Arbeiter:innenmacht

Wohnungsfrage: Enteignung – was sonst?

Veronika Schulz, Neue Internationale 245, April 2020

Die aktuelle Misere auf dem deutschen Wohnungsmarkt mit rasant steigenden Mieten ist das Resultat des stetigen Abbaus sozialer Förderprogramme bei gleichzeitiger Privatisierung.

Bundesweit wurden 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit ersatzlos abgeschafft, die Wohnungsbauförderung 2001 faktisch beendet und 2006 die Zuständigkeit dafür an die Bundesländer delegiert.

Aktueller Mietenwahnsinn …

Allein zwischen 1995 und 2010 wurden mehr als 1 Million öffentlicher Wohnungen privatisiert. Auch heute noch fallen jedes Jahr durchschnittlich 130.000 günstige Mietwohnungen weg. Die ImmobilienspekulantInnen wie „Deutsche Wohnen“ und „Vonovia“ machen Milliardengewinne – auf unsere Kosten.

Die Zahl der Wohnungslosen hat sich innerhalb der letzten 10 Jahre von 200.000 auf 1,2 Millionen versechsfacht. Ein Grund hierfür sind die in diesem Zeitraum extrem gestiegenen Mieten. Andere Ursachen sind stagnierende Einkommen, Billiglohn, Hartz IV oder Armut.

All diese Entwicklungen beschleunigen die Verdrängung von Gering- und NormalverdienerInnen in die Vorstädte sowie ein allmähliches Absterben der städtischen Vielfalt und Kultur.

Die Filetgrundstücke luxussanierter Wohnungen teilen sich InvestorInnen, Hedgefonds und Immobilienverwaltungen untereinander auf, um sie einer kleinen, finanzkräftigeren Klientel als den bisherigen BewohnerInnen anzubieten.

In München haben sich die Mieten seit 2010 um 50 % erhöht. Im Schnitt kostet der Quadratmeter 17 Euro! Doch nicht nur in der „Mietenhauptstadt“ Deutschlands gehen die Preise durch die Decke: Außer in den Metropolen verschärft sich auch in deren „Speckgürteln“ die Situation. Zusätzlich zu den Mieten für Wohnungen in den Vorstädten haben auch die Bodenpreise massiv angezogen.

 … und seine Ursachen

Mangels Renditesteigerungsmöglichkeiten durch Investitionen im produktiven Sektor (Maschinen, Anlagen, Einstellungen…) nach der Krise 2008/2009 schaufelt der parasitäre Kapitalismus lieber Geld in Finanzanlagen (Aktien, Wertpapiere…) und Immobilien. Angesichts stagnierender Profite in Industrie und Gewerbe wird auf sichere Verzinsung und Rentengewinne gesetzt. Das treibt zum einen die Bodenpreise (kapitalisierte Grundrente) hoch, zum anderen den Aktienkurs der Vonovia, DW & Co.

Sie müssen sich eben auf diese einzige Weise den nötigen Kapitalzufluss verschaffen, in dieser historischen Krisenperiode unerlässliches Schmiermittel, um das durch Verschuldung angetriebene Akkumulations- und Bereicherungsregime eines maroden kapitalistischen Gesamtsystems am Laufen zu halten. Diese Systemkrise bildet den spezifischen Hintergrund für die in den letzten 10 Jahren aberwitzig gestiegenen Immobilienpreise und in deren Gefolge die Mietsteigerungen.

Symptombekämpfung oder Ursachen ins Visier nehmen?

Bürgerliche Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich aber lediglich gegen „spekulative Auswüchse“, also nicht gegen das private Grund- und Immobilieneigentum. Unions-Parteien, FDP und AfD springen den ProfiteurInnen der Wohnungsmisere bei und fordern noch mehr Privatisierung und einen noch „freieren“ Markt. Die SPD „bremst“ mit leeren Worten und halbherzigen Maßnahmen, die, wie die sog. Mietpreisbremse, noch zusätzlich verwässert werden.

Nach Jahren relativer Ruhe und nur vereinzelten Protests tut sich jedoch etwas. Die rasanten Preissteigerungen am Wohnungsmarkt und immer größere Gewinne der Immobilienhaie haben eine neue Massenbewegung entstehen lassen – nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Und sie ist längst überfällig.

Die Gruppe ArbeiterInnenmacht ist in verschiedenen Städten in der MieterInnenbewegung aktiv. In Berlin unterstützen wir die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ und deren Forderung nach einem Volksentscheid. In München sind wir aktiv in „ausspekuliert“, um die Organisierung von MieterInnen in den Vierteln voranzutreiben.

Es ist richtig, dass viele lokale Initiativen und Bündnisse auf die Berliner Kampagne von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ schielen. Die große Stärke dieser Initiative ist sicherlich, dass von Beginn an konsequent die Eigentumsfrage gestellt wurde. Im Rahmen der Unterschriftensammlung für den titelgebenden Volksentscheid wurden eben nicht nur steigende Mieten, sondern auch die zugrunde liegenden Eigentumsverhältnisse sowie mögliche Alternativen breit in der Öffentlichkeit thematisiert und diskutiert. Dies stellt ohne Zweifel einen wichtigen Schritt dar, einerseits was den notwendigen Druck auf die Politik betrifft, andererseits und noch wichtiger ermöglicht es, die Mietenfrage als Klassenfrage zu begreifen.

Von Bürgerinitiativen zum Klassenkampf

Der Wohnungssektor ist Teil des kapitalistischen Gesamtsystems. Der MieterInnenkampf muss daher als Klassenkampf geführt werden. Hausbesetzungen, welche den Leerstand aufzeigen, können dabei ein Mittel gegen Wohnungs- und Mietspekulation sein. Allerdings stoßen sie rasch an ihre Grenzen, wenn diese Kämpfe isoliert von der Klasse stattfinden.

Daher ist es wichtig, die Gewerkschaften und andere Organisationen, die sich auf die ArbeiterInnenklasse beziehen, in diesen Kampf einzubinden.

Ebenso sollten wir uns nicht ausschließlich auf legalistische Maßnahmen wie Volksentscheide oder Volksbegehren verlassen. Sie können, wie bereits beschrieben, ein Mittel zur Themensetzung und Mobilisierung darstellen. Die große Schwäche liegt aber in der Abhängigkeit von den Institutionen des bürgerlichen Staates. Dieser sowie die Verwaltungen und Gerichte haben in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, wie sie derartige Bestrebungen wahlweise verschleppen (Mietentscheid Frankfurt), abändern bzw. im Vorfeld eigene, schwächere Maßnahmen beschließen (Berliner Mietendeckel) oder gar gerichtlich abschmettern (Volksbegehren Pflegenotstand Bayern).

Es ist zwar nur folgerichtig, die Enteignung dieses großen Kasinos und seiner InhaberInnen zu fordern. Ebenso logisch ist aber der hartnäckige Widerstand der Immobilienkonzerne dagegen. Er wird sich allein mit einer Kampagne für den Volksentscheid nicht bekämpfen lassen, hängt doch das Schicksal des ganzen Systems an der Spekulation als Hauptantrieb für die Akkumulation des Kapitals, vermittelt über die Finanzmärkte.

Es bedarf deshalb eines Plans B, wie wir den Kampf um bezahlbare Mieten, Enteignung und lebenswerte Städte auch mit anderen, viel wirksameren Mitteln des unmittelbaren Klassenkampfs (Streiks, Mietboykotte…)  führen. Ziel muss dabei sein, eine Bewegung verschiedener BürgerInneninitiativen in eine Klassenbewegung zu transformieren. Wie bereits erwähnt, sollten dabei neben den betroffenen MieterInnen auch Gewerkschaften eingebunden werden. Die Klassenfrage spiegelt sich somit auch in der Organisierung wider. Statt legalistischer Bürgerinitiativen, die einzelne Personen zusammenfassen und auf die Ausnutzung der Rechte im Rahmen des Systems orientieren, brauchen wir ihre Transformation in die geballte Kraft proletarischer Organisationen, die sich zu einer Gegen- und Kontrollmacht in der Mietenfrage formiert.

Aktiv werden – auch in Zeiten von Corona!

Insofern ist die bundesweite Koordination im „Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“, das europaweit für den 28. März den „Housing Action Day“ geplant hat, ein Fortschritt, was Organisierung und Vernetzung angeht. Eine Vielzahl von Städten mit all ihren lokalen Initiativen und Gruppen hat sich ein einheitliches Motto gegeben und gemeinsame Forderungen aufgestellt.

Auf Grund der Corona-Pandemie mussten die geplanten Demonstrationen und teilweise auch Aktionen abgesagt bzw. verschoben werden. Doch auch und gerade jetzt darf unser Kampf nicht pausieren. Wir müssen zeigen, dass unsere Forderungen wichtiger sind denn je: Ausgerechnet diejenigen, die im kapitalistischen „Normalbetrieb“ unter Armut oder Wohnungslosigkeit leiden oder durch ein unregelmäßiges und/oder niedriges Einkommen sowieso schwer eine bezahlbare Wohnung finden, geraten aktuell in existenzielle Not.

Durch Corona wird deutlich, dass ausgerechnet die ArbeiterInnen, die den Laden am Laufen halten, also Pflege- und Krankenhauspersonal, VerkäuferInnen, MüllwerkerInnen und BusfahrerInnen, gemessen an ihrer Rolle extrem unterbezahlt sind. Viele von ihnen sind es, die sich die Mieten in den Städten schon lange nicht mehr leisten können und daher weite Wege zur Arbeit in Kauf nehmen müssen, was bei der in diesen Bereichen üblichen Schichtarbeit eine zusätzliche Belastung darstellt. Auch an dieser Stelle sehen wir, wie der Kampf um höhere Löhne mit dem Kampf um bezahlbare Mieten zusammenhängt und daher auch in der Praxis verbunden werden muss.

Zwar hat die Bundesregierung im Eilverfahren ein Gesetz verabschiedet, was MieterInnen vor Kündigung schützen soll, wenn corona-bedingt die Miete nicht bezahlt werden kann. Die nicht gezahlten Monatsmieten werden aber lediglich aufgeschoben und müssen dann auch noch verzinst (nach jetzigem Stand ca. 4 %) nachgezahlt werden. Außerdem werden auf diese Weise der Immobilienwirtschaft sonst entgangene Gewinne garantiert – die Lasten tragen letztendlich die MieterInnen.

Die kommende Rezession, soviel steht bereits jetzt fest, wird die Löhne und Einkommen von Millionen Menschen europaweit schmälern, sei es durch kurzfristige Abstriche wie beim Kurzarbeitergeld oder dauerhaft, wenn Stellenabbau in der Industrie, aber auch ausbleibende Aufträge für Kleingewerbetreibende und Solo-Selbstständige zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen.

Dringliche Sofortforderungen!

Die Forderungen des Bündnisses wurden um weitreichendere Direktmaßnahmen ergänzt, um die absehbaren Folgen der Corona-Pandemie abzufedern, aber auch gesundheitlichen Schutz zu garantieren. Wir unterstützen einen Großteil der Forderungen für Sofortmaßnahmen:

  • Stopp von Räumungsklagen und Zwangsräumungen!
  • Keine Energie- und Wassersperren!
  • Moratorium für Mietzahlungen, Erlass von Mietschulden und Renditeverzicht!
  • Mietendeckel und Mieterhöhungsstopp!
  • Moratorium für Hypothekenzahlungen!
  • Auflösung von Sammelunterkünften wie Lagern und die menschenwürdige Unterbringung!
  • Beschlagnahmung von leerstehenden Wohnungen und Ferienwohnungen zum Zweck der Unterbringung!
  • Legalisierung von Besetzungen leerstehender Wohnungen und Häuser!

Langfristig schlagen wir ein Programm öffentlicher Wohnungsbau- und Sanierungsmaßnahmen zu Tariflöhnen und bezahlt aus Unternehmerprofiten vor:

Schluss mit Mietenmonopoly! Bezahlbarer Wohnraum für alle!

  • Der Staat soll selbst sozialen Wohnungsbau betreiben, nicht das private Wohnungskapital subventionieren. Die Immobilienwirtschaft und WohnungsbauspekulantInnen müssen entschädigungslos enteignet werden – unter Kontrolle der MieterInnen!
  • Kommunalisierung des Grund und Bodens, Baubetrieb in kommunale Hand für Neubau und Altbausanierung!
  • Bezahlung des Wohnungsbaus und von Sanierungen im Interesse der MieterInnen durch das beschlagnahmte Vermögen des Wohnungs- und Baukapitals und eine progressive Besteuerung der Profite!
  • Kontrolle der Wohnungsbaugesellschaften, Verwaltungen und der Mietpreise durch die MieterInnen, deren VertreterInnen und MieterInnengemeinschaften, begleitet von ArbeiterInnenkontrolle über das Wohnungsbauwesen!
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