Arbeiter:innenmacht

Kretschmann und die Saubermänner

Frederik Haber, Infomail 1042, 15. Februar 2019

Stuttgart ist die deutsche Stadt mit den höchsten NOx-Werten dank seiner Lage, die der Heimatdichter einst so besang: „Da liegst du nun im Sonnenglanz / schön wie ich je dich sah / in deiner Berge grünem Kranz / mein Stuttgart, wieder da“.  Dieser grüne Kranz ist die verdammte Kessellage, die insbesondere bei Sonnenschein dafür sorgt, dass kein Wind die versmogte Luft austauscht. Also dürfen Diesel unterhalb der Norm 4 nicht mehr in der Stadt fahren.

Dieselfahrverbote sind eine heikle Sache. Sie bringen die braven BürgerInnen in Aufruhr: diejenigen, die sich gerne als unpolitisch bezeichnen und das für eine Ehre halten – oder die den Begriff als Maske für rechte Umtriebe benutzen. So finden jetzt regelmäßig Demos gegen die Verbote statt, wobei diejenigen, zu denen die AfD aufruft, regelmäßig Mühe haben, in den zweistelligen Bereich zu kommen.

Sie bringen auch Zwietracht in die grün-schwarze Koalition. Die CDU musste sich nach der letzten Wahl die Augen reiben und feststellen, dass die Abwahl des letzten Ministerpräsidenten der CDU, Mappus, kein Ausrutscher gewesen war. Die Grünen wurden wieder stärkste Kraft. Erstere musste nach drei Jahren als Juniorpartnerin der Grünen feststellen, dass das eine schlechte Rolle ist: Die führende Regierungspartei sammelt die Pluspunkte und die eigene Klientel ist sauer – ein Gefühl, das sonst vor allem Sozis umschleicht.

Jetzt also versucht sich die CDU, gegen Grün dadurch zu profilieren, dass sie sich an der Dieselsäule hochzieht. Aus ihrem Dunstkreis kommen dann so nette Forderungen, wie den Verkehrsminister Winfried Hermann ins Gefängnis zu stecken. Was Trump für Clinton fordert, soll auch die Provinz-PopulistInnen retten.

Aber Kretschmann hat der CDU nicht nur die WählerInnen geklaut, er klaut ihr auch die eigenen Politikmuster. In Merkel‘scher Manier hat er ein „Bündnis für Luftreinhaltung“ gegründet und verkündet. So wie Merkel  vor zwei Jahren zum „Diesel-Gipfel“ ausgerechnet die Automobilkonzerne eingeladen hatte, die nicht nur die dreckigen Motoren profitbringend gebaut, sondern auch systematisch den KäuferInnen und der Öffentlichkeit manipulierte Messungen vorgelegt hatten, so lud Kretschmann jetzt die VertreterInnen der örtlichen Auto-Industrie ein: Daimler, Porsche, Bosch, Mahle…

Merkels Strategie bestand darin, mit dem Diesel-Gipfel und seinen Nachfolge-Veranstaltungen Aktivität vorzutäuschen und zu verhindern, dass die Auto-Firmen dazu verpflichtet  werden, die  Motoren nachzurüsten. Kretschmann versucht genauso, die Öffentlichkeit zu täuschen. Das Ziel des „Bündnisses für Luftreinhaltung“ ist es, Fahrverbote für Diesel der Norm 5 zu verhindern. Die Maßnahmen: Die Firmen versprechen, Tickets für den öffentlichen Verkehr zu fördern und mehr Homeoffice einzuführen.

Zu Recht macht sich Katharina Thoms vom SWR darüber lustig:

„Wie das dann aussieht? Na, die Firmen wollen mehr Homeoffice anbieten – für ihre Mitarbeitenden. Und Jobtickets – für Bus und Bahn. Oder die Mitarbeitenden sollen öfter mit dem Rad zu Arbeit fahren – dafür soll es dann auch Abstellplätze für Fahrräder geben – beim Daimler. Oder Ladesäulen – für E-Bikes und E-Autos bei Porsche. Oder beim Bosch. Jahaa! Und das ist noch nicht alles aus der langen Liste der, im Schönsprech vorgetragenen,  ,ehrgeizigen Maßnahmen‘.

Aber glauben Sie mir: Es wird nicht aufregender. (…) Aber: Ernsthaft? So sieht es aus, wenn Politik und Wirtschaft  ,alle Register ziehen‘?“

Die politische Verkommenheit des Ministerpräsidenten Kretschmann und des grünen Verkehrsministers Hermann, der als ehemaliger S21-Gegner länger an seiner Meinung festhielt als viele Sozis, wenn sie in Regierungen einrücken, bevor er dann doch umfiel und zum Speichellecker der Autoindustrie wurde, gipfelt in der Erklärung Kretschmanns:

„Wir haben alle Schadstoffprobleme gelöst, die mir jemals bekannt waren: vom Blei im Benzin über Dioxin, FCKWs und was sonst noch alles in der Atmosphäre rumturnte“, so der Ministerpräsident. „Wir werden auch dieses Schadstoffproblem lösen.“

So kann man die Welt nur betrachten, wenn wie die Luftmassen in Stuttgart auch der Blick aus der Staatskanzlei nicht über „deiner Berge grünen Kranz“ hinausgeht. Dann sind die UmweltpolitikerInnen der Grünen zufrieden, wenn das Kraftwerk Altbach im Neckartal – auf dem Weg von Kretschmanns Heimat Nürtingen zu seiner Residenz im Neuen Schloss gelegen – dank seiner hohen Schornsteine den Dreck so hoch pustet, dass er erst 100 km weiter runterkommt.

Oder wenn man glaubt, dass mit Euro-Norm 6 nur noch reiner Sauerstoff aus dem Auspuff kommt. Wenn man ignoriert, welche Schadstoffe die Stuttgarter Industrie-Saubermänner (Tatsache: Keine Frau dabei) in anderen Ländern in die Luft blasen zur Herstellung von Teilen nicht nur für Verbrennungsmotoren, sondern gerade auch für Elektromobilität. Wenn man ignoriert, wie Strom erzeugt wird und dass nicht nur die Luft, sondern auch der Boden und das Wasser verpestet sind.

„Wir haben alle Schadstoffprobleme gelöst.“ Weder Kretschmann noch die Auto-Bosse haben irgendwas gelöst. Das Problem sind sie und ihr verkommenes kapitalistisches System.

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