Marc Lassalle, Infomail 1207, 19. Dezember 2022ranke
Der lange Todeskampf der französischen Nouveau Parti Anticapitaliste (Neue antikapitalistische Partei NPA) hat sein Endstadium erreicht, nachdem die ehemalige Führung den jüngsten Parteitag verlassen hat. Diejenigen, die übrig geblieben sind, müssen die Bilanz des Experiments der pluralen Partei ziehen.
Was auf der fünften nationalen Konferenz der Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA), die am 11. Dezember in Paris stattfand, geschah, mag für diejenigen, die die französische extreme Linke nicht so genau verfolgen, ein Schock sein. Für ihre Aktivist:innen ist die Spaltung in zwei Gruppen, die jeweils für sich in Anspruch nehmen, die Fortführung der NPA zu verkörpern, jedoch keine Überraschung.
Die NPA wurde 2009 mit einem Aufruf an die radikale Linke gegründet, sich der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR; französische Sektion der Vierten Internationale) anzuschließen und eine neue revolutionäre Organisation zu bilden.
Unter Führung von Olivier Besancenot, einem jungen Postangestellten, der als Kandidat der LCR bei den Präsidentschaftswahlen 2007 1,5 Millionen Stimmen erhalten hatte, zog die NPA schnell fast 10.000 Mitglieder an. Auf ihrem Gründungskongress verpflichtete sie sich zur Ausarbeitung eines neuen Parteiprogramms. Doch abgesehen von einigen politischen Kommissionen kam dies nie zustande. Stattdessen setzte sich die alte LCR-Gewohnheit der Spaltung in sich ständig bekriegende Fraktionen wieder durch und wurde endemisch.
In der Zwischenzeit wurde die Hoffnung der NPA, viele von der rechten sozialistischen Regierung von François Hollande entfremdete Linke zu gewinnen, durch die Intervention des ehemaligen Abgeordneten der Sozialistischen Partei, Jean-Luc Mélenchon, zunichtegemacht. Der ehemalige SP-Politiker gründete 2009 die Parti de Gauche (Linkspartei), die nach verschiedenen Umwandlungen den Kern von La France Insoumise (FI; Unbeugsames Frankreich) und NUPES (Neue Ökologische und Soziale Volksunion) bildete. Da die Aussichten auf einen Durchbruch bei den Wahlen durch das Aufkommen einer linkspopulistischen Partei durchkreuzt wurden, verbrachte die NPA den größten Teil eines Jahrzehnts in einem langen Todeskampf, der von Spaltungen zur linken und rechten Seite geprägt war.
Angesichts dieser endgültigen Krise kämpften auf der Konferenz 2022 zwei Hauptströmungen um die Kontrolle über die zukünftige Ausrichtung der Organisation.
Die Plattform B (mit 48,5 % der Delegierten) wird von Besancenot und Philippe Poutou angeführt. Diese Strömung hat die NPA seit ihrer Gründung geleitet und stellt die Kontinuität mit der LCR und der Vierten Internationale (USFI) dar. Heute schlägt sie eine große Wende für die NPA vor: von einer unabhängigen Organisation, die sich dem Aufbau einer antikapitalistischen Partei verschrieben hat, die die reformistischen Parteien herausfordert, hin zu einer „einheitlichen“ Ausrichtung auf die FI und das breitere linkspopulistische Wahlbündnis NUPES, das heute die Reste der Sozialistischen Partei, die Grünen, die Kommunistische Partei Frankreichs und andere kleinere Fische umfasst. Da es nicht gelungen ist, deren politischen Platz einzunehmen, besteht die Schlussfolgerung darin, sich ihnen anzuschließen.
Diese Wende ist nicht neu: Bei den Kommunalwahlen in Bordeaux 2021 warb Poutou (Besancenots Nachfolger als Präsidentschaftskandidat) für ein Bündnis mit der FI. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2022 unterstützte die NPA zum ersten Mal die Kandidat:innen der NUPES in den meisten Teilen des Landes.
Die Plattform B begründete die Wende auf der Grundlage einer Analyse des Kräfteverhältnisses auf nationaler und internationaler Ebene mit dem Argument, dass „die Arbeiter:innenklasse heute aus dem Gleichgewicht geraten ist, das Proletariat sich inmitten einer gesellschaftlichen Umstrukturierung befindet“ und „das Kräfteverhältnis ungünstig ist, da die herrschende Klasse in der Offensive ist“, weshalb „wir unsere einheitliche Ausrichtung behaupten und weiterverfolgen müssen. Wo immer es dynamische, kämpferische und offene Strukturen gibt, schließen wir uns ihnen an, um unsere Politik des einheitlichen Kampfes zu führen und zur Belebung unserer revolutionären Perspektiven beizutragen“.
Obwohl betont wird, dass dies nicht bedeutet, dass man sich der LFI tatsächlich anschließt, impliziert es doch eine strategische Ausrichtung auf die FI und den Block der sie umgebenden reformistischen Parteien, auch durch politische Allianzen. In der Tat war die Führung der NPA kurz davor, eine Vereinbarung mit der FI zu treffen, um der NUPES beizutreten und bei den letzten Parlamentswahlen Kandidat:innen der NPA unter deren Banner aufzustellen. Sie ist stolz darauf, dass der Slogan „Mélenchon auf den Stimmzetteln, Poutou auf der Straße“ sehr populär ist, was der NPA angeblich eine wichtigere Rolle als das reine Wahlergebnis verleiht.
Die Plattform C (mit 45 % der Delegierten) ist selbst ein Bündnis aus drei heterogenen Gruppen: L’Étincelle (Funke), eine ehemalige Tendenz der Lutte Ouvrière (LO; Arbeiter:innenkampf), ist die führende Kraft. Die nächstgrößere Gruppe ist Anticapitalisme & Révolution, eine Tendenz, die mit der linken Opposition in dem Vereinigten Sekretariat der IV. Internationale verbunden ist. Schließlich gibt es noch die Democratie Révolutionnaire, die ihre Wurzeln in der Voix des Travailleurs (Arbeiter:innenstimme) hat, die aus der LO hervorging, bevor sie 1997 der LCR beitrat.
Die Plattform C behauptet, eine Mehrheit innerhalb der NPA zu vertreten, die in großen Städten wie Paris, Lyon, Marseille, Lille und Rouen und vor allem in der Jugendorganisation stark ist. Sie lehnt jedes politische Bündnis mit FI und NUPES ab und fordert eine offen revolutionäre NPA. Sie befürwortet „die Aktualität und Dringlichkeit der Revolution“, die durch eine starke Intervention in der Arbeiter:innenklasse vorbereitet werden soll: Sie organisiert tatsächlich kämpferische Arbeiter:innen in wichtigen Sektoren wie Transport, Automobil und Krankenhäusern.
Seit 2020 warnte die Besancenot-Poutou-Führung, dass eine Spaltung unvermeidlich sei, und schlug sogar eine „einvernehmliche“ Trennung als einzigen Ausweg vor. Der Austritt einer anderen Oppositionsfraktion, der CCR (Revolutionäre Kommunistische Strömung; die international mit der Trotzkistischen Fraktion verbunden ist), im Jahr 2021 stoppte diese Entwicklung für einen Moment, da die verschiedenen Strömungen der NPA in der Kampagne von Philippe Poutou für die Präsidentschaftswahlen 2022 eine vorübergehende Einheit fanden.
Die zugrundeliegenden Differenzen wurden jedoch nicht ausgeräumt. Das Funktionieren der NPA als Partei wird von ihren einzelnen politischen Gruppierungen mit ihren eigenen Zeitungen, Webseiten usw. völlig überschattet. Seit mehr als einem Jahrzehnt werden die meisten NPA-Lokalgruppen von der einen oder anderen Tendenz dominiert. Die verschiedenen Gruppen halten getrennte Regionalversammlungen ab, führen getrennte Bildungsprogramme durch und zahlen getrennte Mitgliedsbeiträge. In einigen Betrieben gibt es sogar rivalisierende NPA-Bulletins. Während des jüngsten Eisenbahner:innenstreiks gab es sogar getrennte NPA-Basisausschüsse. Eine solche Verhöhnung der Parteieinheit muss ernsthaften Arbeiter:innenmilitanten und jungen Aktivist:innen skandalös erscheinen.
Trotz dieser gravierenden Probleme ist die von Plattform B vorgeschlagene „einvernehmliche Trennung“ eine absolute Travestie, ein zynisches bürokratisches Manöver, um die Opposition loszuwerden und die Kontrolle über den Apparat zu behalten. Warum also jetzt? Ganz einfach, weil sie denkt, dass es einen größeren Fisch zu fangen gibt!
Der Aufstieg von LFI/NUPES scheint eine neue Perspektive zu eröffnen – nämlich die Möglichkeit, über ihre Listen Sitze im Parlament und in regionalen und kommunalen Versammlungen zu erhalten. Präsident Emmanuel Macron verfügt nur über eine relative Mehrheit im Parlament, was die Regierung zwingt, mühsam entweder die Unterstützung der PS oder von Les Républicains (den rechten Gaullist:innen) zu suchen. Eine vorzeitige Auflösung des Parlaments und Neuwahlen bilden eine mögliche Lösung für Macron, in der Hoffnung, eine klare Mehrheit zu erhalten. Diese zu erwartende Entwicklung stellt für die Plattform B eine verlockende Möglichkeit dar, da sie davon träumt, „mit der FI zusammenzuarbeiten“, wie Poutou es kürzlich in einem Interview unverblümt ausdrückte.
Dies ist jedoch nicht der einzige Grund. Eine Reihe von Abspaltungen nach rechts seit der Gründung der NPA hat die Strömung geschwächt, die heute von der Plattform B repräsentiert wird. Alle diese Abspaltungen, einschließlich führender Kader und wichtiger Teile des Apparats, wurden schnell von Mélenchons sich ständig verändernden Bewegungen und ihrer „Dynamik“ angezogen. Doch alle diese Gruppierungen wurden nach ihrem Austritt aus der NPA schnell politisch irrelevant. Die Folge war, dass die Plattform B nach und nach ihre Mehrheit und die Kontrolle über die NPA verlor, und diese Tendenz hat sich beschleunigt, wie das Wachstum der Jugendsektion zeigt, die mindestens ein Viertel der Mitglieder ausmacht und zu keinem Zeitpunkt unter der Kontrolle der Führungstendenz stand.
Auf der nationalen Konferenz wurde eine von der Plattform C eingebrachte Resolution, die die Weiterführung der NPA forderte, wahrscheinlich von einer Mehrheit der Delegierten angenommen. In der Tat waren selbst langjährige Anhänger:innen der Plattform B schockiert von der Idee, eine Organisation, die sie seit mehr als einem Jahrzehnt loyal und geduldig aufgebaut haben, tatsächlich zu verlassen und aufzulösen. Einige von ihnen zögerten oder gingen vor der Konferenz zur Plattform C über, und dieser Trend hätte sich während der Debatten auf der Konferenz fortsetzen können. Daher beschloss die Plattform B, die Konferenz zu verlassen, bevor eine Abstimmung stattfand. Damit verletzte sie ihre Verpflichtung gegenüber denjenigen, die für sie gestimmt haben, sich an der Konferenz zu beteiligen und für ihre Politik zu kämpfen. Sie trägt auch eine schwere Verantwortung für die extreme Schwächung der NPA, die sich trotz ihrer Fehler und Schwächen gegen die rassistische extreme Rechte und den französischen Imperialismus gestellt, die Arbeiter:innenkämpfe und Selbstorganisation aufgebaut und sich für Elemente einer revolutionären Perspektive eingesetzt hat.
Die Behauptung, dass die Plattform B durch ihren Austritt die „wahre“ NPA sei, ist ein Witz. Ehrliche NPA-Aktivist:innen, selbst für diejenigen, die sie früher unterstützt haben, erinnert er an die niederträchtigen Manöver der zynischsten stalinistischen Gewerkschaftsbürokrat:innen. Erst spaltet man sich ab, dann gründet man eine „zweite“ Gewerkschaft, und schließlich denunziert man die anderen als illegitim, weil sie einem nicht folgen. Wir verurteilen diese Art von Manövern aufs Schärfste, die nur dazu dienen, Revolutionär:innen zu diskreditieren und ihre Stimme zu schwächen.
Die Tatsache, dass die NPA all diese Tendenzen von Anfang an enthielt und Plattform B lange Zeit die Idee ständiger Fraktionen lobte, zeigt, dass sie die Aussicht, ihre Mehrheit und die Kontrolle über den Parteiapparat und die Ressourcen zu verlieren, wirklich „unerträglich“ fand.
Dieser entsetzliche Schlamassel ist jedoch nicht einfach das Ergebnis der mangelnden politischen Integrität der einen oder anderen Strömung. Er ist vielmehr die faule Frucht der zentristischen Tradition der LCR und des Vereinigten Sekretariats der IV. Internationale und ihrer Verachtung und ihres Missverständnisses des demokratischen Zentralismus. Die NPA wurde auf der Grundlage einer schwachen Grundsatzerklärung gegründet, mit dem Versprechen, eine ernsthafte programmatische Diskussion anzustoßen. Diese Diskussion fand jedoch nie statt, und die mehr oder weniger getrennte Existenz verschiedener Fraktionen innerhalb der NPA wurde auf der Grundlage „diplomatischer Vereinbarungen“ akzeptiert. Es war ein auf Sand gebautes Haus, das den Stürmen und Erschütterungen des politischen Alltags nicht standhalten konnte, geschweige denn dem sich verschärfenden Klassenkampf.
Das bedeutet, dass das Potenzial der NPA, das der extremen Linken, wenn auch nur zaghaft, die Aussicht bot, das Stadium einer kleinen Propagandagruppe zu überwinden, verschleudert wurde. In der Tat war es der Klassenkampf – die Frage des antimuslimischen Rassismus, die Frage der Taktik in den Gewerkschaften und die Herausforderung einer wieder auftauchenden reformistischen Linkspartei –, der die Notwendigkeit einer programmatischen, d. h. strategischen und taktischen Vereinheitlichung mit sich brachte.
Diese Notwendigkeit wurde verpasst, weil die LCR, wie auch LO, das Programm nie als eine Frage der kreativen Anwendung revolutionärer Prinzipien auf neue Perioden und Aufgaben des Klassenkampfes betrachtete. Die wiederholten Krisen seit 2009 haben dafür viele Gelegenheiten geboten. Ebenso hat sich die NPA nie wirklich als revolutionäre Strategin für den Klassenkampf verstanden, die auch kritisch die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens mit Reformist:innen und allen Arten von fortschrittlichen Bewegungen sieht.
Kurz gesagt, die NPA hat es nicht geschafft, ein lebendiges Programm zu entwickeln oder auch nur die Debatte darüber zu organisieren, wozu sie sich verpflichtet hatte. Infolgedessen blieb sie einerseits von Wahlen besessen, andererseits blieb sie den linken Kräften in den Gewerkschaften auf den Fersen, wenn es um Bewegungen gegen die verschiedenen neoliberalen Reformen ging. Und je mehr sie sich der Aufgabe der politischen Klärung und Homogenisierung entzog, desto mehr kristallisierte sie sich in einander feindlich gesinnten Fraktionen und Plattformen heraus.
Die derzeitige Krise ist das Ergebnis dieses Versagens. Hinzu kommt, dass sich die politische Situation seit der Gründung der NPA dramatisch verändert hat. Der Populist Mélenchon ist ein ernsthafter Anwärter auf die Führung der Arbeiter:innenbewegung; reaktionäre und rassistische Ideen und Parteien sind mit der Rassemblement National (Nationale Sammlung) auf dem Vormarsch. Es liegt auf der Hand, dass eine starke und kohärente Partei benötigt wird, um sowohl die Rechte als auch den Neoreformismus zu bekämpfen.
In dieser Hinsicht wird die Spaltung an sich nichts klären. L’Etincelle, A&R und DR trennen durchaus grundlegende politische Differenzen und sie haben unterschiedliche Organisationen mit unterschiedlichen Methoden aufgebaut. Wir können ihr Bestreben, die NPA fortzuführen, unterstützen und werden uns daran beteiligen, auch wenn wir ernsthafte programmatische und politische Differenzen mit ihnen haben. Aber sie müssen zu den Versprechen von 2009 zurückkehren und sich um programmatische Einheit und ein Ende der ständigen Fraktionen bemühen. Das Recht, Fraktionen und Strömungen zu bilden, ist natürlich ein wesentlicher Bestandteil des demokratischen – im Gegensatz zum bürokratischen – Zentralismus. Aber Zentralismus bedeutet, dass man sich auf eine Strategie und Taktik für die bevorstehenden Klassenkämpfe einigt und sich die Ortsverbände und Fraktionen in den Gewerkschaften zusammenschließen, um gemeinsam dafür zu kämpfen. Ohne dies wird die Einheit nur eine Fassade sein, die auseinanderbricht, sobald sie vor einer ernsthaften Herausforderung steht.
Eine glaubwürdige Neugründung der NPA muss notwendigerweise mit einer gründlichen Bilanz des Klassenkampfes in Frankreich und der Entwicklung einer neuen Periode der zwischenimperialistischen Rivalität auf internationaler Ebene beginnen, wobei die Schlussfolgerungen in einem Aktionsprogramm der Arbeiter:innenklasse für die kommende Periode zusammengefasst werden.
Dies sind dringende Aufgaben, denen man nicht ausweichen oder sie einfach aufschieben kann. Die Arbeiter:innenklasse und die Jugend Frankreichs haben ihre Kampfbereitschaft gegen die neoliberalen Angriffe unter Beweis gestellt. Sie brauchen die Militanten der NPA, damit sie eine kohärente Kampfpartei wird, nicht ein loses Bündnis konkurrierender Fraktionen. Die Liga für die Fünfte Internationale ist gerne bereit, sich an dieser Diskussion zu beteiligen und sich in den kommenden Jahren aktiv mit den Kämpfen der französischen Arbeiter:innen zu solidarisieren.
One thought on “Frankreich: Wird sich die wirkliche NPA durchsetzen?”