Arbeiter:innenmacht

End Fossil: Occupy! Was können wir von den Unibesetzungen lernen?

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Zwischen September und Dezember 2022 sollten unter dem Namen „End Fossil: Occupy!“ weltweit hunderte Schulen und Unis besetzt werden. Auch in Deutschland sind in über 20 Städten Uni- und Schulbesetzungen angekündigt. Startpunkt für die Aktionen war Uni Göttingen, an der wir uns am 24. Oktober auch beteiligten. Weitere folgten an der Technischen Universität Berlin oder in Frankfurt/Main. Aber was fordern die Aktivistist:innen von End Fossil: Occupy! eigentlich?

Ziele

Im Großen und Ganzen richtet sich End Fossil: Occupy! – wie der Name der Kampagne richtig vermuten lässt – gegen jede Form der fossilen Produktion. So heißt es auf der internationalen Website: „Unser Ziel ist es, das System zu verändern, indem wir die fossile Wirtschaft auf internationaler Ebene beenden. Je nach lokalem Kontext können die Forderungen variieren: Beendigung des Abbaus fossiler Brennstoffe, Beendigung der Finanzierung fossiler Brennstoffe, Beendigung der Finanzierung fossiler Infrastrukturen oder andere.“

Vom deutschen Ableger werden dabei weitere spezifischere Forderungen aufgeworfen. Im Fokus steht dabei die Beendigung der profitorientierten Energieproduktion mittels Übergewinnsteuer aller Energieträger und langfristiger Vergesellschaftung der Energieproduktion insgesamt. Ebenso tritt die Initiative für die Verkehrswende für alle ein, da der Verkehrssektor 18,2 % der jährlichen deutschen Treibhausgasemissionen ausmacht. Um dies zu ändern, braucht es laut Aktivist:innen  einen regelmäßigen, für alle erreichbaren ÖPNV sowie einen massiven Ausbau des überregionalen Schienennetzes. Damit er auch von allen genutzt werden kann, wird darüber hinaus ein 9-Euro-Ticket gefordert und langfristig ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr angestrebt. Daneben schließt sich End Fossil: Occupy! auch den Forderungen von Lützi bleibt!, Debt for Climate und Genug ist Genug an. Zusätzlich erheben viele Besetzungen auch lokale Forderungen, auf die wir später noch einmal zurückkommen werden.

Und wie soll das erreicht werden?

End Fossil: Occupy! ist eine Ansammlung von Aktivist:innen aus der Umweltbewegung, von denen ein guter Teil von Fridays for Future geprägt wurde. Diverse Organisationen unterstützen die Initiative, aber im Stil der Umweltbewegung gibt es keine offene Unterstützer:innenliste, um sich nicht zum „Spielball“ unterschiedlicher Interessen zu machen und „unabhängig“ zu bleiben. Darüber hinaus fallen weitere Ähnlichkeiten mit der bisherigen Klimabewegung auf. So wird auf der Website recht eindeutig gesagt, dass End Fossil: Occupy! von „unzähligen historischen Beispielen, wie der Pinguin Revolution 2006 in Chile, der Primavera Secundarista 2016 in Brasilien, der weltweiten Mobilisierung in und nach 1986 und vielen anderen“ inspiriert ist. Daran ist erstmal nichts verkehrt. Gleichzeitig muss aber bewusst sein, dass sowohl die Proteste in Chile 2006 als auch die  Bildungsstreikproteste in Brasilien, bei denen in kürzester Zeit über 100 Universitäten im ganzen Land besetzt wurden, in einer wesentlich anderen Ausgangslage stattgefunden haben. Bei beiden Beispielen gab es konkrete Angriffe auf das Bildungssystem. Die Besetzungen waren die Antwort von Schüler:innen, Studierenden und teilweise Lehrenden, um diese aktiv abzuwehren.

Aufbauend auf diesen Bezugspunkten setzt die Kampagne jedenfalls mehrere Prinzipien für ihre eigenen Aktionen fest:

„Die Besetzungen sind organisiert von jungen Menschen. Der politische Rahmen hinter den Besetzungen ist der der Klimagerechtigkeit. Wir wollen ein Ende der fossilen Industrie, um Klimaneutralität und weltweite soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Unser Ziel wollen wir durch einen globalen und sozial gerechten Prozess erreichen. Unsere Intention ist es, (Hoch-)Schulen an verschiedensten Orten zu besetzen und so das öffentliche Leben zu stören, bis unsere Forderungen umgesetzt sind.“

Kurzum, die Besetzung soll Druck auf Institutionen aufbauen. Diese müssen dann den Forderungen der Aktivist:innen zustimmen und so sollen der fossilen Produktion Stück für Stück Absatzmärkte entzogen werden.

Unibesetzungen

Besetzungen stellen hier also ein zentrales Mittel zur Veränderung der Lage dar. Gemäß aktuellem Kräfteverhältnis folgt allerdings eher dem Muster der direkten Aktion, also mit dem Hintergedanken, dass Menschen durch eine radikale Tat selbst in Aktivität gezogen werden. Vor Ort, also an den Unis oder Schulen, gibt es unter den Studierenden eigentlich keine systematische Vorbereitungsarbeit. Die Masse soll vielmehr durch die unmittelbare Besetzung und ihre mediale Bewerbung so inspiriert werden, dass sich mehr und mehr Leute spontan anschließen. Dabei gibt es jedoch mehrere Probleme, auf die wir im Folgenden eingehen wollen.

Schulen und Universitäten sind keine oder nur im sehr begrenzten Rahmen – z. B. wenn die Forschung direkt mit industrieller Entwicklung verbunden ist – Orte der Mehrwertproduktion. Das heißt, Streik hier wirkt anders als beispielsweise in Sektoren wie der Bahn oder Autoindustrie. Dementsprechend ist es zwar logisch, von „Störung des öffentlichen Lebens“ zu sprechen, gleichzeitig sorgt sie aber auch dafür, dass diese Auseinandersetzungen länger ausgesessen werden können und weniger Druck erzeugen als Betriebsbesetzungen. Das sollte einem bewusst sein, insbesondere, wenn die Gegner multinationale Konzerne sind.

Heißt das, dass wir das alles schwachsinnig finden? Nein, im Gegenteil. Grundsätzlich halten wir die Initiative für sinnvoll und glauben, dass sie Potenzial entfalten kann. Deswegen haben wir Besetzungen, wo wir vor Ort sind, auch aktiv mit unterstützt und wollen dies künftig weiter tun. Gleichzeitig halten wir es sinnvoll, eine offene Debatte über die Strategie der Klimabewegung zu führen, um so aus den Initiativen sowie Fehlern der Vergangenheit zu lernen und unserem gemeinsamen Ziel näher zu kommen. Besetzungen stellen ein wichtiges Kampfmittel der Student:innenbewegung, von Schüler:innen, Indigenen, Bauern/Bäuerinnen, aber vor allem auch der Arbeiter:innenbewegung dar und bieten in diesem Rahmen eine Menge Potenzial. Bevor wir dazu kommen, wollen wir uns jedoch anschauen, was für uns Besetzungen bedeuten.

Was steckt eigentlich hinter einer Besetzung?

Für uns Marxist:innen sind Besetzungen ein recht starkes Mittel im Klassenkampf. Auch wenn dies manchen Leser:innen als altbacken daherkommen mag, wollen wir an der Stelle einen kurzen Abschnitt aus dem Übergangsprogramm Trotzkis zitieren:

„Die Streiks mit Fabrikbesetzungen, eine der jüngsten Äußerungen dieser Initiative, sprengen die Grenzen der ‚normalen’ kapitalistischen Herrschaft. Unabhängig von den Forderungen der Streikenden versetzt die zeitweilige Besetzung der Unternehmen dem Götzenbild des kapitalistischen Eigentums einen schweren Schlag. Jeder Besetzungsstreik stellt praktisch die Frage, wer der Herr in der Fabrik ist: der Kapitalist oder die Arbeiter.“

Das heißt, Besetzungen werfen unmittelbar die Fragen auf: Wer kontrolliert das besetzte Gebäude, die besetzte Unternehmung? Damit stellen sie die Verfügungsgewalt des Privateigentums und/oder etablierte kapitalistische Herrschaftsstrukturen infrage. Der besetzte Betrieb ist eine lokal begrenzte Form der Doppelmacht. Selbstverwaltete Strukturen von Arbeiter:innen und Unterdrückten existieren parallel und im Gegensatz zum eigentlich staatlich gesicherten Privateigentum.

Deswegen können sich Besetzungen je nach Lage der gesamten Situation recht schnell auch zuspitzen, wie man in der Vergangenheit sehen konnte, beispielsweise von französischen Arbeiter:innen, die ihm Rahmen von Streiks Raffinerien besetzten. Solche Situationen können aber nicht ewig bestehen bleiben, da die eine Struktur immer wieder die Legitimität der anderen in Frage stellt und beide letzten Endes auch Ausdruck zweier unversöhnlicher Interessen sind.

Das heißt: Im klassischen Marxismus geht es bei Besetzungen nicht nur darum, „die Normalität zu stören“, sondern sie sind ein Mittel, um den Klassenkampf bewusst zuzuspitzen. Auf der anderen Seite sind sie auch ein Ausdruck vom Kräfteverhältnissen. D. h., die Lohnabhängigen müssen selbst eine gewisse Entschlossenheit, Bewusstheit, also auch politische und organisatorische Vorbereitung sowie ein Wissen über den/die Gegner:in besitzen, um eine solche Aktion gezielt durchzuführen und den Kampf weiterzutreiben. Ansonsten bleibt eine spontane Besetzung leicht bloßer Ausdruck von Verzweiflung und kann nicht länger gehalten werden.

Dieses Verständnis erklärt übrigens, warum isolierte Besetzungen in der Regel nicht erfolgreich sein können. Sie greifen das kapitalistische System nur an einem Punkt an und steht dem von Besetzer:innenseite keine massive, dauerhafte Mobilisierung entgegen, verfügt der/die Kapitalist:in bzw. der etablierte, bürgerliche Staat, der sein/ihr Privateigentum schützt, über weitaus mehr Ressourcen, diese zu räumen. Heißt das im Umkehrschluss, dass man nur Besetzungen machen sollte, wenn man eine Basisverankerung vor Ort hat? Die Antwort ist: Kommt drauf an, was man erreichen will. Als symbolischer Protest kann eine Besetzung auch genutzt werden, um Basisarbeit aufzunehmen. Das heißt, in diesem Sinne kann es durchaus zweckmäßig sein, dass „die Normalität gestört wird“. Wenn es aber darum geht wie im Hambacher Forst, im Dannenröder Wald oder auch bei End Fossil:Occupy!, aktiv Errungenschaften zu verteidigen oder zu erkämpfen, dann bedarf es unbedingt vorheriger Basisarbeit an dem Ort, der besetzt werden soll. Dann muss dafür auch in den bestehenden gewerkschaftlichen oder studentischen Strukturen gekämpft werden. Im Folgenden wollen wir skizzieren, wie das aussehen kann.

Wir glauben, dass Besetzungen, die mehr als einen symbolischen Charakter haben, erfolgreich sind, wenn eine Massenbasis bzw. eine Verankerung besteht, beispielsweise wenn man gesamte Gebäude einer Universität statt einzelner Hörsäle oder gar Betriebe besetzen will. Werden diese Besetzungen nicht von den Studierenden oder Arbeiter:innen getragen, werden sie schnell geräumt oder im Falle der Unis geduldet, bis die Besetzer:innen nicht mehr können.

Das heißt, sie sind ebenfalls eine bewusste Entscheidung für die Besetzung durch die Mehrheit aller, zumindest aber durch die aktiven Student:innen. Ansonsten ist sie letztlich auf Dauer nicht zu halten, organisiert keine Basis, sondern spielt faktisch Stellvertreter:innenpolitik.

Wie kommt man nun zum Ziel? Vollversammlungen sind ein sinnvolles Mittel wie beispielsweise bei der Besetzung der TU Berlin. Wichtig dabei ist, dass man a) für diese gezielt mobilisiert, indem man beispielsweise Forderungen, die man vor Ort aufstellt, präsentiert und b) die Anwesenden aktiv in die Debatte einbindet und so die Besetzung auch zu ihrer kollektiven Entscheidung gestaltet.

Letzteres ist dort leider nicht passiert und eine der Ursachen dafür, warum die Besetzung auf eine kleine Gruppe und einen Hörsaal beschränkt blieb. Die „gezielte Mobilisierung“ ist für eine wirkliche Besetzung, die das bestehende Kräfteverhältnis in Frage stellt, unumgänglicher, essentieller Teil der Vorbereitung. Das bedeutet praktisch: wochenlanges Flyern, Plakatieren, mit dem Megaphon vor der Mensa zu stehen und Gespräche mit Studierenden bzw. der Belegschaft vor Ort zu führen. Dabei kann man Termine vorschlagen, um den Kreis der Vorbereitenden zu erhöhen und mehr Aktivist:innen in die Arbeit einzubeziehen, und wenn gewollt, auch weitere kreative Mobilisierungsformen entwickeln.

Zentral ist dabei, diese mit Forderungen zu verbinden, die lokale Probleme aufzeigen bzw. thematisieren, wie es positiver Weise an der TU Berlin geschehen ist. So wurden unter anderem die Transparenz über Fördermittel sowie weitere Geldquellen der TU Berlin und  Abkehr von fossiler Finanzierung gefordert. Dabei sollten „alle Einnahmen und sonstige finanziellen Unterstützungen durch Unternehmen transparent und übersichtlich aufgeschlüsselt werden, um sowohl die Verwendung der Gelder als auch den Einfluss der Unternehmen auf akademische Strukturen für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen.“

Dies gleicht der Offenlegung der Geschäftsbücher, die wir unterstützen, und bietet beispielsweise auch die Möglichkeit, um mit Beschäftigten an der Uni ins Gespräch zu kommen, was die Höhe ihrer eigenen Gehälter angeht und dass die Unterstützung der Besetzung letzten Endes in ihrem Interesse liegt.

Dies sind alles kleine, mühselige Schritte – aber notwendig, wenn wir Erfolg und Besetzungen nicht bloß einen symbolischen Charakter haben sollen.

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