Arbeiter:innenmacht

Nach dem Ibiza-Video: Krise der Regierung, Aufgaben der Linken in Österreich

Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1055, 23. Mai 2019

Mit der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ eine Woche vor der EU-Wahl ist Österreich in die möglicherweise tiefste Regierungskrise der Zweiten Republik gestürzt. Ein nachhaltiges Ende der ÖVP-FPÖ-Koalition bedeutet das aber noch nicht, vor allem weil eine durchdachte Strategie des linken Widerstands fehlt. RevolutionärInnen und Linke müssen es jetzt schaffen, den berechtigten Unmut über die Korruption von Strache und Gudenus mit einer Kritik am gesamten korrupten kapitalistischen System und mit einem Kampf gegen alle schwarz-blauen Verschlechterungen zu verbinden.

In erster Linie ist in diesem Skandal die Korruption der FPÖ offensichtlich geworden, ihre klare Parteinahme für die reichsten KapitalistInnen, von der die Linke seit Jahren schreibt und spricht. Aber auch der korrupte Charakter des ganzen politischen und wirtschaftlichen Systems ist hier aufgeblitzt. Steuersenkungen für Spendengelder, für mediale Unterstützung, arbeiterInnenfeindliche Reformen, Skandale um Bauaufträge, Inserataffären und so weiter – all das betrifft nicht nur die FPÖ, sondern alle bürgerlichen Parteien. Darin zeigt sich, dass nicht jede Stimme in der kapitalistischen Demokratie gleich viel wert ist. Diese Erkenntnis kann der Ansatzpunkt sein, um für eine sozialistische Alternative zu kämpfen. Bis dahin ist es aber ein weiter Weg, den die GegnerInnen der schwarz-blauen Machenschaften nur durch scharfe Analyse und klassenkämpferische Strategie finden können.

Das Video

Am Freitag, den 17.5. veröffentlichten Süddeutsche Zeitung und Spiegel Videoausschnitte, in denen der FPÖ-Parteiobmann und Vizekanzler Strache sowie der Klubobmann Gudenus gegenüber einer vermeintlichen russischen Investorin Einblicke in die korrupten Pläne und Spendenkonstruktionen ihrer Partei geben. Konkret steht der Vorschlag im Raum, die Frau solle die größte Tageszeitung Österreichs, die Kronen-Zeitung, übernehmen, unangenehme JournalistInnen entlassen und Wahlkampfhilfe für die FPÖ leisten. Außerdem solle sie über Tarnvereine Geld an die Partei spenden, wie das angeblich auch einige österreichische KapitalistInnen tun würden. Strache spricht von Beträgen in der Höhe von 500.000 bis 2 Millionen Euro. Im Gegenzug würde die angebliche Nichte eines Oligarchen lukrative Staatsaufträge im Straßenbau erhalten, die im Moment an die STRABAG (an der ein Unterstützer der liberalen NEOS, Hans Peter Haselsteiner beteiligt ist) gehen. Auch eine Privatisierung der österreichischen Wasserversorgung, gegen die sich die FPÖ offiziell ausspricht, wird angeboten.

Zusammengefasst lassen Strache und Gudenus in dem Ausschnitt die Maske der „sozialen Heimatpartei“ fallen und sprechen Klartext über ihr wirtschaftsfreundliches und klientelpolitisches Programm.

Eine vorsichtige Bilanz

Eine tatsächliche Bilanz der Ereignisse ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wo sich Enthüllungen und parlamentarische Manöver halbtäglich ändern, nur begrenzt sinnvoll. Einige Aspekte der letzten Tage sind aber von entscheidender Bedeutung.

Am offensichtlichsten ist das politische Problem für die FPÖ, deren Führungsspitze zeigt, wie sie Politik für KapitalistInnen auf Kosten der lohnabhängigen Bevölkerung macht. Dazu kommen abstoßende Details wie die geplante Gleichschaltung der Medienlandschaft und die staatliche Auftragsvergabe an politische UnterstützerInnen.

Schwerwiegend ist sicher, dass Strache ausplaudert, welche KapitalistInnen den rechten Umbau der Republik zahlungskräftig unterstützt haben. Mit Heidi Goess-Horten, René Benko und dem Glücksspielkonzern Novomatic nennt er hier SpenderInnen, die eher als ÖVP-nahe gelten. Diese Indiskretion wird ihn als Person für wichtige Teile der herrschenden Klasse untragbar machen (zumindest für einige Zeit).

Die Reaktion von Kurz ließ auf sich warten, wohl weil er die Koalition gerne fortgeführt hätte. Schließlich kündigten sich Kurz und Kickl die Koalition gegenseitig und schrittweise auf. Der Bundeskanzler forderte den Abzug des FPÖ-Ministers Herbert Kickl vom Innenministerium, worauf die FPÖ mit ihrem geschlossen Rückzug aus der Koalition antwortete. Die ÖVP versucht jetzt, in die Wahlkampfoffensive zu gehen, und hebt das „gelungene Projekt“ Schwarz-Blau hervor. Eine Neuauflage der Koalition, die die restlichen geplanten Reformen (Steuersenkungen für Reiche, Zerschlagung des Sozialversicherungssystems, Angriffe auf die ArbeiterInnenkammer) zu Ende führt, ist also alles andere als ausgeschlossen.

Mit dieser Inszenierung versucht Kurz, von den Parallelen des Ibiza-Videos zu seiner eigenen Politik abzulenken. Bisher hat sich ein ÖVP-Unterstützer (René Benko) und keine FPÖ-nahe Oligarchin bei der Kronenzeitung eingekauft. Großspenden aus Industrie, Hotellerie und Baubranche gingen an die Volkspartei, und die politischen Gefälligkeiten (60-Stunden-Woche, 12-Stunden-Tag, niedrigere Strafen für Sozialdumping) wurden von Kurz als seine Errungenschaften verkauft.

Weder die NEOS, die bei diesen politischen Verbrechen ohne Not mit der Regierung mitgestimmt hat, noch die SPÖ scheinen dem Gedanken abgeneigt, die Steigbügelhalterin für die nächste Regierung zu spielen. Beide Parteien rufen zur Stabilität (also der Stabilisierung von Kurz) auf, während sie sich gleichzeitig einen Misstrauensantrag offen halten. Dieser würde zum Abtritt des Bundeskanzlers und zu einer Regierungsneubildung führen.

Die zögerliche Haltung der SPÖ zeigt ihr politisches KompromisslerInnentum. Statt sich der politischen Auseinandersetzung mit der ÖVP-Regierung zu stellen, wird die Debatte künstlich entpolitisiert. Statt die brutale Durchsetzung österreichischer Kapitalinteressen gegen die ArbeiterInnen und gegen Geflüchtete anzugreifen, stellt die SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner eine technokratische „ExpertInnenregierung“ in Aussicht. Gleichzeitig weigert sich die SPÖ-Spitze, sich offen für einen Misstrauensantrag gegen Kurz auszusprechen. Damit will sie sich „staatstragend“ die Option offen halten, nach den Wahlen als Juniorpartnerin in eine Koalition mit der ÖVP zu gehen!

Jede Duldung einer ÖVP-Regierung und insbesondere die undemokratische Scharade einer technokratischen ExpertInnenregierung muss klar zurückgewiesen werden. Die SPÖ muss den schwarz-blauen Kanzler mit einem Misstrauensvotum zu Fall bringen!

Perspektive Neuwahlen

Für die Euphorie nach dem Rückzug Straches bleibt kein nachhaltiger Anlass. Die rechte Mehrheit in Österreich ist nicht gebrochen, vor allem ein Absturz der ÖVP noch lange nicht erreicht, und willige SteigbügelhalterInnen für eine Kanzlerschaft von Kurz finden sich anscheinend in drei Parteien (FPÖ, SPÖ und NEOS). Eine große Koalition wird die bestehenden Verschlechterungen nicht zurücknehmen, sondern unter dem Vorwand der Abschwächung der schlimmsten Maßnahmen sogar vertiefen.

Die politische Krise ist auch eine der bestehenden parlamentarischen Kräfteverhältnisse. Zu den strategischen Aufgaben gehört es jetzt auch, die richtige Antwort in Bezug auf die Neuwahlen zu geben. Denn diese werden von vielen WählerInnen als zentral für die Lösung des gegenwärtigen Chaos angesehen. Eine erfolgreiche Kandidatur links der SPÖ ist hier unwahrscheinlich. Entsprechende Kräfte sind wenig verankert und könnten allerhöchstens mit schwammigen links-sozialdemokratischen Konzepten (siehe KPÖ PLUS) einen PR-Erfolg im Wahlkampf erzielen.

Unabhängig davon besteht die zentrale Aufgabe der Kräfte links der SPÖ darin, die Spaltung in der Sozialdemokratie zwischen der kuschenden Führung und den zunehmend unzufriedenen Basismitgliedern voranzutreiben. Konkrete klassenkämpferische Forderungen in den Wahlkampf der Sozialdemokratie zu tragen und den Konflikt dort zuzuspitzen, woran sich noch immer die meisten fortschrittlichen österreichischen ArbeiterInnen orientieren, wird entscheidend für den Weg zu einer revolutionären Verankerung sein.

Aufgaben der außerparlamentarischen Opposition

Die Regierungskrise ist weder vom linken Widerstand auf der Straße noch von parlamentarischer Opposition oder parteipolitischer Aufdeckungsarbeit herbeigeführt worden. Das ist aus zwei Gründen wichtig für die aktuelle Situation. Erstens ist nicht gegeben, dass der berechtigte Unmut in Unterstützung für die Oppositionsparteien oder Ablehnung der schwarz-blauen Politik umschlägt. Zweitens hat sich auch nicht die Stärke der Linken über Nacht verbessert. Die gegenwärtige Krise in eine Offensive gegen die politischen Verschlechterungen der letzten Jahre zu verwandeln, wird sehr schwierig, aber möglich sein.

Ein zentrales Problem hier ist der Wahlkampfmodus, in dem die SPÖ angesichts der EU-Parlamentswahlen bereits steckt. Selbst angesichts himmelschreiender Widersprüche wirkt der Ruf nach Einigkeit im Wahlkampf traditionell als verlässliches Beruhigungsmittel auf linke und widerständige Teile der SPÖ. Eine politische Wende kann nur gelingen, wenn sich eine starke Bewegung „Klassenkampf statt SozialpartnerInnenschaft“ auf die Fahnen schreibt. Gleichzeitig müssen AntikapitalistInnen und außerparlamentarische Linke es schaffen, ein Bündnis mit den fortschrittlichen und kämpferischen Teilen in Sozialdemokratie und Gewerkschaften auf die Beine zu stellen. Einen zahnlosen Wahlkampf und die Rolle als Erfüllungsgehilfin wollen sich auch viele rote AktivistInnen nicht antun lassen.

Das gemeinsame Anpacken von DonnerstagsdemonstrantInnen von SozialdemokratInnen und außerparlamentarischen Linken bei der Kundgebung am Ballhausplatz ist ein positiver Ansatz in diese Richtung.

Klassenkämpferische Strategie

Wir schlagen daher allen AktivistInnen, die gegen schwarz-blau und große Koalition von links ankämpfen wollen, vor, eine Einheitsfront um die folgenden Forderungen zu bilden, die insbesondere an die Sozialdemokratie gerichtet werden müssen:

  • Offenlegung aller politischen Spenden, um das Ausmaß der Klientelpolitik in der kapitalistischen Politik zu untersuchen. Ebenso Offenlegung der Geschäftsbücher der Konzerne und Banken für VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung.
  • Rücknahme aller schwarz-blauen unsozialen und rassistischen Verschlechterungen – 12-Stunden-Tag, Sozialhilfe, Zerschlagung der Kassen, Abschieberegime, etc. – gestützt auf Mobilisierungen auf der Straße und gewerkschaftlichen Kampf, bis hin zum Generalstreik. Statt Steuergeschenke für die Reichen, Vermögenssteuern und Enteignung zur Finanzierung einer „sozialstaatlichen“ Offensive.
  • Nieder mit der ÖVP-geführten Übergangsregierung! Die SPÖ darf die schwarz-blaue Politik nicht weiter tolerieren. Kritische Unterstützung für eine sozialdemokratische Minderheitsregierung, die sich die Rücknahme der arbeiterInnenfeindlichen und rassistischen Gesetze zur Aufgabe macht und der ArbeiterInnenbewegung die Untersuchung der korrupten Machenschaften ermöglicht.
  • Schluss mit der sozialpartnerschaftlichen Anbiederung, nein zu jeglicher Regierung der Sozialdemokratie gemeinsam mit FPÖ oder ÖVP! Eine Neuauflage von Schwarz-Blau muss durch eine klassenkämpferische Opposition beantwortet werden.
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