Arbeiter:innenmacht

Die UN: Organisation des Weltfriedens oder des Imperialismus?

Neptuul, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

Jonathan Frühling, Infomail 1207, 20. Dezember 2022

Seit Jahr und Tag – und auch angesichts des Krieges um die Ukraine – beschwören Teile der Linken und vor allem die Friedensbewegung gern eine mehr oder weniger reformierte UN als Alternative zur aggressiven NATO. Wir wollen daher deren Geschichte und Wirken betrachten – und dabei den illusionären Charakter der Hoffnungen in diese Institution darlegen.

Am 25. April 1945 gründete sich die Organisation „United Nations“, Vereinte Nationen oder kurz UN und verabschiedete 1948 die Allgemeine Charta der Menschenrechte. Frieden, Sicherheit, ein Stopp des Klimawandels und der Schutz von Menschenrechten stehen seither auf der Fahne der UN, die mit 193 Mitgliedsstaaten fast alle Länder der Erde umfasst.

Der folgende Text nimmt exemplarisch die Organe, Hilfsprogramme und Militäreinsätze unter die Lupe, um zu bewerten, wie groß der Einfluss der UN ist und welchen Sinn ihre Arbeit für die beteiligten Staaten hat.

Der Sicherheitsrat

Das wichtigste Organ der UN ist der Sicherheitsrat. Er besteht aus 15 Staaten, von denen 10 zweijährlich von der UN-Generalversammlung aller Staaten gewählt werden. Die Staaten Frankreich, China, Russland, England und die USA (darunter alle Siegermächte des Zweiten Weltkriegs) haben jedoch darauf bestanden, ständig im Sicherheitsrat vertreten zu sein und ein Veto gegen jegliche Beschlüsse einlegen zu können. Damit wird die ganze Institution völlig undemokratisch und von den Entscheidungen der wichtigsten imperialistischen Mächte abhängig.

Der UN-Sicherheitsrat autorisiert u. a. kriegerische Handlungen der Staaten untereinander und verleiht ihnen somit Legitimität vor der Weltöffentlichkeit. Allerdings werden Militärinterventionen, wenn nötig, auch ohne Erlaubnis des Sicherheitsrates ausgeführt, wie z. B. der Irakkrieg 2003 oder der Libyenkrieg 2011 beweisen. Der Angriffskrieg gegen Afghanistan ab 2001 zum Sturz der Taliban und zur Sicherung der Interessen der Nato in Zentralasien hatte kein sogenanntes UN-Mandat. Allerdings wurde die Besatzungsmission ISAF von der UN legitimiert. Dies hat es der NATO möglich gemacht, ihren Krieg als einen Kampf für die Menschenrechte darzustellen. In dem Krieg wurden bis 2019 durchschnittlich über 2.250 Zivilist:innen getötet.

Die UN organisiert auch selbst sogenannte friedenssichernde Militäreinsätze (2021: 13 Missionen), in denen 2021 81.033 Personen (die meisten davon Soldat:innen) aktiv waren. 121 Länder beteiligten sich mit ihren Truppen freiwillig an den Einsätzen. Das Budget betrug für das Jahr 2020 – 2021 6,58 Mrd. US-Dollar. Tatsächlich spielen die UN-Truppen teilweise eine wichtige Rolle, um Staaten zu stabilisieren. Man sollte allerdings vorsichtig sein, dies als einen Dienst der beteiligten Staaten für die Weltbevölkerung zu sehen. Zwar bekennen sich alle ganz allgemein zum „Frieden“, allerdings meinen sie damit einen, in dem sie die betreffende Region in Ruhe ausbeuten können. Bekanntlich verklärt ja auch selbst der russische Imperialismus die Invasion der Ukraine zur „Friedensmaßnahme“. Für den jeweils eigenen „Frieden“ sind Staaten notfalls auch bereit, Krieg zu führen.

Dass sich die UN nach einem Waffengang an der Stabilisierung des Trümmerhaufens beteiligt, kann für die kriegführenden Staaten sogar durchaus komfortabel sein. Auch die UN-Friedensmissionen sind also von den Interessen der kapitalistischen Staaten bestimmt und müssen daher grundsätzlich abgelehnt werden.

Oftmals haben die UN-Einsätze auch völlig dabei versagt, Völkermorde zu verhindern, wie z. B. im Bosnienkrieg 1995 oder in Ruanda 1994. Gerade in Ruanda war ein halbherziger Einsatz Grund für das Massaker. Viele der stationierten Truppen wurden bei Ausbruch des Krieges sogar abgezogen, womit den Täter:innen faktisch ein Freibrief für den Völkermord ausgestellt wurde. Es hatte schlichtweg kein Land ein Interesse daran, Geld und Soldat:innen aufs Spiel zu setzen, um das Leben der knapp 1 Million Opfer zu retten. Der Begriff Völkermord wurde sogar bewusst vermieden, weil dann ein Einsatz gemäß Charta der UN zwingend notwendig gewesen wäre. Das beweist, wie beliebig die Staaten mit den Vorgaben der UN umgehen.

Der UN-Sicherheitsrat kann zudem Sanktionen gegen Staaten verhängen. Allerdings sind auch diese Mittel, Druck auf Staaten auszuüben, durch die Blockaden der Vetomächte sehr begrenzt. Gerade in Zeiten verstärkter Blockbildung verliert der Sicherheitsrat an Handlungsspielraum, da auch regionale Konflikte immer mehr im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen den imperialistischen Vetomächten ausbrechen. Zudem bestrafen Sanktionen die Gesamtbevölkerung und sind deshalb kein Mittel, das von Revolutionär:innen unterstützt werden sollte.

Der internationale Gerichtshof

All das ist kein Wunder. Die UN steht schließlich nicht über der imperialistischen Ordnung, sondern spiegelt das Kräfteverhältnis der Nachkriegsordnung wider. Ihre Macht endet daher genau dort, wo die Interessen der Großmächte betroffen sind. Das zeigt sich auch bei den verschiedenen, der UN angelagerten Institutionen

Vor dem internationalen Gerichtshof können sich Staaten gegenseitig verklagen. Allerdings haben nur 74 eine Unterwerfungserklärung unterzeichnet (darunter keine der Vetomächte außer England), weshalb Klagen meist folgenlos bleiben, wie z. B. im Inselstreit zwischen China und den Philippinen.

Das UN-Welternährungsprogramm

Von Befürworter:innen der UN werden immer wieder die Welternährungsprogramme ins Feld geführt, um sie zu verteidigen. Das Budget betrug 2019 8 Mrd. US-Dollar, wovon allein 2,5 Mrd. aus den USA kamen. Das Geld reichte aus, um 97 Millionen Menschen in 88 Ländern Hilfe zu leisten, ohne die zweifellos viele von ihnen schwere Schäden bis zum Tod erlitten hätten. Das Budget klingt zunächst hoch, wird aber im Vergleich mit den Militärausgaben z. B. der USA von 732 Mrd. US-Dollar im Jahr 2019 zur Lachnummer. Allein die neue US-Flugzeugträgerklasse Gerald R. Ford kostet ca. 12 – 13 Mrd. US-Dollar pro Stück! Das vermittelt uns eine Idee davon, wie wenig Geld für die Bekämpfung des Welthungers eigentlich notwendig wäre und wie verhältnismäßig wenig die Staaten darin investieren. Übrigens haben trotz der UN-Welternährungsprogramme – 2020 rund 690 Millionen – Menschen nicht genug zu essen.

Welche Interessen die Mitgliedsstaaten der UN wirklich verfolgen, wird z. B. im Jemenkrieg deutlich. Die G20 haben seit 2015 Waffen und Munition im Wert von 17 Mrd. US-Dollar an Saudi-Arabien verkauft und den Krieg so überhaupt erst möglich gemacht. Die USA beteiligt sich zudem auch an der Seeblockade des Jemen, welche der Hauptgrund für die Hungersnot ist. 2020 war mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Jemen (16,2 Millionen Menschen) auf Nahrungsmittellieferungen der UN angewiesen. Diese haben bisher glücklicherweise ein Massensterben verhindert. Allerdings haben die Staaten in Folge der Coronakrise ihre Beiträge für das Welternährungsprogramm um über 50 % reduziert. Deshalb wird die Hungerkrise seit 2021 völlig außer Kontrolle geraten.

Die geleistete Hilfe der G20 von gerade mal 6,3 Mrd. US-Dollar dient bzw. diente auch hier nur dem Zweck, am Ende nicht ein Land erobert zu haben, in dem ein Großteil der Menschen verhungert sind. Humanität sucht man in der UN-Politik vergebens.

UN-Flüchtlingswerk

Bei den Hilfsprogrammen für Geflüchtete zeigt sich ein ganz ähnliches Bild. Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass die UN bei ihrem Ziel, allen Menschen ein Recht auf Asyl, die Möglichkeit zur Integration und Rückkehr zu gewährleisten, total gescheitert ist. Im Gegenteil: 2019 z. B. waren erstmals seit 1945 knapp 80 Millionen Menschen auf der Flucht. Nichtsdestotrotz arbeiteten 2019 17.464 Mitarbeiter:innen mit einem Budget von 8,6 Mrd. US-Dollar, um Leistungen für ca. 20 Millionen Geflüchtete bereitzustellen.

Allerdings investieren Staaten mehr darin, Menschen durch Krieg oder wirtschaftliche Unterdrückung zur Flucht zu zwingen oder ihre Lage durch Grenzschutz überhaupt erst so katastrophal zu gestalten. Die EU überwies 2019 ca. 473 Millionen US-Dollar (ohne die Spenden der zur EU gehörenden Einzelstaaten) an das UN-Flüchtlingswerk. 460 Millionen flossen im gleichen Zeitraum in die Grenzschutzorganisation Frontex, welche für Pushback-Aktionen und Folter an Geflüchteten berüchtigt ist. Hinzu kommen der EU-Grenzschutz durch die Nationalstaaten und bilaterale Abkommen gegen Geflüchtete, wie z. B. der milliardenschwere UN-Türkei Deal.

Eine knappe Analyse zeigt auch hier, dass die UN zwar teilweise verhindern kann, dass in extreme Not geratene Menschen einfach sterben. Allerdings ist dies nur eine Symptombekämpfung, deren Ursache die verbrecherische Politik eben jener Mitgliedsstaaten ist.

Der Sinn der UN

Letztlich dient die UN vor allem dem Zweck, der Außenpolitik der Mitgliedsstaaten Legitimität zu verleihen und teilweise deren schlimmste Folgen ein wenig abzufedern. Letzteres gibt ihnen sogar die Möglichkeit vorzugaukelen, dass sie in humanitärer Absicht Politik im Interesse der gesamten Menschheit betreiben. Es ist jedoch offensichtlich, dass die mächtigsten Nationalstaaten in einem unversöhnlichen Gegensatz zueinander stehen, der selbst aus der Konkurrenz zwischen den großen Kapitalen erwächst. Wirtschaftliche Erpressung gehört ebenso zu ihrem Repertoire wie Krieg. An diesem systemimmanenten Problem kann auch die UN nichts ändern, selbst wenn diese über mehr Befugnisse und Geld verfügte. Zudem sind alle Hilfsprogramme und Blauhelmeinsätze vom Geld und Personal der Mitgliedsstaaten abhängig.

Es wäre deshalb naiv zu glauben, dass die Staaten die UN nicht benutzen würden, um ihre eigenen Interessen umzusetzen. Tatsächlich beteiligt sich die UN selbst durch rechtlich, organisatorisch und finanziell unabhängige Unterorganisation wie dem IWF, welcher Kredite an Staaten vergibt und dafür neoliberale Reformen fordert, ganz direkt an der Verschärfung unserer Unterdrückung. Unzählige Staaten befinden sich so seit Jahrzehnten in finanzieller Geiselhaft und haben so politische Unabhängigkeit verloren und ihre Bevölkerungen in Armut gestürzt. Außerdem ist auch die Weltbank Teil der UN, welche vor allem Infrastrukturprojekte im Sinne des Imperialismus finanziert (z. B. Staudämme oder Verkehrsrouten für den Abtransport von Rohstoffen in die imperialistischen Zentren). Durch 40 % aller Weltbankprojekte werden Menschen zwangsumgesiedelt. Zwischen 2004 und 2013 waren 3,4 Millionen Menschen von diesen Vertreibungen betroffen.

Die Arbeiter:innenklasse und die UN

Zudem müssen wir uns fragen, ob wir als Klasse der Lohnabhängigen Einfluss in der UN ausüben können. In ihr sind ausschließlich Staaten vertreten. Die Organisationen der Arbeiter:innenklasse, wie z. B. Gewerkschaften, haben in der UN dagegen kein Mitspracherecht. Nur durch eine Regierungsübernahme mittels bürgerlichem Parlamentarismus kann deshalb Einfluss auf die UN gewonnen werden. Die ist für uns aber unmöglich, da alle Staaten von bürokratischen Apparaten, dem Militär und der Polizei kontrolliert werden, die allesamt nicht gewählt und fest in der Hand der herrschenden Klasse sind. Zudem ist dies in vielen Ländern schon allein deswegen keine Option, weil sie diktatorisch regiert werden. Die grundsätzliche Struktur ist also im Interesse der herrschenden Klasse und nicht reformierbar.

Um die Welt im Interesse der unterdrückten Klasse umzugestalten, dürfen wir uns deshalb nicht auf die bürgerlichen Staaten und deren Organisationen verlassen. Das gilt auch für die UN. Die Arbeiter:innenklasse und deren Jugend kann ihr gesellschaftliches Gewicht vor allem mit Selbstorganisation in Vierteln, Bildungseinrichtungen oder Betrieben geltend machen. Unsere Masse und unsere Möglichkeit, zu demonstrieren und vor allem zu streiken, sind unsere gesellschaftliche Macht. Wir müssen zu deren Ausübung unsere eigenen Organisationen schaffen, die sich auf die Masse der Arbeiter:innen, Bauern/Bäuerinnen und Jugend der gesamten Welt stützen. Nur so können wir auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene aktiv werden und damit erfolgreich sein.

Wir dürfen uns nicht mit der halbherzigen Symptombekämpfung der UN, wie z. B. den Ernährungs- und Geflüchtetenhilfen, zufriedengeben. Der UN-Sicherheitsrat als eine imperialistische Agentur sollte sofort zerschlagen werden. Zudem müssen wir die Milliarden, die heute für Subventionen für Klimakiller, Grenzsicherung und Krieg ausgegeben werden, den Herrschenden entreißen und über deren Verwendung selbst bestimmen. So könnten Hunger, Wohnungsnot und Armut wirllich aus der Welt geschafft werden.

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