Arbeiter:innenmacht

Italien: Zur Verteidigung von Ravepartys aus einer Klassenperspektive

Luca Gagliano, PCL Italien, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Vorwort der Redaktion: Der folgende Artikel wurde von Luca Gagliano, (Partito Comunista dei Lavoratori, Italien) verfasst und behandelt die neuen Gesetze zu Raves. Seit Ende November gibt es in Italien eine rechte Regierung, geführt von der postfaschistischen Fratelli d’Italia mit Giorgia Meloni an der Spitze. Eines ihrer ersten Gesetzen war das Antiravedekret, welches ein Strafmaß für die Organisierung oder „Förderung“ illegaler Raves und anderer „gefährlicher Versammlungen“ von drei bis sechs Jahren Gefängnis vorsieht. Diese waren ursprünglich beschrieben als alle, die Häuser besetzen, um „Events“ (jetzt spezifiziert auf musikalische Events) zu organisieren.

„Witchtek“ war einer von solchen Raves in Modena, welches am 31. Oktober von 300 Bereitschaftspolizist:innen gewaltsam aufgelöst wurde.

Das Ravepartydekret ist eine Gefahr, die auch die Arbeiter:innenbewegung betrifft.

Solidarität mit den Organisator:innen und Teilnehmenden von Witchtek! Neben der Räumung, den Klagen und der Beschlagnahmung ist noch etwas viel Schwerwiegenderes passiert: ein Gesetzesdekret, das sich angeblich nur gegen Raves richtet. Leider handelt es sich um einen Angriff der Regierung, welcher darüber hinausgeht. Es ist ein Angriff auf die Organisation vieler Praktiken des Kampfes der Arbeiter:innenklasse: Haus-, Fabrikbesetzungen, Streiks, Demonstrationen und vieles mehr. Solidarität und Verteidigung müssen in erster Linie gegenüber der Bewegung der freien Partys (Raves) betont werden, die direkt betroffen und beeinträchtigt ist. Sie darf nicht ignoriert oder verunglimpft werden, weil sie ein falsches Modell der linken und sozialen Opposition annimmt.

Gegen falsche Mythen! Es geht um viel mehr als eine Party

Besetzung und Selbstverwaltung sind für die Bourgeoisie und ihre Funktionär:innen eine störende Praxis, da sie die allgemeine Profit- und Managementdynamik ihrer Politik unterlaufen. Die Anwendung der profitorientierten Markt- und Politiklogik erzwingt das unterdrückerische und intolerante Gesellschaftsmodell, welches nicht bürgerlich-konforme Ausdrucksformen verhindern möchte.

Die vielen Formen des praktischen Widerstands bilden jedoch einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung eines neuen kritischen Bewusstseins. In der Besetzungs- und Selbstverwaltungsszene können viele Aspekte geschützt und entwickelt werden, die durch die kapitalistische Gesellschaft diskriminiert sind. Das gilt von der freien Entfaltung der eigenen Geschlechtsidentität über musikalische und kreative Innovationen (in allen künstlerischen Bereichen) bis hin zur Erschwinglichkeit von Großveranstaltungen. Es geht um mehr als eine Party, denn sie ist durch die Art und Weise, wie sie organisiert ist und mit der bestehenden Ordnung kollidiert, in ihrem Wesen ein politisches Ereignis.

Klassenverteidigung. Wir entlarven das Geschwätz der Reformist:innen

Wir haben nichts mit jenen gemeinsam, die dieses neue Gesetz nur von einem verfassungsrechtlichen und liberal-bürgerlichen Standpunkt aus kritisieren. Die Freiheit und die Verfassung, die sie verteidigen, schützen das Privateigentum, über welches bisher die Eigentümer:innen der Fabrikhalle (Ort des Raves) verfügen. Es die Bourgeoisie, welche dieselben Hallen als Ort der Ausbeutung nutzt, zugunsten ihrer eigenen Profitinteressen.

Wir sind daher nicht an der sogenannten öffentlichen Ordnung interessiert. Wir hegen kein Interesse an der Regierbarkeit dieses Systems, weil es dasselbe ist, das uns jeden Tag bei der Arbeit ausbeutet und unterdrückt. Wir wollen es stürzen. Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch für demokratische Rechte und fortschrittliche Errungenschaften im Hier und Jetzt kämpfen sollen. Zusätzlich müssen wir aber die Verantwortung derjenigen Betrüger:innen anprangern, die uns einerseits sagen, dass wir als Bürger:innen Rechte haben, und andererseits diese dem Proletariat verweigern. Schließlich müssen wir mit den Illusionen der reformistischen Parteien brechen, die immer wieder versuchen, in der Hoffnung auf die Regierbarkeit des kapitalistischen Systems an die Regierung zu kommen.

Castlemorton 2022

Erinnern wir uns an den Criminal Justice and Public Order Act von 1994 nach dem Castlemorton Common Festival von 1992 (England). Er stellte Musik unter Strafe, die „ganz oder überwiegend durch eine Abfolge von sich wiederholenden Takten gekennzeichnet ist“. Das italienische Dekret ist ebenso lächerlich, aber aufgrund seiner Formulierung weitaus gefährlicher: Es ist ein offener Angriff auf die Organisation von Massenprotesten.

„Gesetze werden uns nicht aufhalten“, erklären Aktivist:innen der Bewegung. Leider spielen manchmal auch die Gesetze und die Befugnisse des Staates eine große Rolle bei der Entwicklung einer sozialen Opposition. Die Besetzungen, die aufgrund des Gesetzes von 1994 in England zurückgegangen sind, belegen das. Mit dem Wissen, dass die Realität nicht nur von Ideen abhängt, dürfen wir daher nicht akzeptieren, dass dieses Gesetz ohne nennenswerten Widerstand der Massen verabschiedet wird. Umso mehr müssen wir jetzt alle Kräfte vereinen: die Organisator:innen der freien Partys mit Arbeiter:innenorganisationen, Verbänden und Gewerkschaften. Aufbau einer vereinigten Massen- und Klassenfront, die dem staatlichen Angriff mit gleicher Kraft begegnen kann!

Wir fordern nicht nur, dass das Schwert des/r Henker:in verfassungsgemäß ist. Wir fordern seine/ihre Enthauptung. Für eine antikapitalistische, internationalistische und revolutionäre Perspektive müssen wir mit einigen unmittelbaren Forderungen beginnen:

  • Bußgeldfreie Freigabe von Musikinstrumenten und Transportmitteln
  • Rücknahme der Anklage gegen die Organisator:innen
  • Keine Konsequenzen für die erfassten Personen
  • Abschaffung des Ravepartyerlasses
  • Einrichtung eines internationalen Widerstandsfonds gegen Klagen und Beschlagnahmen
  • Für eine große nationale Demonstration als Reaktion auf den Angriff des Staates
  • 10, 100, 1000 Raves gegen bürgerliches Recht und Ordnung. Es lebe die Selbstorganisation der Unterdrückten!
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