Helga Müller, Infomail 1098, 7. April 2020
Nachdem das Corona-Virus auch Deutschland erreicht hat und – trotz aller Einschränkungen der Bewegungsfreiheit – die Zahl der Infizierten immer noch exponentiell anwächst, kommt im Gesundheitswesen Hektik auf. Die Krankenhäuser werden landauf, landab für den Krisenfall auf- und umgerüstet: Intensiv- und Isolierstationen werden ausgebaut, Beatmungsgeräte beschafft, soweit sie überhaupt lieferbar sind. Sie werden in bestimmten Kliniken zentralisiert, nicht notwendige Operationen werden verschoben. Pflegekräfte werden in Schnell- oder Auffrisch-Kurse für die besondere Pflege von PatientInnen, die auf Intensivstationen versorgt werden müssen, geschickt.
Aber schon jetzt melden Pflegekräfte, ÄrztInnen, GesundheitsexpertInnen, dass es noch vor dem Sturm, wie sich Gesundheitsminister Spahn am 26. März ausgedrückt hat, überall zu Engpässen kommt: Sei es, dass zu wenig Schutzbekleidung, Schutzmasken, Beatmungsgeräte vorhanden sind, weil es Lieferengpässe gibt, da keine Regierung Vorsorge getroffen hat, noch vor dem großen Ausbruch der Pandemie die Produktionskapazitäten entsprechend auszuweiten. Gleichzeitig zeigen die Reaktionen darauf jetzt aber auch, dass andere Wege, die bisher als unmöglich und utopisch galten, gegangen werden können: Etliche Firmen stellen ihr Herstellungsprogramm um auf die Produktion von z. B. Schutzmasken – auch wenn noch nicht alle den Standards einer medizinischen Pflege entsprechen. Aber die Bevölkerung passiv vor der Übertragung über Tröpfcheninfektion zu schützen, ist durchaus auch sinnvoll. Die bayerische Staatsregierung hat die Produktion von Schutzkleidung quasi staatlich angeordnet. Diverse Regierungen im In- und Ausland bitten die Autoindustrie und AutozuliefererInnen zu überprüfen, ob sie ihre Produktion auf Beatmungsgeräte umstellen können. Bosch hat ein Diagnosegerät entwickelt, der Autofilter-Spezialist Mahle produziert Schutzmasken.
Nun rächt sich, dass die ganze Privatisierung des Krankenhauswesens seit den 1980er Jahren dazu geführt hat, dass heute dringend notwendiges Personal fehlt. Laut ver.di sind im Gesundheitswesen 120.000 Stellen vakant – davon allein 70.000 im Pflegebereich –, um den vorauszusehenden Sturm überhaupt personell bewältigen zu können. Viele KollegInnen machen jetzt schon Überstunden und hatten auch schon – mehr oder weniger – freiwillig ihren Urlaub abgesagt. Und wie reagiert „unser“ Gesundheitsminister darauf: Er hebt seine eigene Verordnung zu den eh zu „normalen“ Zeiten schon nicht hinreichenden Personaluntergrenzen auf, so dass von den unter die Verordnung fallenden Stationen Personal abgezogen wird, das dann dort fehlt – wohl wissend, dass das abgezogene Personal nie ausreichen wird, um die steigenden PatientInnenzahlen, gerade auch solche, bei denen Komplikationen auftreten können, gut versorgen zu können. Oder er versucht, Pflegekräfte aus anderen Ländern wie Polen verstärkt anzuwerben – wohl wissend, dass diese dann dort fehlen werden. Oder er versucht jetzt, verstärkt medizinische Hilfskräfte anzuwerben, ÄrztInnen und Pflegekräfte aus dem Ruhestand zu holen. Dies ist die einzige seiner Maßnahmen, die Löcher stopft, ohne neue aufzureißen, aber auch dieses hektisch, ohne systematisches Vorgehen und planlos.
Die bayerische Landesregierung macht es noch besser – und die Regierung von NRW zieht gleich nach. Sie heben gleich das Arbeitszeitgesetz für Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge auf und lassen die eh schon am Rande ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit arbeitenden KollegInnen im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen mit noch geringeren Pausen und Ruheunterbrechungen weiterarbeiten. Welch ein Hohn!
Solange das System aufrechterhalten wird, dass Krankenhäuser – auch kommunale – wirtschaftlich, also möglichst kostengünstig, arbeiten müssen und große Konzerne mit der Gesundheit ihre Kohle machen wollen, ist zu befürchten, dass gerade privatisierte Krankenhäuser nicht lukrative Fälle – also Corona-PatientInnen und vor allem solche, bei denen mit Komplikationen zu rechnen ist oder die besonders lange beatmet werden müssen –, nicht annehmen werden.
So drohen (noch) kommunal finanzierte Krankenhäuser, noch stärker in die Kostenfalle zu sinken und nach der Krise unter den Druck der Privatisierung zu fallen. Darauf macht gerade eine Initiative für den Erhalt der kommunalen Krankenhäuser aufmerksam. Und vor allem kann es tatsächlich auch in einem so reichen Industrieland wie Deutschland zu einer Situation wie in Italien kommen, dass auch hier die PatientInnen selektiert werden (die sogenannten Triage): solche, bei denen noch eine reale Überlebenschance angenommen wird, werden voll behandelt, der Rest darf (alleine) sterben.
Ver.di appelliert in dieser Situation an die Bundesregierung und ruft nach Staatseingriffen – an eine Regierung, die selbst unter starkem Druck der Beschäftigten und Bevölkerung im letzten Jahr nur ein paar kosmetische Korrekturen durchgeführt hat, um dem durch Privatisierung und das System der Fallpauschalen bedingten Personalnotstand zu begegnen. Einige der ver.di-Bitten sind zwar durch die Abänderungen des Infektionsschutzgesetzes bereits aufgenommen worden – wie z. B. die Beschlagnahme von Schutzausrüstung, die aufgrund von „Geschäftemacherei“ gewerblicher Firmen, wie sich der neue ver.di Chef Werneke ausdrückt, zurückgehalten wird. Diese Abänderungen stellen eine Art Notstandsgesetz im Bereich des Gesundheitswesens dar, das letzte Woche von Gesundheitsminister Spahn durch den Bundestag und Bundesrat durchgepeitscht wurde.
Auch dass sich die Bundesregierung aufgrund der Lieferengpässe jetzt daran macht, Firmen dazu zu verpflichten, ihre Produktion umzustellen bzw. anweist, ihre Kapazitäten für die Produktion von nötigen Schutzausrüstungen und Desinfektionsmitteln auszuweiten, geht auf einen Appell von ver.di zurück. Gegen beide Maßnahmen ist sicherlich nichts einzuwenden. Beschlagnahme nicht nur von Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln, sondern auch von dringend benötigten Medikamenten und Produktionsumstellung und Ausweitung der Produktion sind in einer solchen Krisensituation, in der sich Hunderttausende von Menschen schnell anstecken können, das Gebot der Stunde! Die Frage ist nur, wer entscheidet und nach welchen Kriterien, und wie sieht es mit der Frage der Einschränkung selbst bürgerlich-demokratischer Rechte aus?
Einer Bundesregierung, die nach wie vor der Ausrichtung des Gesundheitsbereichs nach Profitinteressen nichts entgegensetzt, sondern nur Symptome bekämpft, die schon wieder angefangen hat, über die Lockerung von Beschränkungen zu sinnieren, um die Wirtschaft erneut zum Laufen zu bringen – sprich die Kapitalverwertung nicht zu lange auszusetzen -, sollte auch bei solchen lebenswichtigen Entscheidungen kein Vertrauen geschenkt werden. Am besten entscheiden können die Beschäftigten selbst. Wie auch Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheitswesen zuständig ist, sagt: „Die Beschäftigten sind die Experten vor Ort. Ihre Erfahrung und ihr Wissen müssen gehört werden.“ Die Frage stellt sich nur: Will das die Bundesregierung überhaupt? Müsste sie sich dann nicht auch die Frage gefallen lassen, warum sie nicht schon lange dafür gesorgt hat, dass die 70.000 Pflegekräfte, die in den letzten Jahrzehnten abgebaut bzw. nicht ausgebildet wurden, nicht schon längst wieder eingestellt wurden?
Also müsste auch ver.di einen Schritt weitergehen und überlegen, mit welchen Instrumentarien denn die Beschäftigten mehr Gehör bekommen können – was ja auch schon bei der Umsetzung der durchgesetzten Personalaufstockung eines der Schlüsselprobleme war. Es gilt, Ausschüsse in den Krankenhäusern aufzubauen, in denen die Beschäftigten zusammen mit den PatientInnen über die notwendigen Maßnahmen entscheiden. Die Forderungen von Bühler: „In den Kliniken muss das System der Dokumentation und Abrechnung nach diagnosebezogenen Fallpauschalen, den DRGs, ausgesetzt werden“, reicht nicht. Nein, es muss sofort abgeschafft werden – ohne Wenn und Aber! Und die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Deutschen Pflegerat und ver.di geforderte Personalbemessung im Krankenhaus, die PPR 2.0, die das Personal nach dem realen Bedarf in den Krankenhäusern berechnet, muss nicht erst nach dem Abflauen der Pandemie umgesetzt werden, wie Bühler meint, sondern sofort!
Solche Maßnahmen sind dringender denn je. Schon jetzt sagen Beschäftigte in den Krankenhäusern, dass die nächsten Wochen die kritischsten seit Ausbruch der Pandemie sein werden, da dann die Intensivfälle ansteigen werden. Schon jetzt kann z. B. Wolfsburg keine/n Corona-PatientIn mehr aufnehmen, da die PflegerInnen selbst davon betroffen sind. Gleichzeitig muss man feststellen, dass privatisierte Krankenhäuser überhaupt nicht auf diese Krise vorbereitet sind. So mussten in München und Umgebung die zwei vom Helioskonzern betriebenen Kliniken – in München-Pasing und das Amperklinikum in Dachau – Anfang April kurzzeitig schließen, weil die Infektion unter den PatientInnen und Beschäftigten derart grassierte, dass das Gesundheitsamt den weiteren Betrieb untersagte! Und selbst der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI) Lothar Heinz Wieler, der in seinen Aussagen immer sehr vorsichtig ist, warnt davor, dass in Deutschland die Kapazitäten der Krankenhäuser nicht ausreichen könnten. Und er warnt auch davor, die relativ niedrige Sterberate in Deutschland nicht überzubewerten: Diese sei vor allem darauf zurückzuführen, dass in Deutschland viel getestet werde, sagte er der Frankfurter Allgemeinen. (Zit. nach www.zdf.de vom 29.3.20)
Was ist sofort notwendig, um die Corona-Krise einzudämmen und die Bevölkerung wie die Beschäftigten in Krankenhaus und Pflege weitestgehend zu schützen?
Es ist völlig klar, dass für dieses Programm alle Beschäftigten im Gesundheitswesen, die gesamte arbeitende Bevölkerung (ArbeiterInnenklasse), alle, die gegen das Virus kämpfen wollen und ihre Organisationen, zusammen kämpfen müssen. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen alleine sind gerade völlig ausgelastet. Sie brauchen die Unterstützung aller, die für ihre Gesundheit selbst kämpfen wollen. Zweitens ist auch klar, dass jeder echte Fortschritt nur erkämpft werden kann, wenn das Diktat der KapitalistInnen durchbrochen wird und die Reichen dazu gezwungen werden können zu zahlen. Zur Erinnerung: ein Prozent besitzt 40 % aller Vermögen!
Also muss die Kraft aller gebündelt werden, insbesondere derer, die als ArbeiterInnen und Angestellte das Kapital vermehren und die Vermögen der Reichen verwalten. Das heißt, dass die Gewerkschaften und die Parteien, die sich auf die arbeitende Bevölkerung berufen, DIE LINKE und die SPD, brechen müssen mit der Unterordnung unter das Kapital, deren Regierung und deren Interessen.
Es geht um einen politischen Kampf, auch wenn er bei genügend Schutzmasken beginnt. Wichtige Schritte dafür sind: