Joy Macready, Infomail 681, 8. Mai 2013
Mehr als drei Tage, nachdem ein achtstöckiges Gebäude in der Industriezone Savar einstürzte, in dem fünf Textilfabriken unterbracht waren, bargen Rettungsteams an Rande von Dhaka immer noch lebende ArbeiterInnen aus den Trümmern. Tragischerweise sind mehr als 400 ArbeiterInnen getötet und weitere 1.000 ernsthaft verletzt worden. Eine unbekannte Zahl wird immer noch vermisst, darunter Kinder, die in einer Kinderkrippe auf dem Obergeschoss des Komplexes waren, als er zusammenbrach.
Was noch entsetzlicher ist: die ArbeiterInnen haben am Tag zuvor von Rissen im Mauerwerk berichtet und eine Evakuierungsanordnung wurde ausgestellt. Doch die Betriebsbesitzer ignorierten diese Vorsichtsmaßnahme und zwangen die 3.000 ArbeiterInnen dazu, unter diesen unsicheren Bedingungen weiter zu arbeiten. Dies ist offensichtlicher Mord.
Statt nun aber die Inhaber einzusperren und die Betriebsstätten zu sperren, hat die Polizei die in der Stadt protestierenden hunderttausenden ArbeiterInnen angegriffen und mit Gummigeschossen, Tränengas und Schlagstöcken auseinandergetrieben. Die Arbeiterinnen waren aus ihren Fabriken am Stadtrand von Dhaka gekommen bzw. in der südöstlichen Stadt Chittagong in Solidarität mit ihren toten KollegInnen auf die Straßen gegangen.
Zurzeit sind nur zwei Manager von „New Wave“, der größten Fabrik im Rana-Plaza-Komplex, festgenommen worden – wegen „fahrlässiger Tötung“ . Die anderen Manager versteckten sich, einschließlich Sohel Ranas, Eigentümer des Gebäudes und Leiter der lokalen Jubo-Liga (dem Jugendflügel der regierenden Awami-Liga).
Diese Fabriken belieferten Unternehmen wie Primark in Großbritannien oder Spaniens Mango. Davor waren Matalan und C&A ihre Auftraggeber.
Dies ist nicht die erste Katastrophe, welche die Textilindustrie in Bangladesch trifft. Vor nur fünf Monaten starben mehr als 100 TextilarbeiterInnen bei zwei Fabrikbränden in Dhaka. Das wurde damals als „der tödlichste Brand in Bangladeschs Geschichte“ beschrieben. Zeugen berichteten, dass viele ArbeiterInnen außerstande gewesen waren zu entkommen, weil die Ausgänge blockiert waren. Schon 2010 kamen bei einem Brand in einer Textilfabrik in Dhaka 124 ArbeiterInnen um, weil die Ausgänge abgeschlossen waren. Um angeblichen Diebstahl zu verhindern, wurden sie im Inferno gefangen gehalten zurückgelassen.
Mehr als 3,6 Millionen Menschen, 80% davon Frauen, arbeiten in der Textilindustrie in Bangladesch – für nur 38 Dollar pro Monat (1,27 Dollar pro Tag). Der Arbeitstag dauert oft bis zu 15 Stunden. Unter dem Arbeitsrecht des Landes haben sie kein Recht, eine Gewerkschaft zu bilden, um für sichere Arbeitsplätze, verbesserte Arbeitsbedingungen und besseren Lohn einzutreten. Viele sind sexueller Belästigung und physischer Gewalt ausgesetzt. Dies ist Sklavenarbeit.
Das rasend schnelle Wachstum der Textilindustrie in Bangladesch seit den 1990ern, deren Produkte nun 80 Prozent der aktuellen Exporte des Landes im Wert von 24 Milliarden Dollar pro Jahr ausmachen, ist auf der Überausbeutung dieser ArbeiterInnen aufgebaut. Bangladesch ist nach China der zweitgrößte Textilproduzent geworden, weil es internationalen Investoren und ihren lokalen Tochtergesellschaften und Lieferanten freie Hand gab. Zahlreiche Politiker und Militärs haben sich persönlich durch den Bau und den Besitz von Textilfabriken bereichert.
Sicherheitsbestimmungen sind praktisch nicht existent und auf Arbeitsrechte wird gepfiffen. Bangladeschs Arbeitsministerium beschäftigt nur 18 Inspektoren, um die Bedingungen in mehr als 4.000 Fabriken zu überwachen.
AktivistInnen der Arbeiterbewegung, die sich über armselige Sicherheitsstandards beklagt haben, sagen, dass sie routinemäßig belästigt und manchmal sogar gefoltert werden. Ein Organisator einer gewerkschaftlichen Organisierungskampagne, Aminul-Islam, wurde im April brutal ermordet. Die Sicherheitskräfte sollen an dem Verbrechen beteiligt gewesen sein.
TextilarbeiterInnen in Bangladesch zählen zu den am niedrigsten bezahlten in der Welt, doch wetteifern auch andere Länder wie Pakistan, Sri Lanka, Mexiko und Jordanien um diese Position. Die Folgen sind auffallend ähnlich: Am 11. September 2012 wurden z.B. 315 ArbeiterInnen bei Bränden in Textilfabriken in den pakistanischen Städten Karatschi und Lahore getötet und mehr als 250 schwer verletzt.
Die meisten Menschen verbinden Sweatshop-Arbeit mit Preisbrecherketten wie Walmart und Primark. Aber in Wirklichkeit ist praktisch fast globale Marke, einschließlich Nike, GAP, Benetton, Monsuns, Adidas, Esprits, Disneys und Hugo Boss darin verwickelt.
Es ist praktisch unmöglich, auch nur ein Unternehmen zu finden, das seine Produktion nicht in Sonderwirtschaftszonen, Freihandelszonen o.a. exportorientierte Regionen verlagert hat, um jedwede Arbeits- oder Umweltbeschränkungen zu umgehen. In diesen Zonen sind die ArbeiterInnen gerade so kurzlebig und wegwerfbar wie die Kleidung, die sie herstellen.
Wirtschafts- und Medienexperten haben versucht, die Forderung der VerbraucherInnen aus dem Westen nach immer niedrigeren Preisen für die Zunahme von Sweatshop-Fabriken verantwortlich zu machen. Natürlich sind während einer Wirtschaftskrise viele Arbeiterinnen dazu gezwungen, billigere Kleidung zu suchen, aber sie sind nicht für diesen globalen Trend verantwortlich.
Auch in den Aufschwungzeiten versuchen Firmen, Superprofite auf dem Rücken der überausgebeuteten Arbeiterinnen zu erzielen. Dies zeigt sich an der massiven Zunahme der Anzahl von Sweatshop-Fabriken in den 1990ern und 2000ern, als es vom der Welthandelsorganisation (WTO) leichter gemacht wurde, Märkte durch eine Anzahl von Freihandelsabkommen (FTA) zu erschließen. Aber in Rezessionszeiten wie jetzt tun große multinationale Gesellschaften alles, um ihre Lieferanten auszuquetschen – was wiederum noch niedrigere Löhne, längere Arbeitszeiten, schlechtere Bedingungen und Verbot von Gewerkschaften bedeutet.
Es ist aufschlussreich, dass Matalan in seiner Erklärung sagte, dass es „New Wave“ seit dem Februar nicht mehr brauche, als es aus kommerziellen Gründen das Produkt gewechselt hatte. Es tat dies mit anderen Worten nicht wegen der entsetzlichen Bedingungen bei „NewWave“, sondern weil es eine andere Fabrik gefunden hatte, wo Kleidung für noch weniger Geld produziert wurde.
Viele globale Marken versuchen, ihren Ruf zu schützen, indem sie die Schuld für diese Zustände auf die Subunternehmer und die Regierungen der Länder schieben, wo sie produzieren. Andere versuchen, ihre Marke durch das Sich-Verstecken hinter rechtlich unverbindlichen „Verhaltenskodizes“ reinzuwaschen. Die Verantwortung liegt aber eindeutig bei diesen Unternehmen. Sie sind es, die sowohl die Betriebsinhaber der Gegend ausquetschen, als auch die Arbeiterinnen durch die Forderung, die Preise zu senken.
Wir fordern unabhängige Arbeiter-Inspektionen von Arbeitsbedingungen und Gebäuden mit unmittelbaren Schließungen jener, die nicht den Bedingungen entsprechen und vollständigem Lohnausgleich für die Beschäftigten, bezahlt von den Unternehmen – den Multis wie den Subunternehmen!
Millionen von ArbeiterInnen, hauptsächlich Frauen, mühen sich in Zehntausenden von Sweatshops weltweit ab. Anti-Sweatshop-Organisationen schätzen, dass 85% der Sweatshop-Arbeiterinnen junge Frauen im Alter zwischen 15 und 25 sind.
Einige Kommentatoren sagen, dass die massive Expansion der Textilindustrie die Unabhängigkeit und den Status von Frauen gesteigert habe. Aber es hat auch ihre Ausbeutung bedeutend gesteigert.
Sweatshop-ArbeiterInnen arbeiten meist 60-80 Stunden pro Woche – ohne Überstundenzulage. Sie haben keine Leistungen wie eine Versicherung oder Lohnfortzahlung bei Krankheit, akzeptable Arbeitsbedingungen oder einen Mindestlohn, um die Kosten des Grundbedarfs wie Nahrung, Unterkunft und Gesundheitsversorgung zu decken. ArbeiterInnen werden belästigt, eingeschüchtert und dazu gebracht, in gefährlicher und ungesunder Umgebung zu arbeiten, sogar während sie krank sind. ArbeiterInnen benutzen toxische chemische Farben, Lösungsmittel und Klebstoffe mit ihren bloßen Händen.
Viele Frauen werden gezwungen, sich spritzen zu lassen, um Schwangerschaft zu verhüten, so dass die Unternehmen keinen Mutterschaftsurlaub bezahlen müssen. Wenn eine Frau schwanger wird oder sich weigert, sich erzwungener Empfängnisverhütung zu beugen, kann sie entlassen werden.
Frauen werden oft bevorzugt gegenüber Männern eingestellt, weil ihnen weniger bezahlt werden kann; sie werden als unterwürfiger und belastbarer betrachtet. Für viele ist es ihr erster Arbeitsplatz in einer Stadt, und ihr Hauptziel ist, so viel Geld wie möglich nach Hause an ihre Familien auf dem Land zu schicken.
Aber die reale Brutalität und Ungerechtigkeit spornt sie dazu an, sich zu wehren und zu revoltieren, und ihre große Zahl ermächtigt sie schließlich dazu, das zu tun. Ihre Lösung für diese schreienden Probleme ist der Kampf darum, ihre Arbeitsbedingungen massiv zu verbessern, um nicht nach Hause und ins Dorf zurückkehren zu müssen.
Viele im Westen und in den NGO’s befürworten Verbraucherboykotte von Firmen wie Primark, die Sweatshops benutzen. Sicher können Verbraucherkampagnen für eine kurze Periode berechtigt und ein Mittel sein, Forderungen zu unterstützen, damit diese Gesellschaften aus dem Westen sicherstellen, dass Grundarbeitsrechte und die Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen in den Fabriken, von denen sie kaufen, gewährleistet werden.
Bei „Wiederholungstätern“ sollten deren Marken von Streikposten von ihren auffälligen Megashops mit Flyern und graphischer Propaganda „kontaminiert“ werden, die Lohnniveau und Arbeitsbedingungen ihrer ArbeiterInnen aufdecken. Jedoch sollten wir nicht fordern, dass Unternehmen aufhören, von Betrieben in Bangladesch als eine Art „Bestrafung“ dieser großen Marken zu kaufen. Dies führt nur dazu, dass die ärmsten und unterprivilegiertesten ArbeiterInnen ihre Arbeitsplätze verlieren. Allzu leicht begünstigt eine solche Vorgehensweise, die Arbeitsbedingungen in den Metropolen schönzureden – so gibt es Sweatshops auch am Ostende von London. Falsch sind natürlich auch nationalistische Kampagnen wie „Kauft deutsche Produkte!“
Um ein Ende der Sweatshops voranzubringen, brauchen wir eine globale Kampagne. Wird das nur in einem Lande allein durchgeführt, werden die großen Gesellschaften lediglich Lieferanten mit noch niedrigerem Lohn und schlechteren Bedingungen suchen.
Wir müssen die Arbeiterinnen in allen Textilzentren verbinden, die Länder in Süd- und Südostasien und China mit den ArbeiterInnen in den Hauptmärkten für ihre Produkte. AktivistInnen, GewerkschafterInnen, SozialistInnen, FeministInnen und NGOs haben verschiedene Versuche dazu unternommen, dieses zu tun, und haben Chartas von Rechten entwickelt. Die Ereignisse in Bangladesch zeigen aber, dass wir unsere Anstrengungen verdoppeln müssen.
Die Gewerkschaften hierzulande und progressive NGO sollten eine Kampagne Hand in Hand mit Sweatshop-ArbeiterInnen und ihren Gewerkschaften in jedem Land machen, wo Sweatshops existieren, um die großen Ketten und Markenfirmen zu zwingen, Gesetze und Standards zu verlangen. Aber letztlich ist dies eine Klassen- und eine politische Frage.
ArbeiterInnen in Bangladesh u.a. Sweatshop-Ländern brauchen eine eigene politische Partei, die kämpfen kann, um die Straflosigkeit der Eigentümer und die Korruption zu beenden, die weit verbreitet ist, und die Sweatshop-Bosse mit den herrschenden politischen Parteien verbindet und auch oft Gewerkschaften korrumpiert.
Klassenunabhängigkeit und Entschlossenheit sind die Schlüssel, um kapitalistischen Parasiten sowohl die lokalen als auch die multinationalen, zu bekämpfen, die Überausbeutung zu beenden und eine massive Entschädigung für die Opfer ihrer Verbrechen zu erreichen.
Arbeiterinnen im Bekleidungs- und Textilsektor haben immer wieder eine entscheidende Rolle in revolutionären Bewegungen gespielt. So z.B. 1905 die Textilarbeiterinnen von Ivanovo in Russland, welche die ersten Sowjets bildeten. Auch in Ägypten gab es in den letzten Jahren mehrfach große militante Streiks der TextilarbeiterInnen. Deshalb sollten GewerkschafterInnen und SozialistInnen nichts nur alles tun, um den ArbeiterInnen von Bangladesch zu helfen – sie sollten auch deren Kämpfe studieren und von ihnen lernen.