Arbeiter:innenmacht

Neue Große Koalition: vom Bürger:innengeld zurück zu Hartz IV

Jürgen Roth, Neue Internationale 290, April 2025

Mit der Bürger:innengeldreform sollte vieles besser werden: mehr „Respekt“ im Umgang mit den Leistungsberechtigten, weniger Druck und Sanktionen, nachhaltige Arbeitsförderung statt schneller Vermittlung in Jobs um jeden Preis bzw. zu jedem Lohn. Ein Trippelschritt in die richtige Richtung, auch wenn Entscheidendes fehlte: insbes. die strukturelle Anpassung der Leistungshöhe.

Fördern und Fordern

Das Sondierungspapier von Christunion und SPD steht ganz unter dem Motto „Fördern und Fordern“. Mit Fördern führt es aber nicht viel im Sinn. Lt. einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung geben Jobcenter mehr für Verwaltungskosten als für Arbeitsförderung aus. Gemeint sind die sog. Eingliederungsmaßnahmen (Weiterbildung, Berufsausbildung, Praktika), nicht so sehr Vermittlung. Denn natürlich bestehen Verwaltungs- im Wesentlichen aus Personalkosten und beeinflussen somit die Vermittlung allgemein arbeitsfördernder Maßnahmen maßgeblich. Steigen diese aufgrund höherer Tariflöhne infolge Inflationsausgleichbemühungen und sind nicht ausreichend vorfinanziert, schichten die Jobcenter zwangsläufig aus den von der Stiftung gemeinten Fördertöpfen zugunsten der Finanzierung ihres Personals um, denn Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Menschen, die wegen Erkrankung, Pflege Angehöriger oder Ausbildung gar nicht arbeiten können, sind gesetzlich gesichert.

Beim Fordern verhält es sich genau andersherum: schnelle Vermittlung und Wiedereinführung ihres Vorrangs, mehr Druck und Sanktionen bis hin zum Leistungsausschluss für „Verweiger:innen zumutbarer“ Arbeit. Betroffene haben demzufolge kaum eine Chance, angebotene Jobs abzulehnen, auch wenn diese Dequalifikation und miese Bezahlung bedeuten. Strukturelle Arbeitslosigkeit mutiert zum individuellen Motivationsproblem Erwerbsloser. Die Opfer des Arbeitsmarkts werden zu Schuldigen gestempelt. Zu fürchten ist, dass mittels dieser Leitlinie die künftige Bundesregierung die Mittel für die eigentliche Arbeitsförderung weiter kürzen wird. Das Programm „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ – Lohnzuschüsse bei Arbeitsaufnahme besonders schwer Vermittelbarer – droht ebenfalls, wegen Finanzierungsproblemen (s.o.) unter die Räder zu kommen.

Das Sondierungspapier schweigt sich zur Leistungshöhe aus. Das Thema Armut kommt gar nicht vor. Dabei liegen die Leistungen immer deutlicher unter der Armutsschwelle. Trotz Inflation gab es zuletzt beim Bürger:innengeld eine Nullrunde!

Bedenkenträger:innen

Besorgnis über diese Pläne herrscht nicht nur bei der Linkspartei, Gewerkschaften und Sozialverbänden. CDU und CSU haben sich gegen die von der SPD soeben noch vertretenen Positionen auf ganzer Linie durchgesetzt. Tim Klüsendorf, Sprecher der parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, fordert „dringend Nachbesserung“. Drastischer drückt es der Vorsitzende der bayerischen Jusos, Benedict Lang, aus. Ohne deutliche Verbesserungen in den Koalitionsverhandlungen werde der Vertrag in weiten Teilen der Partei – auch über die Jusos hinaus – nicht zustimmungsfähig sein. Dass die SPD-Spitze die Einigung im Sondierungspapier als Erfolg verkaufe, zeige, wie weit der Rechtsruck im eigenen Laden schon fortgeschritten sei. Geplant sei ein Mitgliederentscheid über eine mögliche Koalition.

DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel betonte, dass die im September 2022 vorgelegte Langzeitstudie „Hartz plus“ nachgewiesen habe, dass Leistungskürzungen nicht aktivierten, sondern für längeren Verbleib im Hartz-IV-Karussell sorgten. Selbst hartgesottene Verfechter:innen der Hartz-„Reformen“ hatten eingeräumt, es sei beim Sanktionsregime nicht darum gegangen, Menschen in existenzsichernde Arbeit zu bringen, sondern eine Drohkulisse gegenüber den Beschäftigten aufzubauen. Letzteres hat sich in der Tat als Erfolgsmodell bei der Zähmung der Gewerkschaften und bürgerlichen Arbeiter:innenparteien herausgestellt, ihre Sozialpartnerschaft noch unterwürfiger gestaltet bis zum Gleichschritt mit „ihren“ Konzernen, „ihrer“ Branche und „Volks“wirtschaft. Zahnloser geht’s nimmer!

Doch verlassen wir uns nicht auf diese Damen und Herren Arbeitervertreter:innen! Ihr „Protest“ gegen die neue Grundsicherung ebenso wie die zögerliche Mindestlohnkommission, in der sie neben Wissenschaftler:innen und Unternehmensvertretungen sitzen und so den falschen Eindruck erwecken, es handle sich um eine staatlich ermittelte Lohnhöhe statt einer „echten“, nur mit Zustimmung der Kapitalseite durchsetzungsfähigen, blieb stets kaum heftiger als Sturm im Wasserglas. Ähnliches lässt sich über ihr verhaltenes Genöle wegen des Herumdokterns am Arbeitszeitgesetz sagen, wenn sie darauf beharren, die entsprechenden Verordnungen in Deutschland und der EU erlaubten ja bereits eine hohe Flexibilität: Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf bis zu 10 Stunden, wenn es innerhalb eines Ausgleichszeitraums von 6 Monaten bei durchschnittlich 8 Stunden bleibt; Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf bis zu 60 Stunden, wenn es im Durchschnitt innerhalb von 4 Kalendermonaten bei 48 bleibt.

Bei Bündnis 90/Die Grünen herrschte zu diesem Thema erheblich mehr Schweigen als selbst bei unserer o. a. angesprochenen Klientel. Kein Wunder, gehen wir in unserer Analyse doch davon aus, dass es sich bei ihr um keine reformistische, sondern um eine offen bürgerliche Partei handelt. Ihre kurzzeitige Widerborstigkeit gegen die Sondervermögen im alten Bundestag, ihr Herzensprojekt der gigantischen Aufrüstung ließ sie sich versüßen mit einem Anteil für Klima- und Transformationsfonds an den Sondervermögen. Christoph Ruf schrieb dazu sarkastisch: „Wäre das Herzensprojekt der Grünen die Förderung der Astrologie, sie hätten auch dafür 100 Milliarden bekommen. Und die SPD hätte künftig die ,Versöhnung von Ökonomie und Astrologie’ gepredigt.“ (Neues Deutschland, 18. März 2025, Seite 8)

Diejenigen jedoch unter Gewerkschafter:innen und Sozialverbänden, in Linkspartei und SPD, die das Sondierungspapier kritisieren, muss man nicht nur bei der Ablehnung im Mitgliederentscheid über eine neue Koalition ermutigen, wie im Fall der Jusos und SPD-Linken, sondern auch auffordern, sich auf Mittel des Klassenkampfs auf der Straße, an den Unis und Schulen sowie in den Betrieben zu besinnen und ihn aktiv und konsequent zu führen gegen das Merz-Gespenst.

Forderungen

Statt leeren Geschwätzes und Schönrederei braucht es einen Kampf um effektive Verbesserungen gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen:

• Weg mit allen Bürger:innengeldgesetzen, Grundsicherung und Nein zu Sanktionen!

• Arbeit oder voller Lohn! Gesetzlicher Mindestlohn von 15 Euro ohne Ausnahmen!

• Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro/Stunde! Für Arbeitslose, Studierende, Rentner:innen, Schüler:innen ab 16, chronisch Kranke, Schwerstbehinderte und Invalid:innen kämpfen wir für ein monatliches Mindesteinkommen, angepasst an die Inflation, von 1.100 Euro plus Warmmiete! Die Kontrolle darüber durch die Gewerkschaften!

• Für die Kontrolle der Arbeitsagenturen durch Gewerkschaften und Erwerbslosenkomitees anstelle von Ämterwillkür!

• Allgemeines, uneingeschränktes Recht auf Weiterbildung und Qualifizierung während der Erwerbslosigkeit!

• Entschädigungslose Verstaatlichung von Firmen, die sich weigern, diesen zu zahlen, unter Kontrolle der Beschäftigten und ggf. Fortführung/Umstellung der Produktion solcher Betriebe!

• Für die sofortige Wiedereinführung der Vermögensteuer! 115 Mrd. Euro jährlich durch progressive Besteuerung!

• Verteilung der Arbeit auf alle: 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich!

• Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Kontrolle der Beschäftigten, der Gewerkschaften unter Einbeziehung von Ausschüssen der Lohnabhängigen und aller nicht ausbeutenden Schichten der Bevölkerung zu Tariflöhnen!

• Automatische Preisgleitklausel gegen die Inflation: Gleitende Skala der Löhne und Sozialeinkünfte, überwacht von Arbeiter:innenpreiskontrollkomitees!

• Für eine bundesweite Aktionskonferenz gegen den geplanten Kahlschlag!

• Streiks und Besetzungen im Kampf gegen Massenentlassungen und Schließungen!

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