Liga für die Fünfte Internationale, 7. Dezember 2018, Infomail 1033, 8. Dezember 2018
Am Nachmittag des 5. Dezember verschwanden drei studentische Aktivisten: Zareef Rind, Changaiz Baloch und Aurangzaib Baloch. Sie wurden zuletzt bei einem Protest gegen die Freilassung von Jiand Baloch, dem Sekretär der „Baloch Student Organisation“ (BSO), seinem Vater Abdul Qayyum Baloch und seinem zehnjährigen Bruder Hasnain Baloch am selben Tag in Quetta, der Hauptstadt Belutschistans, gesehen. Diese kriminelle Entführung der gesamten verbliebenen Führung der BSO trägt eindeutig alle Merkmale des Geheimdienstes.
Zareef, Chaingaiz, Aurangzaib, Jiand, Abdul und Hasnain, diese Namen sind in unserem Bewusstsein verwurzelt. Ihre Namen stehen für die mutigen Frauen, Männer und Kinder, die sich in der Vergangenheit gegen die Ungerechtigkeit gewehrt haben, eine Ungerechtigkeit, die das Leben von rund 20.000 Menschen in Belutschistan gefordert hat.
Die Praxis des verschwinden Lassens in Pakistan zielt nicht nur darauf ab, Einzelpersonen einzuschüchtern. Sie ist ein Versuch, die Funkendes Widerstands gegen ein ungerechtes System zu ersticken, in dem Jugendliche,Frauen, ArbeiterInnen, BäuerInnen und Unterdrückte nichts zu verlieren, sondern alles zu gewinnen haben. Diese Praxis ist nicht nur darauf ausgerichtet, unsere Bewegungen unserer tapfersten AnführerInnen zu berauben. Der pakistanische Staat und die herrschenden Klassen wissen sehr wohl, dass sie nicht einmal unfaire, aber öffentliche Prozesse für diejenigen zulassen dürfen, die um Gerechtigkeit kämpfen. Jeder dieser Prozesse, unabhängig vom Urteilsspruchdurch das Gericht, hätte das Potenzial, die Eliten auf die Anklagebank zusetzen. Die Unterdrückung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit sind so stark, dass der Staat einfach nicht das Risiko von öffentlichen Prozessen oder Hinrichtungengegen diejenigen eingehen kann, die sich dagegen aussprechen. Es muss sie „verschwinden“ lassen in der Hoffnung, dass ihr Kampf, die Welt, die sie repräsentieren, sich verflüchtigt, vergessen wird.
Damit wir nicht missverstanden werden: Diese Gräueltaten haben sicherlich das Volk von Belutschistan besonders hart getroffen, aber solche Verbrechen werden der großen Masse des pakistanischen Volkes zugefügt. Die Arroganz, Verachtung und versteckte Angst, die die pakistanischen Oberschichten gegenüber StudentInnen wie Jiand Baloch aus Belutschistan empfinden, ist das, was sie auch gegenüber einem/R armen FabrikarbeiterIn aus dem Pandschab fühlen. JedeR, der/die die pakistanische Gesellschaft objektiv und nicht durch die verzerrende Linse ideologischer Vorurteile betrachtet, weiß, dass dies wahr ist.
Was der pakistanische Staat, was das Militär und die Reichennoch mehr fürchten als eine Revolte in Belutschistan, eine Bewegung für Gerechtigkeit in Khyber Pakhtunkhwa, einen BäuerInnenkampf in Sindh, eine Streikbewegung in Faisalabad oder einen Frauenprotest in Lahore ist die Perspektive, die eine solche klare Sicht der Verhältnisse nahelegt. Sie befürchten, dass es zu einem tieferen Verständnis und Bewusstsein gegenseitiger Solidarität führt, das die Mauern des Chauvinismus und die religiösen, nationalistischen und patriarchalischen Vorurteile niederreißt, die die pakistanischen Eliten in den letzten 70 Jahren sorgfältig aufgebaut haben.
In der vergangenen Woche kam es zu einem Anstieg der Solidarität innerhalb Pakistans, der Forderung nach Freilassung Jiand Balochs -einer Vergeschwisterung, die über die Grenzen der Ethnizität hinausging. Es mag genau das gewesen sein, was den Geheimdienst (Inter Service Intelligence; ISI) erschreckt und dazu geführt hat, Zareef, Chaingaiz, Aurangzaib zu schnappen. Wir wissen esnicht.
Was wir wissen, ist, dass dieser Aufruf zur Solidaritätbereits international Gehör findet. Die ArbeiterInnenorganisationen haben begonnen, darauf zu reagieren – vor allem die Sozialistin und Bundestagsabgeordnete UllaJelpke am 5. Dezember. Und wir verpflichten uns, diese Solidarität auszuweiten und international zu vertiefen.
Der pakistanische Staat irrt sich, wenn er glaubt, dass sein „verschwinden Lassen“ uns aufhalten kann. Nichts und niemand kann eine echte und ehrliche internationale Solidarität der ArbeiterInnenklasse stoppen. Heute heißen wir alle Zareef, Chaingaiz, Aurangzaib, Jiand, Abdul und Hasnain. Ihre Namen sind in unserem Bewusstsein verwurzelt, und auch ihr Kampf für einebessere Welt pulsiert durch unsere Adern.
Zareef, Chaingaiz, Aurangzaib, Jiand, Abdul und Hasnainmüssen sofort freigelassen werden – und alle anderen vermissten Personen auch. Wir fordern öffentliche Ermittlungen gegen diejenigen, die die Straftat der außergerichtlichen Entführung begangen und die in der Vergangenheit schweigend getötet haben. Alle diese Praktiken müssen unverzüglich gestoppt und unter strengster Strafe in Zukunft verboten werden.