Arbeiter:innenmacht

Neues und Altbekanntes: Was bleibt vom revolutionären 1. Mai(-Bündnis) in Frankfurt/Main?

Richard Vries, Infomail 1152, 29. Mai 2021

Vieles verändert sich in den Jahren der Corona-Krise. Und doch bleibt es bei ganz Grundsätzlichem. Etwa, wenn der DGB in der Mainmetropole am 1. Mai ‘21 zur Demo mit abschließender Kundgebung aufruft und dabei seine FunktionärInnen in Einklang mit SPD-Oberbürgermeister Feldmann die Solidarität und Einheit der Gesellschaft fordern, obwohl die Bosse und KapitalistInnen von so was schon lang nichts mehr wissen wollen. Sie lassen uns die Krise zahlen. Immerhin ging der Frankfurter DGB überhaupt auf die Straße. 4.000 AktivistInnen und GewerkschafterInnen folgten dem Aufruf. Das zumindest ist ein Fortschritt zu ausgebliebenen 1. Mai-Gewerkschaftsaktionen des letzten Jahres.

Doch betrachten wir den diesjährigen Aufzug von der Hauptwache zum Opernplatz genauer. Den kleineren Teil an der Spitze der Demo stellten Mitgliedergewerkschaften des DGB wie z. B. die IG Metall, den absoluten Großteil der Demo aber Gruppen und AktivistInnen der radikalen Linken sowie migrantischer ArbeiterInnenorganisationen. Ohne ihr Erscheinen bliebe von der Demo nicht viel mehr als eine Versammlung von FunktionärInnen und Apparatschiks übrig. Die offiziellen Reden dieser hörten sich dann auch an, als seien es Regierungserklärungen. Im Namen deutscher Standortpolitik wird nimmer endend die nationale Einheit beschworen, wenn nicht direkt, so doch um so deutlicher zwischen den Zeilen. Und so passt der Frankfurter 1. Mai dann auch gut ins Gesamtbild des DGB in der Krise. Kein Aufruf zum Kampf gegen Arbeitsplatzstreichung, für bessere Bedingungen in Krankenhäusern, für deutlich höhere Löhne und schon gar keine Streiks oder gar Betriebsbesetzungen gegen das Abwälzen der Krisenkosten auf Lohnabhängige oder für einen Lockdown in der Produktion mit drei Wochen bezahltem Urlaub. Kapitulation total, dem Kapital stets loyal, mit verräterischen Grüßen, ihre DGB-Führung.

Der revolutionäre 1. Mai (und die Polizei)

Neu war am diesjährigen Ersten Mai am Main, dass ein Bündnis linker Gruppen für einen „Revolutionären 1. Mai Frankfurt“, zum „Tag der Arbeiter:innen. Tag unserer Klasse. Tag der Wut.“ aufrief – als bewusster Alternative zur beschriebenen DGB-Demo. Und so versammelten sich dann am Abend erneut an die 4.000 auf dem Opernplatz, begleitet von einem Polizeigroßaufgebot.

Die Stimmung war entsprechend eine ganz andere als am Vormittag, wie auch die Gesichter zu einem guten Teil andere waren. Kräfte der radikalen Linken, viel mehr Jugendliche und Menschen, die sich vom DGB nicht in der Krise unterstützt sehen, anstelle von Apparat und Bürokratie.

Drei Blöcke – der des Ersten-Mai-Bündnisses an der Spitze, gefolgt von den Blöcken von „Wer hat, der gibt“ (Enteignungsblock) und des F*streikbündnisses (FLINTA-Block) setzten sich in Bewegung, liefen am Hauptbahnhof vorbei ins Gallus, die Mainzer Landstraße stadtauswärts, die Frankenallee wieder stadteinwärts, begleitet von mehreren Drangsalierungen und Angriffen der Cops. Kurz vor dem Bahnhof Galluswarte war dann Schluss. Die Polizei griff die Demo massiv an und löste sie auf. Ergebnis: viele Festnahmen und schwerste Verletzungen wie Platzwunden und gebrochene Knochen, darunter Schädelbasisbrüche. Begleitet und legitimiert wurde die Polizeigewalt dann von Medien wie der FAZ oder der Bild, die die diffamierende Darstellung der Polizei übernahmen. Staat und bürgerliche Medien lieferten am neuen revolutionären Frankfurter Ersten Mai in diesem Sinne also Altbekanntes. Zu keinem Zeitpunkt ging ein Angriff auf die Polizei von der Demo aus. Erst als diese mit Schlagstöcken brutal reinging, versuchten TeilnehmerInnen der Demo, dies abzuwehren und zurückzuschlagen. Dass der Angriff just dann erfolgte, als Pyrotechnik eingesetzt wurde, ist freilich nur ein bequemer Vorwand für die Staatsmacht. Letztlich ging es darum, die Bilder zu liefern, die eine revolutionäre Alternative zur bestehenden Regierungs- (und DGB-Politik) delegitimieren und in der Öffentlichkeit von antikapitalistischen Inhalten ablenken.

Bilanz und Bündnis

Angesichts der Krise und des Stillhaltens des DGB war das Abhalten einer revolutionären Abenddemo in Frankfurt politisch richtig. Es ist der Grund, warum wir uns an der Bündnisarbeit beteiligten – trotz aller Schwächen des Bündnisses. Darauf und die aktuellen Entwicklungen werden wir weiter unten eingehen.

Aber zuvorderst ist zu bilanzieren, dass in Frankfurt, in einer Stadt mit vielen Verwerfungen in der radikalen Linken, eine Demo mit revolutionärem Anspruch 4.000 ArbeiterInnen, Jugendliche und gesellschaftlich besonders Unterdrückte wie FLINTA-Menschen oder von Rassismus Betroffene aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet mobilisieren konnte. Dies stellt einen großen Erfolg dar und ist Ausdruck eines wachsenden Bedürfnisses nach fortschrittlichen Antworten auf die Krise, die jenseits der Regierungspolitik oder dem Irrationalismus der CoronaleugnerInnen liegt. Völlig richtig war z. B. die skandierte Parole „Lockdown für die Produktion – Betriebe dicht bei vollem Lohn“. Ebenso war es richtig, dass sich die Demo nicht an der Gewaltfrage, schon gar nicht im Zusammenhang von Pyro, spalten ließ. Natürlich lief bei dieser nicht alles perfekt, auch hätte sie lauter und gleichzeitig ihre Spitze offener wirken können. Das Bündnis hat über vielerlei die Demo Betreffendes reflektiert und versuchte, Selbstkritik zu üben. Positiv ist auch, dass in der Nachbereitung von Verletzungen und Repression Betroffene nicht im Stich gelassen werden.

Wir wollen nun auf zwei Aspekte bezüglich des Bündnisses eingehen. Der erste Kritikpunkt betrifft den Aufruf. Dieser glich einem bunten Sammelsurium von Dingen, die derzeit mies laufen, wie z. B. dass die Autoindustrie Milliardengewinne gemacht hat und für Pflege das Geld fehlt. Das ist an sich natürlich richtig. Problematisch ist unserer Ansicht nach zweierlei, nämlich, dass diesen eine Oben-vs.-Unten-Rhetorik auszeichnete, die auch einen leicht populistischen Beigeschmack hatte, was durch eine fehlende konkrete Perspektive ergänzt wurde. Besser wäre es gewesen, sich auf einige wenige konkretere Forderungen zu einigen, wie z. B. die entschädigungslose Enteignung von Immobilienkonzernen, Verkehrsindustrien und Krankenhäusern oder auch die internationale Freigabe von Impfpatenten usw. Und ja, wir wissen, dass wir mit in dem Bündnis waren und somit auch unter dem Aufruf standen. Letzteres gefällt uns weniger, aber wir erachteten es als sinnvoll, die Debatte im Bündnis weiter zu begleiten und somit darin zu verbleiben – und natürlich auch Kritik zu üben, was die Selbstkritik inkludiert. Überhaupt liegt die Leistung des Bündnisses weniger in seinem Aufruf, sondern vielmehr darin, dass es eine geeinte Aktion organisierte und trotzdem die Diskussion und Debatte suchte (in der hiesigen Linken ist dies keine Selbstverständlichkeit) und austrug – jedenfalls im Vorfeld des Ersten Mai, aber auch auf dem Auswertungstreffen danach.

Von angeblichen Fahnenverboten, …

Eine jener, bisweilen hart geführten Debatten drehte sich um das Verbot von Partei- und Nationalfahnen auf der Demo. Die Überschrift dieses Artikels kündigte ja bereits von Altbekanntem – in diesem Fall Debatten in der deutschen Linken.

Die Position für das erlaubte Tragen von Parteifahnen, ein Element der Propagandafreiheit, konnten wir leider nicht durchsetzen. Problematisch bei jenem Verbot ist, dass es nicht nur als Partei organisierte Kräfte der radikaleren Linken ausschließt, sondern auch Mitglieder großer reformistischer Massenparteien wie Linke oder SPD. Natürlich betreiben Letztere kapitalistische Politik in Landes- oder Bundesregierungen, setzten soziale Angriffe durch. Aber wir werden ihre einfache Mitgliedschaft nicht von diesen Parteien gewinnen, wenn wir ihnen von vornherein verbieten, sich unserer Demo anzuschließen und ihre Fahne zu zeigen. Und klar, eine AfD-Fahne hätte keinen Platz in unseren Reihen, aber damit, dass offen bürgerliche Parteien bei der revolutionären Maidemo auftauchen, ging im Bündnis ja ohnedies keine/r aus.

Anders verhielt es sich in der Debatte zum Nationalfahnenverbot – genauer gesagt jener Kurdistans und Palästinas. Während die kurdische Flagge unstrittig erlaubt war, gab es eine verschärfte Diskussion zur palästinensischen Fahne, auch wenn dies von vorneherein keinen logischen Sinn ergibt. Beides sind vom Imperialismus und lokalen Staaten unterdrückte Nationalitäten. Somit sollte das Zeigen beider Fahnen als solidarisches Zeichen mit ihrem Kampf kein Thema sein. Doch weit gefehlt, denn keine deutsche Linke ohne jene antideutsche Infragestellung internationaler Solidarität mit Palästina. Hauptverantwortlich dafür war die Linke Liste. Es ist die Ironie der Geschichte, dass sich die Unterdrückung durch den israelischen Staat keine zwei Wochen nach dem Frankfurter Ersten Mai wieder allzu deutlich zeigte.

Letztlich setzten die internationalistischen Kräfte des Bündnisses den politisch leicht angefaulten – immerhin – Kompromiss durch, dass Nationalfahnen zwar nicht erwünscht, aber auch nicht verboten seien und der Frontblock nur aus roten Fahnen bestehen solle. Aber: Es gab definitiv kein Verbot von Palästina-Fahnen.

 … sektiererischen Angriffen …

Nun kommt eine Kraft ins Spiel, die nicht im Bündnis war, aber auf der Demo: FreePalestineFFM, seines Zeichens verbunden mit der Kommunistischen Organisation und Aitak Barani. Diese stellten uns in sozialen Medien die Frage, ob wir dahin gewirkt hätten, die Linke Liste aufgrund ihrer antideutschen Gesinnung aus dem Bündnis zu drängen als Auswirkung dessen, dass sie in der einige Jahre zurückliegenden Vergangenheit einen Palästina-Solistand an der Uni angegriffen hat. Damit konfrontiert brachte die Linke Liste im Bündnis vor, dass jene, die dies taten, nicht mehr in der Liste seien und sie selbst, die im Bündnis für die Linke Liste anwesend waren, dies nicht tun würden. Eine eindeutige Distanzierung sieht anders aus. Aber da es bei der Demo im Kern um den Ersten Mai und nicht um eine Palästinasolidarität ging, war dies für uns auch kein Grund, das Bündnis zu verlassen oder auf einen Rausschmiss der Linken Liste hin zu eskalieren.

Auf der Demo selbst war FreePalestineFFM dann auch anwesend, mit Palästinafahnen – finden wir gut. Die Ironie dabei ist, dass sie, anstatt es den internationalistischen Kräften im Bündnis zu danken, dass sie überhaupt so auftreten konnten, da andere und wir dafür sorgten, dass Palästinafahnen eben erlaubt waren, sie weiter Vorwürfe und Angriffe gegen eben jene Kräfte erhoben, schlicht weil wir im Bündnis die Debatte führten, die eine internationalistische Position vorantreibt. Eine Debatte, der FreePalestineFFM wie KO sektiererisch ausweichen, womit sie antideutschen Kräften von vorneherein das Feld in der Linken überlassen und somit dem palästinensischen Befreiungskampf in hiesigen Gefilden mehr schaden denn nutzen, ganz davon abgesehen, dass sie es sich mit internationalistischen Kräften verderben und selbige spalten.

 … und angeblichen Vetorechten

Ein Vorwurf, der weiterhin erhoben wurde, ist, dass Menschen mit Palästinafahnen auf der Demo angegriffen wurden. Als dies auf dem Auswertungstreffen auf den Tisch kam und neben uns andere InternationalistInnen wie Young Struggle einforderten, dies – so es denn geschah – in einem Statement als Verstoß gegen den Demokonsens zu brandmarken, blockierte die Linke Liste mit einem Veto und Verzögerungen wie z. B. der Forderung, zunächst eine letztlich umfassende Klärung des Imperialismusbegriff vorauszusetzen.

Das Veto selbst hat unserer Ansicht nach keine Gültigkeit, da sich das Bündnis unserer Ansicht nach nie für die Gestattung undemokratischer Vetorechte entschieden hatte, das Gegenteil wurde uns nicht belegt. Zudem schickte sich mit der Linken Liste eine Gruppe eher gesellschaftlich Privilegierter an, mit Vetos zu hantieren, was die Sache gewiss nicht richtiger macht. Es bleibt ein blockierendes und sabotierendes Unding, dieses Verhalten der Linken Liste, die sich nach dem Ersten Mai den Beschluss zu Palästinafahnen malt, wie es ihr gefällt, und beraubt das revolutionäre Erste-Mai-Bündnis so jeglicher Glaubwürdigkeit und Verbindlichkeit. Wir haben daher das Bündnis aufgefordert, die Linke Liste von weiterer Zusammenarbeit auszuschließen.

Fazit

Der erste Revolutionäre Erste Mai in Frankfurt am Main war ein Mobilisierungs- und als Alternative zum DGB-Stillhalten auch ein großer politischer Erfolg. Doch am Rande dessen begegnete uns allerlei Altbekanntes der deutschen Linken – von antideutschen Manövern hin zu sektiererischen Angriffen. Was wir mitnehmen ist, dass uns der Boden für eine weitere Diskussion mit den Kräften, die nicht unter diese Muster fallen, fruchtbar erscheint. Wir würden uns freuen, die begonnene Debatte mit Euch fortzuführen!

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