Arbeiter:innenmacht

Bruchlandung: das Ende für Air Berlin

Jürgen Roth, Infomail 971, 10. November 2017

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sprach von einem „tiefen Einschnitt im Berliner Luftverkehr“ und dankte den MitarbeiterInnen für ihre jahrelange Arbeit. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di lud zu einer Abschiedsveranstaltung auf die Besucherterrasse des Flughafens Berlin-Tegel ein, um den letzten Landeanflug der Luftverkehrslinie Air Berlin zu beobachten. Es war der 27. Oktober 2017. Im Terminal C, der 2007 extra für die Airline gebaut worden war, herrschte gespenstische Leere. Unklar bleibt das Schicksal des Personals, nachdem die Bildung einer großen Transfergesellschaft am Bund und den beteiligten Ländern gescheitert ist.

Geschichte

Direkt nach dem 2. Weltkrieg garantierte der Viermächtestatus Berlins den Luftlinien PanAm, British Airways und Air France Landerechte auf dem Flughafen Tempelhof. 1946 gesellte sich noch Modern Air dazu, die im Auftrag von Pauschalreiseveranstaltern flog. Das Millionen-Urlauber-Geschäft vermochte jedoch ihren wirtschaftlichen Sinkflug nicht aufzuhalten. 1975 verlor die Gesellschaft ihre Betriebserlaubnis. Ihre Geschäfte mit dem Reiseveranstalter Berliner Flugring übernahm die Charterfluggesellschaft Aeroamerica aus Seattle. Doch auch deren Laden lief flau. Der gerade wegen der Ölkrise bei der PanAm entlassene Pilot Kim Lundgren überredete seinen Vater und Sägewerksbesitzer zur Gründung einer neuen Linie, in die auch der alte Modern-Air-Chef John McDonalds einstieg. Ab 1979 flog Air Berlin USA UrlauberInnen aus Westberlin nach Mallorca, stieg ein Jahr später auch ins Charterfluggeschäft ein. Der Linienbetrieb wurde ihr allerdings auf Intervention von PanAm verwehrt.

Als die Mauer fiel, war der Vorteil des Verkehrsmonopols von Air Berlin USA dahin. Der deutsche Manager Joachim Hunold kauft 82,5 % ihrer Anteile. Fortan entwickelte sich der Betrieb der in Air Berlin GmbH & Co. Luftverkehrs KG umbenannten Gesellschaft flott. In Spitzenzeiten führte sie täglich 800 Flüge durch. Der 2002 eingeführte „City Shuttle“ verband Europas Metropolen. 2004 übernahm man knapp 25 % der Anteile an Österreichs Niki Air, ging an die Börse und erwarb die Deutsche BA mit Landerechten in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/Main und München. 2007 kamen Interkontinentalverbindungen durch den Erwerb des Ferienfliegers LTU hinzu. In Erwartung auf rosige Zeiten, wenn das Luftdrehkreuz BER fertiggestellt wäre, holte sich Air Berlin Etihad Airways aus den Vereinigten Arabischen Emiraten als Partnerin an Bord..

Doch es kam anders. Schlechte Wirtschaftszahlen zwangen nach Hunolds Rücktritt 2011 seine NachfolgerInnen nach und nach zur Aufgabe. Die staatliche Luftverkehrsgesellschaft Etihad schoss immer wieder Geld nach und erhöhte ihren Anteil von 2,99 auf 29,21 %.

Im 1. Halbjahr 2017 stieg der Verlust auf fast 450 Millionen Euro, über 160 Millionen mehr als im Vorjahreszeitraum. Zugleich fiel der Umsatz von 1,7 auf 1,5 Mrd. Euro. Ein Überbrückungskredit der Bundesregierung in Höhe von 150 Millionen Euro hielt die Luftverkehrsgesellschaft für InteressentInnen wie Lufthansa (LH), Easyjet, Niki Lauda und Condor im Rennen. LH bekam den Zuschlag mit Rückenwind durch das Bundeskabinett wie schon zu Wendezeiten bei der Zerschlagung der DDR-Linie Interflug.

Arbeitsplätze

In Bezug auf die Übernahme der Beschäftigten sehen sich weder der Bund noch die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen, wo es gleichfalls Air-Berlin-Standorte gibt, in der Pflicht gegenüber einer vom Land Berlin begrüßten Transfergesellschaft. Der Kranich-Konzern verlangt eine neue Bewerbung für seine Tochter Eurowings. PilotInnen müssen mit erheblichen Lohneinbußen rechnen, für 4000 MitarbeiterInnen aus Verwaltung und Technik droht sogar die Arbeitslosigkeit. Ein Betriebsübergang nach BGB, den LH als nicht gegeben ansieht, hätte hingegen für mindestens ein Jahr vollständige Übernahme und Besitzstandswahrung bedeutet.

So aber ließ der Konzern einen Großteil der 140 Air-Berlin-Jets am Boden. Der Erwerb von zusätzlichen Fluglizenzen ist in Zeiten von Überkapazitäten und Verdrängungswettbewerb im Lufttransport das, was die Konzernmutter interessiert, nicht zwangsläufig die Betriebsausdehnung ihrer Tochter. Während die Düsenflugzeuge am Boden bleiben, heben Ticketpreise und Aktienkurse ab.

Bis jetzt werden nur die vergleichsweise wenigen Angestellten der beiden Air-Berlin-Töchter Niki Air und Walter im Rahmen eines Betriebsübergangs durch Verkauf übernommen. Die Techniktochter von Air Berlin wird vom Berliner Logistikunternehmen Zeitfracht und der Wartungsfirma Nayak geschluckt. Doch nur rund 300 MitarbeiterInnen werden weiterbeschäftigt, rund 550 sollen in eine Transfergesellschaft wechseln. Das Schicksal des Rests der einst 8000 Jobs steht in den Sternen, Pardon: Wolken!

Nach dem Insolvenzantrag im August eröffnete das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg am 1. November das Insolvenzverfahren. Im Januar 2018 soll dann voraussichtlich eine erste Gläubigerversammlung folgen.

Ver.di betreibt Seelenmassage

Bundesvorstandsmitglied Christine Behle bekräftigte in VER.DI PUBLIK 7/2017 den Standpunkt ihrer Gewerkschaft, dass die Übernahme der MitarbeiterInnen von Deutschlands einst zweitgrößter Airline durch das Bürgerliche Gesetzbuch als Betriebsübergang geregelt sei. Doch leider sähen LH und andere InteressentInnen wie z. B. Easyjet dies anders. Eine Klage gegen deren Sichtweise werde ver.di juristisch unterstützen.

Viele Angestellte hätten durch ihr Engagement in den letzten Wochen das Einstellen des Flugbetriebes (Grounding) bei Air Berlin verhindert und müssten zum Dank dafür einen langen, mühsamen Weg gehen, der bis zum Europäischen Gerichtshof führen könne. Außerdem habe ihre Gewerkschaft mit allen in Frage kommenden PolitikerInnen gesprochen, um durchzusetzen, dass das Bundesdarlehen an Bedingungen wie die Übernahme der Beschäftigten geknüpft werde. Nach der Wahl sei deren Interesse jedoch schlagartig zurückgegangen und würde es wohl nach dem Verkauf der Luftverkehrsgesellschaft noch weiter tun. Natürlich unterstütze ver.di auch ihre Mitglieder bei der Suche nach neuen Arbeitsplätzen, bei Azubis bereits mit Erfolg.

„Ende September haben wir gemeinsam den Sozialplan unterschrieben, dazu gehört als Kernstück die Einrichtung einer Transfergesellschaft für mindestens sechs Monate…Wir wollen, dass die Lufthansa und die anderen Käufer von Air Berlin die Beschäftigten übernehmen – ohne neue Bewerbungen und unter Anrechnung der Zeiten, die sie schon bei Air Berlin gearbeitet haben. Bisher zeigen sich die Erwerber aber hartleibig. Wir können sie zu nichts zwingen, nur argumentieren. Air Berlin hat die Beschäftigten und die Öffentlichkeit getäuscht, als die Geschäftsführung erklärt hat, sie habe für 80 Prozent der Mitarbeiter Arbeitsplätze. Gemeint war nur: Sie dürften sich bewerben…Das ist zynisch.“ (Ver.di Publik, 7/2017, Seite 4).

Wie dumm nur, dass der ver.di-Bundesvorstand in Person Behles das Geschäft der Rosstäuscherei selber betreibt – gegenüber den eigenen Mitgliedern! Den Sozialplan unterzeichnen, auf die Schwüre der Geschäftsführung vertrösten, zum Kadi rennen und ihre Machtlosigkeit bekennen: Das ist das typische Kerngeschäft einer DGB-Bürokratie. Hierin ist sie den Methoden des „Wortes zum Sonntag“ im ZDF seelenverwandt.

Internationale Fluggäste wunderte sich noch am letzten Betriebstag von Air Berlin, dass keine Angestellten streikten, wie sie es in ihren Heimatländern garantiert getan hätten. Statt v. a. vor der Unterzeichnung des Sozialplans einen Arbeitskampf auszurufen, statt jetzt zum Streik zu mobilisieren für die Weiterbeschäftigung aller Luftfahrtbediensteten zu ihren alten Konditionen, für die Rücknahme der LH-Privatisierung und die Verstaatlichung aller anderen in der BRD ansässigen Flugbetriebe zu einem einheitlichen Branchenmonopol tritt Christine Behle vors Publikum wie der legendäre Fernsehpfarrer Adolf Sommerauer und seine NachfolgerInnen: mit nichts in der Hand als Vertröstung aufs Jenseits!

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