Arbeiter:innenmacht

Bis es knirscht und knallt: Marodierende Verkehrsinfrastruktur im Autoland Deutschland

Leo Drais, Infomail 1280, 21. April 2025

Am 11. September letzten Jahres stürzte nachts der Straßenbahnteil der Dresdner Carolabrücke ein, kurz nachdem eine Straßenbahn diesen passiert hatte. Die Trümmer liegen bis heute in der Elbe, der Abriss im Fluss ist kompliziert, und auch die Brückenzüge für den Straßenverkehr müssen abgerissen werden.

Dann, seit Mitte März, ist im Berliner Westen die einsturzgefährdete Ringbahnbrücke der A100 über den S-Bahn-Ring und den Fernbahn-Innenring erst für den Straßenverkehr auf der Brücke gesperrt worden und nach einigen Tagen auch der Zugverkehr unter der Brücke. Nun wird die Brücke im Schnellverfahren abgerissen, ebenso wie die davon etwas nördlich gelegene Autobahnbrücke am Bahnhof Westend, die bereits seit einigen Jahren mit Hilfsstützen gesichert wurde.

Während der Einsturz einer Brücke in Deutschland wirklich selten vorkommt, ist das Beispiel der Berliner A100 alles andere als einzigartig. So wurde im Dezember 2021 die Rahmedetalbrücke der A45 bei Lüdenscheid dauerhaft gesperrt und 2023 gesprengt, nachdem das Tragwerk irreparable Schäden aufwies. In Wiesbaden konnte 2021 für ein halbes Jahr fast kein Zug mehr den Hauptbahnhof anfahren, nachdem bei der Salzbachtalbrücke der A66 ein Widerlager eingebrochen war und sie abgerissen werden musste. Wie in Berlin legte auch hier die Autobahn die Eisenbahn lahm. Nicht, dass es bei der Bahn selbst mit der Infrastruktur besser aussähe. Im Gegenteil. Die Generalsanierungen der Hauptkorridore, die die Deutsche Bahn seit letztem Jahr durchführt, sind selbst das Ergebnis jahrelanger Vernachlässigung der Gleise, Stellwerke usw.

Und wer denkt, zum Glück ist noch keine/r gestorben, irrt. Im Sommer 2022 entgleiste auf der Fahrt von Garmisch-Partenkirchen nach München ein Regionalexpress aufgrund schadhafter Schwellen, fünf Menschen verloren ihr Leben.

Reaktionen

Nachdem klar war, dass seitens der DEGES/Autobahn GmbH für o. a. Berliner Ringbahnbrücke nur der Abriss in Frage kommt, standen die Autoparteien CDU und FDP sofort in den Startlöchern. Noch-Verkehrsminister Wissing war sofort parat und machte 150 Millionen Euro für ihren Neubau  und den der Westendbrücke locker. Der Ersatzneubau soll nach Wünschen des Berliner Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) in zwei Jahren geschafft sein. Quasi über Nacht wurden Kleingärten geräumt, die Gleise der Bahn mit Tausenden Tonnen Stahl, Sand und Kies abgedeckt und die Brücken binnen weniger Tage abgerissen. Ein paar Tage bevor die Bagger anfingen zu knabbern, standen die Jungen Liberalen an der A100 vorm Großbordell Artemis (Berlin Halensee) und hielten sich an einem Banner mit der Aufschrift „Sonderbaurecht für Charlottenburg-Wilmersdorf“ fest. Die Autofahrer:innen hatten genug Zeit, es zu lesen. Zu Fuß war man an dem Tag schneller – die Sperrung der Ringbahnbrücke hat die A100 halbiert.

Geht es um unausweichliche Ad-hoc-Maßnahmen, spielt Geld auf einmal keine Rolle mehr und sonst fehlende Fachkräfte und Baufirmen folgen flott dem Ruf des schnellen Profits. Immerhin steht der Abriss der A100-Brücken auch unter dem Stern eines riesigen Schadenersatzes der S-Bahn Berlin. Und was die Arbeiter:innen und Ingenieur:innen bei ihrem Abriss hingelegt haben, beeindruckt tatsächlich.

Demgegenüber kann man bei so vielen unqualifizierten Fragen von Journalist:innen und noch viel unqualifizierteren Kommentaren in den „Social“ Media nur den Kopf schütteln. Anscheinend kennt sich das ganze Land jetzt mit Ingenieurbauwerken in der Verkehrsinfrastruktur aus: „Warum schafft man es denn in China, in 48 Stunden eine Brücke auszutauschen?“ „Warum haben die (wer sind die eigentlich?) das nicht viel früher neu gebaut?“ usw.

Auch in Deutschland gibt es Brückenersetzungen, die an einem Wochenende durchgezogen werden. Solche Projekte sind jedoch von langer Hand vorbereitet, indem die neue Brücke zum Beispiel neben der alten aufgebaut und dann „nur“ noch eingehoben wird.

Dann wiederum trifft man jedoch auf Kommentare und Ideen, die doch etwas hoffen lassen. Zum Beispiel, wenn dargelegt wird, dass die lange Sperrung der A100 zu einem gewissen Verkehrsverlagerungseffekt führen wird und man doch die Chance nutzen könnte, generell mal Stadt(!)autobahnen infrage zu stellen und zurückzubauen. Fix hat der BUND die Idee aufgegriffen und gefordert, dass der Ersatzneubau nur zwei statt drei Spuren haben sollte. Wow! Das ist ein Realismus für die Klimakrise, wie ihn sich Klimafolgenforscher:innen wünschen. Wenn die dann zweispurigen A100-Brücken so lange halten wie die alten und danach sich der BUND vielleicht zu sagen traut: „Vielleicht geht’s ja auch ohne Stadtautobahn“ – dann ist Berlin doch tatsächlich in so 60–70 Jahren autobahnfrei. Wobei auf den BUND ja nicht gehört wird. Und bestimmt fällt vorher sowieso ’ne Bombe drauf. Das 500-Milliarden-Paket der neuen Regierung im alten Parlament versprach ja schließlich nicht nur Brücken, sondern vor allem Panzer. Ob die Ersatzneubauten die dann auch tragen?

Kapitalismus

Eine zumindest im Ansatz richtige Adressatin haben die Kritiken, die die Schuld bei der Regierung suchen. Es ist ja im Endeffekt auch absurd, wenn sich Unionsnasen hinstellen und sagen: „Jetzt muss es ganz schnell gehen“, wenn sie selbst jahrelang mitregiert haben und die Verkehrsinfrastruktur der letzten 20 Jahre fast durchgängig unter der Zuständigkeit ihrer Autominister stand. Selbst im Autoland Deutschland dürfen Autobahninstandhaltungen nur möglichst wenig kosten. Andreas Scheuers (CSU) Bauchlandung mit der Autobahnprivatisierung hatte genau diesen Hintergrund.

Kommt es dann doch mal zum Unglück, ist die geheuchelte Betroffenheit groß – und die Konsequenz für die eigentlich systemisch Verantwortlichen klein. Im Falle des Zugunglücks von Garmisch-Partenkirchen waren es dann eben die Schwellen, die den Zug nicht mehr trugen. Im Laufe der Ermittlungen kam dann noch raus, dass ein Fahrdienstleiter die schadhafte Stelle am Gleis ein paar Tage vor dem Unglück nicht weitergemeldet und die Strecke nicht gesperrt hatte. Da hat die Staatsanwaltschaft dann doch noch einen Schuldigen gefunden.

Dass der Fahrdienstleiter hier fahrlässig gehandelt hat, steht außer Frage. Jedoch hat der Eisenbahningenieur Markus Hecht (Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge am Institut für Land- und Seeverkehr der Technischen Universität Berlin) recht, wenn er kritisiert, dass bei Unglücken die Verantwortung tendenziell auf einer niedrigen Ebene gesucht und systemische Faktoren eher ausgeblendet werden. Tatsache ist ja, dass sich die DB AG selbst nur die Note 3 für ihre Infrastruktur gibt – wobei Strecken existieren, die in jeder Hinsicht nur ein Ungenügend verdienen.

Im Falle der Bahn lassen sich die vielen Faktoren – viel weniger Instandhaltungspersonal, damit auch weniger Instandhaltung, damit Rückzug von Baufirmen aus dem Bahngeschäft, damit Häufung von Gleislagefehlern und damit laxerer Umgang des Betriebspersonals mit diesen u. v. a. m. letztlich zurückführen auf zwei absolut politische Angelegenheiten: die Bahnreform mit all ihren Folgen sowie darauf, wie viel Geld in die Schiene gesteckt wird. Die nächste Regierung kann noch so viel die Deutsche Bahn zerschlagen, umbauen und ihren Vorstand feuern (hätte er verdient) – Investitionen in die Infrastruktur lassen sich durch nichts ersetzen, außer durch mehr Investitionen. Ihr versteht die Logik des Kapitalismus doch sonst so gut?!

Und genau hier liegt der Hund begraben. Es gibt ja genug Stimmen, sei es in der Presse, in der Politik oder einfach in Kommentarspalten, die fordern, es müsse einfach mehr investiert werden. Das Geld wäre doch da, und wenn nicht, müsste man einfach Schulden machen. Genau das hat Dresden jetzt vor, um die Carolabrücke wieder aufzubauen – und spürt dabei schon die Daumenschrauben der Schuldenbremse, die kommunal ja nach wie vor gilt.

Zunächst mal stellt sich für den bürgerlichen Staat immer die Frage, woher er das Geld für seine Ausgaben nimmt. Da kommen zum einen Steuern infrage – die vor allem über eine direkte Enteignung der Arbeiter:innenklasse laufen (Lohn- und Einkommensteuer) sowie über eine indirekte (Massensteuern wie die Mehrwertsteuer). Natürlich zahlen auch Unternehmen Steuern – doch gern möglichst wenig, denn sie müssen auf dem Weltmarkt der Konkurrenz standhalten. Von daher gilt für die Kapitalist:innen und ihre politischen Handlanger:innen: Kosten darf uns das nix! Aber die Autobahn vor der Fabrik hätten wir schon ganz gerne …

Bleiben noch Schulden als Einnahmequelle. Problem hier ist: Es gibt halt auch die geldgebende Bank, die zumindest gerne die Zinsen bedient hätte. Insbesondere für halbkoloniale Länder drohen die Schulden schnell zu einer Falle zu werden, in der sie dann von imperialistischen Ländern (deren Banken das Geld gegeben haben) ausgenommen und verspeist werden. Diese Abhängigkeit ist der Hauptgrund, warum eine relativ dichte Straßen- und Eisenbahninfrastruktur nur in reicheren Halbkolonien und vor allem imperialistischen Ländern existiert. Alle großen Infrastrukturprojekte brauchen Kredit – ob nun der Staat oder Unternehmen als Schuldner:innen auftreten. Daher ist es auch klar, dass ärmere Staaten weniger davon haben und überwiegend nur dort, wo es direkt an die Akkumulationsbedürfnisse des dominierenden Kapitals – und das ist das Großkapital aus den imperialistischen Ländern – gebunden ist. Beispiele sind der Straßen- oder Bahnbau von den Häfen zu Bergwerken, um Rohstoffe rasch ausbeuten zu können.

Autobahn vs. Eisenbahn

Dass die Verkehrsinfrastruktur stets vorrangig kapitalistischen Erfordernissen – nicht menschlichen Bedürfnissen – folgt, wird deutlich, wenn wir uns das Verhältnis zwischen (Fern‑)Straßen und Eisenbahnen anschauen. Für fast alle alten imperialistischen Länder trifft folgende Geschichte zu, so auch für Deutschland: Die Industrialisierung und die Entwicklung der Eisenbahn gehen Hand in Hand. Die damaligen Straßenfahrzeuge waren Kutschen und weder sie noch die oft unbefestigten Wege, die sie befuhren, vermochten die Lasten der Industrialisierung zu tragen. Eine Dampfmaschine auf Rädern gab es nur auf Gleisen. Da es auch so gut wie keine Umweltschutzauflagen, Planungsverfahren usw. wie bei heutigen Großprojekten gab, waren die einzigen Grenzen damals die technische und finanzielle Machbarkeit. Menschenleben spielten kaum eine Rolle, auch der Arbeitsschutz auf Großbaustellen musste durch die Arbeiter:innenklasse erst noch erkämpft werden. Schnell wuchs in Europa und in den USA ein dichtes Bahnnetz. Es war ein Garant für die Konkurrenzfähigkeit der jeweiligen Großmächte – bis hinein in den Ersten Weltkrieg.

Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich eine Verkehrswende durch, die gesamtgesellschaftlich eine Art Rolle rückwärts in die Postkutschenzeit darstellte, nur dass diese Kutschen heute eben Hunderte statt zwei oder vier PS haben. Mehr Menschen als eine Postkutsche kann ein Standardauto jedoch nicht transportieren. Weg von kollektiver Mobilität hin zum alten neuen Individualismus!

Der Siegeszug des motorisierten Individualverkehrs und mit ihm die Zurückdrängung von Eisenbahn und Straßenbahn hatten vier Bedingungen:

  • Erstens die technische Machbarkeit bei Fahrzeugen und Straßen (Erfindung von Verbrennungsmotoren in kleinem Format, Reifen, Beton und Asphalt …).
  • Zweitens die Verbilligung der Produktion und damit der Autos. Der Zweite Weltkrieg war hier ein zentraler Faktor, einerseits, weil aus vielen Rüstungsbetrieben später Autoschmieden wurden, und weil durch die Vernichtung von Leben und Kapital überhaupt erst der wirtschaftliche Aufschwung der 1950er und 1960er Jahre möglich war, der es auch breiten Schichten ermöglichte, ein Auto zu kaufen.
  • Drittens setzen auch die Staaten voll auf die Straße und die Autobahn. Einerseits gilt sie als Inbegriff des Wohlstandes (irgendwo müssen die Autos ja fahren), zum anderen prägen die Autokonzerne maßgeblich die Verkehrspolitik der jeweiligen Länder. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Japan, die USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland allesamt riesige Autokonzerne. Später werden einige von ihnen auf Kosten der anderen zu den riesigen Monopolen anwachsen, die wir heute kennen (VW, Toyota, Stellantis …). Das Geld für den Straßenbau saß in jenen Jahren auch locker (die Phase von 1945 bis 1973 kannte fast keine Wirtschaftskrisen), Umweltschutz und Anwohner:innenrechte spielten auch noch keine Rolle und sorgten für niedrigere Kosten. Viele heute marode Brücken stammen aus jener Zeit und stehen am Ende ihrer Lebensdauer.
  • Viertens findet mit dem Autobahnbau auch der Güterfernverkehr seinen Weg auf die Straße. Er verspricht schnellere, weil individuellere Umschlagzeiten von Waren. Spätestens in den letzten dreißig Jahren haben sich seine Kapazitäten stark auf die Straße verlagert. Durch Globalisierung, Produktionsverlagerungen, Onlinehandel usw. haben sich die Verkehrswege von Gütern enorm verlängert – kein Problem, da mit der EU-Osterweiterung die Lohnkosten für Lkw-Fahrer:innen massiv gedrückt wurden.

Neben der Tatsache, dass den Staaten heute ihre riesige Straßeninfrastruktur gewissermaßen über den Geldtopf gewachsen ist und sich der Straßenverkehr in den letzten 50 Jahren verfünffacht hat (ohne dass das auf die Bevölkerung der BRD zutrifft), ist der Lkw-Verkehr auf der Straße noch ein Hauptfaktor für knirschende Autobahnbrücken. In den 1950er Jahren galt ein Maximalgewicht von 24 Tonnen, heute sind es bis zu 44 Tonnen. Aber Gewicht ist nicht gleich Gewicht: Ein 44-Tonner belastet die Brückenkonstruktion mitunter so stark wie 100.000 (!) Pkw. Hier ist die Schiene übrigens nach wie vor überlegen: Während bei Lkw bei 44 Tonnen für den gesamten Sattelzug Schluss ist, beträgt die zulässige Last der meisten deutschen Bahnstrecken 22,5 Tonnen – aber pro Achse! 90 Tonnen schwere Güterwagen stellen gar kein Problem dar, bei einem viel geringeren Energieaufwand.

Dennoch wurde und wird der Wandel zur Straße aktiv betrieben – für die einzelnen Kapitalist:innen kommt das billiger, sie müssen die kaputten Brücken kaum bezahlen, während die gesamtgesellschaftlichen Kosten – insbesondere unter Berücksichtigung der Klimakrise – bei der Straße deutlich über einem öffentlichen Verkehrssystem mit der Schiene als Rückgrat liegen. Doch auch bei der halbprivatisierten Bahn gibt man alles für die Autobahn: Tausende Gleisanschlüsse hat die Ach-so-Verkehrswende-DB AG, seit es sie gibt, plattgemacht. Wohlgemerkt ist das jedoch auch davon abhängig, ob der Schienengüterverkehr entsprechend politisch unterstützt wird. Für die allermeisten Einzelwaren spielt auch das Gewicht keine Rolle. Ein Gleisanschluss ist teurer als ein paar Schaufeln Teer, einzelne Wagen zu einem Güterzug zusammenzustellen und dann wieder zu verteilen, ist zeitintensiver, als jede Ladung mit ihrem eigenen Lkw zu transportieren. Dann fahren halt 50 Lkw nach Berlin rein, statt ein Güterzug. Von den einst über 10 Güterbahnhöfen in und um Berlin gibt es zur Versorgung der Stadt heute nur noch zwei bis drei relevante.

Bleibt die Frage: Soll es so weitergehen? Einfach alle Autobahn- und sonstigen Straßenbrücken, die nie für die heutigen Verkehrslasten konstruiert wurden, nach und nach abreißen (erzwungenermaßen) und stärker neu bauen (angeblich alternativlos)? Für noch größere Lkw, noch fettere Karren, in denen dann schön klimatisiert Selfies geschossen werden, während man bei 45 Grad im Stau steht, natürlich bei laufendem Motor?

Abriss, Neubau – Verkehrswende

Natürlich geht es auch anders. So wenig wie der Kapitalismus, so wenig ist auch seine zerstörerische Verkehrsweise unveränderlich. Nachdem jahrzehntelang die Eisenbahn und andere öffentliche Verkehrsmittel ramponiert wurden, ist die Zielsetzung im Bundesverkehrswegeplan ungefähr so, dass man gerne beide Landverkehrsträger – Straße und Schiene – ausbauen möchte, wobei da immer noch nicht klar ist, was am Ende dabei rauskommt. Je nach Regierung werden z. B. Straßenbahnprojekte schnell mal wieder entsorgt, die Berliner Christlich-Deutschen-Urbanautofahrer:innen grüßen.

Und auch Bahnausbau ist nicht gleich Bahnausbau. Geht es um die flächendeckende Elektrifizierung, eine Rückkehr der Bahn in die Fläche, die Entflechtung von Knoten, oder geht es um Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 und um Hochgeschwindigkeitsrennbahnen, noch mehr Brücke-Tunnel-Brücke-Tunnel-Brücke-Tunnel? Beton ist einer der größten CO₂-Emittenten, und mit jedem Tunnelkilometer steigt das Risiko eines schweren Unfalls in den Röhren. Beim Gotthard-Basistunnel hatte der nicht mal 10 Jahre auf sich warten lassen.

Die Klimabewegung ist hier dringend beraten zu sagen, was notwendig und sinnvoll ist. Das Beispiel Ringbahnbrücke kann zeigen, dass Menschen – wenn sie müssen – durchaus schnell ihr Mobilitätsverhalten anpassen können. Wenn in zwei bis drei Jahren die A100 wieder sechsspurig ist, werden die meisten, die sie vor einem Monat noch befahren haben, sie gar nicht mehr brauchen.

Der BUND traut sich im Autoland Deutschland trotzdem gerade mal eine Autobahnspur infrage zu stellen – das entspricht nicht der Tiefe der Klimakrise, schon gar nicht bei einer Stadtautobahn, wohl aber der durch und durch bürgerlichen Ideologie von BUND, Grünen, Greenpeace und FFF Deutschland. Bloß nichts fordern, wo einen das Land als Utopisten abtut. Bloß nicht zu viel Veränderung.

Verkehrswendeprogramm

Wir halten dem programmatisch entgegen (Auszug aus unserem Verkehrswendeprogramm (https://arbeiterinnenmacht.de/2023/09/08/bitte-wenden-ein-antikapitalistisches-mobilitaetsprogramm/)).

  • Bezogen auf das Verkehrsaufkommen muss der erste Satz einer Verkehrswende weiterhin lauten: „So wenig wie möglich, so viel wie nötig.“ Schon hierbei springt ins Auge, dass der Kapitalismus dazu nicht in der Lage ist, weil sein Kreislauf Geld – Produktion – Produkt – Ware – Geld + Gewinn – mehr Produktion, mehr Produkte, mehr Waren … zur Ausdehnung (des Verkehrsaufkommens) drängt und dessen Logistik insgesamt ineffizient organisiert ist. Anders ausgedrückt: Was bringt es, den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern, wenn trotzdem immer mehr Verkehr produziert wird?
  • Eine wirklich nachhaltige Wirtschaftsweise kann weltweit daher nur als Planwirtschaft verwirklicht werden, die schon bei der Produktion von Fahrzeugen und Transportwegen einbezieht, was am Ende ihrer Lebenszeit passiert. Während für die Kapitalist:innen dieser Gedanke in der Konkurrenz tödlich ist, ist es bei einer Planwirtschaft umgekehrt: Nicht auf den Ressourcenkreislauf zu achten, wäre ihr Untergang (auf lange Sicht ist das allerdings auch für den Kapitalismus der Fall).
  • Eine Planwirtschaft im Interesse der gesamten Menschheit hat wiederum die Aufhebung der kapitalistischen Klassengesellschaft (in der die Profitinteressen des Kapitals über den Bedürfnissen der Gesamtheit der Menschen stehen) zur Voraussetzung. Notwendig hierfür ist der Sturz des bürgerlichen Staates und die Errichtung einer demokratischen Rätemacht der Arbeiter:innenklasse über die Gesellschaft, die die Mobilität durch eine Enteignung der Transportindustrie und Entwicklung und Kontrolle der Produktion einem demokratischen Plan unterstellen kann.
  • Das aber erfordert, die Arbeiter:innenklasse nicht nur als zentrale Kraft der Mobilitätswende zu begreifen, sondern sie auch zum bewussten Subjekt dieser zu „erziehen“, was in der Notwendigkeit mündet, revolutionäre Arbeiter:innenparteien und eine neue Internationale aufzubauen, die die Verkehrsfrage als Teil ihres Programms begreifen.

Anlässlich des Themas dieses Artikels ergänzen wir das Programm:

  • Für eine urbane Verkehrswende, die in eine Stadtwende integriert ist: Aufwertung der Kieze durch Zurückdrängung des Autos, kontrolliert und gestaltet durch die Anwohnenden selbst. Auf diese Weise kann an die Stelle des Gefühls, dass einem das Auto weggenommen würde, die kollektive Selbstbestimmung über die unmittelbare Lebensumgebung treten: öffentliche Kantinen, viel Grün zur Kühlung der Stadt, bezahlbarer Wohnraum und kurze Wege zu Kita, Schule und Arbeit, Fokus auf Tram-/Bus-, Rad- und Fußverkehr. Die, die Straßen wirklich brauchen (Handwerker:innen, Feuerwehr, Fahrdienste, mobilitätseingeschränkte Menschen, Umzüge), werden dann kaum noch Stau und Parkplatzkriege kennen.
  • Für eine Mobilitätswende auf dem Land, die verschiedene Konzepte integriert: Carsharing, Busnetze (die nicht an Gemeindegrenzen enden), Rückkehr und Aufbau der Bahn, wo es sinnvoll ist, digitalisierte Bedürfnisabfrage. Planung des Verkehrs durch Verkehrsarbeiter:innen und Bewohner:innen der Dörfer und Kleinstädte. Kurze Wege: Versorgung und Arbeit vor Ort, statt 100 km weit weg.
  • Für einen sinnhaften Bahnausbau, gestaltet durch die Eisenbahner:innen selbst. Gegen Projekte wie S21, den Fernbahntunnel Frankfurt oder das Anlegen neuer Schnellfahrstrecken auf der Wiese, wo auch die Trasse einer Autobahn genutzt werden könnte. Fokus muss sein: Flächenausbau, Elektrifizierung, Netzresilienz, Taktfahrplan, Knotenentflechtung, Verteidigung des Einzelwagenverkehrs. Integration des Güterverkehrs in einen demokratischen Gesamtwirtschaftsplan.
  • Kein Autobahnneubau, kein Bundesstraßenneubau, auch kein Ausbau. Im Gegenteil: Weitgehender Rückbau der Autobahnen und Umwidmung der Trassenbereiche: Landstraßen, Eisenbahnstrecken, Radwege, Wald, Parks. Autobahnen sind letztlich für den Fernverkehr gebaut worden, dieser muss auf die Schiene umgelegt werden.
  • Beschleunigung von Verkehrswendeprojekten durch direkte Kontrolle. Anstatt bürokratisch abgehobener staatlicher Instanzen (Verwaltungsgerichte, Eisenbahnbundesamt, Umweltbundesamt …) Planung und Baudurchführung durch demokratische Komitees aus Ingenieur:innen, Umweltwissenschaftler:innen, Bauleuten und Anwohner:innen, in denen alle Fäden direkt zusammenlaufen.
  • Entschädigungslose Enteignung der Bauindustrie und für eine Bauwende. Aufbau einer demokratisch durch Ingenieur:innen und Bauarbeiter:innen kontrollierten staatlichen Bauorganisation, die zentral die Kapazitäten für Ad-hoc-Maßnahmen vorhält und eine Instandhaltung betreibt, die den Namen verdient. Das erspart auch aufwendige Ausschreibungs- und Vergabeverfahren. Für eine massive Ausweitung der Baukapazitäten im Bahnsektor!
  • Für die Verteidigung und Ausweitung des Arbeits- und Umweltschutzes auf Baustellen – gegen die Pläne der neuen Regierung, diese unter dem Deckmantel eines „Bürokratieabbaus“ zu schleifen.

Alles weit weg? Zählt nicht! Hätte vor 125 Jahren wer gesagt, wir reißen einen Großteil der Bahnstrecken wieder ab und zimmern ein riesiges Autobahnnetz durch Stadt, Feld und Wald, koste es, was wolle, wäre das auch sehr weit weg gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass 45 Jahre später sämtliche deutsche Großstädte in Schutt und Asche lagen. Man hätte so schön wieder aufbauen können und hat es so verkackt.

Es muss eh alles verändert werden. Und es wird sich so oder so alles verändern, allein schon durch die Klimakrise. Und dann ist da noch die steigende Kriegsgefahr (die manche die Klimakrise ganz vergessen lässt).

Es ist weder determiniert, dass wir in 20 Jahren bei 45 Grad in Berlin, Köln und München kollabieren, noch, dass Hamburg, Dresden und Frankfurt noch mal in Staub und Elend untergehen.

Der Weg in eine lebenswerte Zukunft führt über eine sozialistische Umwälzung. Panzerfabriken zu Straßenbahnwerken, Stadtautobahnen zu Oasen.

Und selbst wenn wir es nicht schaffen, die Reichen und Mächtigen davon abzuhalten, die Welt (erneut) anzuzünden – die Frage bleibt: Wie bauen wir sie danach (hoffentlich) wieder auf?

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