps Kurs keineswegs eine Überraschung oder die plötzliche Übernahme eines „Putin-Narrativs“ dar. Was jetzt als „Friedensplan“ präsentiert wird, lag in wesentlichen Zügen auch schon 2024 vor.

Hinzu kommt die Aufteilung der natürlichen Ressourcen der Ukraine zwischen den USA, Russland und Westeuropa. Allerdings bedeuten die geplanten Verabredungen zwischen den USA und Russland eine deutliche Veränderung des Verhältnisses zwischen imperialistischen Mächten. Erstens wird Russland von den USA als Großmacht anerkannt, deren „Sicherheitsinteressen“, also Kontrolle über das beanspruchte (halb-)koloniale Einflussgebiet, anerkannt werden müssten. Damit hoffen die USA auch, Russland aus der engen Bindung an China zumindest ein Stück weit politisch und ökonomisch lösen zu können oder jedenfalls eine noch stärkere Abhängigkeit zu verhindern. Daher hat der US-Imperialismus seine Position im Ukrainekrieg grundlegend verändert.

Die jedoch noch viel bedeutendere Veränderung stellt sich im Verhältnis der USA zur EU dar, und das heißt vor allem zu ihren führenden imperialistischen Mächten Das Abkommen verkörpert weniger wegen seines Inhalts, sondern vor allem wegen der Form seiner Aushandlung und der Brüskierung jedes substantiellen Mitspracherechts nicht nur der Ukraine, sondern auch der EU eine tiefe Erschütterung, ja einen Bruch der bisherigen „transatlantischen Partnerschaft“. Die USA und die EU-Mächte sind keine Verbündeten mehr, sondern offene Rival:innen.

Dauerhafter Frieden?

Ob sich die europäischen Staaten den USA à la longue, so wie von der Trump-Regierung erhofft, vollständig unterordnen werden, steht jedoch keinesfalls fest. Ebenso gut können sich diese neu formieren und versuchen, die EU oder ein um Deutschland und Frankreich organisiertes Kerneuropa zu einem weltmachtfähigen Block umzumodeln.

Wie auch immer ein möglicher Waffenstillstand oder gar ein „langfristiger Frieden“ aussehen mögen, sie werden aus zwei Gründen keineswegs zu einem dauerhaften Frieden führen können.

Erstens würde sie mit der verschärften nationalen Unterdrückung der Ukraine einhergehen. Ein Teil würde zur russischen Kolonie, der größere vollständig unter die ökonomische Abhängigkeit der USA und Westeuropas geraten. Zweitens stände sie, ob nun als Aufmarschgebiet europäischer Armeen oder als Pufferzone, in jedem Fall im Zentrum einer massiven Aufrüstung zwischen Russland und Westeuropa und entlang eines tausende Kilometer langen bewaffneten Frontverlaufs.

Perspektiven in der Ukraine

Die aktuellen Friedensverhandlungen verdeutlichen aber auch, dass der Krieg um die Ukraine nie ein reiner Stellvertreterkrieg gewesen ist, sondern ihre Verteidigung trotz ihrer Einbindung in einen viel größeren globalen Konflikt einen berechtigten Charakter aufwies und aufweist. Dabei haben Selenskyj und die ukrainische Bourgeoisie die Arbeiter:innen und Bäuer:innen des Landes in die Falle der politischen, militärischen und ökonomischen Abhängigkeit vom Westen geführt und deren Interessen denen ihrer Verbündeten untergeordnet. Bis heute spielt Selenskyj die Differenzen mit den USA herunter, macht gute Miene zum bösen Spiel, verscherbelt entgegen der ukrainischen Verfassung Seltene Erden und andere Erze (Titan) an die USA. Diese Politik verfolgte er nicht erst bei den jüngsten Verhandlungen, sondern schon während des gesamten Krieges, z. B. bei dem Verbot oppositioneller Parteien und Organisationen oder bei der Aushebelung von Gewerkschaftsrechten. All das hat dazu beigetragen, dass die Ukraine objektiv in einer überaus schwierigen Lage ist und einem Diktatfrieden Russlands und der USA wenig entgegensetzen kann.

Dabei tritt das Moment der berechtigten nationalen Verteidigung gegen die russischen imperialistischen Angriffe ebenso wieder deutlicher hervor wie der reaktionäre Charakter des Regimes Selenskyjs und der ukrainischen Bourgeoisie. Sie sind bereit, das Land für westliche „Garantien“ an US- und EU-Konzerne zu verscherbeln. Die Schulden gegenüber diesen „Verbündeten“ und den internationalen Finanzinstitutionen werden außerdem ihr Übriges tun, das Land weiter „friedlich“ auszubluten.

Solange der Krieg weiterläuft, ist daher die Selbstverteidigung der halbkolonialen Ukraine berechtigt. Zugleich müssen Revolutionär:innen vor jeder falschen Hoffnung in ihre westlichen Verbündeten warnen, nicht nur vor den Beschönigungen Trumps, sondern auch vor allen Illusionen in Deutschland, Britannien und der EU.

Vor allem aber muss der Kampf in der Ukraine mit dem gegen den Ausverkauf des Landes und für die Enteignung aller privatisierten und verscherbelten Unternehmen, für die Streichung der Schulden und den Wiederaufbau unter Arbeiter:innenkontrolle verbunden werden. Alle arbeiter:innenfeindlichen und gewerkschaftsfeindlichen Gesetze müssen bekämpft werden, alle Einschränkungen demokratischer Rechte durch die Selenskyj-Regierung, insbesondere gegen oppositionelle Parteien und russischsprachige Minderheiten. Kurzum, die Arbeiter:innenklasse muss als eigenständige Kraft agieren, eine neue revolutionäre Partei aufbauen und sie darf weder Selenskyj noch irgendeiner anderen bürgerlichen Kraft Unterstützung gewähren.

In den russisch besetzten Gebieten muss der Kampf als Teil des Kampfes gegen die Regierung Putin, den russischen Imperialismus und für eine neue russische Arbeiter:innenrevolution geführt werden, die das nationale Selbstbestimmungsrecht (einschließlich des Rechts auf Loslösung) anerkennt.

Und im Westen müssen wir einerseits das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine verteidigen, andererseits jedoch jede Ausrüstung der Armee und NATO ablehnen. Für den Fall eines Waffenstillstandes müssen Revolutionär:innen jede Stationierung von westlichen Truppen in der Ukraine ablehnen, egal ob diese unter eigener Flagge oder unter jener der NATO oder UNO dort stationiert würden. Diese würden nicht nur als Faustpfand für einen möglichen zukünftigen Krieg mit Russland fungieren. Sie würden auch dazu dienen, die Einverleibung der Ukraine in den westlichen Kapitalismus gegen etwaige Unruhen der Arbeiter:innenklasse und Bäuer:innen gegen die Ausbeutung durch deren Konzerne zu verteidigen. Das nationale Selbstbestimmungsrecht der Ukraine wird letztlich weder durch den Westen noch durch die ukrainische Bourgeoisie verwirklicht werden können. Dazu braucht es vielmehr den gemeinsamen Kampf der ukrainischen, russischen und westeuropäischen Arbeiter:innenklasse gegen ihre Bourgeoisien und die imperialistische Ordnung und für Arbeiter:innenregierungen und ein sozialistisches Europa.

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