Jürgen Roth, Infomail 1168, 1. November 2021
Als letzter der 3 Bereiche der Berliner Krankenhausbewegung (Mutterkonzerne Charité und Vivantes, ausgelagerte Vivantes Tochterunternehmen) konnten nun auch die Vivantes-Servicegesellschaften ein mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ausgehandeltes Eckpunktepapier auf einer Pressekonferenz letzten Freitagmittag vorstellen.
Eine vorläufige Sichtung der Kernpunkte bestätigt unsere Vermutung: Es umfasst wie bei der Charité und im Unterschied zum dortigen 2015 vereinbarten und 2016 gekündigten Tarifvertrag Entlastung (TVE) alle Bereiche des Mutterkonzerns, bleibt aber in wesentlichen Punkten hinter dem bei den Uniklinken anvisierten Abschluss zurück. Im Kern fällt 1 Freischicht auf 9 in Überlast (Charité: 5). Das stellt ggü. dem ursprünglichen Angebot (1:12) eine deutliche Verbesserung dar. Das gilt auch ggü. dem für Auszubildende (1:48). Allerdings kriegen diese nur ein Notebook geschenkt und Freizeitausgleich erst angerechnet, wenn sie nach Ende ihrer Ausbildung von Vivantes übernommen werden.
In der Urabstimmung sollten die Gewerkschaftsmitglieder beim Vivantes-Mutterkonzern den Vertrag ablehnen, solange er nicht eine vollständige Gleichstellung mit den Angestellten der Charité bringt. Ein weiterer Erzwingungsstreik sollte den neuen Senat auffordern, die Umsetzung des zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Charité-Abschlusses auch bei Vivantes anzurdnen.
Einerseits ist Erleichterung unter den Beschäftigten zu spüren. Der längste und heftigste Streik der Berliner Krankenhausbewegung ist vorläufig zu Ende. Seit über einem Jahr wurde verhandelt. „In 4 Jahren sehen wir uns wieder auf der Straße“, so Alexander Thonig von VivantesClean (Reinigungsgesellschaft), Mitglied der ver.di-Tarifkommission im Neuen Deutschland vom 1. November.
Der Stufenplan sieht je nach Tochtergesellschaft bis 2025 einen Lohn von 96 % oder 91 % des TVöD vor. Zur Zufriedenheit trügen auch die stark an ihm orientierte Zulagenregelung sowie die Verlängerung des Krankengeldzuschusses über die 6. Woche (eigentlich überhaupt ein Krankengeldzuschuss, denn bis zur 6. Woche gilt ja die gesetzliche Lohnfortzahlung) hinaus bei, so Thonig.
Doch es gibt auch Schattenseiten: Sauer stößt vielen Beschäftigten auf, dass keine vollständige Angleichung an den TVöD erreicht werden konnte, geschweige denn eine Rückkehr in den Schoß der Konzernmutter, die ja von Senat und Abgeordnetenhaus versprochen worden war. Melanie Meißner, Medizinische Fachangestellte in einem MVZ, macht ferner darauf aufmerksam, dass manche ihrer KollegInnen in den Bestandsschutz schlüpfen müssen, um nicht weniger zu verdienen als zuvor. In Anlehnung an den TVöD nehmen die Eckpunkte nämlich die Lohngruppeneinteilung nach Dauer der Betriebszugehörigkeit vor. Sie selbst weist 23 Jahre Berufserfahrung und eine onkologische Zusatzausbildung auf, ist aber erst seit 3 Jahren bei Vivantes. Verhandlungsführer Ivo Garbe bezeichnet das Ergebnis denn auch als „teils gut und teils schmerzhaft“.
Für das Labor Berlin, ein gemeinsames Tochterunternehmen mit der Charité, gelten die Eckpunkte nicht. Der Verhandlungsaufforderung ver.dis sind die Geschäftsführungen bisher nicht nachgekommen. Der TV soll bis zum 15. Dezember fertiggestellt sein, damit er 2022 inkraft treten kann und Prämien und Nachzahlungen für 2021 ausgezahlt werden könnten.
Der kommissarische Geschäftsführer von Vivantes, Johannes Danckert – die Geschäftsführerin und Verhandlungshardlinerin Dorothea Schmidt scheint man beurlaubt zu haben –, betont die resultierenden Mehrausgaben von 68 Mio. Euro, verweist auf die finanziellen Schwierigkeiten des Konzerns und hofft auf Refinanzierung durch „die Landespolitik“, die bereits Zusagen getätigt habe. Über deren Zusagen und sogar Beschlüsse können die Beschäftigten allerdings eine lange Klagelitanei anstimmen. Hinzu kommt, dass zu erheblichen Teilen die Finanzierung der laufenden Krankenhausbetriebskosten durch die Krankenkassen nach dem System der Fallpauschalen (DRGs) erfolgt. Aus diesen Erlösen müssen sich auch die Töchter finanzieren.
Damit hängt ein weiteres Damoklesschwert über dem möglichen Abschluss, wenn staatliche Subventionen, sofern sie nicht eh nur leere, großmäulige Versprechen darstellen, dieses Marktmodell aushebeln. Schließlich schwebt immer noch das drohende Verdikt seitens der ArbeitgeberInnenverbände im öffentlichen Dienst (TGL, VKA) über dem Ganzen, einen „Berliner Alleingang“ mit einem Rauswurf aus den Verbänden nötigenfalls mit einem Rauswurf zu quittieren.
Urabstimmung für Gleichstellung Ein Vergleich der Eckpunkte mit dem gültigen TV des Tochterunternehmens der Charité, CFM, ist erst nach Bekanntwerden aller Details möglich. Das müssen die Beschäftigten klären und können das auch besser als wir. Eine Urabstimmung muss den TV ablehnen, falls er schlechter ausfällt als der bei CFM, und dessen Übernahme durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung seitens „der Landespolitik“ fordern. Unter diese muss auch das Labor Berlin fallen, falls kein besserer TV ausgehandelt werden kann. Das dürfte nach Aussetzung des Streiks, die die Beschäftigten dort ihres wichtigsten Druckmittels beraubt, eine verbliebene Chance verkörpern, mit ihren anderen KollegInnen beider Konzerne gleichgestellt zu werden