Wilhelm Schulz, Neue Internationale 263, April 2022
In stürmischen Zeiten des Krieges in der Ukraine und weltumspannender Sanktionsprogramme sitzt das Portemonnaie der Bundesregierung recht locker. Ende Februar brachte der Bundestag ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100.000.000.000 Euro auf den Weg. Ende März einigte sich die Ampelkoalition auf ein Entlastungsprogramm, um die Preissteigerungen des Krieges abzufedern. Hier möchten wir einen Einblick in die beiden Milliardenprogramme der Bundesregierung geben und diese bewerten.
Mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen und einer geplanten Erhöhung des Jahresbudgets für Verteidigung auf das von der Nato vorgegebene 2 %-Ziel des Bruttoinlandsprodukts, somit auf mehr als 70 Milliarden Euro, nehmen die Rüstungsausgaben einen gigantischen Kostenfaktor im Bundeshaushalt ein. Olaf Scholz liegt richtig, wenn er diesen Schritt als Zeitenwende bezeichnet.
Denn nicht nur vom Geldvolumen her, auch bezogen auf die Anschaffungen haben wir es hier mit einer Wende in der zukünftigen militärischen Stellung zu tun. Der neue deutsche Militarismus soll die „Truppe“ im Ausland interventionsfähiger machen. Auch Verteidigungssysteme wie das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome könnten angeschafft werden.
#DerAppell, eine Petition gegen die Aufrüstungspläne der Bundesregierung, macht klar, welche Dimension das Sondervermögen im Gesamthaushalt einnimmt. „Diese Summe (des Sondervermögens) entspricht den Ausgaben mehrerer Bundesministerien, darunter so wichtige Ressorts wie Gesundheit (16,03 Mrd.), Bildung und Forschung (19,36 Mrd.), Innen, Bau und Heimat (18,52 Mrd.), Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12,16 Mrd.), Wirtschaft und Energie (9,81 Mrd.), Umwelt (2,7 Mrd.), Zusammenarbeit und Entwicklung (10,8 Mrd.) sowie Ernährung und Landwirtschaft (6,98 Mrd.).“ Der Jahresetat der Bundesregierung lag ursprünglich bei 443 Milliarden Euro, inklusive Corona-Hilfen. Finanzminister Lindner kündigte an, dass an anderer Stelle Kürzungen für dieses Sondervermögen erfolgen müssten.
Aktuell besteht ein Streit zwischen Finanzministerium und Unionsfraktion über das Gesamtvolumen der Rüstungsausgaben bis zum Ende der Legislaturperiode. Lindner will neben den 100 Milliarden Euro den jährlichen Verteidigungsetat auf der aktuellen Höhe deckeln (50 Milliarden Euro). Mit diesen Maßnahmen würde die Erhöhung selbst über das Zwei-Prozentziel hinaus durch die 100 Milliarden im Sondervermögen ermöglicht werden, jedoch weniger übererfüllt, als es sich die Union wünscht.
Die genauen Bestellscheine sind noch nicht fertig geschrieben, denn eines ist klar: Die 100 Milliarden Euro entsprechen weniger einem klaren Rüstungsprogramm, als dass sie ein politisches Statement darstellen. Diese Erhöhung als Abschreckung zu verstehen, wäre ein verkürztes Urteil. Es handelt sich um eine Umrüstung des deutschen Imperialismus hin zu einer kriegsfähigen Kraft auf dem Erdball. Das NATO-Jahresbudget (30 Mitgliedsstaaten) überstieg schon zuvor um ein Zwanzigfaches den russischen Rüstungsetat. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) dementierte, dass es sich um ein militaristisches Aufrüstungsprogramm handle und markiert es als notwendige Ausstattung für eine wehrhafte Demokratie. Wir aber sagen: Ein demokratischer Bomber bleibt ein Bomber.
Es ist eine Zeitenwende, die den deutschen Imperialismus wieder zu einer kriegsfähigen Nation gestalten soll. Dass der hochgerüstete deutsche Imperialismus Blockführer in zwei Weltkriegen war, muss dafür in den Hintergrund geraten.
Konkret steht die Anschaffung von atomwaffenfähigen F-35-Kampfflugzeugen, bewaffnete Kampfdrohnen und Schwertransporthubschraubern im Raum. Die Anschaffung eigener nuklearer Sprengköpfe wird vorerst umschifft. Im Kriegsfall sollen die in Deutschland gelagerten US-amerikanischen Atombomben genutzt werden – nukleare Teilhabe. Der FAZ ist das schon nicht mehr genug. Sie forderte bereits mehr oder weniger offen ein Atomwaffenprogramm Europas, in dem die BRD mit führend ist.
Das aktuell erfolgreichste Kampfmittel auf Weltebene seitens der USA und europäischer Staaten ist das Sanktionsprogramm, welchem das Ziel wirtschaftlichen Schadens für Russland in bislang ungeahntem Ausmaß innewohnt. Die Sanktionen und die weltweite Inflation sowie die stetige Gefahr, dass der Krieg zu einem weltweiten Flächenbrand auswächst, wirken sich global auf die Preise aus. Weltweit droht eine Hungerkatastrophe vor allem in den Ländern des Südens. Die Ukraine und Russland liefern rund 30 % des weltweiten Weizenexports. Eine erste Krise zeichnet sich bereits in Ägypten ab, dessen Währung einerseits in den letzten Wochen um 15 % im Vergleich zum Dollar abgefallen ist und das zu 80 % seinen Weizen aus Russland importiert. Die Regierung hat vorerst den Brotpreis gedeckelt.
Um die Folgen dessen in der Bevölkerung der BRD abzufedern, hat die Bundesregierung ein Entlastungsprogramm auf den Weg gebracht. Es umfasst folgende Aspekte: Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und Reduktion der ÖPNV-Ticketpreise auf 9 Euro für 90 Tage, 300 Euro Energiepauschale für Erwerbstätige, 100 für Sozialleistungsempfänger:innen und 100 pro Kind als Familienzuschuss.
Das Maßnahmenpaket folgt einer Gießkannenlogik. Dieser zufolge sollen alle ein bisschen gefördert werden, unabhängig von eigenen finanziellen Rücklagen oder regelmäßigen Einnahmen. Natürlich halten wir es für einen Erfolg, wenn indirekte Massensteuern wie die auf Kraftstoffe zurückgenommen werden. Wir stellen dem eine direkte progressive Steuer entgegen, die Reiche und Konzerne be- und die ärmeren Lohnabhängigen entlastet, die schärfer von Massensteuern betroffen sind wie beispielsweise der Mehrwertsteuer. Faktisch wird hier ein höherer Verbrauch mehr subventioniert.
Unter dem Deckmantel der auf den Individualverkehr angewiesenen ländlichen Bevölkerung werden SUV-Fahrer:innen in der Stadt mit bezuschusst. Dass Sozialleistungsempfänger:innen mit einer Einmalzahlung von 100 Euro abgefrühstückt werden, zeigt, wie unsozial dieses Programm ist. Das ÖPNV-Ticket sollte kostenlos sein, es wäre ein sinnvolles verkehrspolitisches Werkzeug für eine Mobilitätswende, auch wenn eine solche nur durch den massiven, flächendeckenden Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs erfolgreich sein kann. Darüber hinaus unterstützen wir die Initiative verschiedener Verkehrsminister:innen der Länder und aus einigen Kommunen, die für ein kostenfreies Ticket werben. Selbst für den Staat dürfte das günstiger sein, da Verfahrenskosten und Kosten für Verkehrskontrollen eingespart werden könnten.
Das Rüstungsprogramm lehnen wir kategorisch ab. Es dient nicht nur der imperialistischen Blockkonfrontation, es bereitet diese Nation darauf vor, wieder kriegsfähig zu werden. Für imperialistische Nationen bleibt der Krieg das letzte Mittel im Kampf um das begrenzte Territorium, das im Widerspruch zu unbegrenzter Kapitalanhäufung steht.
Gegenüber dem Entlastungspaket ist unsere Haltung etwas komplexer. Schließlich ist es für die Masse der Bevölkerung eine wirkliche wirtschaftliche Hilfe. Wir lehnen die allgemeine Förderung ab. Auch wenn wir die Streichung von Massensteuern prinzipiell befürworten – vermögende Haushalte und Konzerne brauchen keinen Cent an Subventionen! Sie sollten viel eher durch Progressivsteuern und Sonderabgaben belastet werden. Denn an welcher Stelle gekürzt werden wird, um die Milliardenförderung (und die Aufrüstung!) zu ermöglichen, das bleibt unklar. Es zeichnet sich langsam ab, dass die Mittel u. a. bei der Pandemiebekämpfung eingespart werden.
Gleichzeitig offenbart die Fokussierung auf Kraftstoffe, welchen Blickwinkel diese Bundesregierung auf soziale Fragen hat. Drückt sich die Verteuerung doch bereits seit Pandemiebeginn in den Lebensmittelpreisen und weiter steigenden Mieten aus. Aber nein, die BILD schreit vor allem: Der Sprit ist zu teuer! Der arme deutsche Zweieinhalbtonnenstraßenpanzerfahrer! Real sind die Spritpreise auch Machwerk der Raffineriekartelle, die sie massiv, weit über die Verteuerung des Rohölpreises hinaus angehoben haben und nun Milliardengewinne erzielen. Die Preiskontrolle über diese Kartelle würde eine reale Entlastung mit sich bringen. Doch gegen das eigene Kapital wird es keinen Kampf durch die Ampel geben. Diese Aufgabe steht u. a. den Gewerkschaften zu, die angesichts von Pandemie und Krieg aus ihrer sozialpartnerschaftlichen Servilität überhaupt nicht mehr herauskommen.
Für Revolutionär:innen ergeben sich hier also zwei Ansatzpunkte in der sich verschärfenden Krise. Erstens der Kampf gegen die Aufrüstung, zweitens um die Frage der Preiskontrolle durch Organe der Arbeiter:innenbewegung: