Jannis Hutt, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons
Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 290, April 2025
Noch Mitte 2024 schien es unwahrscheinlich, dass Die Linke nach katastrophalen Niederlagen bei den Europa- und etlichen Landtagswahlen überhaupt im nächsten Parlament vertreten sein würde. Die Partei bangte, viele zitterten und überrascht wurden alle mit dem Ergebnis von 8,8 % und abertausenden Parteieintritten. Im Gegensatz zum generellen Rechtstrend bei den Bundestagswahlen konnte Die Linke einen Erfolg einfahren. Wie ist das passiert? Was bedeutet das? Und vor allem: Welche Aufgaben stellt das Revolutionär:innen innerhalb und außerhalb der Partei? Diese Fragen wollen wir im Folgenden beantworten.
Besonders stark konnte die Linke bei Erstwähler:innen abschneiden. Unter den 18- bis 24-Jährigen wurde sie mit 24 % stärkste Kraft (+17 % gegenüber 2021), gefolgt von der AfD mit 21 %, was eine starke Polarisierung unter der Jugend zum Ausdruck bringt. Vor allem junge Frauen votierten mit 37 % für die Linkspartei, während bei jungen Männern die AfD dominiert. Ähnlich verliefen die sog. U18-Wahlen an Schulen.
Während Die Linke 350.000 Stimmen an das BSW verlor, konnte sie massiv von den Grünen, der SPD und Nichtwähler:innen profitieren. Auch unter Lohnabhängigen und Arbeitslosen schnitt sie deutlich besser ab als 2021 und gewann verlorenes Terrain zurück. Dies spiegelt sich auch in ihrer wachsenden Verankerung in Gewerkschaften, insbesondere im Gesundheitssektor und öffentlichen Dienst, wider.
Ein weiterer Trend der letzten Jahre setzte sich ebenfalls fort: Während Die Linke im Osten, einschließlich Berlin, mit 11,8 % weiterhin stärker abschnitt, erzielte sie auch im Westen beachtliche 7,6 %. Besonders eindrucksvoll war ihr Erfolg in Berlin: Hier wurde sie sowohl bei den Erst- als auch bei den Zweitstimmen mit rund 22 % bzw. 20 % zur führenden Kraft, erreichte das beste Ergebnis ihrer Geschichte und konnte vier Direktmandate sichern. Mit Neukölln wurde auch ein weiteres Stück Geschichte geschrieben: Erstmals gewann man einen Westberliner Bezirk, wo Ferat Koçak mit 30 % klar dominierte. Insgesamt sicherte sich die Partei sechs Direktmandate – ein Erfolg, der maßgeblich auf den unermüdlichen Einsatz Tausender Aktivist:innen zurückzuführen ist. Sie führten über 600.000 Haustürgespräche, klopften an Türen und mobilisierten die Wähler:innen vor Ort.
Diese Kampagne war wesentlich, um brachliegende Wähler:innenpotenziale der Linken bei Nichtwähler:innen (320.000), im linken Umfeld von Grünen (600.000) und SPD (540.000) endlich stärker auszuschöpfen. Aber nicht nur mit Wähler:innenstimmen wurde die Partei belohnt. Fast 40.000 Menschen kamen allein in den letzten zwei Monaten dazu, insgesamt ist die Partei auf über 100.000 Mitglieder angewachsen, es fand eine massive Verjüngung statt und auch ihre Kanäle sind aus dem Tiefschlaf erwacht: Auf TikTok wurde die Follower:innenzahl verzehnfacht, die dort dominierende AfD überholt. Nicht nur bei Instagram, auch bei Youtube und TikTok liegt Die Linke im Parteienvergleich jeweils vorne. Während im Herbst noch debattiert wurde, ob man eine „disruptive Neugründung“ (Candeias) oder eine „konstruktive Erneuerung“ (Schwerdtner, Brie) bräuchte, ist Die Linke wieder da. Aber wohin geht die Reise? Bevor wir darauf eingehen, müssen wir jedoch betrachten, warum sie überhaupt so ein Comeback hinlegen konnte.
Auch wenn einige bürgerliche Medien den Erfolg der Linkspartei vor allem auf die Internetpräsenz von Heidi Reichinnek zurückführen, steckt weit mehr dahinter. Tatsächlich lässt sich das starke Abschneiden der Linken auf mehrere Faktoren zurückführen – der mit Abstand wichtigste jedoch war das Einreißen der Brandmauer durch Merz. Während bei der letzten Wahl das „taktische Wählen“ der Partei geschadet hatte, konnte sie so dieses Mal davon profitieren, dass sie als einzige konsequente linke Alternative zum Rechtsruck und zum Rassismus erschien. Der Rechtsruck und das erbärmliche Einknicken von SPD und Grünen bescherten ihr nicht nur zusätzliche Wähler:innenstimmen, sondern auch Tausende neue Aktivist:innen, die angesichts des „aufsteigenden Faschismus“ Alarm schlugen.
Stimmen innerhalb der Partei weisen jedoch zurecht darauf hin, dass sich dieser Trend in Zukunft wieder umkehren könnte – insbesondere falls eine Regierungsbeteiligung der AfD bei den nächsten Wahlen zu einer realistischen Option wird. Ebenso muss betont werden, dass dies keineswegs ein kalkulierter Plan der Linkspartei war. Sie profitierte schlicht davon, dass alle anderen weiter nach rechts drifteten, während sie, anders als 2021, SPD und Grünen nicht hinterherlief. Die Linke konnte sich ironischer Weise als antirassistisch profilieren, obwohl die Partei eigentlich geplant hatte, dieses Thema im Wahlkampf zugunsten rein sozialer Wähler:inneninteressen zurückzustellen, weil man selbst fürchtete, mit Antirassismus Stimmen an das BSW oder nach rechts zu verlieren.
Der zweite wesentliche Faktor war, dass der Wahlkampf sehr viel aktiver als in den letzten Jahren geführt wurde und die Partei einen „Neustart“ ohne Wagenknecht hinlegen konnte, bei dem a) Geschlossenheit gegen ein reales Problem, also den Aufstieg der AfD, sowie b) das Oppositionsprofil der neuen „Kümmererpartei“ gestärkt werden konnten. Ihr Programm, das den „Wohlfahrtsstaat“, soziale Umverteilung, Abrüstung und Pazifismus als Lösung aller Probleme präsentierte, war attraktiv, weil es auch dem vorherrschenden reformistischen Bewusstsein dieser Wähler:innen, also der großen Masse der kämpferischen Arbeiter:innen und Jugend, entspricht.
Mietkostenrechner etc., also Dinge, die in Kreisen der Partei auch als Momente genannt werden, womit sie ihren „Gebrauchswert“ beweisen konnte, zeigen: Die Linke hat verstanden, dass Mietwucher, Preissteigerungen und Reallohnverluste reale Probleme sind, die angesprochen werden müssen. Es wurde erfolgreich suggeriert: Die Streitereien gehören der Vergangenheit an, Wagenknecht war das einzige Problem – jetzt ist man ein Team, gemeinsam gegen „den drohenden Faschismus“. Dies, kombiniert mit dem Umstand, dass Die Linke unmittelbar nicht Gefahr läuft, in eine bedeutende Regierungsverantwortung zu kommen, und daher auch leichter reformistische Wundertaten versprechen kann, macht sie attraktiv. Der Haustürwahlkampf und Sozialberatungen sind gemeinsame Aktivitäten, die nicht nur das Außenprofil der Partei schärfen, sondern auch real aufzeigen, wie sich Aktivist:innen in der Partei beteiligen können – etwas, woran es die letzten Jahre massiv gemangelt hat.
In „Social-Media“-Kommentarspalten wird nun fleißig diskutiert, was der Aufstieg der Linkspartei bedeutet. Während sich die einen die Rettung der Demokratie versprechen, vertreten andere, dass nun die Grundlage geschaffen worden sei, eine sozialistische Kraft aufzubauen. Wiederum andere sind wesentlich verhaltener und manche merken an, dass auf die Neueintritte kein Verlass sei – insbesondere beim Kriegsthema. Das ist eine berechtigte Frage, auf die wir später zurückkommen werden, aber nicht die einzige, die sich stellt.
Denn es sind nicht nur Tausende eingetreten, auch das Kräfteverhältnis zwischen den Flügeln hat sich in den letzten Monaten verändert und stellt sich neu auf, wie man an der Bundestagsfraktion sehen kann. Auch die gewonnenen Direktmandate spiegeln das wider: Gysi und Ramelow profitierten von ihrer Bekanntheit, sie stehen für den rechten Flügel der Regierungssozialist:innen, was man an Ramelows Anbiedern an die CDU Tage nach der Wahl sehen kann. Es ist dieser Flügel, der die Partei überhaupt in den desolaten Zustand verfrachtet hatte. Durch das Erringen dieser Direktmandate ist aber auch er wieder gestärkt worden. Im Kontrast dazu stehen Koçak und Schwerdtner, die über das Mittel der Haustürwahlkämpfe Einzug gehalten haben. Mit ihnen kommt der Teil der neuen, aktivistischen Basis, der bereit ist, mit der Partei auf die Straße zu gehen und offen für ein linkes reformistisches Programm und verbale Nähe zum Sozialismus – doch auch mit viel Abstand in der Praxis, dass man tatsächlich dahin kommt. Es ist letzterer Teil, der die kommenden Monate interessant machen wird, zumal früher oder später eine Auseinandersetzung zwischen den Parteiflügeln wieder aufbrechen wird.
Die Linkspartei selbst versucht dabei im Grunde, eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen eher zu vermeiden, und sieht die eigentliche Aufgabe der Zukunft in der „Organisationsarbeit“. Sichtbar wird das beispielsweise auch, wenn Candeias in der Onlinezeitschrift LuXemburg im Artikel „Die Linke, ein Wintermärchen“ bezüglich eines der künftigen Schritte, die Die Linke gehen sollte, schreibt: „Schon fürs Überleben ist es wichtig, sich wieder stärker in den Vierteln und – wo die Kräfte vorhanden sind – auch in den Betrieben zu verankern.“ Mehr werden: Schon länger als Strategie verfolgt, im jüngsten Bundestagswahlkampf auf ein neues Niveau gehoben, gilt es, die Präsenz vor Ort, an den Haustüren, zu erhöhen, nicht nur alle vier Jahre, sondern regelmäßig. Vom Wahlkampf muss jetzt zur Organisierungsarbeit übergegangen werden, mit einer Mischung aus überzeugenden politischen Projekten und einer Politik des Kulturellen, die Spaß macht und Orte des Gemeinsamen schafft. Aktivierende Befragungen, individuelle Angebote niedrigschwelliger Sozialberatung oder Aktionen wie »Die Linke hilft« mit Beratung und konkreter Unterstützung – all das sind Instrumente, die verankern helfen. […] Eine organisierende Praxis als DNA einer Partei vor Ort etablieren, lokal nutzbare bundesweite Kampagnen entwickeln, Protagonist*innen der Klasse aufbauen und gezielt Wahlkreise auswählen und stärken. So kann dem – durchaus berechtigten – Gefühl der Ohnmacht der Wärmestrom einer organisierenden Solidarität entgegengesetzt werden.“
(https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/die-linke-ein-wintermaerchen/)
Und auch die Auswertung des Wahlkampfs in Lichtenberg von Boris Kanzleiter (Rosa-Luxemburg-Stiftung) schlägt ähnliche Töne an: „Gleichzeitig müssen auf lokaler Ebene die vielen neuen Mitglieder integriert werden und dauerhaft an die Partei gebunden werden. Hilfreich könnten dabei nicht zuletzt die Organisierung konkreter Hilfeleistungen durch Rote Tafeln, Rechts- und Sozialberatung sein. Die bereits angekündigten Angriffe der kommenden Regierung unter Friedrich Merz auf soziale Errungenschaften und demokratische Rechte werden zum Lackmustest für die Linke werden. Kann die Partei zum Widerstand beitragen und eine gesellschaftliche Alternative formulieren, die einen weiteren Rechtsruck stoppen kann? “ (https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/lichtenberg-bleibt-rot/)
Diese Worte zeigen, dass man versucht, mit dem Trott der Passivität zu brechen und eines der Kernprobleme der letzten Jahre angeht, das wir in unserem Artikel „Linkspartei: Die Bewegungslinke als Retterin in der Not?“ skizziert haben. Es zeigt auch: Die Linke steht an einem Scheidepunkt. Nicht, was ihren grundsätzlichen Charakter angeht, aber doch wie sie aufgestellt ist und welche Bedeutung sie im deutschen Klassenkampf spielt. Triumphiert in den nächsten Monaten der Flügel der Regierungssozialist:innen, geht das Spiel weiter wie bisher.
Aber auch der linkere, bewegungsaffine Flügel verfügt über keine ausgewiesene programmatische Alternative. Es verschiebt die Probleme möglicher Regierungsbeteiligungen vielmehr in die Zukunft und betont vor allem die Notwendigkeit der Verankerung, der Sammlung zwischen unterschiedlichen Ansätzen von Organizing, kommunaler Arbeit, Präsenz im Kiez. Das soll Hoffnung geben, dass sich die Partei aufbaut, sodass zumindest nicht alle kommenden Angriffe widerstandslos hingenommen werden. Doch das sollte nicht täuschen, denn die Kernprobleme bleiben weiterhin bestehen.
Denn die zentrale Frage ist letzten Endes: Für welches politische Programm werden diese neuen Mitglieder gewonnen? Allein ihr Beitritt bedeutet keine automatische Linksentwicklung, keinen Triumph des linken Flügels. Wofür sie politisch stehen, ist ungewiss, vor allem, da das Hauptmotiv vieler der Aufstieg der AfD, der Kampf für „echte“ bürgerliche Demokratie und für den „sozialen Wohlfahrtsstaat“ ist, ein Programm, das in vielen Aspekten an die Sozialdemokratie der 1970er Jahre erinnert.
Aber: Wer einfach nur passiv danebensteht und sagt, dass Hopfen und Malz bei diesen Leuten eh schon verloren seien (oder dass es ohnehin nicht so viele sind, die aktiv bleiben), der/die sollte sich nicht nur die Haare waschen. Ob nun in Buxtehude oder Berlin: Es gibt von überall Berichte, dass die Neumitgliedertreffen aus allen Nähten platzen. Die Aufgabe von Revolutionär:innen ist nicht, passiv danebenzustehen und auf den nächsten Verrat seitens der Führung zu warten, sondern aktiv für kommunistische Politik zu kämpfen, ohne Illusionen in den Charakter der Partei zu verbreiten. Das heißt: Es wird die Aufgabe der Intervention von Revolutionär:innen und klassenkämpferischen Linken sein, dieses Potenzial nach links zu treiben und dabei innere Widersprüche zuzuspitzen!
Damit das erfolgreich ist, muss man eines der Kernprobleme der Linken verstehen, das schon seit ihrer Gründung besteht. Denn der grundlegende Charakter der Linkspartei hat sich in den letzten Monaten nicht geändert. Sie ist und bleibt eine reformistische Kraft, deren Ziel nicht in erster Linie die Überwindung des Kapitalismus ist – sondern die Abfederung seiner Auswirkungen. Dies wollen weder Regierungssozialist:innen noch die Bewegungslinke ändern. Denn ihrem Verständnis nach zieht Die Linke gerade daraus ihre Stärke.
Ausdruck findet dieses Problem in der Frage: Regieren oder Widerstand organisieren? Aktuell spielt es nur begrenzt eine Rolle und wie für viele Kräfte gilt auch für die Linkspartei: Aus der Opposition heraus ist das Leben leichter. Früher oder später (wie bei der Berlinwahl 2026) wird die Frage der Mitverwaltung die Partei, v. a. auf Länderebene, wieder mit voller Härte treffen und offenlegen, dass der eigentliche Flügelstreit nie vorbei war.
Wie weniger schon jetzt vorbei ist, demonstrierten die Vertreter:innen der Linkspartei in den Landesregierungen Mecklenburg-Vorpommerns und Bremens bei der Abstimmung um die Milliarden für die Bundeswehr im Bundesrat. In beiden Ländern hätten sie eine Zustimmung zu Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit verhindern können, aber in beiden machten sie den Weg für das größte imperialistische Militärprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg frei, weil sie ja dem Infrastrukturprogramm nicht im Wege stehen wollten. Zu Recht fordern Teile des linken Flügels, dass diese Regierungsvertreter:innen aus der Partei ausgeschlossen werden müssten. Ein solcher Antrag sollte auf dem kommenden Parteitag eingebracht und zur Abstimmung gestellt werden, denn dies wäre endlich ein wirklicher Schritt gegen die Parteirechten und auch ein Signal, sich wirklich der Aufrüstung entgegenzustellen.
Aber wir sollten uns zugleich keine Illusionen machen. Für Teile der Partei stellt das gar kein Problem dar. Sie finden die reformistische Politik gut, sehen (oder wollen) auch gar keine andere Alternative zum Kapitalismus. Doch für den linken Flügel und jene, die mit großer Hoffnung neu eintreten, bedeutet das früher oder später Konflikte. Denn vor allem die neuen Mitglieder erwarten von der Partei trotz ihrer Illusionen in den Reformismus, dass sie in der nächsten Periode eine wirksame Gegenkraft zum Aufstieg der AfD und zum Rechtsruck darstellt. Basisverankerung ist gut und wichtig, soziale Forderungen auch, aber: Der Gebrauchswert der Partei liegt nicht allein in kleinen Gimmicks wie Sozialberatung oder Heizkostenrechnern. Der tatsächliche Gebrauchswert der Linkspartei wird sich daraus ableiten, ob sie es schaffen kann, in den kommenden Angriffen eine reale Kraft darzustellen, die Widerstand praktisch organisiert und eine Perspektive aufzeigt, wie man aus der Misere herauskommt. Insofern möchte man Schwerdtners Worten vom Sommer 2024 aus dem Artikel „Für einen Kurswechsel“ zustimmen, in dem sie feststellt: „Ohne analytische Klarheit neigt die Partei zum Aktionismus und legt jede Woche einen neuen Aktionsplan vor, der in der realen Welt keine Rolle spielt.“ (https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/fuer-einen-kurswechsel/)
Doch gerade an analytischer Klarheit mangelt es. Oder zumindest am Verständnis, dass in der aktuellen Periode die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus und die Zunahme der innerimperialistischen Konkurrenz jede reformistische Strategie, eine keynesianistische Umverteilungspolitik zugunsten der Arbeiter:innenklasse letztlich zum Scheitern verurteilen. Natürlich können einzelne Reformen und Verbesserungen auch in solchen Perioden errungen werden, aber es ist eine Utopie im engen Wortsinn, dass über die bürgerlichen Staaten, über eine Kombination aus außerparlamentarischer Reformpolitik und staatlicher Umverteilung der Kapitalismus reformiert und schrittweise zu einer „neuen“, sozialistischen Gesellschaft transformiert werden könne. Das sog. „rebellische Regieren“, das Teile des linken Flügels als Alternative zum „bloßen“ Mitregieren darstellen, ist in Wirklichkeit keine Alternative zum Regierungssozialismus, sondern nur seine linkere Verklärung.
Das Problem trieb die Partei in der Vergangenheit um und droht, sie auch in der Zukunft einzuholen. Beispiele dafür sind zahllos. Sei es der Verrat an der Bewegung „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ oder der aktuelle Umgang mit der Frage des Rechtsrucks. So gibt sich Die Linke zwar als antirassistisch und antifaschistisch und war auch positiv bei Mobilisierungen gegen die AfD als einzige für die Massen sichtbare parlamentarische Opposition präsent. Aber sie begreift den Kampf gegen Rassismus und Faschismus, für gleiche Rechte aller Migrant:innen und Geflüchteten nicht als integralen Teil des Klassenkampfes. Daher verfolgt sie auf diesem Gebiet einerseits eine Politik der klassenübergreifenden, volksfrontartigen Bündnisse (bis hin zum imaginären, „linken“ Flügel der CDU), zweitens lehnt sie den Kampf um offene Grenzen, volle Staatsbürger:innenrechte und den Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen gegen rassistische und faschistische Angriffe ab. Wo sie noch mitregiert, wie in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, akzeptiert sie stillschweigend weiter Abschiebungen und hüllt ansonsten den Mantel des Schweigens über diese reaktionäre Politik.
Vor allem aber drückt sich Die Linke, die zurzeit durchaus auch „Sozialismus“ und „Klassenpolitik“ auf ihre Fahnen schreibt, um internationale Fragen herum. Zum reaktionären Trump-Putin-Deal zur Ukraine ist sie rat- bis sprachlos, lehnt ihn zwar ab, doch ihre Alternative zu dieser Befriedung liegt in der utopischen Beschwörung von UNO-Friedenstruppen und einer nebulösen „europäischen Sicherheitsstruktur“. Grundsätzlich stellt sie die Bundeswehr und die „Verteidigungsfähigkeit“ Deutschlands nicht in Frage. Ihre wenigen Vertreter:innen in der Landesregierung entblöden sich sogar nicht, Milliardenkrediten für die Bundeswehr zuzustimmen!
Zu Palästina ist die Partei weiter innerlich zerstritten. Über Monate weigerte sie sich, den Genozid beim Namen zu nennen. Der prozionistische, antideutsche Flügel der Partei wollte die Regierung teilweise gar rechts überholen und einige dieser Figuren verließen 2024 schließlich die Partei. Zugleich schloss die Parteiführung auch den bekannten antizionistischen Ramsis Kilani wegen parteischädigenden Verhaltens aus. Hier zeigt sich eigentlich die politische Unfähigkeit, gegen die kommenden Angriffe im Inneren und Äußeren angemessen reagieren zu können. Es sind diese Fragen, neben der Regierungsfrage, die ihr drohen, das Genick zu brechen.
Der aktuelle Kurs kann ebenso dazu führen, dass internationale Themen noch weniger Raum finden und die Konzentration auf reine soziale Verbesserungen zwar berechtigt ist, aber auch gleichzeitig dazu führt, dass eine Passivität zum internationalen Geschehen wächst – und im schlimmsten Fall der eh schon dem Reformismus innewohnende Sozialchauvinismus sich verstärkt.
All das zeigt, dass der Erfolg der Linkspartei politisch auf tönernen, reformistischen Füßen steht. Es beweist jedoch auch, dass es politisch richtig war, bei den Bundestagswahlen Die Linke kritisch zu unterstützen. Zehntausende neue Mitglieder, über vier Millionen Wähler:innen stellen eine potenzielle Kraft dar, den Angriffen des deutschen Kapitals und der nächsten Regierung Widerstand zu leisten. Nur wenn es gelingt, diese in den Betrieben, Gewerkschaften, auf der Straße in Bewegung zu bringen, wird es möglich sein, breitere Schichten der Klasse mitzureißen, einen Kurswechsel in den Gewerkschaften einzuleiten und unzufriedene Mitglieder und Wähler:innen der Sozialdemokratie, der Grünen oder auch Nichtwähler:innen zu mobilisieren und in einen aktiven Gegensatz zu ihren Parteien zu bringen.
Revolutionäre Kommunist:innen müssen darauf regieren. Es hilft nicht, die eigene Gruppe, die weit davon entfernt ist, eine Partei darzustellen, als Alternative zum Reformismus zu proklamieren. Es gilt vielmehr, in diese Bewegung der Klasse, genauer ihrer fortgeschrittenen Teile einzugreifen. Das vorherrschende reformistische Bewusstsein der Parteimitglieder darf dabei nicht als Ausrede herhalten, erst gar nicht einzugreifen, noch sollte es Marxist:innen verwundern.
Zum einen lässt sich reformistisches Bewusstsein innerhalb des kapitalistischen Systems nicht einfach durch Propaganda und Aufklärung entlarven, indem man sagt, dass Reformismus schon immer schrecklich war. Denn dieser reproduziert sich aus den Klassenverhältnissen selbst, einschließlich des ökonomischen Kampfes. Damit ist gemeint, dass Kämpfe beispielsweise um Lohnerhöhungen an sich selbst nicht revolutionär sind, ja selbst auf dem Boden des Lohnarbeit-Kapital-Verhältnisses stehen. Sie werfen erst mal nur die Frage nach Umverteilung auf und somit legitimieren sie bis zu einem gewissen Grad auch das Ausbeutungsverhältnis zwischen Kapitalist:innen und Arbeiter:innen. Das ist einer der Gründe, warum rein gewerkschaftliche Kämpfe nicht per se zu Revolutionen führen können und warum revolutionäres Bewusstsein nicht spontan entstehen kann. Der Reformismus ist die Fortführung dieses Ökonomismus auf politischer Ebene – die Idee, dass es nur eine langsame Umverteilung innerhalb der Gesellschaft bräuchte. Zum anderen (und gerade deswegen) ist es Aufgabe von Kommunist:innen, Taktiken zu entwerfen, wie man unter aktuellen, realen Kräfteverhältnissen konkrete Verbesserungen für die Klasse erkämpfen kann, und zugleich, dass es einen revolutionären Umsturz braucht, um diese dauerhaft zu verteidigen. Es ist die Aufgabe von Revolutionär:innen, dabei für ein Programm von Übergangsforderungen zu kämpfen, das eine Brücke zwischen diesen „Tagesaufgaben“ und dem strategischen Ziel, der Machtergreifung der Arbeiter:innenklasse durch eine revolutionäre Arbeiter:innenregierung, darstellt.
Die Tatsache, dass die Führung der Linkspartei nur einen begrenzten Plan für einen solchen Kampf hat, darf dabei kein Hindernis für eine aktive Intervention gegenüber den Mitgliedern und Wähler:innen der Partei sein. Im Gegenteil, sie eröffnet ein Feld für den gemeinsamen Kampf gegen die nächste Regierung und dafür, den Reformismus dem Praxistest und revolutionärer Kritik zu unterziehen. Das heißt: Die Neueintritte bringen auch Chancen mit sich. Für Die Linke, aber auch für echte Sozialist:innen. Denn es muss auch festgestellt werden: Die deutsche Linke, ob nun reformistisch oder radikal, hat die letzten Jahre versagt. Das zeigen der Aufstieg der AfD, die Passivität gegenüber der Pandemie, das einfache Durchwinken von erst 100 und dann 500 Milliarden für den deutschen Militarismus – all das ist das Ergebnis von mangelnder Analyse, Programmlosigkeit und fehlender gesellschaftlicher Relevanz. Deswegen stellt sich die Frage: Welche politische Strömung innerhalb der Linkspartei schafft es, die neuen Mitglieder ideologisch zu prägen?
Erstens muss die aktuelle Debatte mit Inhalten gefüllt werden. Welche Aufgaben setzt das internationale Geschehen auf unsere Tagesordnung – und welche Partei brauchen wir, um diesen Anforderungen gerecht zu werden? Eine reformistische, also auf dem Boden mehr oder weniger „radikaler“ Reformpolitik verbleibende bürgerliche Partei – oder eine revolutionäre Kampfpartei, deren Ziele die Errichtung der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse und die sozialistische Weltrevolution bilden?
Diese Grundsatzfrage müssen sich gerade die Sozialist:innen und Kommunist:innen in und um die Partei stellen. Denn auch sie haben in den letzten Jahren keine Politik betrieben, in der Partei den Bruch mit dem Reformismus herbeizuführen, sondern das Elend mehr oder weniger mitverwaltet oder, im Falle von marx21, auch mitgestaltet.
Denn die Linkspartei bleibt trotz ihrer Erfolge weiterhin eine reformistische, bürgerliche Arbeiter:innenpartei, die selbst von einer Parteibürokratie und vom Apparat beherrscht wird. Dieser wird nie freiwillig auf revolutionäre Klassenpolitik einschwenken. Daher müssen sich Revolutionär:innen in der Linkspartei auch klar vor Augen führen: Es braucht einen konsequenten politischen Bruch mit dem und einen Kampf gegen den Reformismus in der Partei.
Damit diese Frage nicht bloß auf der Ebene eines Bekenntnisses verbleibt, einer bloßen Überzeugung und Gesinnung, braucht es auch eine Diskussion um ein Aktionsprogramm, das zentrale Fragen des gewerkschaftlichen und betrieblichen Kampfes, der Klima- und Frauenbewegung beantworten kann, aber auch gleichzeitig aufzeigt, wie man dem bürgerlichen Staat und dem Reformismus innerhalb der Arbeiter:innenklasse die Stirn bietet. Es muss eine klare, internationalistische Ausrichtung haben – gegen die imperialistische Ausrüstung und Konkurrenz, für die Solidarität mit antiimperialistischen und Befreiungskämpfen wie dem der Palästinenser:innen. Vor allem aber muss es eine Brücke von den gegenwärtigen Tageskämpfen zum Kampf für den Sozialismus schlagen. Es gilt, einen offenen Fraktionskampf zu führen, der sich an der kommenden Programmdebatte, den Kämpfen und dem Aufbau der Partei beteiligt und den neuen Mitgliedern zeigt, was die Inhalte sind, die tatsächliche Verbesserungen bringen – und dabei sollte man auch keine Angst haben, dass dies dazu führt, dass ein Teil geht (oder gehen muss).
One thought on “Wiederbelebt: Wie neu ist Die Linke?”