Liga für die Fünfte Internationale, Juli 2018, Revolutionärer Marxismus 51, Mai 2019
Die kurdische nationale Frage und der Widerstandskampf sind in den letzten Jahren und insbesondere seit 2014 in den Vordergrund gerückt. Die arabische Revolution und die Ergebnisse der US-Besetzung des Irak haben zu einer Desintegration Syriens und des Irak geführt, wodurch Irakisch-Kurdistan und auch Rojava de facto Formen der Unabhängigkeit von „ihren“ Zentralstaaten und quasi-staatliche Strukturen etabliert haben.
Auch wenn die kurdischen Führungen, so unterschiedliche wie die PDK (Demokratische Partei Kurdistans) im Irak, die PYD (Partei der Demokratischen Union) in Rojava (Demokratische Föderation Nordsyrien) oder die PKK (ArbeiterInnenpartei Kurdistans) in Nordkurdistan, behaupten, die bestehenden Staatsgrenzen nicht in Frage stellen zu wollen, wird von Tag zu Tag klarer, dass die nationale Unterdrückung des kurdischen Volkes im Rahmen dieser bürgerlichen Staaten nicht überwunden werden kann. Ob das kurdische Volk in den verschiedenen Staaten für die Selbstbestimmung kämpft, indem es eine größere Autonomie innerhalb ihrer erreicht oder einen gemeinsamen kurdischen Staat bildet – es ist klar, dass die bestehenden Regime und herrschenden Klassen nicht bereit sind, dieser Nation die nationalen und demokratischen Rechte einzuräumen. Als revolutionäre MarxistInnen unterstützen wir dieses Recht rückhaltlos.
Eine dauerhafte Lösung der kurdischen Frage kann nur im Rahmen des Kampfes gegen die nationale Unterdrückung und gegen die politisch-soziale Ordnung, die vom Imperialismus, der türkischen, arabischen und persischen Elite seit dem Ersten Weltkrieg aufgebaut und verteidigt wird, gefunden werden. Die irakischen und syrischen Staaten waren ein Produkt der Grenzen, die der Imperialismus nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches damals erzwang. Die sozialen Gegensätze innerhalb dieser Gesellschaften verschärften sich mit dem Zusammenbruch der Nachkriegsordnung 1990, den Kriegen gegen den Irak und der Durchsetzung des Neoliberalismus bis hin zur gegenwärtigen Situation, in der die Lebensfähigkeit dieser Staaten in Frage steht und es sehr schwer zu erkennen ist, wie ihre Stabilität, auch mit extrem reaktionären Maßnahmen, wiederhergestellt werden kann.
Die Bedeutsamkeit der kurdischen Frage muss im Kontext der allgemeinen historischen Krise der politischen und sozialen Ordnung im Nahen Osten verstanden werden.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Nachkriegsordnung wollten die USA als verbliebene, scheinbar allmächtige Weltmacht eine „neue Weltordnung“ durchsetzen, die ihre Hegemonie dauerhaft machen sollte. Die Kontrolle über den Nahen Osten wurde als Schlüssel angesehen, um das Entstehen neuer globaler KonkurrentInnen zu verhindern. Die Kriege gegen den Irak und dessen endgültige Besatzung müssen im Rahmen dieser geopolitischen Strategie verstanden werden.
Aber die USA und ihre Verbündeten erwiesen sich als unfähig, dem Irak, trotz schneller militärischer Siege, ein neues, dauerhaftes Regime aufzuzwingen. Durch die Zerschlagung der sunnitischen ba‘ athistischen Herrschaft zerstörten sie auch den größten Teil des irakischen Staatsapparats und destabilisierten das Land. Letztlich waren die US-Besatzungstruppen selbst zu einem demütigenden Rückzug aus dem Irak gezwungen und hinterließen ein reaktionäres, sektiererisches, jetzt schiitisch dominiertes Regime in Bagdad, eine völlig entfremdete sunnitische Bevölkerung, aber auch eine kurdische Region, die ein hohes Maß an Unabhängigkeit angenommen und sich mehrere Jahre lang aus den sektiererischen Auseinandersetzungen zwischen sunnitischen und schiitischen Kräften herausgehalten hatte.
Die Unfähigkeit der USA, eine dauerhafte Ordnung durchzusetzen, spiegelt letztlich wider, dass ihr Vormarsch in den 1990er und frühen 2000er Jahren – also während des Höhepunkts der „Globalisierung“ – auf einem weitgehend spekulativen Wirtschaftsaufschwung und nicht auf einer erfolgreichen Umstrukturierung der Weltwirtschaft beruhte, die die aus den 1970er und 1980er Jahren hinterlassene strukturelle Überakkumulation von Kapital hätte überwinden können.
Der Ausbruch der großen Krise 2007/08 eröffnete eine neue Periode, die den Arabischen Frühling hervorbrachte. Der Irak war bereits weitgehend zerfallen, doch nun sah sich das syrische Regime, das sich seit den 1990er Jahren als Verbündeter des Imperialismus präsentiert hatte, der Welle der arabischen Revolutionen gegenüber, die sich in einen Bürgerkrieg verwandelte und zur Schaffung halb-unabhängiger kurdischer Regionen in Syrien (Rojava) führte.
Sowohl im Irak als auch in Syrien hatten die ba‘athistischen Regime extrem repressive, autoritäre Regime mit tief in die Gesellschaft eindringenden Sicherheitsapparaten errichtet. Ihr arabisch-nationalistischer Charakter ging auch Hand in Hand mit der Verweigerung grundlegender Formen kurdischer demokratischer Rechte (ganz zu schweigen vom Recht auf Selbstbestimmung) und war manchmal extrem repressiv, gewährte aber auch gelegentlich begrenzte kulturelle Rechte. Aber diese Regime enthielten auch ein Element von Einbeziehung der Massen durch korporatistische Maßnahmen, Subventionen und Mäzenatentum. Doch die reaktionären Kriege, die Saddam Hussein (im Namen der USA) führte, und dann die US-Besatzung im Irak unterminierten dies. In Syrien bewegte sich das ba‘athistische Regime unter seiner neuen Führung durch Baschar al-Assad mehr in Richtung westlicher Imperialismus und nahm in den 2000er Jahren neoliberale Wirtschaftsmaßnahmen an, die auch seine soziale Basis verengten.
Die Schwächung der US-Hegemonie in den 2000er Jahren veranlasste andere imperialistische Mächte, ihren Einfluss im Nahen Osten (wieder) zu etablieren, ebenso wie sie aufstrebende Regionalmächte ermutigte zu versuchen, das „Vakuum“ zu füllen, das von zusammenbrechenden Staaten wie Irak und Syrien ausging. So wollten verschiedene Länder wie die Türkei, Saudi-Arabien, Iran, Israel oder sogar Katar von der Situation profitieren. In weiten Teilen des Irak und Syriens hatte sich der semi-faschistische konterrevolutionäre „Islamische Staat“ (ISIS) auf weiter Fläche etabliert – selbst ein konterrevolutionäres Ergebnis der US-Besetzung, der Politik des Assad-Regimes, der politischen Krise der Führung der syrischen Revolution und des direkten Einflusses der Türkei, Katars und anderer Regime. Der Vormarsch von ISIS zeigte nicht nur eine extreme Form der Konterrevolution, sondern auch den künstlichen Charakter der Grenzen und Staaten nach dem Ersten Weltkrieg. Auch wenn sich sein „Staat“ als kurzlebig erwies, ist die politische und wirtschaftliche Situation, die ihn in erster Linie überhaupt erst hervorgebracht hat, durch seine militärische Niederlage und den Verlust seines Territoriums nicht gelöst worden.
Daher ist es durchaus wahrscheinlich, dass sich die anhaltende Krise des irakischen und syrischen Staates und der verstärkte Kampf um eine Neuaufteilung der Einflusssphären zwischen den regionalen Mächten (Saudi-Arabien, Iran, Israel, Türkei) sowie den ImperialistInnen (derzeit vor allem den USA und Russland) in den kommenden Jahren auf Jordanien und den Libanon und darüber hinaus ausweiten werden. Während das türkische und das iranische Regime relativ stabil scheinen, sind sie selbst von inneren Widersprüchen geplagt, die durchaus explodieren könnten – vor allem, wenn wir in der kommenden Zeit mit einer weiteren globalen wirtschaftlichen Rezession konfrontiert werden. Dies wurde durch die Wirtschaftskrise, Protestdemonstrationen und Spaltlinien innerhalb des iranischen Regimes zum Jahreswechsel 2017/18 bestätigt. Trotz Erdogans Wahlsieg 2018 droht auch die ökonomische Krise die Grundlagen seiner Herrschaft in der Türkei zu untergraben.
In dieser Situation können wir auch erwarten, dass der westliche Imperialismus trotz Obamas und nun Trumps Versicherung, Truppen abziehen zu wollen, offener eingreift, um nicht nur seinen eigenen Einfluss zu stärken, sondern auch den Russlands zurückzudrängen. Mit der Niederlage der syrischen Revolution hat Russland bewiesen, dass es eine globale imperialistische Macht ist, die ihren Einfluss im Nahen Osten verstärkt. Und die USA und die europäischen ImperialistInnen werden ihre einschlägigen Strategien in der Region neu justieren müssen, um den wachsenden Einfluss Russlands nicht nur in Syrien, sondern auch im Iran und in der Türkei einzudämmen. Die Trump-Strategie zur Unterstützung Israels, Saudi-Arabiens und ihrer engeren Verbündeten bei gleichzeitiger Erhöhung des Drucks auf den Iran bedeutet jedoch, dass die Unterschiede zwischen den USA und mehreren EU-Mächten selbst stärker herausgestellt werden, ebenso wie China, das als Weltmacht aufsteigt, zunehmend gezwungen sein wird, seine politische Aufmerksamkeit auf die Region zu lenken.
In den vergangenen Jahren, nach einer Zeit der Drohungen, in Syrien einzugreifen, taten die USA dies eher zögerlich, da sie keine klare Strategie hatten, wie der Nahe Osten neu geordnet werden sollte. In Syrien haben sie de facto das Überleben des Assad-Regimes als „kleineres Übel“ gegenüber dem Islamischen Staat im Jahr 2014 akzeptiert. Die FSA (Freie Syrische Armee) ist eine Kraft, die weitgehend versagt hat, obwohl ihre Führung und der Syrische Nationalrat (SNC) mehr als bereit waren, sich mit den USA und der Türkei zu verbünden. Die FSA selbst erwies sich als Dachorganisation und nicht als politische Kraft, so wie sich die Koordinierungsausschüsse der syrischen Revolution bestenfalls als politisch impotent herausstellten. Im Irak würde eine stärkere westliche Intervention schließlich eine zweite Besatzung mit Hunderttausenden von SoldatInnen erfordern, mit eher ungewissem Ausgang.
Einige Teile der US-Regierung spielten vor diesem Hintergrund mit dem Gedanken der Bewaffnung der KurdInnen als ihren „natürlichen Verbündeten“. In Syrien sind die USA sogar dazu übergegangen, die kurdisch geführten „Demokratischen Kräfte Syriens“ (DKS) mit Waffen zu versorgen, darunter die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten, Teile der FSA und Quwwat as-Sanadid (sunnitisch-arabische Schammar-Stammesmiliz; „Kräfte der Mutigen“). Dies hat zu weiteren Spannungen mit der Türkei geführt, die den USA die Unterstützung von „TerroristInnen“ vorwirft, aber auch innere Widersprüche der US-Politik offenbart, da die PKK nach wie vor als „terroristische Organisation“ von USA und EU verfolgt wird, während die PYD mehr oder weniger offen unterstützt wird. Die Bewaffnung und Ausbildung der irakischen KurdInnen, der Peschmerga, (Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistan; „Die dem Tod ins Auge Sehenden“) durch die USA, aber auch durch den deutschen Imperialismus, erschweren die Beziehungen zum Regime in Bagdad und drängen es mehr auf Teheran zu. So achteten die ImperialistInnen sogar in den kurdischen Regionen im Irak darauf, die Provinz nicht zu einem „echten“ Staat oder einem Anziehungspunkt für separatistische Bewegungen oder nationale Aufstände oder die Schaffung eines größeren kurdischen Staates in der Region zu machen.
Derzeit sind sich alle ImperialistInnen und auch alle regionalen Mächte (zumindest offiziell) einig, dass die Grenzen der verschiedenen Staaten nicht angetastet werden dürfen. Es darf kein neuer Staat entstehen, aber offensichtlich könnten von den verschiedenen Mächten neue Einflusszonen aufgebaut werden wie ein von der türkischen Armee kontrollierter Korridor in Nordsyrien. Der Islamische Staat stellte dies stillschweigende Territorialabkommen von der erzreaktionären Seite her in Frage. Aber es ist wirklich ein echtes Problem. Die Halb-Unabhängigkeit der kurdischen Gebiete im Irak und in Rojava stellt auch die bestehende staatliche Ordnung allein durch ihre Existenz in Frage. Eine Wiedereingliederung in den irakischen oder syrischen Staat ohne eine vollständig siegreiche Revolution würde zwangsläufig dazu führen, dass das kurdische Volk eine Reihe demokratischer und nationaler Rechte aufgeben müsste, die es in den letzten Jahren erreicht hat. Es würde zu einer Wiederherstellung seiner nationalen Unterdrückung führen, sobald sich ein bürgerliches syrisches oder irakisches Regime stark genug fühlte, dies zu tun.
In Rojava schlossen die PYD und die kurdischen Streitkräfte ein weitreichendes Militärbündnis mit den USA. Es hat die geteilten und militärisch schlecht organisierten Teile der FSA und die „gemäßigte“ Opposition als bevorzugten US-amerikanischen Verbündeten in Syrien effektiv ersetzt. Mit Hilfe der USA erwiesen sich die kurdischen Streitkräfte als wirksam bei der Rückeroberung von Gebieten, die zuvor von ISIS besetzt waren. Für die USA ist der Zweck der Allianz ganz klar. Sie beabsichtigen, die kurdischen Streitkräfte zu nutzen, um ein Mitspracherecht bei der Neuordnung Syriens einzufordern. Aber der Zweck und das Bündnis beschränken sich auch darauf. Die USA wollen natürlich keine weitere Verschlechterung der Beziehungen zur Türkei riskieren. Deshalb hat Washington wirtschaftliche und technologische Hilfe für Rojava abgelehnt und, was noch wichtiger ist, die Forderungen nach kurdischer Autonomie in einem künftigen Syrien nicht unterstützt.
Die Türkei hingegen hat ihr Ziel, Assad zu beseitigen, aufgegeben. Sie wirft vielmehr ihr Gewicht (und die Teile der syrischen Opposition, die sie kontrolliert) in eine „Friedensinitiative“ in Absprache mit Syrien, Iran, Russland und der Türkei. Diese Regime haben erfolgreich jede kurdische Vertretung bei der sogenannten „Astana-Konferenz“ blockiert, die die sogenannten „Friedensgespräche“ der UNO abgelöst hat. Gleichzeitig hat Russland die türkische Eroberung von Afrin durch die Öffnung des Luftraums zugelassen. Die USA haben ihrerseits ihren kurdischen Verbündeten ohne Zögern fallen gelassen. Dies hat den türkischen Einfluss bei der Neuordnung Syriens gestärkt und den kurdischen Formen von Selbstverwaltung oder Autonomie, ganz zu schweigen von einem unabhängigen Staat, einen weiteren Riegel vorgeschoben. Es ist jedoch klar, dass es, je mehr sich das syrische Regime unter russischem Schutz und mit iranischer Unterstützung wieder konsolidiert, die kurdischen Regionen sein werden, deren demokratische Errungenschaften und Formen der Autonomie massiv angegriffen werden.
Im Irak markierte das Jahr 2017 einen Wendepunkt für die kurdische Region. Seit dem Sturz Saddam Husseins hatte sie unter der Führung der bürgerlich-nationalistischen und proimperialistischen PDK (einschließlich der Eingliederung der anderen, wichtigsten kurdischen Partei, der PUK) eine gewisse Selbstverwaltung aufgebaut. Die Niederlage von ISIS im Irak, der wachsende Einfluss des Iran und die Angst der USA, in Badgad noch mehr Einfluss zu verlieren, wenn man sie mit Unterstützung für kurdische Selbstverwaltung identifiziert, führten jedoch dazu, dass die Spannungen mit der irakischen Regierung zunahmen. Darüber hinaus befürchteten auch die Türkei und der Iran, obwohl sie der Barzani-Führung in Irakisch-Kurdistan seit einigen Jahren nicht feindlich gesinnt waren, dass der benachbarte kurdische Quasi-Staat Bewegungen für Autonomie und Selbstbestimmung (wenn nicht gar Unabhängigkeit) im eigenen Land fördern würde. Als die kurdische Regierung in Nord-Irak ein Referendum über die Unabhängigkeit abhielt, erhielt sie eine überwältigende Zustimmung (92 Prozent). Aber es bewies, dass die kurdischen FührerInnen nicht nur nicht in der Lage waren, es umzusetzen, sie mussten sich auch aus umstrittenen Gebieten in Kirkuk vor irakischen Truppen und schiitischen Milizen zurückziehen. Der darauf folgende politische und wirtschaftliche Druck der irakischen Regierung, der Türkei und der USA (die wollen, dass die KurdInnen auf Ölkonzessionen an russische Konzerne verzichten, um diese multinationalen US-Unternehmen zu gewähren) hat erneut gezeigt, dass die kurdische Selbstbestimmung gegen das Interesse aller Mächte verstößt.
Nach dem Wahlerfolg der HDP (Halklarin Demokratik Partisi = Demokratische Partei der Völker) im Jahr 2015 beendete der türkische Staat den „Friedensprozess“ mit der PKK und der kurdischen Bewegung. Bereits vor Erdogans Gegenputsch zur Errichtung einer bonapartistischen Präsidialdiktatur wurde der Krieg gegen die kurdische Bevölkerung wieder aufgenommen, indem Städte bombardiert und von der Bevölkerung abgeschottet wurden. Seit Sommer 2016 haben sich der Krieg und die Kriminalisierung der Bewegung (und anderer demokratischer Kräfte) enorm beschleunigt.
Tausende von HDP-FührerInnen und -Mitgliedern wurden kriminalisiert, ins Gefängnis gesteckt, verurteilt, von ihren Arbeitsplätzen entlassen. Während die kurdische Miliz in Rojava eine positive Medienberichterstattung erhielt, verheimlichten die europäischen Länder die stillschweigende türkische Unterstützung für antikurdische Kräfte in Syrien (einschließlich des Islamischen Staates). Sie engagieren sich weiterhin stark für die Unterstützung der Türkei im Kampf gegen die PKK, verbieten kurdische Organisationen in der EU, verfolgen kurdische politische AktivistInnen als „TerroristInnen“ und liefern sie an den türkischen Staat aus. Sie weigern sich, den kurdischen Opfern von Erdogans Krieg oder den meisten türkischen demokratischen Oppositionellen Aufnahme zu gewähren.
Im Iran war die kurdische Bewegung relativ still – als Folge der schweren Niederlage nach der „Islamischen Revolution“ und der Schaffung einer islamistischen, klerikalen Diktatur, die die meisten kurdischen Parteien ausgelöscht und die Bewegung fast atomisiert hat. Berichte über die Protestbewegung, die am 17. Dezember begann, legen jedoch nahe, dass die kurdische Bevölkerung Teil der Aktionen gegen das Regime ist.
In den ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbeidschan ist die kurdische Minderheit in die reaktionäre nationalstaatliche Auseinandersetzung zwischen beiden Staaten verwickelt worden und wird wahrscheinlich darunter zu leiden haben.
Die kurdische nationale Frage und der Befreiungskampf ist eine Schlüsselfrage der Revolution im Nahen Osten. Die nationale Selbstbestimmung des kurdischen Volkes – bis hin zum Recht auf Abspaltung von den jeweiligen Staaten – stellt deren Existenz und die der gegenwärtigen imperialistischen Ordnung in Frage.
Das bedeutet, dass der kurdische Befreiungskampf eng mit dem Schicksal des revolutionären Kampfes im gesamten Nahen Osten, der arabischen, türkischen, persischen ArbeiterInnen und BäuerInnen, verbunden ist. Doch im letzten Jahrhundert haben es die Führungen der kurdischen Nationalbewegung immer wieder versäumt, den Befreiungskampf mit Nachdruck fortzusetzen und an das Schicksal der Revolution in der gesamten Region zu binden. Heute streben die proimperialistischen, bürgerlich-nationalistischen Führungen, die sowohl eng mit den GroßgrundbesitzerInnen verbunden sind als auch mit der sich entwickelnden kapitalistischen Klasse im Nordirak (PDK und PUK), nach kurdischen Rechten, indem sie ein Bündnis mit den herrschenden Klassen ihres Staates sowie den regionalen und imperialistischen Mächten suchen. Die PKK/PYD will es schaffen, kurdische demokratische Rechte in den bestehenden bürgerlichen Staaten (Türkei, Syrien) zu etablieren und die imperialistische Ordnung des Nahen Ostens grundsätzlich nicht in Frage zu stellen. Während man offensichtlich zwischen einer völlig proimperialistischen bürgerlichen Führung wie im Nordirak und einer kleinbürgerlich-nationalistischen wie der PKK/PYD unterscheiden muss, wird die Strategie beider eher zu einer Niederlage als zu einer Befreiung der kurdischen Massen führen.
Um die aktuellen inneren Probleme der kurdischen Bewegung und Schlüsselfragen der Strategie und Taktik zu verstehen, ist es jedoch notwendig, einen Blick auf die Geschichte des kurdischen Volkes und seinen Kampf zu werfen.
Die kurdischen Kämpfe im 19. und 20. Jahrhundert haben bisher immer wieder zu Niederlagen geführt. Allzu oft wurden Führer kurdischer Aufstände im 19. Jahrhundert im Osmanischen oder Persischen Reich – zumeist Fürsten – von anderen kurdischen Aristokraten verraten. Im 20. Jahrhundert, seitdem wir tatsächlich von der Entstehung einer modernen nationalen Bewegung sprechen können, wurden die oft kleinbürgerlichen (manchmal offenen bürgerlichen) Führer von Befreiungskämpfen, Aufständen usw. von anderen kurdischen Führern (und natürlich von imperialistischen oder regionalen Mächten, mit denen sie sich verbündet hatten) hintergangen.
Für uns MarxistInnen ist es jedoch wichtig, die Gründe dafür zu verstehen. Sie müssen in der Stammesstruktur, der sozialen Basis der kurdischen Gesellschaft selbst, gefunden werden. Aufgrund der Bergregionen, in denen das kurdische Volk lebte, war Viehzucht die vorherrschende Form der wirtschaftlichen Tätigkeit. Die meisten Stämme waren NomadInnen. Da der Reichtum des Stammes stark von der Größe seiner Herden und des Landes, das er zum Weiden für sein Vieh nutzen konnte, abhängig war, kam es häufig zu Zusammenstößen zwischen den kurdischen Stämmen, die oft zu Kriegen führten.
Mit der Errichtung des Osmanischen und des Safawiden-Reiches im 16. Jahrhundert entstand eine Klassengesellschaft. Vom 15. bis zum 19. Jahrhundert begannen sich die Menschen niederzulassen, aber ein wesentlicher Teil, wenn nicht die Mehrheit blieb nomadisch. Das Land war jedoch noch kein Privatbesitz, sondern gehörte dem Stamm. Die Stammesführer verwandelten sich in eine Adelsschicht, die dazu neigte, größere politische Formationen zu bilden. Es gab jedoch keine kleinen Feudalwesen, sondern oft Miniaturversionen des Osmanischen oder Persischen Reiches, die selbst Formen des asiatischen Despotismus verkörperten, obwohl die osmanischen Herrscher auch Ansätze von feudalem Landbesitz schufen und förderten. Während die kurdischen Adeligen eine gewisse politische Zentralisierung anstrebten und einige ihrer Städte für gewisse Zeit zu kulturellen Zentren wurden, wurde die Entwicklung eines kurdischen despotischen Staates durch äußere Faktoren (andere Reiche, Invasionen von türkischer oder mongolischer Seite, aber auch durch die inneren sozialen Grenzen) blockiert. Erst im 19. Jahrhundert wurde das gemeinsame Land in Privateigentum der herrschenden Klasse verwandelt (eigentlich unter dem wachsenden Zustrom von europäischem Kapital in das Osmanische Reich, was wiederum die Zentralisierungstendenzen innerhalb dessen verstärkte).
Dies erklärt, warum trotz der langen Geschichte des kurdischen Volkes eine nationale Bewegung im modernen Sinne erst an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstand, obwohl einige moderne nationalistische Elemente bereits früher zu beobachten waren. Die kurdischen Aufstände im 19. Jahrhundert wurden durch die Stagnation des Osmanischen Reiches und damit seine Angriffe auf die Autonomie der verschiedenen Fürstentümer in diesem Reich verursacht. Außer beim Aufstand in Botan 1853–55 spielte die Masse der kurdischen BäuerInnen eine sehr geringe Rolle. Oft wurden die Aufstände von einer Koalition aus osmanischen und anderen kurdischen Truppen niedergeschlagen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts änderte das Osmanische Reich jedoch seine Haltung gegenüber dem kurdischen Adel. Die Stagnation und wachsende Verschuldung des Imperiums führten zu einer Erhöhung der Steuer- und Abgabenlast für die ländlichen Massen. Gleichzeitig wollte der Sultan den kurdischen Adel einbeziehen und gewährte ihm immer mehr Privilegien und Ämter – während er von ihm erwartete, dass er alle bäuerlichen Unruhen zerschlug, was er auch tat. Viele der kurdischen Stammesführer wurden nun Offiziere, Paschas (höchste Zivilbeamte und Militärs). Für die Kinder des kurdischen Adels wurden spezielle Schulen eingerichtet. Ironischerweise und sicherlich gegen die Absicht des Staates kamen diese jungen StudentInnen und späteren BeamtInnen, ÄrztInnen, JuristInnen, SchriftstellerInnen dadurch mit bürgerlichen Ideen in Berührung, einschließlich des bürgerlichen Nationalismus. 1898 wurde die erste kurdische Zeitschrift (Kurdistan) gegründet. In einer Reihe von kurdischen Zentren/Städten wurden politische Klubs/Gesellschaften und auch einige paramilitärische Formationen gegründet. Es entwickelte sich eine kurdische nationale Bewegung, die zunächst von der „Jungtürken“-Bewegung sowie von der entstehenden arabischen und armenischen Nationalbewegung beeinflusst und geprägt war. Während und nach dem Aufstand der Jungtürken 1908 organisierte diese kurdische Bewegung auch einige kurzlebige Aufstände. Wie im 19. Jahrhundert spielte die BäuerInnenschaft bei diesen Aktionen eine untergeordnete Rolle.
Die Zersplitterung des kurdischen Volkes zwischen verschiedenen Reichen und dann zwischen fünf verschiedenen Staaten führte auch dazu, dass die kurdischen Dialekte nie in einheitliche/r Sprache und Schrift geregelt und überführt wurden.
Von Anfang an, durch die gesamte Geschichte der kurdischen nationalen Bewegung hindurch, können wir eine Spannung zwischen den Versuchen, eine allkurdische Bewegung über die bestehenden Grenzen hinaus zu schaffen, und der Entwicklung kurdischer nationalistischer Bewegungen beobachten, die sich auf die verschiedenen Staaten, in denen sie operierten, konzentrierten, wenn nicht gar auf diese beschränkten. Dies ging sogar so weit, mit anderen Unterdrückerstaaten verschiedener kurdischer Bewegungen zusammenzuarbeiten. Das wahrscheinlich schlimmste Beispiel hierfür war der Einsatz kurdischer Truppen durch türkisches Militär beim Völkermord an den ArmenierInnen.
Der Erste Weltkrieg und die Schaffung der imperialistischen Ordnung in der Folgezeit markierten eine historische Niederlage für das kurdische Volk. Während des Krieges und im Vertrag von Sèvres (1920) hatten die französischen und britischen ImperialistInnen und die VertreterInnen des Osmanischen Reiches dem kurdischen Volk einen kurdischen Staat versprochen. Auch wenn dies nur etwa ein Drittel des kurdischen Territoriums umfasst hätte, so bedeutete dagegen der Vertrag von Lausanne (1923), der die heutigen Grenzen der Türkei anerkennt, dass die KurdInnen keinen Staat erhielten, sondern zwischen fünf Staaten (Türkei, Iran, den britischen und französischen Kolonialgebieten – heute Irak und Syrien – und der Sowjetunion, heute Armenien) aufgeteilt waren.
In der Folgezeit kam es zu einer Zunahme der Unterdrückung der KurdInnen und ihrer Kultur in den verschiedenen Staaten wie z. B. dem Verbot der Sprache in der Türkei. Dies führte zu einer Reihe von kurdischen Aufständen, darunter auch zu verschiedenen Versuchen, eine allkurdische Bewegung zu organisieren. Von da an bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verlagerten sich die Zentren des kurdischen Widerstands von der Türkei 1925–38 in den Irak 1943–45 und in den Iran 1942–46, wo die Republik Mahabad (offiziell Komara Kurdistan; Republik Kurdistan) im Januar 1946 gegründet wurde, um nach dem Abzug der sowjetischen Truppen durch Stalin vom Schah vernichtet zu werden. In dieser Zeit wurde der Grundstein für die spätere Demokratische Partei Kurdistans, die PDK, unter Barzani, gelegt. Gleichzeitig begannen sich die sozialen Strukturen der verschiedenen Staaten, in denen sich die KurdInnen befanden, auseinanderzuentwickeln, wenn auch nicht in kürzester Zeit, da der wirtschaftliche Fortschritt schleppend verlief.
Ein signifikanter Unterschied betraf die Haltung der „Gaststaaten“ gegenüber der landbesitzenden Klasse der KurdInnen. In der Türkei hat der Staat sie systematisch in die offiziellen Parteien aufgenommen und sie gegen kurdische BäuerInnen und landlose ArbeiterInnen unterstützt. Infolgedessen förderte die führende Klasse innerhalb der kurdischen Bevölkerung nicht die nationalistische Bewegung, sondern stellte sich auf die Seite des Unterdrückerstaates. Im Gegensatz dazu unterstützten im Iran und Irak die großen Gutsbesitzer wie der Barzani-Clan, der oft fälschlicherweise als Feudalherr bezeichnet wurde, die PDK. Diese Unterschiede sollten die kurdischen Bewegungen in den verschiedenen Staaten nachhaltig beeinflussen.
Doch während der Nachkriegszeit begannen sich die sozialen wie wirtschaftlichen Strukturen – auch die auf dem Lande – klarer zu verändern. Die Türkei erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg eine anhaltende Konzentration von Land in den Händen von GroßgrundbesitzerInnen und in der Folge eine wachsende Zahl von landlosen BäuerInnen, die teilweise gezwungen waren, ihre Arbeitskraft als LandarbeiterInnen zu verkaufen. Die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Einführung von Maschinen in den 1950er und 1960er Jahren haben die im Vergleich zu den westtürkischen Regionen (ganz zu schweigen von den globalen Entwicklungen) relativ geringe Produktivität und die Rückständigkeit nicht verändert, aber dennoch zwangen sie Millionen dazu, vom Land in die Großstädte wie Istanbul oder nach Westeuropa zu wandern. In der Türkei entstand ein kurdisches Proletariat von mehreren Millionen – aber nicht in Kurdistan. Während es in den türkischen Teilen Kurdistans eine sehr wichtige, bedeutende Klasse kapitalistischer GrundbesitzerInnen gab, bildete sich eine sehr schwache industrielle oder kommerzielle Bourgeoisie, oft mit nur kleinen Unternehmen.
Im Iran war die Entwicklung anders. Hier hatten die bescheidenen Landreformen nicht nur die kurdischen LandbesitzerInnen in die Opposition gedrängt. Sie führten in den 1950er und 1960er Jahren auch zu einem Rückgang der landlosen BäuerInnen und einem Wachstum des Landanteils kleinerer und mittlerer BäuerInnen, wobei die kurdischen Regionen wie in der Türkei wirtschaftlich eher rückständig blieben und nur kleinere Industrien haben, obwohl die kurdischen Regionen im Iran einen höheren Anteil an städtischer Bevölkerung haben (etwa 50 Prozent).
Im Irak wurden auch die kurdischen Regionen einer (bescheidenen) Landreform unterzogen, die zu einem erhöhten Anteil kleinerer BäuerInnen an Land geführt hat. Wie bescheiden die Reform war, zeigt die Tatsache, dass sich noch auf der Höhe dieses Prozesses etwa die Hälfte des Landes im Besitz von GroßgrundbesitzerInnen wie Barzani befand. Zudem ist dieser Prozess seit den 1970er Jahren durch die zunehmende Verschuldung der KleinbäuerInnen eher umgekehrt worden. Im Gegensatz zu allen anderen Teilen Kurdistans ist der irakische Teil reich an Ölfeldern (im Vergleich dazu sind die syrischen und iranischen Felder in/an den kurdischen Gebieten weniger bedeutend). Dies hat im letzten Jahrzehnt zu einem fieberhaften Wachstum im kurdischen Irak, zu enormen Investitionen und auch zur Schaffung einer kurdischen ArbeiterInnen- und Mittelschicht in der Region geführt. Angesichts der relativ kleinen Bevölkerung könnten die von ihr beherrschten Ölreserven und
-felder eine Einnahmequelle für die wirtschaftliche Entwicklung sein. Es ist aber nicht nur eine wirtschaftliche Frage, ob ein kurdischer „Ölstaat“ entstehen wird, sondern offensichtlich steht dieses Projekt auch vor großen politischen Hindernissen. Die Volksabstimmung im irakischen Kurdistan (obwohl sie eine massive Unterstützung für die kurdische Selbstverwaltung demonstrierte) führte auch zu einer politischen Niederlage der kurdischen Regionalregierung, zum Verlust der Kontrolle über umstrittene Gebiete an die irakische Regierung und machte auch deutlich, dass keine imperialistische Macht bereit ist, die Selbstbestimmung der KurdInnen zu unterstützen, selbst wenn diese von einer Regierung geführt und gelenkt wird, die sich den imperialistischen Mächten unterordnen will.
In Syrien sind die kurdischen Regionen überwiegend agrarisch, aber mit einer relativ hohen Produktivität, als einer der landwirtschaftlich lebensfähigsten Teile Syriens, der für die großen Märkte in den Städten des Landes produziert. In den drei Bezirken von Rojava, lebt die kurdische Mehrheit der Bevölkerung auf dem Land. Viele der Städte sind arabisch oder christlich (oder haben einen hohen Prozentsatz davon). Die arabisch-nationalistische Politik des Ba‘athismus bedeutete auch, dass viele der KurdInnen ihre Staatsbürgerschaft als Teil einer bewussten Politik der „Arabisierung“ (unter Hafiz al-Assad) in den kurdischen Regionen verloren haben. Auch eine Übertragung des Landes vom kurdischen auf die arabische Bevölkerung fand statt. Da Menschen ohne Staatsbürgerschaft das Land nicht besitzen konnten, haben sie bisher nicht von einer Landreform, die arabische Grundherren betreffen würde. profitiert. Schließlich darf man nicht vergessen, dass es eine kurdische ArbeiterInnenklasse gab, vor allem in den großen Städten wie Aleppo.
Das Fehlen einer gesamtkurdischen Bourgeoisie und ArbeiterInnenklasse bedeutete auch, dass die kurdische nationale Befreiungsbewegung nicht nur historisch verspätet kam, sondern dass sie oft entlang der verschiedenen Nationalstaaten zersplittert war. Es gibt materielle Wurzeln, warum sich die unterdrückte kurdische Nationalität in dieser Richtung entwickelte, obwohl versucht wurde, sie zu überwinden (z. B. durch die Gründung der PDK im Irak, Iran, Syrien und für kurze Zeit auch in der Türkei).
Es gibt tatsächliche materielle Gründe für die Schwierigkeiten, eine einheitliche nationale Befreiungsbewegung aufzubauen: Erstens ist zu nennen die überwiegende Landbevölkerung, die BäuerInnenschaft als größte Klasse. Wo die kurdischen Bewegungen zu Massenbewegungen, Parteien, Guerillakräften wurden, fanden sie ihre Massenbasis in der BäuerInnenschaft und Kleinbourgeoisie, manchmal unter der politischen Führung der GroßgrundbesitzerInnen.
Zweitens führten die unterschiedliche Entwicklung der wichtigsten Staaten, in denen sich die kurdische Bevölkerung befindet, und die voneinander abweichende Entfaltung ihrer Klassenstruktur dazu, dass der Rhythmus des kurdischen politischen Lebens und des Klassenkampfes in der Nachkriegszeit auseinandergingen.
Drittens, und damit verbunden, schienen die Grenzen der Nationalstaaten, in die die KurdInnen aufgeteilt waren, unüberwindbar. Die meisten Bewegungen hatten Anfang der 1990er Jahre den Kampf um Unabhängigkeit und Selbstbestimmung aufgegeben; die PKK sollte bald folgen. Es ist jedoch eine gewisse Ironie in der Geschichte, dass sich dieser Zustand grundlegend geändert hat. Die gescheiterte Neuordnung des Nahen Ostens durch die USA, die Besetzung und Verwüstung des Irak und die arabische Revolution in Syrien haben nicht nur extrem repressive Regime in Frage gestellt, sondern auch die Existenz der von ihnen regierten Staaten.
Schließlich ist der Umgang der verschiedenen kurdischen Kräfte mit der nationalen Frage stark von bürgerlichem Nationalismus und Stalinismus geprägt. Dies bedeutete, dass die Klassengegensätze auf dem Land und in den Städten oft heruntergespielt, wenn nicht gar ignoriert wurden. Die massive Unterdrückung stellte auch ein echtes Hindernis für die Integration der kurdischen Massen in demokratische oder progressive Bewegungen in verschiedenen Ländern dar. Dennoch darf man nicht übersehen, dass es ein starkes Element der Integration der kurdischen ArbeiterInnenklasse (z. B. in der Türkei, aber auch im Iran und von MigrantInnen in Europa) in die ArbeiterInnenklasse ihrer jeweiligen Länder gibt. Diese wurden allgemein als außerhalb des „echten“ Kampfes betrachtet – was auch bedeutete, dass jene AktivistInnen oder KämpferInnen, die versuchten, über die Grenzen ihrer nationalistischen oder stalinistischen Organisationen hinauszugehen, tatsächlich auch auf die politischen Grenzen – den Nationalismus – von Organisationen wie der PKK stießen. Letztere organisierte zumindest das kurdische Volk in Massenorganisationen, hauptsächlich zur Unterstützung des kurdischen nationalen Kampfes, während die offenen bürgerlichen Organisationen dies nicht einmal versuchten. Solch ein Spannungsverhältnis zwischen der Integration in die politischen Kämpfe in den verschiedenen Ländern und dem Nationalismus kann man an der HDP sehen.
Es wäre jedoch falsch, den Mangel an internationaler kurdischer Widerstandsbewegung, die Schwäche ihrer Orientierung auf die ArbeiterInnenklasse nur als eine mechanische Spiegelung der sozialen Struktur des kurdischen Volkes zu sehen. Die Dominanz des bürgerlichen Nationalismus und des Großgrundbesitzes auf der einen Seite (PDK) und der stalinistischen Etappenstrategie (PKK) bedeutete, dass die beiden dominierenden Kräfte innerhalb der kurdischen Bewegung seit einem halben Jahrhundert oder länger eine politische Perspektive hatten, die sich tatsächlich auf den nationalen Kampf in den Ländern konzentrierte, in denen sie ihre Basis hatten.
Die PDK hatte ihren Ursprung im Irak und auch, wenn sie eine ganze Zeit lang die führende Kraft der kurdischen Bewegung im Iran und in Syrien war, konzentrierte sie sich nicht nur auf den Kampf im Irak, sondern war auch bereit, ihre Schwesterparteien in diesen Ländern für Bündnisse mit dem iranischen Regime, insbesondere gegen die irakischen Herrscher, zu opfern. Dies hat in den verschiedenen Ländern zu Spaltungen der kurdischen Parteien geführt, die sich auf die Seite reaktionärer Herrscher stellten (Schah und Chomeini [Khomeini]), im Falle der PDK und der PUK (Patriotische Union Kurdistans) im Irak; Saddam Hussein im Falle der iranischen KurdInnen).
Ein zweites Spaltungsthema in der Geschichte der PDK war die Agrarfrage – wenn auch manchmal nur als Vorwand. Die PUK um Talabani (und die parallelen Abspaltungen in Syrien) forderten alle eine radikalere Agrarpolitik und Landreform gegen die „feudalen“ Elemente der Familie Barzani. Während das meiste davon demagogisch war – und sowohl die PDK als auch die PUK, selbst wenn sie sich mit der Sowjetunion verbündet hatten, von Großgrundbesitzern geführt wurden, spiegelt es auch die zentrale Bedeutung der Agrarfrage für die kurdische Revolution wider, eines Themas, das alle kurdischen Parteien nicht mit Nachdruck angegangen sind.
Die Begründung, die die PDK und die PUK dafür lieferten, war stark beeinflusst von der stalinistischen Etappentheorie. Die kurdische Selbstbestimmung, sei es in Form von Unabhängigkeit, Autonomie oder Selbstbestimmung, müsse zuerst geschaffen werden. Vorher würden „Experimente“ wie die Agrarreform (ganz zu schweigen von der Revolution auf dem Lande) nur „das Volk spalten“ – entlang Klassenlinien, könnte man hinzufügen.
Die PKK hatte nie materiellen Rückhalt bei den GroßgrundbesitzerInnen, die auf Seiten des türkischen Staates mit Waffen gekämpft haben und weiterhin kämpfen, der sie auch ermutigt hat, paramilitärische Einheiten (die sogenannten Dorfschützer) gegen die Guerilla und ungehorsame Bäuerinnen und LandarbeiterInnen aufzubauen. Als die PKK gegründet wurde, erklärte sie auf maoistische Weise die nationale Unterdrückung (und die koloniale Ausbeutung) Kurdistans zum bestimmenden Hauptwiderspruch. Die nationale Frage müsse zuerst gelöst werden, bevor alle anderen demokratischen und sozialistischen Aufgaben angegangen und gelöst werden könnten (PKK-Programm 1984). Dies bedeutete, dass alle Fragen der demokratischen Revolution (v. a. die Landfrage) der „nationalen Revolution“ untergeordnet wurden.
Wie die PDK war die PKK jahrelang bereit, über die nationale Unterdrückung des kurdischen Volkes in anderen Staaten zu schweigen, wenn dies ihrem Kampf in der Türkei diente. Jahrelang ließ das syrische Regime es zu, ihre KämpferInnen im Land auszubilden, und die PKK hat über die schwere Unterdrückung des kurdischen Volkes in Syrien geschwiegen. Erst als sich das syrische Regime Ende der 1990er Jahre mit dem türkischen Regime verbündete, Assad mit der PKK brach und die PYD, die Schwesterpartei der PKK in Syrien, schwer unterdrückte, änderte sich das.
Die dominierenden Kräfte der kurdischen Bewegung, die PDK- und PKK-Traditionen, haben das kurdische Volk immer wieder enttäuscht, sind aber heute immer noch die Schlüsselkräfte. Sie regieren quasi einen Staat im Nordirak und die kurdischen Kantone in Syrien (Rojava). Dies hat nicht nur ihre Politik in den Vordergrund gerückt, sondern auch zu einer Situation geführt, in der sie als wichtigste kurdische Kräfte international miteinander konkurrieren. Die Öffnung der Grenzen, die Kriegssituation im Irak und in Syrien, die Nähe zur Türkei bedeuten, dass die kurdische Frage nun wieder viel häufiger gestellt wird. Auch wenn die zukünftige Form der kurdischen Selbstbestimmung und Befreiung offen bleibt, ist es fast unvorstellbar, dass diese unter einem wieder stabilisierten syrischen oder irakischen Staat ohne eine revolutionäre Erhebung der proletarischen und bäuerlichen Massen nennenswerte Form annehmen kann. Diese wiederum könnte nur erfolgreich sein, wenn sie den KurdInnen ihr Recht auf Selbstbestimmung einschließlich Sezession einräumen würde, falls sie dies wünschen. Dies allein würde einen massiven Einfluss auf die kurdische Bevölkerung in der Türkei und im Irak ausüben.
Eine revolutionäre Strategie für die kurdische Befreiung würde es erfordern, den nationalen als Teil des revolutionären Kampfes im Nahen Osten und gegen die imperialistische Staatenordnung zu sehen. Sowohl die PDK als auch die PKK nehmen trotz ihrer Unterschiede die bestehende staatliche Ordnung und auch die bestehenden Klassenverhältnisse als Rahmen für ihre eigene Politik, die sie zumindest ohne die Zustimmung des Imperialismus nicht in Frage stellen wollen. Die PDK hofft, dass sie in den kurdischen Gebieten ein sehr hohes Maß an Selbstverwaltung erlangt, einschließlich einer Erweiterung dieser Gebiete. Wenn der Imperialismus den Irak nicht wieder zusammenfügen kann, könnte dies sogar zu einem unabhängigen Staat führen, der mit Zustimmung der USA und anderer Mächte errichtet wird.
Selbst die PKK befürchtet eine solche Entwicklung. Sie hat den Kampf für einen unabhängigen kurdischen Staat aufgegeben und durch den Kampf für „demokratischen Konföderalismus“ ersetzt. Gemeint sind demokratische Reformen innerhalb der bestehenden bürgerlichen Staaten. Dieses schwache und utopische Reformprogramm steht im Widerspruch zur Geschichte, wo die Fragen der kurdischen Selbstbestimmung einschließlich der Bildung eines kurdischen Staates tatsächlich gestellt werden und echte Schritte in diese Richtung im Irak und in Syrien (hier von der PKK/PYD selbst) unternommen wurden.
Von Anfang an waren die PDK im Irak, aber auch Schwesterparteien in den 1940er und 1950er Jahren im Iran, Syrien oder der Türkei mit inneren sozialen Widersprüchen durchsetzt. Die städtische kurdische Intelligenz und die Mittelklassen waren gespalten über die Frage, auf welche soziale Kraft sie sich orientieren sollten, ob auf die Landbevölkerung oder die politischen Oppositionsparteien in den jeweiligen Ländern. In allen Regionen Kurdistans (abgesehen von denen in der Sowjetunion) lebte die große Mehrheit der Bevölkerung auf dem Land, meist unter der Herrschaft der Landbesitzerklasse. Sie war oft in Konflikte mit den etablierten Staaten geraten, die die Kontrolle der StammesführerInnen und ihrer bewaffneten Gruppen brechen wollten. Dies geschah jedoch oft in Form von lokalen Streitigkeiten, aber es führte nicht zu einer einheitlichen kurdischen Bewegung. Im Gegenteil, oft genug fungierten StammesführerInnen und Grundbesitzergruppen als Verbündete der Unterdrückerstaaten. Darüber hinaus waren sie gegen jegliche Landreform, ganz zu schweigen von einer Agrarrevolution, und gegen demokratische Reformen.
Es gab jedoch ein wichtiges Element, das Teile der Grundherren und auch religiöse FührerInnen in Opposition zu den Zentralstaaten trieb – das waren die Armeen von Staaten, die die gesamte kurdische Bevölkerung und sogar die Eliten mit Unterdrückung behandelten, selbst wenn sie Verbündete gewesen waren.
Die PDK wurde im Jahre 1946 in Mahabad, der kurzlebigen kurdischen Republik im heutigen Iran, gegründet. Seit ihrer Gründung war sie eine nationalistische Partei, die ihrem Programm eine Färbung gab, die von progressiv, demokratisch, sozialistisch, „marxistisch-leninistisch“, reformistisch bis zu konservativ, religiös geprägt war.
Im Laufe ihrer Geschichte wurde sie von der Familie Barzani, einem der großen Grundherren des irakischen Kurdistans, beherrscht – ebenso wie die Abspaltung, die PUK, die von Talabani geführt wurde.
Die PDK stand von Anfang an in einem Spannungsfeld. Während ihre FührerInnen angesichts der Instabilität der Situation am Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst auf ein „Großkurdistan“ hofften, konzentrierten sich ihr Kampf und ihre Ambitionen viel stärker auf den Irak, insbesondere nach dem Fall der Mahabad-Republik. Im Irak schwankte sie zwischen Forderungen nach größerer kurdischer Autonomie, Perioden von Verhandlungen mit dem irakischen Regime und bewaffneten Kämpfen gegen es.
Die 1950er und frühen 1960er Jahre waren eine Zeit des bewaffneten Kampfes, der Schaffung einer kurdischen Guerilla, der Peschmerga, die auch Teile des Territoriums kontrollierte. Im Jahr 1964 wurde ein Waffenstillstand mit der irakischen Regierung vereinbart, die den KurdInnen begrenzte Zugeständnisse anbot. Dies führte zu einer Spaltung der PDK (und schließlich zur Bildung der PUK). Das Politbüro der Partei um Talabani und Ahmed spaltete sich und behauptete, dass die Zugeständnisse unzureichend gewesen seien und zunächst kein Waffenstillstand hätte geschlossen werden dürfen. Barzani reagierte darauf, indem er jegliche Verhandlungen ablehnte, Talabani und seine AnhängerInnen aus Kurdistan vertrieb und eine neue Führung schuf.
In den 1960er Jahren war die PDK auf die Sowjetunion ausgerichtet und Barzani, ebenso wie später Talabani, behauptete sogar, eine marxistisch-leninistische Ideologie zu haben. Mit der Aufnahme der Verhandlungen mit dem irakischen Regime Anfang der 1970er Jahre änderte sich die Situation jedoch. Der Irak wurde mehr und mehr ein Verbündeter der Sowjetunion. Während Barzani anfangs hoffte, dass dies mehr Raum für ein Abkommen mit Badgad über die kurdische Autonomie eröffnen würde, spielte das Regime eindeutig mit der kurdischen Bewegung. Je länger die Verhandlungen dauerten, desto weniger schienen sie zu erreichen. Das irakische Regime spielte auf Zeit und kombinierte die Verhandlungen mit einem erneuten Drang zur „Arabisierung“, während es seine eigenen Truppen in Vorbereitung auf eine Offensive gegen die kurdische Bewegung konsolidierte. Die Sowjetunion, einst Unterstützerin der PDK, hatte sich schnell auf die Seite des geostrategisch viel wichtigeren irakischen Regimes gestellt. Als der Kampf mit den KurdInnen jedoch wieder aufgenommen wurde, machten Barzani und die PDK eine spektakuläre Wende – hin zu einem Bündnis mit dem Schah und den USA. Allerdings ließen beide die PDK und ihre Guerillakräfte fallen, nachdem das Regime in Badgad einer Normalisierung mit den USA zugestimmt hatte.
Solche Abenteuer und doppeltes Spiel prägen die gesamte Geschichte von Barzani und Talabani und ihrer jeweiligen politischen Kanäle, der PDK und der PUK.
Ebenso verrieten die PDK und die PUK nicht nur die kurdischen ArbeiterInnen, die in ihren Strategien kaum eine Rolle spielten, sondern auch die kurdische BäuerInnenschaft. Selbst in ihren jeweiligen „marxistisch-leninistischen“ Phasen haben sie die stalinistische Etappenstrategie einfach dazu benutzt, die Unterordnung der BäuerInnenkämpfe oder jene der Frauen unter die „Hauptauseinandersetzung“‚ den nationalen Kampf, zu rechtfertigen.
In der Folgezeit führte das wechselseitige doppelte Spiel kurdischer Führer gegeneinander wiederholt zu militärischen Kämpfen und Konflikten zwischen der PUK und der PDK. Der Niedergang der Sowjetunion und die Wende des Irak, der sich zu einem US-amerikanischen Bündnispartner gegen den Iran entwickelte, bedeuteten auch, dass das ba‘athistische Regime freie Hand bei der Unterdrückung der kurdischen Gebiete hatte, was 1988 in dem barbarischen Massaker von Halabdscha gipfelte, wo 5000 ZivilistInnen durch Giftgaseinsatz getötet wurden.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wende der USA gegen das irakische Regime boten sich irakische KurdInnenführungen, in späteren Perioden auch die PKK, als Verbündete gegen Saddam Hussein an. Trotz eines Jahrhunderts des ständigen Verrats am kurdischen Kampf durch imperialistische oder regionale Mächte haben die Führungen der PDK und der PUK nichts aus der Vergangenheit gelernt. Wenn es in ihrer Politik in der Tat etwas Konsequentes und Dauerhaftes gibt, dann ist es die ständige Suche nach einem anderen imperialistischen oder reaktionären Verbündeten in der Region.
In den Augen der kurdischen Führung schienen die Niederlagen der irakischen Armee, die Einrichtung einer Flugverbotszone durch die USA nach dem ersten Krieg gegen den Irak und dann die Besetzung des Landes durch die USA ihre „Strategie“ zunächst einmal bestätigt zu haben. Die kurdischen FührerInnen wurden in die irakische Regierungsmaschinerie integriert. Talabani wurde sogar Präsident des Irak. Die kurdische Region nahm in dieser Zeit ein gewisses Maß an Selbstverwaltung an und wurde so zu einem Halbstaat.
Aber diese Selbstverwaltung war das Ergebnis der Krise des irakischen Staates und des Nahen Ostens. Sie war nur möglich, weil die historischen UnterdrückerInnen mit anderen, unmittelbareren und brennenderen Problemen beschäftigt waren. Außerdem erlaubten die Ölreserven des Landes eine regelmäßige Ölrente, obwohl sie immer zwischen der kurdischen Regionalregierung und der zentralirakischen Regierung umstritten war. Dies galt insbesondere für die Ölreserven in der Region Kirkuk, aber auch für die Exportkontrolle. Die kurdische Regionalregierung kontrollierte de facto den Export über die Türkei, machte auch russischen InvestorInnen Zugeständnisse und zog ausländische Investitionen an. So entwickelte sich im irakischen Kurdistan sogar ein temporärer Spekulationsboom, der zu einem massiven Wachstum von Städten wie Erbil führte sowie auch einem Boom im Bausektor. Die Ölrente bedeutete auch, dass Teile der kurdischen Bevölkerung in den staatlichen Sektor und ein System des Klientelismus integriert werden konnten. Dies bedeutete ebenfalls, dass ein großer Teil der ArbeiterInnenklasse im kurdischen Gebiet tatsächlich arabische oder andere nicht-kurdische ArbeiterInnen sind. So ist z. B. nur eine kleine Minderheit der ArbeiterInnen in der Ölindustrie kurdisch, und diese arbeitet in der Regel in der Verwaltung und nicht auf den Feldern.
Der Wohlstand der kurdischen Region konnte jedoch nur unter günstigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen anhalten. 2017 markierte einen Wendepunkt. Die gescheiterte Hinwendung zu einem unabhängigen Staat oder zumindest zu einem größeren Maß an Autonomie und Kontrolle über das Ölfeld in der Region Kirkuk führte zu einer Katastrophe. Natürlich wollten die Menschen in den meisten Bereichen Unabhängigkeit und sind verständlicherweise beunruhigt über die Aussicht, unter einem reaktionären irakischen Regime zu leben, das sich mehr und mehr in Richtung Iran bewegt und in dem der Einfluss der erzreaktionären schiitischen fundamentalistischen Kräfte zunimmt.
Nach dem Referendum jedoch schlug die irakische Regierung, unterstützt von den Westmächten und der Türkei, zurück. Die Mittel für die kurdische Region wurden gekürzt. Die türkische und irakische Regierung arbeiteten bei den Grenzkontrollen der kurdischen Region zusammen. Mit der Übernahme von Krikuk hat die irakische Regierung auch die Kontrolle über etwa die Hälfte der zuvor von den kurdischen Regionalbehörden kontrollierten Ölfelder übernommen. Darüber hinaus fordern die USA die Kündigung von Verträgen mit russischen Ölgesellschaften (im Wert von rund 4 Milliarden Dollar) und deren „Übergabe“ an US-Unternehmen.
All dies zeigt, dass das PDK-Projekt, mehr und mehr Autonomie im Rahmen der bestehenden (Un-)Ordnung zu erreichen, auf Sand gebaut wurde. Selbst ein bürgerlicher Marionettenstaat des westlichen Imperialismus könnte nur erreicht werden, wenn er zu einem wichtigen geostrategischen Gut einer der imperialistischen Mächte würde. Aber auch das ist momentan ausgeschlossen.
Doch die Politik der kurdischen Führung im Irak hat die kurdischen ArbeiterInnen und BäuerInnen zu politischen Werkzeugen in den Händen einer parasitären kurdischen Elite gemacht, deren eigene Herrschaft auf der Ausbeutung kurdischer und anderer ArbeiterInnen und BäuerInnen beruht, auf der Ablehnung jeder wirksamen Landreform, auf sozialer Unterdrückung, der Verweigerung demokratischer Rechte für politische Oppositionsparteien. Die bürgerlich-nationalistische Politik der PDK und der PUK verhindert auch die Einheit mit kurdischen ArbeiterInnen und BäuerInnen in anderen Staaten – vor allem in der Türkei. Die kurdische Regionalregierung hat wiederholt türkische Übergriffe gegen PKK-Stellungen geduldet, wenn nicht sogar unterstützt. Sie hat auch die Versorgung von Rojava blockiert. Natürlich haben die kurdischen Behörden vielen AraberInnen und anderen Menschen, die vor dem Islamischen Staat geflohen sind – und sicherlich mehr als jede der viel reicheren europäischen „Demokratien“ – Zuflucht gewährt. Aber sie entfremden durch ihre nationalistische Politik und die Arbeitsteilung in den kurdischen Gebieten auch arabische und andere nicht-kurdische ArbeiterInnen. Ihre nationalistische Politik könnte auch zu Spannungen zwischen dem kurdischen Volk und den Flüchtlingen in den kurdischen Gebieten führen. Natürlich liegt die Hauptverantwortung für solche Spannungen beim arabisch-nationalistischen Regime, der mörderischen Bedrohung durch religiöses Sektierertum und bei den ImperialistInnen, die seit Jahrzehnten jede Selbstbestimmung abgelehnt haben. Aber die Politik der PDK und der PUK und damit der kurdischen Regionalregierung ist kein Mittel, um den arabischen Nationalismus und den kurdischen Chauvinismus zu untergraben, sondern nährt selbst die Spaltung des irakischen Volkes nach nationalen und religiösen Gesichtspunkten.
Deshalb ist eine politische Alternative, eine ArbeiterInnenpartei, dringend notwendig. In der kurdischen Gemeinschaft präsentiert sich die PKK-Tradition als progressive, revolutionäre Antwort auf PDK und PUK. Wie wir jedoch sehen werden, wenn wir ihre Politik und Entwicklung untersuchen, bietet diese kleinbürgerliche Formation keine solche Alternative.
Die iranische kurdische Bewegung folgt in vielerlei Hinsicht dem Muster der PDK im Irak. Von Anfang an stand die PDK unter starkem sowjetischen und stalinistischen Einfluss. Auf ihrem Gründungskongress hat sie sogar die Forderung nach einem kurdischen Staat zurückgezogen. Auch basierte die Partei auf einem Kompromiss zwischen den konservativen Clanführern und Grundbesitzern einerseits und den städtischen Mittelschichten und Intellektuellen andererseits.
Zunächst wollte die Sowjetunion kurdische Unabhängigkeitsbewegungen verhindern. Aber das Aufkommen des Kalten Krieges führte zu einer „offensiveren“ Politik im Iran, die die Schaffung von autonomen Gebieten der KurdInnen und Aseris (AserbaidschanerInnen) förderte. Dies ermutigte zur Gründung der Republik Kurdistan mit ihrer Hauptstadt Mahabad am 26. Juni 1946, die 11 Monate Bestand hatte.
Die PDK versuchte, eine Reihe demokratischer Reformen (Frauenrechte, Rechte der BäuerInnen, Steuern, Bildung) einzuführen und begann, eigene regierende und bewaffnete Institutionen mit sowjetischer Unterstützung zu schaffen. Eine Landreform scheiterte jedoch an der erfolgreichen Opposition der kurdischen StammesführerInnen und LandbesitzerInnen.
Die Unterstützung der Sowjetunion gegen die iranische Armee war für die kurdischen und aserischen Republiken militärisch entscheidend. Aber Stalin unterstützte den kurdischen Kampf nur insofern, als er ein Mittel war, um Druck auf das iranische Regime und somit den britischen und amerikanischen Imperialismus auszuüben. Aber als sich die sowjetisch-iranischen Beziehungen verbesserten, nachdem der Schah wichtige Ölkonzessionen gemacht hatte, überließ die Sowjetunion ihre kurdischen Verbündeten der Willkür der iranischen Armee.
Die PDK zerfiel mit dem Fall von Mahabad. Viele ihrer KämpferInnen und Abspaltungen wurden Teil der Tudeh-Partei (Partei der Massen/des Volkes Irans), der iranischen stalinistischen Partei. Sie unterstützte zwar formell den Kampf gegen die nationale kurdische Unterdrückung, dies blieb aber weitgehend auf dem Papier. Nach dem Staatsstreich von 1953 wurde die Tudeh-Partei verboten, und die meisten ihrer FührerInnen mussten ins Exil gehen. All dies führte zu einer Vertiefung der Demoralisierung und Passivität in den folgenden Jahren.
Ende der 1950er Jahre nach Barzanis Rückkehr in den Irak und Anfang der 60er Jahre wurde auch die PDK-Iran als PDK-I neu organisiert. Anfang der 60er Jahre brachen die Beziehungen zwischen der irakischen und der iranischen PDK ab, weil das iranische Regime begann, die irakische PDK in ihrem Kampf gegen die irakische Regierung zu unterstützen. Die PDK wiederum stoppte die Unterstützung für die PDK-I – eines der vielen tragischen Beispiele für offenen Verrat an ihrem Volk durch kurdische FührerInnen.
All dies und die Agrarreformen des Schahs vertieften die innere Verwirrung, den Fraktionalismus in der PDK-I, führten zu Spaltungen und politischem Hin- und Herschwanken zwischen Stalinismus und kurdischem Nationalismus, zwischen Opposition und Unterstützung für Barzani. Andererseits entstand auch eine linke Abspaltung, das „revolutionäre Komitee“ der PDK-I, das sich nach links neigte und vom Maoismus inspiriert war. Seine militärischen Guerilla-Operationen wurden von der iranischen Armee mit Unterstützung der Barzani-Milizen unterdrückt, die einige seiner FührerInnen hinrichteten.
Die kurdische Bevölkerung im Iran spielte eine aktive Rolle bei der iranischen Revolution und dem Sturz des Schahs. Nach den Feiern des Zusammenbruchs des Regimes dehnten sich die lokalen Räte und Milizen, die im Kampf entstanden waren, aus. Formen der Selbstbestimmung entfalteten sich. Wie im gesamten Iran hätten die Schoras (räteähnliche Organisationen) und Milizen die Grundlage für eine revolutionäre ArbeiterInnen- und BäuerInnenregierung bilden und die Revolution dauerhaft machen können.
Aber auch die Konterrevolution unter Chomeini wandte sich gegen die KurdInnen. Am 19. August 1979 wurde ein Verbotsurteil islamischer Autoritäten (Fatwa) gegen alle kurdischen Oppositionen und Parteien erlassen. Allein im August wurden mehr als 60 kurdische KämpferInnen hingerichtet – der Beginn eines langwierigen Krieges des Regimes gegen die KurdInnen, der mehrere Jahre andauerte.
Aber die kurdische Bewegung sah sich nicht nur der islamistischen Konterrevolution gegenüber, sondern auch einem inneren Krieg zwischen der bürgerlichen PDK-I und ihrer Forderung, zuerst die Revolution zu kontrollieren und dann einen Kompromiss mit den Mullahs zu suchen, und der linken Komala/Komalah (revolutionäre Organisation der Werktätigen in Kurdistan-Iran; dt: Gesellschaft/Gemeinschaft). Sie entwickelte eine „marxistisch-leninistische“ Ideologie und versuchte ein Gemisch aus Formen der Volksmacht in der Revolution und der Etappentheorie zu konstruieren. Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Chomeini in den 1980er Jahren schloss sie sich den militärischen Auseinandersetzungen mit dem Regime, aber auch Aktionen gegen die bewaffneten Einheiten der PDK-I an.
Während die Komala eindeutig eine linke Abspaltung und Entwicklung repräsentierte, führte sie trotz ihres HeldInnentums nicht zu einem vollständigen und konsequenten Bruch mit Maoismus, Guerillaismus und Etappenstrategie. Sie war jedoch wahrscheinlich die am meisten links gerichtete Kraft der kurdischen Bewegung, die eine Zeitlang während der iranischen Revolution eine MassenanhängerInnenschaft gewinnen konnte.
Die Konterrevolution unter dem islamistischen Regime und seine Konsolidierung nach dem Krieg gegen den Irak hat nicht, wie z. B. die FührerInnen der PDK-I gehofft hatten, eine Periode der „Versöhnung“ mit dem iranischen Regime eröffnet. In der Tat hat die Massenunterdrückung zu einer historischen Niederlage der kurdischen Bewegung und der ArbeiterInnenklasse geführt, von der sich das kurdische Volk im Iran noch erholen muss. Sie erklärt, warum der kurdische Kampf in den letzten Jahrzehnten anderswo akzentuierter und sichtbarer geworden ist.
Die PKK entstand in den 1970er Jahren. Sie verkörperte eine Reaktion der Kader der türkischen Linken um Öcalan gegen die Verharmlosung der kurdischen nationalen Unterdrückung durch große Teile der türkischen Linken. Im schlimmsten Fall hat dies zu einer unkritischen Verehrung des Kemalismus und der Unterstützung für türkischen Sozialchauvinismus geführt. Die Kurdenfrage wurde zum „untergeordneten Widerspruch“ im demokratischen Kampf in der Türkei und gegen den westlichen Imperialismus und die NATO erklärt. Forderungen nach kurdischer Unabhängigkeit wurden entschieden zurückgewiesen.
Offensichtlich waren Öcalan und die spätere PKK nicht die einzigen, die dies kritisierten. In der Tat fand eine Diskussion über das Wesen der kurdischen Unterdrückung und die Rückständigkeit der östlichen Regionen statt. Doch die vorherrschende Etappenideologie innerhalb der türkischen stalinistischen Linken zwang sogar diejenigen, die bereit waren zu akzeptieren, dass es Unterdrückung des kurdischen Volkes gab, zu glauben, es handele sich um einen untergeordneten Faktor. Sie war nicht in der Lage, das Thema im Rahmen eines Programms dialektisch anzugehen, das den ungleichen und kombinierten Charakter der Entwicklung erkennt und auf der Theorie der permanenten Revolution basiert.
Öcalan und seine Gefolgschaft, selbst engagierte AnhängerInnen des Stalinismus, lehnten auch die Theorie der permanenten Revolution ab. Für sie war jedoch die kurdische nationale Unterdrückung der Hauptwiderspruch. Die Revolution in Kurdistan musste eine national-demokratische sein, und alle anderen Fragen wurden ihr untergeordnet. Ziel war die Befreiung des kurdischen Volkes, seine Selbstbestimmung und die Schaffung eines kurdischen bürgerlich-demokratischen Staates als nächster Etappe der „antikolonialen“ und „antifeudalen Revolution“.
Trotz ihres Namens war die PKK nie eine ArbeiterInnenpartei, weder vom Programm her noch in ihrer sozialen Zusammensetzung. Abgesehen von einigen Initiativen in der Anfangsphase zielte sie nicht darauf ab, sich auf die kurdische ArbeiterInnenklasse zu stützen. In den kurdischen Regionen war dies eine kleine, aber nicht unbedeutende Klasse. Unter der wachsenden Zahl kurdischer ArbeiterInnen in den türkischen Großstädten und in Westeuropa organisierte die PKK diese nur als UnterstützerInnen und als SpenderInnen für den „Hauptkampf/es“ – den um nationale Befreiung in Kurdistan.
Ihre wichtigste soziale Basis bildeten Intelligenz und ländliche Bevölkerung. Ihr wichtigstes Kampfinstrument war der Guerillakrieg, der Aufbau einer Guerillabewegung, die Kurdistan vom Land aus befreien sollte. Anders als die meisten türkischen Linken, die durch den Militärputsch 1980 zerschlagen wurden, konnte die PKK in den 1980er und frühen 1990er Jahren nicht nur überleben, sondern ihre Wurzeln in der kurdischen Bevölkerung sogar vertiefen. Sie wurde zur dominierenden Kraft der kurdischen Bevölkerung in Kurdistan, zu einer kleinbürgerlich-nationalistischen Partei mit Massenanhang, die auch außerhalb der kurdischen Gebiete, u. a. in Westeuropa, Massenorganisationen zur Unterstützung ihres Kampfes schon früher organisierte.
Sie richtete sich eindeutig an verschiedene Schichten der kurdischen Gesellschaft, insbesondere an Jugendliche aus dem ländlichen und städtischen Kleinbürgertum. Darüber hinaus war die Frage der Frauenbefreiung immer ein wichtiges Thema, und die Guerilla zog viele Kämpferinnen an, die in speziellen Fraueneinheiten organisiert waren. Die PKK konnte die Militärdiktatur überleben, weil sie eine Zuflucht in Syrien finden und ihre Kräfte ausbilden konnte, aber auch wegen ihrer Wurzeln innerhalb der kurdischen Bevölkerung in der Türkei und außerhalb davon.
Die 1990er Jahre brachten wichtige Veränderungen mit sich. Erstens zwang der Zusammenbruch der Sowjetunion und der stalinistischen Kaste auch die PKK, dies ihren AnhängerInnen zu erklären. Sie fand dies leichter als die meisten türkischen StalinistInnen, MaoistInnen oder HoxhaistInnen, da die PKK wegen der Unterstützung für die türkischen chauvinistischen Linken und des Verrats an kurdischen Kämpfen immer einige Vorbehalte gegenüber Moskau hegte. Der Zusammenbruch der herrschenden Bürokratien wurde durch eine „Entfremdung vom Volk“ und „Verweigerung der Demokratie“ erklärt. Offensichtlich hat sie einige der repressiven Merkmale des Stalinismus anerkannt, aber sie hat keine grundlegende, sondern eine oberflächliche Kritik entwickelt, die den Klassencharakter der „Demokratie“ herunterspielte und gesellschaftliche Planung per se als bürokratische Planung verstand.
Zweitens machte die politische Situation Anfang der 1990er Jahre auch der PKK klar, dass der Guerillakampf die türkische Armee in Kurdistan nur binden konnte. Sie wäre nicht in der Lage, die türkische Armee zu besiegen. Zudem wurden die Beziehungen zum syrischen Regime (auf Druck der Türkei) schwieriger. Die US-Kriege gegen Saddam Hussein sahen die PKK auf beiden Seiten eine defätistische Position einnehmen, aber es entstand auch ein rechter Flügel, der sich mit den USA verbünden wollte.
Drittens führt dies alles dazu, dass sich die PKK verstärkt „diplomatischen“ und „Friedensinitiativen“ zuwandte. Die Frage der Unabhängigkeit wurde mehr und mehr durch Forderungen nach Autonomie, Gleichberechtigung, Selbstverwaltung und sozialen Reformen in den kurdischen Regionen ersetzt und schließlich zugunsten „demokratischer Initiativen“ aufgegeben. Während der Guerillakampf aufrechterhalten wurde, geriet er zum Druckmittel für einen „Waffenstillstand“ und „Verhandlungen“. Schon bevor Öcalan gefangen genommen wurde, hatte er mehrere Initiativen gegenüber den türkischen Regierungen versucht (Anfang der 1990er Jahre) und begann auch in Europa zu „touren“, um Unterstützung von bürgerlichen Regierungen zu erhalten. Die türkische Regierung war jedoch nicht auf eine Einigung aus, sondern auf seine Kapitulation. Sie zwang Syrien nicht nur, die PKK-Basen zu schließen, sondern auch Öcalan auszuweisen, damit er schließlich gefangen genommen, zum Tode verurteilt (2002 in lebenslängliche Haft umgewandelt) und seitdem auf der Insel Imrali inhaftiert werden konnte.
Öcalans Gefangennahme markierte eindeutig einen Wendepunkt für die PKK. Zuerst hat sie Verwirrung gestiftet. Ihre erste Reaktion auf die Gefangennahme waren erhöhte Militanz und Abenteurertum. Aber bald zog die Partei nach rechts. Ihr linker Flügel wurde unter anderem mit gewalttätigen Mitteln gesäubert, und nach einigen Monaten wurde Öcalan wieder als Parteiführer eingesetzt.
Dies war nur möglich, da die PPK eine kleinbürgerliche stalinistische Partei war. Sie hatte bereits einen eigenen Personenkult um Öcalan etabliert. Obwohl er sich in den Händen des türkischen Staates befindet, leitet er weiter die Partei, führt das Volk, die Bewegung an, die er korrigiert hat, idem er eine ganz neue Ideologie und Strategie erfunden hat, die die Partei, das Volk, die Bewegung umsetzen. Bei allem Hype um Demokratie, den die PKK jetzt betreibt, ist nur Öcalan als Führer „anerkannt“.
Es wäre jedoch falsch zu behaupten, dass der ideologische Wandel, den die PKK in den späten 1990er Jahren und seither unter Öcalans Führung vollzogen hat, nur ein kosmetischer Trick war. Tatsächlich hat sie wichtige Elemente ihrer marxistisch-leninistischen, d. h. stalinistischen, Ideologie aufgegeben und sie durch eine zusammengeklaubte Mischung aus Libertärianismus, Anarchismus, Postmodernismus ersetzt, während sie gleichzeitig nationalistische und stalinistische Züge beibehält.
Sie ersetzte das Etappenprogramm der nationalen Befreiung und Machtergreifung durch die Ideologie des „demokratischen Konföderalismus“. Sie hat ein stalinistisches Programm gegen ein Programm des kleinbürgerlichen Sozialismus ausgetauscht, das Elemente des Anarchismus, „Marxismus“, Reformismus, Nationalismus, Feminismus zu einem populistischen Programm verbindet.
Für Öcalan, dessen Anschauung dem Lehrbuch des Anarchismus entlehnt ist, ist der Marxismus gescheitert, da er wollte, dass die Revolution die Staatsmacht ergreift und die ehemals unterdrückten Klassen als herrschende Klasse etabliert. Deshalb dürfe man nicht darauf abzielen, die Staatsmacht zu erobern, sondern müsse den bürgerlichen Staat von innen heraus überflüssig machen. Dazu bedürfe es Formen der Selbstregierung, demokratische Rechte und vor allem Formen der Selbstverwaltung und „Räte“ als alternative, zukünftige Vergesellschaftungsformen. Würden diese sich allmählich entwickeln und mit einem Programm zur (Um-)Bildung der Menschen in einer kooperativen, nicht repressiven Weise kombiniert, würde die bestehende kapitalistische Wirtschaft durch eine kooperative ersetzt und der Staat für die Menschen immer weniger wichtig werden.
Öcalan hat so nicht nur den Stalinismus revidiert, sondern auch die marxistische Staatstheorie und das marxistische Verständnis von Kapitalismus und Warenproduktion. Er hat das Programm der Frauen und der nationalen Befreiung revidiert. Es ist nicht verwunderlich, dass es in seiner Politik für einige Zeit auch Spannungen in Bezug auf die Rolle der PKK selbst gab. Warum braucht man schließlich eine politische Partei, die das Volk führen soll, wenn man nicht die Absicht hat, die Macht zu übernehmen? Öcalans Antwort ist einfach: Sie muss seine Ideologie verbreiten und sicherstellen, dass die Menschen ihr folgen.
Kurzum, trotz der „klassenlosen“ demokratischen Utopie, die die PKK in den letzten Jahren gefördert hat, kann ihr kleinbürgerliches Programm nicht allein von der Demokratie umgesetzt werden. Natürlich machen die Unterdrückung der KurdInnen, die Kriege gegen sie, „reine Demokratie“ ohnehin utopisch. Aber dieses politische und wirtschaftliche Programm erfordert auch eine politische Kraft, eine Partei, die zwar innerhalb der Kampfstrukturen der ArbeiterInnen und BäuerInnen um deren Ausrichtung und demokratisches Funktionieren kämpft, aber mit diesen nicht identisch ist. Vielmehr muss sie neben oder mit anderen Strömungen der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückung um die politische Führung ringen.
In einer ArbeiterInnenrevolution entstehen Räte/Sowjets als Organe des Kampfes und der direkten Demokratie. Sie können ihr Potenzial nur dann entfalten, wenn die ArbeiterInnenklasse die ausgebeuteten und unterdrückten Massen an die Macht bringt, um ein Programm der Enteignung der KapitalistInnenklasse umzusetzen. Auf einer solchen wirtschaftlichen und sozialen Basis kann eine Arbeiterinnenregierung die gesamte Wirtschaft demokratisch planen. Die revolutionäre Partei kann durch Agitation und Propaganda die Führung für ein Programm gewinnen, das den objektiven Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht und der bewusste Ausdruck der Aufgaben ist, die die Revolution der ArbeiterInnenklasse stellt. Das sind die Grundlagen, auf denen die revolutionäre Partei rechenschaftspflichtig, wählbar und abrufbar ist.
Dies ist auch der Grund, warum sowjetartige Organe nur in vorrevolutionären oder revolutionären Situationen entstehen und nur dann dauerhaft werden können, wenn sie die Macht ergreifen. Würden sie dies nicht und das wirtschaftliche Fundament der Gesellschaft nicht verändern, könnte die Führung der revolutionären Partei nicht zur führenden Kraft werden und würde einer konterrevolutionären Kraft Platz machen, die die Räte schließlich entwaffnen oder in bürgerliche Institutionen integrieren würde. Wenn es der Revolution gelingt, einen ArbeiterInnenstaat zu schaffen, wird die ArbeiterInnendemokratie die Demokratie der ArbeiterInnen als herrschende Klasse sein, und sie wird reichlich sprießen, je mehr sich die Revolution ausbreitet und die Wirtschaft zum globalen Sozialismus entfaltet.
Der demokratische Konföderalismus hingegen sieht eine „Transformation“ in eine andere Gesellschaft vor, die versucht, eine „kooperative“ Produktion im Kapitalismus zu entwickeln. Sie versucht, sich in Richtung „Sozialismus“ zu bewegen, indem sie eine bestimmte Art von Privateigentum (Kooperativen) und eine politische Form (Rat) mittels des bestehenden Staates schrittweise erweitert.
Jede allgemeine Warenproduktion wird jedoch die von ihm angestrebten Wirtschaftsstrukturen untergraben. Die Kooperativen oder selbstverwalteten Fabriken werden dem Markt untergeordnet, nicht umgekehrt. Den bestehenden Staaten, selbst notwendiger Ausdruck der wirtschaftlichen Basis einer kapitalistischen Produktionsweise, werden die „Räte“ untergeordnet und nicht umgekehrt.
Es sind in der Tat die massive Unterdrückung des türkischen Staates und der Krieg gegen das kurdische Volk, die alle Formen der populären Selbstverwaltung zerstören und dazu neigen, diese wirklichen Widersprüche der Politik der PKK und ihrer Schwesterorganisationen in Syrien (PYD) oder im Iran zu verschleiern.
Man konnte jedoch sehen, wie sich diese Widersprüche in der Politik der HDP in der Türkei auswirkten. In der Vergangenheit hatte die PKK prokurdische Parteien gefördert, damit sich kurdische Linke und NationalistInnen an den türkischen Wahlen beteiligen konnten. Trotz diverser Verhandlungen, Waffenstillstände etc. waren sie immer wieder Gegenstand von Repressionen, Inhaftierungen von Abgeordneten und MandatsträgerInnen und schließlich des Verbots der prokurdischen Parteien. Dies zeigt, dass der türkische Staat selbst minimalen Formen der parlamentarischen Demokratie stets extreme Grenzen gesetzt hat.
Im Jahr 2014 wurde die HDP gegründet. Es war ein Versuch, den „Friedensprozess“ mit der türkischen Regierung weiter voranzutreiben und über den kurdischen WählerInnenstamm hinauszugehen. Natürlich hat die HDP auch eine Partei verkörpert, die die Kräfte der „Gezi-Proteste“ ab 2013 zusammenführt, darunter die kurdischen Kräfte und die türkische Linke.
Sie präsentiert sich als Partei aller Unterdrückten – aber nicht als ArbeiterInnenpartei. Von Anfang an wurde sie in verschiedene Richtungen geschoben. Ein Teil der kurdischen WählerInnenschaft wollte eine klassenübergreifende Partei der kurdischen Nation haben. Andere wollten sie in eine ArbeiterInnen-/Sozialistische Partei verwandeln, wenn auch nach dem Vorbild der Europäischen Linkspartei. Ein weiterer Flügel würde es vorziehen, dass sie eine linkspopulistische Partei wie Podemos wird. Schließlich favorisierte ein kleinerer Teil (überwiegend aus der türkischen Linken) eine sozialistische (linksreformistische oder zentristische) Partei.
Durch den Wahlerfolg der HDP im Jahr 2015 wurde sie jedoch von der AKP und Erdogan schwer angegriffen, da sie ein parlamentarisches und soziales Hindernis für sein Ziel der Stärkung der Präsidialmacht darstellte. Im Jahr 2016 hat die türkische Regierung einen blutigen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung wieder aufgenommen, Städte bombardiert, in ihren „Anti-Terror-Kampagnen“ unschuldige ZivilistInnen getötet und Tausende von kurdischen AktivistInnen oder von der lokalen bis zur nationalen Ebene gewählten VertreterInnen inhaftiert. Sie zielt darauf ab, nicht nur die PKK effektiv zu zerschlagen, sondern auch die HDP zu zerstören. Nach dem Gegenputsch von Erdogan im Sommer 2016 hat sich mit der Verstärkung eines bonapartistischen Regimes in der Türkei dies enorm beschleunigt. Das Regime betreibt eine Politik der permanenten inneren Spannungen, die sich nicht nur gegen echte oder vermeintliche „PutschistInnen“, sondern zunehmend gegen alle demokratischen und linken Kräfte, und vor allem gegen die HDP, die PKK und die kurdische Bevölkerung, richtet.
Diese erzreaktionäre Politik hat andererseits die inneren Widersprüche innerhalb von HDP und PKK, die mit einem gemeinsamen Feind konfrontiert sind, eingedämmt. Hätte sich die HDP dagegen eher als parlamentarische Kraft etabliert, wären die unterschiedlichen Klassenorientierungen mehr zutage getreten. Das hätte die Ideologie des „demokratischen Föderalismus“ in Frage gestellt. Sie hat aber zugleich die Grenzen einer legalen, parlamentarischen Partei aufgezeigt, durch die die kurdische Bewegung in Richtung Guerillakampf zurückgedrängt und auch einige Sektionen (z. B. die Teyrêbazên Azadîya Kurdistan, TAK; dt.: Freiheitsfalken Kurdistans) dazu gebracht werden, eine „entschlossenere“ Version des Guerillaismus als Lösung für die aktuelle Situation zu sehen. Die PKK/HDP-Politik selbst oszilliert, behält ihr Guerillatum bei, strebt aber letztendlich eine Wiederaufnahme der Verhandlungen an, während sie behauptet, sie würde weiterhin eine „demokratische konföderalistische“ Struktur in Nordkurdistan aufbauen. Kurzum, sie schwankt zwischen Guerillaismus, utopischem Sozialismus und Parlamentarismus, während der Ausweg in einer anderen Richtung liegt: der Schaffung einer multinationalen ArbeiterInnenpartei, die unter den gegenwärtigen Bedingungen legale und illegale Arbeit kombinieren könnte.
Das andere Schlüsselprojekt, das die Politik des „demokratischen Konföderalismus“ auf den Prüfstand gestellt hat, war West-Kurdistan, Rojava, in Syrien. Hier konnte die PYD, die Schwesterpartei der PKK, von der syrischen Revolution zehren. Sie konnte die Kontrolle über drei Bezirke (Kantone), genannt Rojava, etablieren.
Hier schuf sie ihre quasi-staatlichen Strukturen und baute eigene Verteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel, YPG; dt.: Volksverteidigungseinheiten/ Yekîneyên Parastina Jin, YPJ; dt.: Frauenverteidigungseinheiten) und „Räte“ auf. Sie tat dies mit einer Politik des „dritten Weges“ und versuchte, sich aus der syrischen Revolution herauszuhalten. Assad hoffte und schaffte es in gewissem Maß, die KurdInnen als eine Kraft zu neutralisieren, indem er ihnen Territorien überließ und auch die syrische Staatsbürgerschaft für all jene gewährte, die sie in den 1960er Jahren verloren hatten. Außerdem waren die meisten führenden Kräfte der syrischen Revolution gegenüber der kurdischen nationalen Frage ignorant und lehnten die kurdische Selbstbestimmung ab.
Die kurdische Bevölkerung und vor allem die Jugend waren in den frühen Phasen der syrischen Revolution recht auffällige TeilnehmerInnen, während die meisten kurdischen Parteien (nicht nur aus der PKK-Tradition, sondern auch aus der PDK) eher spät oder zögerlich den Aufstand gegen Assad unterstützten. Andererseits fehlte den militanten Teilen der Jugend und der demokratischen Kräfte – wie der gesamten syrischen Revolution – die politische Richtung.
Die Unterstützung der PKK gab der PYD zudem die Möglichkeit, kurdische Gebiete einzunehmen, wodurch sie zu einer dominierenden Kraft im syrischen Bürgerkrieg wurde. Dies wurde durch die Unterstützung der JesidInnen, die mit einem Pogrom von ISIS konfrontiert waren, von der PKK und im heldenhaften Kampf um die Verteidigung von Kobanê erheblich verstärkt. Dies gab der PYD und ihren Selbstverteidigungskräften unter der kurdischen Bevölkerung in Rojava eindeutig enorme Anerkennung. Sie bewies ihre Entschlossenheit und Fähigkeit, einem brutalen, barbarischen Feind auch unter extrem widrigen Umständen und trotz der Unterstützung von ISIS durch die Finanziers aus den Golfstaaten und trotz des Embargos gegen Rojava durch die Türkei zu trotzen.
Andererseits hat die Intervention aller imperialistischen und regionalen Mächte und der Rechtsruck der Führung der syrischen Revolution Rojava auch als eine Oase der Demokratie und des Fortschritts in einem verfallenden Land erscheinen lassen. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch eine Reihe bürgerlich-demokratischer Reformen, die insbesondere im Bereich der Gleichberechtigung von Frauen und nationalen Minderheiten durchgeführt wurden. Die Sympathien für das kurdische Volk und seinen heldenhaften Kampf sind eindeutig gerechtfertigt.
Aber man darf nicht vor den politischen Mängeln und Fehlern der PYD-Führung in Rojava die Augen verschließen. Sie hat nie versucht oder behauptet, die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse überwinden zu wollen. Sie strebte eine gemischte Wirtschaft an. Zudem setzten die Bedingungen einer Kriegswirtschaft dem Reformprojekt und auch den Formen der Selbstverwaltung strenge Grenzen. Vor allem aber hat sie keine Schritte unternommen, um die Wirtschaft demokratisch zu zentralisieren oder alle GroßgrundbesitzerInnen zu enteignen, sondern nur die Ländereien des Regimes und der arabischen LandeigentümerInnen, die geflohen sind. Kurzum, sie hat sich nicht mit der Agrarfrage befasst.
Des Weiteren verhielt sich die PYD sektiererisch gegenüber den demokratischen Kräften der syrischen Revolution. Dies hinderte sie jedoch nicht daran, eine Koalition mit reaktionären arabischen Stammesführern und UnternehmerInnen in Cizîrê einzugehen. Wir kritisieren außerdem, dass sie die politische Freiheit anderer kurdischer Parteien unterdrückt – auch wenn einige von ihnen eindeutig nicht progressiv sind: Die meisten von ihnen befinden sich im Lager Barzanis und der PDK.
Die „Kommune Rojava“ ist kein Kommunestaat, wie einige ihrer AnhängerInnen behaupten. Sie ist auch kein Schritt zur Abschaffung des Staates. Der Bürgerkrieg in Syrien und die Revolution zwangen die PYD, Teile ihrer Doktrin aufzugeben und staatliche Funktionen zu übernehmen – und nicht den „demokratischen Konföderalismus“. Wir kritisieren die PYD nicht dafür, dass sie ihre Utopie nicht umgesetzt hat, denn das wäre unmöglich gewesen. Hätte sie an der Umsetzung ihrer Politik festgehalten, wie es einige anarchistische KritikerInnen forderten, wäre Rojava an ISIS gefallen.
Aber wir kritisieren, dass sie diese Tatsache nicht anerkennt, sondern versucht, sie zu verschleiern, und dass sie den demokratischen Konföderalismus nicht zugunsten der Schaffung eines ArbeiterInnen- und BäuerInnenstaates auf der Grundlage von Staatseigentum und ArbeiterInnenkontrolle über die Wirtschaft aufgegeben hat. Stattdessen hat sie tatsächlich Strukturen eines bürgerlichen Staates geschaffen – ähnlich wie linke plebiszitäre, populistische Regime.
Der Versuch der PYD, einen „dritten Weg“ in der syrischen Revolution zu suchen, ist auch ein Spiegelbild ihres Nationalismus und ihrer stalinistischen Vergangenheit. Für die PYD ist „Internationalismus“ eine Summe verschiedener nationaler Kämpfe bzw. solcher auf unterschiedlichen nationalen Feldern. Dies bezieht sich nicht nur auf die syrische und arabische Revolution, sondern auch auf den kurdischen Kampf. Sie lehnt eine „Intervention“ der PDK in Rojava ab, aber sie verzichtet auch auf eine „Intervention“ in das irakische Kurdistan. Dies bedeutet, dass die PYD keine Verbündeten unter den demokratischen, säkularen und werktätigen Kräften der syrischen Revolution suchte, sondern eine enge Allianz mit dem US-Imperialismus eingegangen ist.
Obgleich die USA ihre Verbündeten nicht vollständig kontrollieren, ist auch klar, dass sie sie früher oder später verraten werden, so wie andere imperialistische oder regionale Mächte andere kurdische Parteien verraten haben. Gleichzeitig entfremden solche politischen Bündnisse die arabischen Massen. Während die Politik des „dritten Weges“ ein Weg gewesen sein mag, die kurdische Bevölkerung aus dem Krieg in Syrien herauszuhalten, wird ein Sieg Assads und eine durch Russland, den Iran und die Türkei vermittelte Regelung früher oder später auch bedeuten, dass das syrische Regime das kurdische Volk und die von ihm geschaffenen Formen der Selbstbestimmung angreifen wird. Und es wird dies auf der Grundlage einer besiegten Revolution getan werden, wo die einzigen Kräfte, die den KurdInnen eine dauerhafte und zuverlässige Unterstützung für ihren Kampf geben konnten – die ArbeiterInnen und BäuerInnen – an den Rand gedrängt wurden. Die Eroberung von Afrin durch die türkische Armee und ihre konterrevolutionären Verbündeten könnte der Beginn dieses Prozesses sein. Es ist klar, dass weder die Türkei noch Assad die kurdische Autonomie viel länger tolerieren werden. Die USA sind eindeutig nicht bereit, einen Konflikt mit dem NATO-Partner Türkei zu weit zu treiben und zu riskieren, die amerikanisch-türkischen Beziehungen zugunsten der Unterstützung von Rojava weiter zu belasten.
All dies zeigt die schwere Führungskrise – nicht nur in den von der PDK besetzten Gebieten, sondern auch dort, wo die PYD, PKK oder HDP die dominierenden kurdischen Kräfte sind. Es verdeutlicht, dass eine revolutionäre, internationalistische ArbeiterInnenpartei auf der Grundlage eines revolutionären Aktionsprogramms gebraucht wird – eine Partei, die auf permanenter Revolution und nicht auf Etappenideologie und demokratischem Konföderalismus basiert.
Trotz des Scheiterns der politischen Führungen der kurdischen Bewegung ist die Unterstützung des kurdischen Befreiungskampfes von zentraler Bedeutung für die internationale ArbeiterInnenklasse. Wir fordern die Öffnung der Grenzen der imperialistischen Länder und volles Asylrecht für alle kurdischen Flüchtlinge und Werktätigen! Wir fordern die Aufhebung der staatlichen Überwachung der kurdischen Bewegung, politischer Parteien oder auch kultureller Organisationen durch die europäischen Staaten und die EU und die Abschaffung der sogenannten „Terrorlisten“! Aufhebung des Verbots der PKK und aller kurdischen Organisationen! Volle Bürgerrechte und volle politische Rechte für kurdische Flüchtlinge und MigrantInnen!
Die politische Solidarität mit dem kurdischen Kampf und die Unterstützung gegen die Unterdrückung durch „ihre“ Staaten oder den Imperialismus muss jedoch Hand in Hand gehen mit der Vorstellung eines zu den bestehenden kurdischen Parteien alternativen politischen Programms.
Die Geschichte ihrer Kämpfe und die aktuelle Situation in den Ländern, in denen die Masse der kurdischen Bevölkerung lebt, zeigen, dass der internationale Charakter der kurdischen Revolution – und tatsächlich aller Revolutionen im Nahen Osten und Nordafrika – kein „Anhang“ des Kampfes in den bestehenden Staaten ist. Tatsächlich haben der Arabische Frühling und die darauf folgende Konterrevolution bewiesen, dass die Revolution nur gelingen kann, wenn sie internationalisiert wird und zur Schaffung einer sozialistischen Föderation von ArbeiterInnen- und BäuerInnenrepubliken im Nahen Osten führt.
Deshalb müssen RevolutionärInnen für eine Partei kämpfen, die den internationalen Charakter der Revolution als Ausgangspunkt nimmt. Für uns ist die Losung einer sozialistischen Föderation kein Projekt einer fernen Zukunft, sondern eng mit dem revolutionären Aktionsprogramm in jedem Land verbunden, zumal die wirtschaftliche Rückständigkeit Schritte zur sozialistischen Wirtschaft und einen demokratischen Plan auf Grundlage einer Zusammenarbeit über die bestehenden Staatsgrenzen, den Hindernissen für die weitere Entwicklung, hinaus erfordert.
Der auferlegte und künstliche Charakter der bestehenden Staaten, in denen das kurdische Volk leben muss, bedeutet, dass eine demokratische Lösung der kurdischen und anderer nationaler Fragen nicht dadurch erreicht werden kann, dass die gegenwärtigen Staatsgrenzen als unantastbar betrachtet werden. Wenn das kurdische Volk seinen Wunsch nach einem oder mehreren Staaten zum Ausdruck bringt, dann werden RevolutionärInnen ihr Recht darauf unterstützen und verteidigen.
Die Geschichte des kurdischen Befreiungskampfes weist darauf hin, dass Selbstbestimmung nicht durch „Reformen“ oder Versuche zur gleichberechtigten Integration des kurdischen Volkes in die bestehenden Staaten, in denen es zu leben gezwungen ist, erreicht werden kann. Das islamistische despotische Regime im Iran hat eine ganze Generation kurdischer KämpferInnen und AktivistInnen ausgelöscht. Das türkische Regime verwehrt sogar die Integration der kurdischen Bewegung in Form einer legalen parlamentarischen Partei. Die demokratischen Errungenschaften von Rojava sind unvereinbar mit der Wiedererlangung der Kontrolle über das Land durch Assad. Die kurdische Selbstbestimmung im Nordirak wird sich immer auf das beschränken, was für die HerrscherInnen in Bagdad akzeptabel ist. Die bloße Existenz von Rojava und der kurdischen Region im Nordirak selbst hat zur Schaffung politischer Strukturen geführt, die gezwungen sind, staatsähnliche Funktionen zu übernehmen – und es ist unvorstellbar, dass selbst die begrenzten Formen der Selbstverwaltung unter Assad , einem anderen syrischen nationalistischen Regime oder unter sunnitischen bzw. schiitischen reaktionären HerrscherInnen im Irak beibehalten werden können. Die künstliche Beschränkung des Kampfes auf die bestehenden Staatsgrenzen durch die kurdischen Führungen in allen Regionen spielt den UnterdrückerInnen in die Hände, spaltet die kurdischen ArbeiterInnen und BäuerInnen und die städtische Mittelschicht und macht Formen der Autonomie von imperialistischen oder regionalen reaktionären Verbündeten abhängig. Dies spiegelt die sozialen Interessen der kurdischen LandbesitzerInnen und bürgerlichen Klassen im Falle der gesamten PDK-Tradition bzw. den engen Horizont und Utopismus des kleinbürgerlichen Nationalismus der PKK-Tradition wider.
All dies weist auf die Notwendigkeit hin, das kurdische Volk, die ArbeiterInnen und BäuerInnen, über die bestehenden Staatsgrenzen hinweg, in denen sie leben, zu vereinen. Die Verteidigung der irakischen und syrischen kurdischen Gebiete erfordert eigentlich die Vereinigung ihrer Kräfte gegen die verschiedenen UnterdrückerInnen und könnte ein Funke sein, sich mit den kurdischen Massen im Irak, im Iran, in den türkischen und westeuropäischen Städten zu versammeln und zu vereinen. Deshalb fordern wir ein vereintes sozialistisches Kurdistan, den Kampf für eine ArbeiterInnen- und BäuerInnenrepublik, verbunden mit dem Kampf für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens.
Ein solches vereinigtes Kurdistan kann weder durch Reformen erreicht werden, noch wird es von den ImperialistInnen oder der „internationalen Gemeinschaft“ gewährt werden. Aber die Perspektive eines vereinigten sozialistischen Kurdistans ist eng mit der gegenwärtigen Krise der gesamten Region verbunden, die die staatliche Ordnung und die Regime, wie sie durch die koloniale und imperialistische Herrschaft geschaffen wurden, weiterhin untergraben wird. Die Unterstützung für ein vereinigtes Kurdistan und damit die kurdische Selbstbestimmung widerspricht nicht dem Kampf gegen die türkische, iranische, irakische oder syrische herrschende Klasse und ihre reaktionären Regime und Staatskräfte sowie die imperialistischen Mächte, die für die Neuaufteilung der Region kämpfen. Die Unterstützung für kurdische Selbstbestimmung und einen kurdischen Staat wird in der Tat eine solide, demokratische Grundlage für die Einheit der kurdischen, arabischen, türkischen und iranischen Massen sowohl in den kurdischen Gebieten als auch in den gesamten Ländern bilden. Sie wird die Politik aller ausländischen und regionalen Mächte in Frage stellen.
Der Kampf für ein vereinigtes sozialistisches Kurdistan darf daher weder vom Programm der permanenten Revolution in der gesamten Region getrennt werden, noch darf er den unmittelbaren demokratischen und sozialen Forderungen innerhalb der bestehenden Staaten und dem gemeinsamen Kampf für einen revolutionären Sturz der jeweiligen Regime entgegengesetzt werden.
Innerhalb der verschiedenen Staaten fordern wir multinationale ArbeiterInnenparteien, die ArbeiterInnen aller Nationalitäten vereinen. Aber selbst solche Parteien werden ihre Ziele niemals erreichen, wenn ihr Aufbau nicht mit dem einer neuen revolutionären ArbeiterInneninternationale, einer Fünften Internationale, verknüpft wird, die diese Kämpfe zusammenführen kann.
Obwohl wir nicht von einem einheitlichen Programm der kurdischen Befreiung unabhängig von den nationalen Territorien, in denen sie arbeiten, sprechen können, gibt es eindeutig einige zentrale Forderungen für sie alle:
Ein solches Programm erfordert revolutionäre ArbeiterInnenparteien und eine von allen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräften unabhängige Internationale. Deshalb ist es notwendig, kurdische ArbeiterInnen als Klasse zu organisieren, nicht nur als Teil „des Volkes“, wie PKK und PYD dies tun. Es ist notwendig, mit allen Formen von Etappenideologie und Populismus zu brechen. Die kurdische Revolution wird Teil der permanenten Revolution im Nahen Osten sein – oder gar nichts.