Arbeiter:innenmacht

Sri Lanka: Regierungskrise gelöst, aber nur vorerst

Peter Main, Infomail 1037, 9. Januar 2019

Die Verfassungskrise Sri Lankas, in der es scheinbar zu einem Zeitpunkt zwei Regierungen und zu einem anderen überhaupt keine gab, ist zumindest formell gelöst worden. Am 16. Dezember entschied der Oberste Gerichtshof des Landes einstimmig, dass Präsident Maithripala Sirisena verfassungswidrig gehandelt hatte, als er den damaligen Premierminister Ranil Wickremesinghe entließ und ihn durch Mahinda Rajapaksa ersetzte, dann das Parlament auflöste und vorgezogene Wahlen für Januar einberief. Nachdem er zuvor gesagt hatte, dass er Wickremesinghe nie wieder zum Premierminister ernennen würde, auch wenn jedeR Abgeordnete für ihn stimmte, hat Sirisena ihn nun wieder eingesetzt.

Während diese Entscheidung das politische Duell zwischen Wickremesinghe und Rajapaksa hinsichtlich dessen, wer wirklich der Premierminister ist, beendet, werden die politischen Nachwirkungen dieser Ereignisse die Insel im kommenden Jahr weiter erschüttern. Ganz abgesehen von den rechtlichen Verwicklungen, die sein Vorgehen gegen die Verfassung mit sich bringen wird, ist Sirisena als politische Gestalt stark geschwächt worden. Alle Hoffnungen, die er auf eine zweite Amtszeit hatte, sind nun definitiv zunichte gemacht worden. Ebenso sind die Aussichten für die Sri-lankische Freiheitspartei (Sri Lanka Freedom Party, SLFP), deren Vorsitzender er ist, bei den kommenden Parlamentswahlen, die innerhalb dieses Jahres abgehalten werden müssen, nicht gut. Schon jetzt hat sie Mitglieder an die Sri-lankische Volkspartei (Sri Lanka People’s Party, SLPP) von Rajapaksa verloren.

Auch Rajapaksa selbst ist nicht gut aus der Krise gekommen. Anfang des Jahres erschien er als ein aufsteigender Stern, da die SLPP bei den Kommunalwahlen stattliche Gewinne einfuhr. Jetzt ist er jedoch eindeutig in der Volksmeinung mit der hinterhältigen und verfassungswidrigen Verschwörung von Sirisena assoziiert. Zudem wird seine eigene Position als Abgeordneter wahrscheinlich angefochten werden, da er als Mitglied der Vereinigten Volksfreiheitsallianz (United People’s Freedom Alliance, UPFA) gewählt wurde, sich aber später der SLPP angeschlossen hat. Die Verfassung verlangt aber, dass Abgeordnete zurücktreten, die ihre Partei gewechselt haben.

Da die Unpopularität von Ranil Wickremesinghe wahrscheinlich einer der Hauptfaktoren war, um Sirisena davon zu überzeugen, ihn zu entlassen, ist es ziemlich ironisch, dass ausgerechnet er von dem ganzen Debakel am meisten profitierte. Mit seiner Weigerung, seine Amtsenthebung anzuerkennen, der Organisation einer parlamentarischen Mehrheit zu seiner Verteidigung sowie der Mobilisierung signifikanter Massendemonstrationen zu seiner Unterstützung hat er viel getan, um sich vor dem Gericht der „öffentlichen Meinung“ zu rehabilitieren.

Aussichten

Die formale Rückkehr zum „business as usual“ kann jedoch das tiefe Unbehagen innerhalb des gesamten politischen Systems Sri Lankas nicht verbergen. Es kann im Bewusstsein der Öffentlichkeit die Vorfälle nicht ungeschehen machen, dass Rajapaks Abgeordnete Möbel auf den Parlamentspräsidenten schleuderten und mit Chilipulver gefärbtes Wasser auf andere Abgeordnete warfen, um ein Vertrauensvotum zu verhindern, welches Wickremesinghe bestätigen sollte.

Am wichtigsten ist vielleicht, dass es die Politik, die Wickremesinghe so unbeliebt gemacht hat, nicht verändern wird. Der Vorteil, aus einer Krise als Sieger hervorzugehen, mag von kurzer Dauer sein und es mangelt nicht an RivalInnen, die der/die nächste PräsidentschaftskandidatIn der Vereinten Nationalpartei (United National Party, UNP) sein könnten. Der hierbei am häufigsten genannte ist sein derzeitiger Stellvertreter, Sajith Premadasa. Angesichts der schweren volkswirtschaftlichen Schäden durch die Krise, die zu einem Zusammenbruch des Tourismus, einer Abwertung der Rupie und einer Anhebung der Zinssätze führte, als alle Rating-Agenturen den Status des Landes herabstuften, ist die wirtschaftliche Situation heute weitaus schlechter. Das Finanzministerium soll berechnet haben, dass die Krise 102 Milliarden Rupien (ca. 566 Millionen Euro) gekostet hat.

Die öffentliche Desillusionierung mit Politikern und Parteien ist natürlich völlig gerechtfertigt, aber, wie wir in vielen anderen Ländern gesehen haben, kann sie in sehr reaktionäre Bewegungen münden. Dies war zweifellos die Strategie von Mahinda Rajapaksa in der Vergangenheit und ihm wird wahrscheinlich immer noch die Stimme der chauvinistischen SinghalesInnen garantiert sein. Zusätzlich zur Unterstützung eines Großteils der buddhistischen Geistlichen und Gruppen wie den klerikalen FaschistInnen von Bodu Bala Sena (Buddhistische Streitmacht, BBS). Um jedoch eine Präsidentschaftswahl zu gewinnen, muss er möglicherweise eine breitere Unterstützung finden und sein Schwerpunkt liegt jetzt auf „Maßnahmen zum Wohle aller Sri LankesInnen“. Wenn nicht Mahinda, dann hat er zwei Brüder, Gotabhaya und Basil Rohana, die seinen Platz einnehmen könnten.

Während die Rechten versuchen, die Übel des Landes auf eine Kombination aus ihren politischen GegnerInnen und unterdrückten Minderheiten zurückzuführen, muss die Linke die wahren Lehren aus der Krise ziehen. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung wurzelt letztlich im Sinne des Verrats an demokratischen Prinzipien und das ist die Frage, auf die die Linke ihre Mobilisierungen konzentrieren sollte. Sirisena ist vielleicht nicht mit seinem fast diktatorischen Plan durchgekommen, die Regierung zu stürzen und das Parlament zu schließen, aber das Volk hatte dabei nichts zu sagen ebenso wenig, wie es ein Mitspracherecht bei der Wirtschaftspolitik Wickremesinghes hatte oder bei einer ernsthaften Aufarbeitung der Versäumnisse wie der Kriegsverbrechen gegen die tamilische Bevölkerung oder der Korruptionsskandale. Aber auch bei einfachen Fragen wie der Festsetzung des Termins der kommenden Parlamentswahlen hat es nichts zu melden.

Demokratie

Wenn die Leute sagen, dass das ganze System verfault ist, haben sie Recht – und die Antwort darauf lautet, das ganze System zu verändern. Für uns SozialistInnen muss der Wandel einer sein, welcher den bestehenden Staatsapparat beseitigt und durch ein System demokratisch gewählter ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenräte ersetzt, die eine Regierung unterstützen, die alle wichtigen Wirtschaftssektoren sozialisiert und dann ihre Nutzung plant, um die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse und nicht privater Gewinne zu maximieren.

Obwohl dies unser strategisches Ziel ist, können wir uns nicht direkt darauf zubewegen. Es erfordert die Unterstützung durch die Mehrheit der ArbeiterInnen, welche durch die Anwendung von Taktiken gewonnen werden muss, die von der Mehrheit unterstützt werden und zu diesem Ziel führen können. Die parlamentarische Demokratie wird immer durch die Realität begrenzt, dass die wirtschaftliche Macht in der Gesellschaft in den Händen einer kleinen Klasse von KapitalistInnen liegt.

Dennoch sind wir für die radikalsten Formen von Demokratie innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft. Wir wollen gleiche Stimmen für alle ab 16 Jahren. Wir wollen, dass alle Regierungszweige, sowohl die Justiz als auch die Sicherheitskräfte, gewählten Behörden gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Wir wollen die Abschaffung des gesamten Präsidialsystems, das nur dazu dient, die Macht der gewählten Abgeordneten zu begrenzen. Wir wollen, dass alle gewählten VertreterInnen von ihren WählerInnen abberufen werden können und einen Durchschnittslohn erhalten. Wir wollen, dass die Rechte der Minderheiten, einschließlich dessen auf nationale Selbstbestimmung, garantiert werden.

Die Liste könnte natürlich weitergehen, aber der springende Punkt ist, dass die meisten dieser Rechte, obwohl demokratisch, nicht in die bestehende Verfassung aufgenommen wurden. Wir brauchen eine neue Verfassung und deshalb eine demokratisch gewählte verfassunggebende Versammlung. Das ist eine Forderung, die weit über die Reihen der engagierten SozialistInnen und sogar der ArbeiterInnenklasse hinausgehen kann. Das ist eine potenzielle Stärke. Obwohl wir unsere eigenen, sozialistischen Ziele nicht verbergen, können wir Kampagnen und Aktionen vorschlagen, die von anderen unterstützt werden können, die diese Ziele nicht teilen.

Die bestehenden HerrscherInnen werden einer solchen Reform nicht zustimmen – selbst sie würde an die Wurzeln ihrer Macht gehen. Sie muss daher erkämpft werden und wir werden Kampagnen- und Aktionsformen der ArbeiterInnenklasse vorschlagen, um sie dazu zu zwingen, unsere Forderungen zu erfüllen. Im Zuge einer solchen Kampagne können wir nicht nur die Forderung nach einer verfassunggebenden Versammlung popularisieren, sondern auch den Aufbau von Organisationen der ArbeiterInnenklasse vorschlagen, in denen ihre besonderen ArbeiterInnenforderungen wie Gewerkschaftsrechte, gleiches Entgelt, Gesundheits- und Arbeitsschutzvorschriften, Krankenversicherung, die Offenlegung der Geschäftskonten usw. ausgemacht und formuliert werden können.

Längerfristig würden solche Organisationen wie Aktionskomitees am Arbeitsplatz, Gewerkschaftsbetriebs- und -ortsgruppen, Arbeiterinnenorganisationen, MieterInnenbünde, Gruppen junger ArbeiterInnen zweifellos ihre Rollen erweitern, um in schwierigen Zeiten die OrganisatorInnen von Aktionen der ArbeiterInnenklasse in größerem Umfang zu werden. Sie würden schließlich die Mobilisierung der gesamten ArbeiterInnenklasse ermöglichen, um den bestehenden Staat zu stürzen und eine ArbeiterInnenregierung einzusetzen. Es ist heute die Aufgabe von RevolutionärInnen, solche Taktiken zu entwickeln und zu verbreiten, die die heutigen Themen wie die jüngste Verfassungskrise mit der Strategie des revolutionären Sturzes des Kapitalismus und des Aufbaus des Sozialismus verbinden können.

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