Jona Everdeen, Infomail 1275, 31. Januar 2025
27. Januar: Montag früh begann, als Teil einer neuen Tarifrunde im öffentlichen Dienst, ein 24-stündiger Streik der BVG, der große Teile des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin lahmlegte. Die Forderungen der Kolleg:innen sind durchaus ambitioniert, aber auch bitter nötig. Ob die Gewerkschaftsführung von ver.di bereit ist, sie durchzusetzen, bleibt hingegen eine andere Frage. Doch was braucht es, um den immer stärker kriselnden Berliner ÖPNV wieder in Schwung zu bringen?
Die Forderungen, mit denen ver.di in die Verhandlungen geht, sind durchaus beachtlich. So fordert man 750 Euro mehr Gehalt, was in etwa 25 Prozent entspricht, sowie ein 13. Monatsgehalt und einige weitere kleinere Nebenzahlungen. Das Gesamtvolumen dieser Forderungen beläuft sich auf 250 Millionen Euro. Das mag nach viel klingen, ist aber gar nicht so viel,wenn man bedenkt, dass das Gehalt der BVG-Beschäftigen zuletzt vor der massiven Inflationswelle gestiegen ist. Im Endeffekt geht es also nur um wenig mehr als das Auffangen eines riesigen Reallohnverlusts der letzten Jahre. Argumentiert wird dabei weniger damit, dass der eigene Lohn für die harte Arbeit unangemessen niedrig ist, sondern hauptsächlich, vermutlich in der Hoffnung, so auf mehr Verständnis zu treffen, dass nur mit anständigerer Bezahlung der eklatante Personalmangel ausgeglichen werden könne.
Ein Argument, das ziehen sollte. So ist es tatsächlich neben technischen Mängeln, für deren Behebung, anders als für neue Straßen, kein Geld da ist, vor allem der Personalmangel, der dafür sorgt, dass der Takt im Berliner ÖPNV immer schlechter wird. Und dieser Personalmangel wird dadurch verursacht, dass es einfach nicht besonders verlockend ist, für einen ziemlich schlechten Lohn einer extrem anstrengenden und stressigen Arbeit nachzugehen. Im Angesicht dessen reichen jedoch die Forderungen kaum aus. Letztendlich geht es um kaum mehr, als die Löcher in der Tasche zu stopfen. Und um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, z. B. durch Verringerung der Wochenstunden bei Schichtarbeit oder mehr Urlaubstage, bemüht man sich erst gar nicht.
Was auch vollkommen fehlt, sind politische Forderungen, die jedoch dringend nötig sind! Um überhaupt die Ziele der Beschäftigten zu erreichen, und noch mehr, um den Berliner ÖPNV langfristig wieder ins Rollen zu bringen. So bedarf es massiver Investitionen, nicht nur zur Gewinnung zusätzlichen Personals, sondern auch dafür, endlich gravierende technische Mängel zu beheben, den Fuhrpark und. das Streckennetz auszubauen. Forderungen müssen erhoben werden, die sich gegen die Kürzungen richten, die auch den öffentlichen Nahverkehr hart treffen und die schlechten Bedingungen noch verschlimmern werden.
Doch auch wenn die Forderungen eigentlich gar nicht so hoch sind, sondern eher das Minimum darstellen, sind die Reaktionen von BVG-Geschäftsführung und Senat sehr negativ. Weshalb auch von Anfang an bereits mit einem harten Kampf gerechnet wurde. So legte die Arbeit„geber“:innenseite für die erste Runde der Tarifverhandlungen nicht einmal ein Angebot vor. Der Senat jedoch ließ seinerseits verlauten, die geforderten 250 Millionen seien schlicht „nicht finanzierbar“. Die BVG legte am Freitag, den 31. Januar, ein erstes Angebot vor. Sie biete 15,3 Prozent Lohnerhöhung – allerdings mit einer Laufzeit von fast 4 (!) Jahren, also bis Ende 2028. Das gebe dem Unternehmen Planungssicherheit – und den Beschäftigten wenig mehr als einen Ausgleich der laufenden und zu erwartenden Preissteigerungen. Die Lohnverluste der letzten Jahre bleiben weiter bestehen.
Davon werden sich die Beschäftigten sicher nicht täuschen lassen. Wollen sie jedoch ihre Ziele erreichen, muss klar sein: Der Streik, der am Montag durchaus beachtlich begann, muss weitergehen! Am 27. Januar war die Beteiligung sehr stark, Streikbruch gab es keinen, dafür Entschlossenheit der Beschäftigten, die schon lange die Schnauze voll haben von Senat und Management. Zumindest für den Moment signalisiert auch die ver.di-Führung eine relativ hohe Kampfbereitschaft. Es wird offen artikuliert, dass ein Erzwingungsstreik geplant ist, sollte kein akzeptables Angebot vorgelegt werden. Doch was für die Verhandlungsführung von ver.di als akzeptables Angebot gilt, ist die Frage. Schließlich erlebten wir auch bei vergangenen Tarifrunden im öffentlichen Dienst, wie auf radikale Ansagen faule Kompromisse folgten. Entsprechend steht zu befürchten, dass die ver.di-Führung auch diesmal einknicken wird vor vermeindlichen Sachzwängen und ein unzureichendes Angebot mit der Begründung annimmt, dass „nun einfach nicht mehr drin“ gewesen sei. Aber stimmt das überhaupt? Oder ist in Wahrheit genug Geld vorhanden?
Es stimmt tatsächlich, dass es um den Berliner Haushalt nicht allzu gut aussieht. Allerdings sind die Gründe dafür andere, als der „Anwalt der Autofahrer“ und gewählter Bürgermeister der Einfamilienhausrandbezirke Kai Wegner es gerne darstellt. Genügend Geld bereitzustellen, wäre durchaus möglich. So könnte man zum Beispiel die Tangentiale Verbindung Ost (TVO) durch die Wuhlheide einfach nicht bauen und, schwupps, hätte man einen ordentlichen Batzen Geld mehr zur Verfügung. Ebenso könnte man auch bei der Polizei sparen, anstatt diese immer weiter aufzurüsten. Und den Zaun um den Görlitzer Park, den niemand haben will, lässt man einfach ganz bleiben.
Das zeigt, dass Haushalts- immer auch Klassenfragen sind – und die Belange der Beschäftigten und Nutzer:innen des ÖPNV stehen beim schwarz-roten Senat weit unten in der Prioritätenliste.
Doch nicht nur kurzfristig, auch langfristig, und nicht nur in Berlin, sondern bundesweit, kann man ohne Probleme genug Geld bekommen, um eine wirklich angemessene Bezahlung aller Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu ermöglichen sowie die Infrastruktur auszubauen und dauerhaft in einem angemessenen Zustand zu erhalten:
1. Durch eine Streichung der unsinnigen Schuldenbremse, die nur der Begründung eines neoliberalen Dogmas dient! Doch eine Erhöhung der Staatsschulden liegt dabei nicht im Interesse der Lohnabhängigen, vielmehr müssen und können die Reichen zur Kasse gezwungen werden.
2. Durch einen Stopp der Aufrüstung, keinen Cent mehr für die „Kriegstüchtigkeit“ des Deutschen Imperialismus, dafür 100 Milliarden und mehr für die Bahn!
3. Durch eine massive Besteuerung der absurd riesigen Vermögen der Superreichen, die sich während der letzten fünf Jahre der Krise in etwa verdoppelt haben!
Doch Kai Wegner wird solche Maßnahmen sicher nicht ergreifen und auch sonst kein/e bürgerliche/r Politiker:in, dafür braucht es einen entschlossenen Kampf der Beschäftigten, und zwar aller!
Auf die Frage, ob es dieses Jahr zum Streik im kompletten ÖPNV kommen könnte, antwortet ver.di-Verhandlungsführer Jeremy Arndt: „Die EVG stimmt ihre Tarifverhandlungen logischerweise nicht mit uns ab“. Davon, die Aktionen zu bündeln, um so mehr Druck aufzubauen, wollen die Gewerkschaftsführungen nichts wissen. „Logisch“ ist das nur nach der Logik der Sozialparnter:innenschaft, nicht der Beschäftigten! Logisch wäre es viel eher, dass die S-Bahn-, U-Bahn- und Busfahrer:innen, die sich regelmäßig am Alexanderplatz, Gesundbrunnen oder einem anderen Kreuzbahnhof „Guten Morgen“ und „Schönen Feierabend“ wünschen können, und die die gleichen Interessen haben, wenn es um vernünftige Bezahlung und Arbeitszeiten geht, auch gemeinsam kämpfen! Der einzige Grund warum das nicht logisch sein sollte, ist Borniertheit innerhalb verschiedener Gewerkschaften und ihrer bürokratischer Apparate. Also in dem Bereich, der dafür berüchtigt ist, ob in IG Metall, ver.di oder EVG, die Beschäftigten regelmäßig über den Tisch zu ziehen.
Für diese Mitglieder hingegen wäre eben jener Vollstreik des Berliner ÖPNV, und zwar unter ihrer Verhandlungskontrolle, das heißt durch demokratisch gewählte und abwählbare Verhandlungsführer:innen, das Logischte überhaupt! Denn so wäre es möglich, die Forderungen in der Tarifrunde auch wirklich durchzusetzen! Wenn nämlich in ganz Berlin auf unbefristete Zeit kein Zug, keine Tram und kein Bus fährt, dann wird selbst Autofan Wegner schnell einknicken müssen, da ihm dann unangenehm klar vor Augen geführt würde, dass es die Öffis sind, die die Stadt am Laufen halten und nicht die übergroßen PKWs seiner Wähler:innen in Frohnau und Lichterfelde. Auch könnte so ein Vollstreik des Berliner ÖPNV die Grundlage legen, für das, was generell nötig ist: eine Vereinheitlichung des Kampfes der Beschäftigten im Transportsektor! Die Aufteilung in gleich drei Gewerkschaften, ver.di, EVG und GdL, nützt nämlich Bürokratie und Kapital, nicht aber den Beschäftigten! Was diese viel eher bräuchten, wäre eine demokratische und klassenkämpferische Einheitsgewerkschaft Transport und Logistik als Teil des Deutschen Gewerkschaftsbunds – auch für noch grundlegendere Kämpfe, die in der Zukunft anstehen werden.
Welche Perspektive braucht es langfristig für den Verkehr?
Der komplette öffentliche Personenverkehr (sowie auch der Güterverkehr) stehen nämlich vor einer grundlegenden Herausforderung: Es gilt, die Mobilitätswende zu meistern, die durch die Klimakrise eine zwingende Notwendigkeit ist. Und anders, als es Vertreter:innen des Green New Deal sowie die großen Gewerkschaften gerne behaupten, kann diese Frage nicht durch eine Antriebswende hin zum E-Auto gelöst werden. Die Krise, in der VW gerade steckt, steht dafür exemplarisch. Stattdessen wird es eine (Rück)verlagerung des Verkehrs brauchen: auf die Schiene. Doch diese steht gerade schlecht da. Durch jahrzehntelanges neoliberales Herunterwirtschaften, dessen vorläufiger Höhepunkt die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn darstellte, ist das Schienensystem in einem katastrophalen Zustand. Die Technik muss erneuert werden, es fehlt an Zügen und Personal. Politisch passiert dagegen jedoch nichts. Noch immer wird wesentlich mehr Geld in neue Straßen gesteckt denn in ein vernünftiges Schienensystem oder die Ausbildung von mehr Beschäftigten. Vielmehr droht unter einer Regierung Friedrich Merz eine massive Verschlimmerung in Form einer weiteren Privatisierung und damit Zersplitterung. Bei der deutschen Bahn sollen in den nächsten Jahren 30.000 Stellen abgebaut werden. Gegen eine solche Perspektive braucht es Widerstand der Beschäftigten – und eine Lösung, die von ihnen ausgeht. Die Beschäftigten selber, nicht private Konzerne und nicht ineffiziente bürokratische Verwaltungsstellen, müssen für ein Veto- und Kontrollrecht über alle Entscheidungen des Managements kämpfen. Die Kosten für nötige Maßnahmen sowie eine Bezahlung für alle Beschäftigten, mit der man ohne Sorgen und gut leben kann, sollten dabei aus den Budgets der Bundeswehr und den überquellenden Kassen der Superreichen gedeckt werden!