Internationale Trotzkistische Opposition (ITO) und Liga für die Fünfte Internationale (LFI), 8. Februar 2024, Infomail 1244, 8. Februar 2024
Die Internationale Trotzkistische Opposition (ITO) und die Liga für die Fünfte Internationale (LFI) haben über die letzten anderthalb Jahre eine Reihe von Treffen und anderen Begegnungen sowie darüber hinaus Briefwechsel und Dokumentenaustausch geführt.
Am 17. Dezember 2023 hielten die führenden Gremien der ITO und der LFI eine Videokonferenz ab, in der bestätigt wurde, dass sie in vielen programmatischen Positionen und einer Analyse der weltpolitischen Lage im Wesentlichen übereinstimmen.
Wir erkennen beide an, dass die gegenwärtige Periode durch einen sich verschärfenden Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten, den alten imperialistischen Staaten wie den USA und ihren Verbündeten (den westeuropäischen imperialistischen Mächten, Japan, Australien und anderen) auf der einen und den neuen imperialistischen Mächten, China und Russland, auf der anderen Seite gekennzeichnet ist.
Wir sind uns einig, dass alle diese imperialistischen Mächte und aufstrebenden Blöcke bekämpft werden müssen. Die Arbeiter:innenklasse darf keine/n von ihnen unterstützen. In allen imperialistischen Staaten muss sie erkennen, dass die Hauptfeindin in diesem Kampf „im eigenen Land steht“, ihre „eigene“ imperialistische Bourgeoisie.
Gleichzeitig erkennen wir an, dass diese globale Rivalität und dieser Konkurrenzkampf die Notwendigkeit, das Recht auf Selbstbestimmung und die demokratischen Kämpfe unterdrückter Nationen zu verteidigen, nicht in den Hintergrund drängen.
Im Ukrainekrieg müssen wir nicht nur die Kriegstreiberei des russischen Imperialismus zurückweisen, sondern auch die Wirtschaftssanktionen und den neuen Kalten Krieg, der von den USA, Großbritannien, Deutschland und der gesamten EU geführt wird. Allerdings macht der globale imperialistische Konflikt den ukrainischen Kampf gegen die russische imperialistische Invasion nicht reaktionär. Die Arbeiter:innenklasse muss die Ukraine gegen Putins Angriff verteidigen, ohne die reaktionäre Selenskyj-Regierung zu unterstützen, und für die politische Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse von allen bürgerlichen Kräften kämpfen.
Wir stimmen auch darüber überein, dass Revolutionär:innen den palästinensischen Widerstand in Gaza und im Westjordanland gegen den von Israel geführten Krieg mittragen müssen. Es ist die dringende Pflicht aller Revolutionär:innen, die weltweite Bewegung der Solidarität mit Palästina maximal zu fördern und gleichzeitig eine klare revolutionäre antikapitalistische Perspektive für seine Entwicklung aufzuzeigen, indem sie für einen säkularen, demokratischen, sozialistischen Staat in ganz Palästina als Teil einer sozialistischen Föderation im Nahen Osten eintreten.
Wir sind uns einig über die Notwendigkeit der Neugründung einer revolutionären Arbeiter:innen-Internationale und über das Gebot, sofortige praktische Schritte zur Neuformierung zu unternehmen. Dieser Prozess hat dazu geführt, dass beide Seiten zugestimmt haben, in eine Phase der Diskussion einzutreten, die auf eine Fusion auf der Grundlage einer programmatischen Übereinstimmung abzielt.
In zwei wichtigen methodischen Fragen, die mit diesem Prozess zusammenhängen, sind wir jedoch weiterhin unterschiedlicher Meinung.
Die ITO und die LFI sind sich einig, dass keine Bewegung, auch nicht die der Gewerkschaften, eine revolutionäre Internationale aufbauen kann, und zwar im Wesentlichen aus den gleichen Gründen, aus denen keine Bewegung, auch nicht die Gewerkschaftsbewegung, eine revolutionäre Partei aufbauen kann. Wie Lenin in „Was tun?“ erklärt hat, ist Spontaneität nicht genug. Um dieses Ziel zu erreichen, sind ein revolutionäres marxistisches Programm und eine Führung erforderlich.
Wir stimmen zu, dass in einigen Ländern und zu bestimmten Zeiten – wenn es keine Vertretung der Arbeiter:innenklasse im politischen Spektrum gibt, wichtige Gewerkschaftsorganisationen existieren und die revolutionäre Bewegung schwach ist – Revolutionär:innen möglicherweise vorschlagen müssen, dass Massenorganisationen der Arbeiter:innen oder Unterdrückten eine eigene politische Partei gründen. Dieser Vorschlag könnte an die Gewerkschaften in Form einer Arbeiter:innenpartei oder an eine dynamische Massenbewegung eines Sektors der Arbeiter:innenklasse gerichtet werden.
Revolutionär:innen sollten ein antikapitalistisches Übergangsprogramm für eine solche Partei vorschlagen und gleichzeitig erklären, dass die Gründung der Partei einen Schritt nach vorn für die Arbeiter:innenklasse darstellen würde, unabhängig davon, ob ihr Programmvorschlag angenommen wird oder nicht.
Wir stimmen mit Trotzki, Cannon und den amerikanischen Trotzkist:innen von 1938 darin überein, dass diese Partei nicht mit der revolutionären marxistischen Partei oder einer Sektion einer revolutionären Internationale verwechselt werden darf, da diese sich auf aktive Kämpfer:innen stützen müssen, die sich auf der Grundlage des vollständigen marxistischen Programms und der marxistischen Theorie neu gruppieren und entlang demokratisch-zentralistischer Linien organisiert sind.
Die LFI ist allerdings der Auffassung, dass eine solche Arbeiter:innenpartei unter günstigen Umständen als Brücke oder Übergang zu einer vollständig revolutionären Partei dienen könnte, je nachdem, ob es den revolutionären Kräften gelingt, sie für ihr Programm und die leninistische Parteiorganisation zu gewinnen.
Die ITO hingegen sieht diese mögliche Arbeiter:innenpartei als eine Einheitsfrontorganisation wie die Gewerkschaften, deren politischer Ausdruck sie ist. Das Ziel der revolutionären Partei wäre es, zu versuchen, maximalen Einfluss und möglicherweise die Hegemonie in der Arbeiter:innenpartei zu gewinnen, um sie als unterstützendes Instrument im Kampf um die Macht zu nutzen.
Die ITO argumentiert, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass spontane Bewegungen internationale Organisationen gründen, es sei denn, sie werden von Gewerkschaftsbürokrat:innen, reformistischen politischen Parteien und Nichtregierungsorganisationen so stark dominiert, dass die Taktik der Arbeiter:innenparteien nicht mehr angemessen ist.
Die LFI vertritt dagegen die Auffassung, dass Gewerkschafts- und Bewegungsaktivist:innen ein internationales Forum schaffen könnten, das, wenn es nicht wie die Sozialforen des ersten Jahrzehnts des Jahrhunderts von bürokratischen und kleinbürgerlichen Kräften dominiert würde, von Revolutionär:innen mit der Taktik angegangen werden könnte, sie zum Aufbau einer neuen Internationale zu bewegen. Die LFI ist der Ansicht, dass es keinen guten Grund für die Annahme gibt, dass dies prinzipiell weniger fruchtbar ist als die von Trotzki in den späten 1930er Jahren entwickelte „Arbeiter:innenparteitaktik“.
Es könnte damit beginnen, koordinierte gemeinsame Aktionen zur Verteidigung von Arbeiter:innen im Kampf in verschiedenen Ländern und Kontinenten zu organisieren, einschließlich derjenigen, die unter geschlechtsspezifischer, rassistischer oder nationaler Unterdrückung leiden, oder im Widerstand gegen imperialistische Kriege und Interventionen. Aber gleichzeitig wäre es notwendig, unermüdlich für ein vollständig revolutionäres Programm und die Schlüsselelemente des demokratischen Zentralismus zu kämpfen, um dadurch eine revolutionäre Führung und eine Internationale in der Tradition der vorherigen vier zu schaffen.
Die ITO wiederholt auf internationaler Ebene unsere oben beschriebene Analyse der Position von Trotzki und Cannon in den 1930er Jahren, die einfach die Verteidigung der leninistischen Grundsätze zur Notwendigkeit und Rolle der revolutionären Arbeiter:innenpartei in Bezug auf eine komplexe Taktik gegenüber der allgemeinen Arbeiterbewegung darstellt.
Sollte die von der LFI vorgebrachte Hypothese eintreten – was uns (der ITO) äußerst unwahrscheinlich erscheint –, würde die ITO sie nicht als einen Schritt in Richtung der revolutionären Internationale unterstützen, sondern als den Aufbau einer Einheitsfrontorganisation, die auf internationaler Ebene eingesetzt werden soll, wie wir es für eine Arbeiter:innenpartei auf nationaler Ebene angedeutet haben.
Wäre das Forum klassenübergreifend, wie die Weltsozialforumbewegung oder Fridays for Future, wäre die Aufrechterhaltung der politischen Unabhängigkeit und der demokratisch-zentralistischen Disziplin der revolutionären Organisation sowohl in klassenbezogener als auch politischer Hinsicht notwendig.
Der Unterschied hat keine unmittelbaren praktischen Auswirkungen, da der Weltgewerkschaftsbund (WGB) und andere derzeit bestehende internationale Foren von bürokratischen und kleinbürgerlichen Kräften dominiert werden und die LFI nicht vorschlägt, ihnen gegenüber eine Taktik nach Art der Arbeiter:innenparteien anzuwenden. Aber wir müssen die methodologische Meinungsverschiedenheit untersuchen, um zu sehen, ob sie in der Zukunft zu Problemen führen könnte.
ITO und LFI sind sich einig, dass es notwendig ist, sich in einem gemeinsamen Kampf und einer gemeinsame Debatte mit uns nahestehenden revolutionären marxistischen und linksgerichteten zentristischen Organisationen zu engagieren, ihre politischen Positionen zu untersuchen und sich mit ihnen zu vereinigen, wenn wir zu einer prinzipiellen Übereinstimmung kommen.
Wir sind jedoch uneins darüber, wie andere trotzkistische Organisationen zu charakterisieren sind. Die ITO betrachtet die trotzkistischen Organisationen, denen sie den Vorrang gegeben hat, als wirklich revolutionäre Organisationen mit verschiedenen politischen Grenzen und theoretischen oder praktischen Fehlern. Die LFI betrachtet sie als linke Zentrist:innen, die sich hoffentlich nach links bewegen, wie diejenigen, die Lenin in die Dritte und Trotzki in die Vierte Internationale hineingezogen hatten.
Wir sind verschiedener Meinung, ob es ein allgemeines Muster gibt, dass linksgerichtete Aktivist:innen vom Trotzkismus angezogen werden, und daher unsererseits die Notwendigkeit einer allgemeinen Politik der revolutionären Umgruppierung gegenüber konsequent trotzkistischen und linksgerichteten trotzkistisch-zentristischen Kräften besteht.
Die LFI begrüßt zwar alle linksgerichteten nationalen Organisationen oder internationalen Strömungen und wird auf deren Einheit hinarbeiten, glaubt aber nicht, dass eine neue Internationale einfach eine vergrößerte Sammlung von Propagandagruppen sein kann, sondern ein Ziel ist, das in den kämpfenden Massenorganisationen der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten angestrebt und erkämpft werden muss.
Die ITO stimmt zu, dass eine neue Internationale nicht einfach eine vergrößerte Sammlung von Propagandagruppen sein kann, sondern die Masse der Arbeiter:innenavantgarde einbeziehen muss. Das Problem ist, dass die ITO, die LFI und andere revolutionäre marxistische internationale Gruppen noch zu klein sind, um in den Massenorganisationen viel Einfluss zu haben. Wir sind kämpfende Propagandagruppen, greifen in Kämpfe ein, um unsere Orientierung zu entwickeln und zu demonstrieren. Wir sind dabei, die Kräfte neu zu gruppieren, um in einem größeren Rahmen zu intervenieren. Wir befinden uns in der Phase der „Erklärung der Vier“ in der Entwicklung der Vierten Internationale.
Die ITO und das LFI werden Dokumente austauschen und Treffen organisieren, um die beiden ungelösten Fragen zu erörtern. Um eine unbestimmte Verlängerung der gegenwärtigen Diskussionsphase zu vermeiden, werden wir uns maximal achtzehn Monate Zeit lassen, um zu einem Ergebnis zu kommen. Wenn die Schlussfolgerung positiv ausfällt, werden wir eine Vorkongressdiskussion über einen Fusionskongress eröffnen, an der nach Möglichkeit auch andere gleichgesinnte Kräfte teilnehmen.
In der Zwischenzeit werden wir die gegenwärtige Phase unserer Diskussion fortsetzen und vertiefen, und zwar durch einen Meinungsaustausch über aktuelle Ereignisse, durch gemeinsame Erklärungen zu wichtigen Fragen, durch die weitere Prüfung von Dokumenten und durch Treffen, um unseren praktischen Ansatz bei klassenkämpferischen Interventionen kennenzulernen und zu überprüfen, ob wir wirklich so einig sind, wie wir in anderen Fragen zu sein scheinen.