Gastbeitrag von Stefan Thögersen, Infomail 1279, 1. April 2025
Am 11. März fand die Wahl zum grönländischen Parlament statt. Die Linksparteien haben in mehr oder weniger großem Maße verloren und die grönländische Sozialdemokratie befindet sich in ihrer vermutlich größten Krise. Zudem finden dort im April Kommunalwahlen statt.
Dies alles vor dem Hintergrund, dass Trump immer aggressiver einfordert, dass Grönland Teil der USA wird. Was bedeutet dies alles für die kommenden Jahre und für das Verhältnis zur dänischen Kolonialmacht?
Während die vorangegangen Wahlkämpfe, welche vor allem durch Einigkeit der Parteien mit eher kleineren Unterschieden geprägt waren, spielte dieses Mal die Frage nach der Zuunft und Unabhängigkeit Grönlands von Dänemark die alles dominierende Rolle.
Schon in den letzten Jahren, als Trump 2019 zum ersten Mal seine ”Idee” äußerte, Grönland zu kaufen, zeichnete sich diese Tendenz ab. Die nationalistische Partei Naleraq forderte immer offensiver einen grönländischen ”Brexit”; 2023 gründete sich die noch radikalere, Trump-freundliche, separastischere Qulleq.
Mittlerweile fordern alle grönländischen Parteien und die einheimische Bevölkerung eine größere Unabhängigkeit von Dänemark; unterscheiden tun sie sich hierbei höchstens darin, ob sie eine sofortige Lostrennung oder nur mehr Autonomie in einzelnen Fragen fordern.
Die Geschichte der grönländischen ”Nation” beginnt mit der Entdeckung der Insel durch den ”evangelikalen” Priester Hans Egede im Jahre 1721.
Das damalige dänisch-norwegische Königreich beutete die einheimischen Inuit als billige Arbeitskräfte im Walfang und der Fischerei aus und demütigte sie; ähnlich wie die Siedler Amerikas die native americans behandelten.
Grönland war eine völlig von Dänemark abhängige Kolonie.
Dies änderte sich erst mit dem Zweiten Weltkrieg, als Grönland für die USA strategisch interessant wurde und Dänemark mehr oder weniger offen mit Nazi-Deutschland kollaborierte. Der damalige US-amerikanische Präsident Truman beabsichtigte 1946 sogar, Grönland zu kaufen. Dies führte zu diplomatischen Verstimmungen und dazu, dass die USA seitdem die Pituffik-Militärbase im Osten des Landes hat.
Im Kalten Krieg war dann Dänemark treuer Vasall der USA und konnte mit Grönland und den Innuit machen, was es wollte.
1953 wurde das ”Bundesland” Nord-Dänemark gegründet und Grönland nach und nach ”zwangsdanisiert”: Mit einer ”Buschzulage” wurden dänische Verwaltungskräfte, Lehrpersonal und anderes Personal in die Arktis gelockt. Wohnhäuser, Wohnsiedlungen und andere Gebäude sehen aus wie in jeder dänischen Stadt. Traditionen der Inuit, wie etwa das Wohnen in Iglus, traditionelle grönländische Ernährung werden, wie anderes, missachtet. Stattdessen gab es, ähnlich wie in den Reservaten in den USA, Industrieprodukte in den mittlerweile eröffneten Supermärkten zu extrem hohen Preisen. Innuit gelten als ungebildete, gewalttätige AlkoholikerInnen und sind auch in Dänemark häufig rassistischer Diskriminierung ausgesetzt; dabei war es der dänische Kolonalismus, der für Alkoholismus, die extrem hohe Selbstmordrate, die um 13 Jahre niederigere Lebenserwartung und die Gewalt verantwortlich ist.Von den dänischen Herrschenden wurde immer wieder darüber diskutiert, das Grönländische auch als Verkehrssprache abzuschaffen und ausschließlich Dänisch als Amtssprache anzuerkennen.
Traurige Berühmtheit erlangte die Tatsache, dass insbesondere in den 60er und 70er-Jahren grönländische Kinder von den Behörden von ihren Eltern getrennt wurden, sich psychologischen Eignungstests unterziehen mussten, nach Dänemark geschickt und dort zwangsadoptiert wurden. Auch wurde in den letzten Jahren durch JournalistInnen bekannt, dass dänische Ärzte in den 70ern grönländischen Frauen bereits im Teenageralter Spiralen einsetzten, um die Geburtsrate künstlich niedrig zu halten. Der grönländische Ministerpräsident spricht hier treffend von ”Völkermord”.
Für einigen Furor sorgte der Dokumentarfilm ”Grönlands weißes Gold”, der recht genau zeigt, wie die Innuit jahrzehntelang für den Abbau des Rohstoffs Kryolit ausgenutzt wurden und wie das dänische Kapital daran verdiente. Von grönländischer Seite wurde der Film wegen seiner realistischen Darstellung gefeiert; vom dänischen Fernsehen wurde er jedoch nach Protesten aus dem Programm genommen, da sich Regierung, Kapital und rechte Parteien in Dänemark angegriffen fühlten.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Grönland wurde jahrhundertelang als abhängige Halbkolonie gehalten; mit allen negativen ökonomischen, sozialen und psychischen -Konsequenzen.
Bis heute fühlen sich viele GrönländerInnen auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert, da selbst für einfache Tätigkeiten die Beherrschung der dänischen Sprache vorausgesetzt wird. Da erscheint es als durchaus verständlich, wenn viele GrönländerInnen Illusionen in Trump haben, wie sich beim Besuch seines Sohnes Anfang des Jahres zeigte.
Es ist davon auszugehen, dass Englisch (vielleicht auch Chinesisch?) in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Dänisch als Schulsprache verdrängen wird. Besonders das Schmilzen des Eises macht Grönland im globalen Machtkampf nicht nur strategisch interessant ; auch werden unterirdisch gelagerte Rohstoffe, wie Lithium und Gold wichtig für US-amerikanische und chinesische Konzerne.
Man sollte vielleicht als deutsche/r SozialistIn denken, die dänische Linke übte sich in anti-imperialistischer Solidarität mit ihren grönländischen KlassengenossInnen. Leider ist dies weit von der Realität entfernt.
Karsten Hønge von der dänischen Schwesterpartei der Grünen (SF) und Pelle Dragsted, Sprecher der dänischen Schwesterpartei der Linken (Einheitsliste) beklagen Trumps ”rüpelhaftesRowdytum” und richten Appelle an die dänische sozialdemokratische Ministerpräsentin Frederiksen, Trump in die Schranken zu weisen. Jene Mette Frederiksen, die nicht nur einer rassistischen Regierung vorsteht und dafür regelmäßig von Sahra Wagenknecht gelobt wird, sondern in ihren Regierungsjahren Jahren auch rein gar nichts für Grönland getan hat. Auch ”linke” Linksparteiler erwecken den Eindruck, der dänische Kolonialismus sei irgendwie ”humaner” oder ”sozialer” als der US-Imperialismus.
Es gab in der dänischen Linken, von kleineren Gruppen abgesehen, nie eine wirkliche Beschäftigung mit der Rolle Dänemarks als Kolonialmacht.
Zwar gab es auch einige grönländische Studierende, die, inspiriert von den nationalen Befreiungskämpfen weltweit und den Protestbewegungen, während ihres Studiums in Dänemark auch dort politisch aktiv waren und 197?? die Gründung der grönlandischen Linkspartei Inuit Ataqatigiit (etwa: ”Menschengemeinschaft”) beeinflussten; die dänische Linke startete jedoch nie eine breite Solidaritätskampagne. Die ”Auslandsarbeit” beschränkt sich auf den Besuch grönländischer Vertreter auf den Parteitagen der Linksparteien.
Inuit Ataqatigiit, die sich seit 2002 in wechselnden Koalitionen mit konservativen und sozialdemokratischen Parteien befand und dort allzu kompromisslerisch aufgetreten ist (auch wenn die Situation auf einer Insel in der Arktis mit ca. 60.000 Bewohnenden natürlich eine andere ist als auf dem europäischen Festland) präsentierte sich in einer Art ”Volksfront” und forderte ”Respekt” für Grönland ein. Damit unterschieden sie sich nicht großartig von allen anderen Parteien. Ein zweiter Grund für die 15 % Stimmenverlust ist die Vernachlässigung von ”Brot-und Butter- Themen”. Zwar ist es richtig, aus Umweltschutzgründen auf eine Begrenzung der Fischerei zu setzen, jedoch muss auch die Tatsache zur Kenntnis genommen werden, dass dies aufgrund der ökonomischen Unterentwicklung durch den dänischen Kolonalismus oft die einzige Einnahmequelle ist.
Dabei wäre eine linke Opposition sowohl zu Trumps Großmachtträumen als auch der dänischen Arroganz dringend nötig. Die grönländische Sozialdemokratie, die dem dänischen Kolonalismus nie ernsthaften Widerstand entgegengesetzt hat, befindet sich derzeit in ihrer größten Krise. Ihr Vorsitzender ist noch am Wahlbend zurückgetreten und ihre einzige Abgeordnete im dänischen Parlament hat ihren Austritt und ihren Übertritt zu Naleraq erklärt.
Einen Hoffnungsschimmer geben die Demonstrationen für grönländische Unabhängigkeit in Grönland und Kopenhagen sowie die Proteste von Exil-GrönländerInnen gegen die Zwangsadoptionen in verschiedenen skandinavischen Städten. Auch muss Inuit Ataqatigiit hart bleiben in ihrer Ablehnung des Uranbergbaus.