Arbeiter:innenmacht

CDU/CSU und FDP stimmen mit AfD: Eure „Brandmauer“ hat es nie gegeben

Jaqueline Katherina Singh, Infomail 1275, 30. Januar 2025

100 000 haben letzte Woche in Berlin demonstriert. Ein Lichtermeer – für Demokratie. Doch das hat nicht gereicht, um Eindruck bei der Union zu hinterlassen. Friedrich Merz ist weiter voran geschritten und hat gestern seinen Resolutionsentwurf verabschiedet. Der Dammbruch: Erstmals hat ein Antrag im Bundestag mithilfe der AfD eine Mehrheit bekommen.Laut Bundestagsverwaltung stimmten 187 Abgeordnete von CDU/CSU, 75 AfD-Abgeordnete, 80 Angehörige der FDP-Fraktion sowie 6 fraktionslose Abgeordnete dafür, was die nötige Mehrheit von 348 Stimmen ergab. SPD, Grüne und Linkspartei stimmen dagegen, das BSW enthielt sich bei der Abstimmung.

Von Treibenden und Getriebenen

Das bringt nicht nur Alice Weidel zum Jubeln, sondern die ganze Partei – denn ihr Plan, alle etablierten Parteien nach rechts vor sich herzutreiben, ist erfolgreich und es zeigt: AfD wählen bringt Erfolge und der Wunsch das Land zu regieren, ist keine Unmöglichkeit. Die Hetze hat Erfolg. Deswegen ist das, was passiert ist, nicht neu, nicht überraschend. 

Mitte Dezember 2022 stimmte die große Mehrzahl der CDU-Kreistagsmitglieder in Bautzen (Sachsen) einem Antrag der AfD-Fraktion zu, wonach abgelehnte und ausreisepflichtige Asylbewerber:innen keine Sprachkurse oder andere Integrationsleistungen erhalten sollten. Der Antrag wurde damit mehrheitlich beschlossen. Ebenso ergab eine Recherche des SWR im September 2019 (!) in Sachsen und Thüringen, dass an mindestens 18 Orte Zusammenarbeit oder Absprachen zwischen CDU und AfD stattfinden. Diese Liste kann weitergeführt werden, denn seit 2019 sind einige Beispiele dazu gekommen.

Was soll also die statische Trennung zwischen Kommunal-, Landes- und Bundespolitik? Merz sagte schon 2023, dass man sich den Realitäten stellen müsse – und er wird nicht der letzte bleiben.

Scheinabgrenzung und Umformierung

Somit ist die in der Resolution enthaltende Abgrenzung zur AfD ist nur was, für das Gewissen der klapprigsten Unionler:innen. Für Jene, die noch ein bisschen hadern und eine Ausrede brauchen, weil man die Merkel-Ära mit ihrer „Willkommenskultur“ vielleicht noch nicht als Untergang des deutschen Abendlandes in Erinnerung hatte oder vielleicht ernsthaft meint, dass das „christlich“ in der CDU dafür stehe, dass man abstrakt humanistischen Werte steht. 

Seit Beginn seines Parteivorsitzes hat Merz den Trümmerhaufen, den die Union nach der letzten Bundestagswahl darstellte, gut aufgeräumt. Öffentliche Streitereien sind Geschichte, Verbände wie die WerteUnion aus der CDU entfernt, ihre Politik wird jetzt zur Chefsache. Es ist nicht sein individueller Charakter, sondern Merz selbst ist Ausdruck der veränderten Kräfteverhältnisse in der Welt. Die Zeiten des deutschen Imperialismus unter der besonnen wirkenden Merkel sind vorbei. Die Zeitenwende, zunehmend Krisenhaftigkeit verstärkt die Konkurrenz und mit dieser auch die Notwendigkeit für einen schärferen Kurs des deutschen Imperialismus selbst.

Wie Schafe zur Schlachtbank

Doch bei Aussagen wie von der Grünen-Co-Chefin Dröge will man am liebsten den Kopf auf die Tischplatte hauen. „Es braucht eine Zusage von ihm, dass er in Zukunft so etwas nicht wiederholt“, forderte Dröge, deren Fraktion zu einer Sondersitzung zusammenkam. Der CDU-Chef müsse seine Glaubwürdigkeit wiederherstellen. Auch Rolf Mützenich von der SPD glänzt mit nicht weniger. Laut ihm entscheide sich bei der Bundestagswahl am 23. Februar, ob es sich nur um einen leichtfertigen, unverantwortlichen Fehler handele, „oder ob die Rutschbahn noch weitergeht“.

Das alles soll entschlossen klingen. In Wirklichkeit ist nur passives, verbales Gedöns. SPD und Grüne wollen nämlich weiter mit CDU/CSU koalieren. Und das lässt sich umso einfacher rechtfertigen, wenn es so erscheint, als hätte man Merz nach den Wahlen zur „Vernunft“ gezwungen und die Brandmauer, die es ohnedies nie gab, wieder aufgebaut. Zu Koalitionsgesprächen mit der Union sind beide Parteien natürlich auch nach dem „Tabubruch“ weiter bereit, ja hoffen bereits darauf. So bleibt ihnen nichts anderes möglich das Geschehen scheinbar radikal, in Wirklichkeit jedoch rein passiv zu kommentieren. Besonders ekelhaft: In der Kritik geht es im Kern nur um die Form (Zusammen stimmen mit der AfD) und das Ausmaß der rassistischen Maßnahmen. Schließlich will Habeck auch Syrier:innen abschieben und vom Abschiebekanzler Olaf will man gar nicht erst anfangen zu reden. Es ist genau dieser Zynismus, der die Empörung von Grünen und SPD so unglaubwürdig macht.

Warum es die Brandmauer nie gegeben hat

Ja, es gibt einen Aufschrei. Für ein paar Monate. Doch dann droht alles wieder Normalität zu werden. Der anfängliche Empörung werden realpolitischen Abwägungen weichen, der existierende Rassismus und Sozialchauvinismus weiter Einzug halten in Teile der Gesellschaft – vor allem auch in Teile der SPD und Grünen.  Und Nein, das ist nicht einfach so daher geschrieben. Dass das Realität ist, können wir in der Entwicklung der letzten 10 Jahre sehen.

Auf den Protesten regen sich viele über den Erfolg der AfD und über „das Einknicken“ der CDU auf. Doch niemand fragt sich, wie es so weit gekommen ist. Das ist ein Fehler. Es ist die bürgerlich-demokratische Mitte im Kapitalismus, die den aktuellen Rechtsruck mit hervorbringt. Natürlich will niemand in einem autoritären Regime leben. Natürlich sollte man Errungenschaften grundlegender demokratischer Rechte verteidigen. 

Aber nicht die bürgerliche Demokratie und Kapitalismus selbst. Denn es ist die kapitalistische Mitverwaltung der SPD und der Grünen und auf Ebene der Landesregierungen auch der Linkspartei, die dafür gesorgt haben, dass sich die Arbeitsbedingungen und Einkommen vieler in den letzten Jahren verschlechtert haben. Während die Lebensqualität sind, nehmen soziale Unsicherheit, Armut, Leistungsdruck und Arbeitslosigkeit zu.

Die Mitverwaltung des Kapitalismus, die absolut unzureichenden Antworten auf die Krise, das Bestreben mitzuregieren und die Misere mitzuverwalten, ist nur um den Verzicht zu haben, auch nur eine grundlegende Verbesserung für die Lohnabhängigen und Unterdrückten zu erkämpfen und durchzusetzen. Somit konnte die AfD diese Wut kanalisieren und anwachsen. Jetzt eine Einheit zu zeichnen, der zufolge alle „demokratischen“ Kräfte das Gleiche wollen, ist entweder eine blanke Lüge oder „bestenfalls“ eine gefährliche Selbsttäuschung. Die unterschiedlichen Parteien sind Ausdruck der unterschiedlichen Klassenkräfte. Selbst und zwischen Linkspartei und SPD gibt es Unterschiede in ihrer Konstitution. Ein Bündnis aus reiner „Moral“ mit Kräften wie beispielsweise der mit CDU/CSU oder FDP hindert uns daran, Forderungen, die im Interesse der Arbeiter:innenklasse liegen, also soziale Verbesserungen, zu erkämpfen. Und sie denen den Bürokrat:innen in der SPD-Führung und in der Regierung, den Spitzen der Gewerkschaften, aber auch den Regierungssozialist:innen als Ausrede und Vorwand dafür, die politischen und sozialen Interessen ihrer Basis den Interessen ihre „Partner:innen“ – also letztlich dem deutschen Kapital und dem deutschen Imperialismus unterzuordnen. Dabei ist die Einheitsfront der Organisationen der Arbeiter:innenbewegung und der Unterdrückten das Gebot der Stunde und es müssen sowohl Gewerkschaften, Klimabewegung wie auch die Linkspartei, aber auch Teile der SPD dafür gewonnen werden.

Was wirklich getan werden muss

Denn wie schon die riesigen Demonstrationen gegen die Remigrationspläne der AfD Anfang Januar 2023 zeigten, werden Großdemonstrationen, Unterschriftensammlungen und Appelle ans Wahlverhalten den Rechtsruck nicht aufhalten. Schon gar nicht werden sie drohenden Gesetzesverschärfungen im Bundestag stoppen.

Im Grunde können die Vorhaben von Merz nur auf einem Weg gestoppt werden. Nur durch den Aufbau einer Massenbewegung, die in den Betrieben wie auch an Schulen und Unis verankert ist, können wir über Demonstrationen und Proteste, die zur Mobilisierung sehr wichtig sind, hinausgehen. Nur so kann das einzige Kampfmittel, das dem Rechtsruck und den nächsten Gesetzesverschärfungen etwas entgegensetzen kann, Wirklichkeit werden – ein politischer Massenstreik der DGB-Gewerkschaften gegen alle Gesetzesverschärfungen und Angriffe auf demokratische Rechte.

Dabei muss klar sein: abstrakte Forderungen nach „Toleranz“, „Vielfalt“ und „Demokratie“ überzeugen immer weniger. Das heißt, wenn tatsächlich Interesse besteht eine Bewegung aufzubauen, die sich ausweitet und wieder Menschen überzeugt, braucht es ein klares, soziales Programm. Auf der anderen Seite ist die antirassistische Bewegung hierzulande ist derzeit geschwächt, fast gar nicht mehr existent. Deswegen treten wir für die Gründung eines Aktionsbündnisses ein, das sich gegen die drohenden Massenentlassungen unter anderem bei VW sowie den geplanten sozialen Kahlschlag, die der neue Bundeshaushalt mit sich bringt, richtet. Die Mobilisierung dagegen kann breite Teile der Arbeiter:innenklasse auf die Beine bringen. Konkret kann das heißen: 

  • Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglöhne, Armut und Wohnungsnot!
  • Mindestlohn von 15 Euro/Stunde, Mindestrente und Arbeitslosengeld von 1.600 Euro/Monat für alle!
  • Hunderte Milliarden für Bildung, Umwelt, Renten und Gesundheit statt für Rüstung – finanziert durch Besteuerung der Reichen!
  • Kampf allen Entlassungen und Kürzungen. Entschädigungslose Enteignung aller Konzerne, die mit Massenentlassungen drohen unter Arbeiter:innenkontrolle!

Zugleich muss dort, wo Kämpfe existieren oder wiederaufleben, wie in der Umweltbewegung oder um Wohnraum (Deutsche Wohnen & Co. enteignen) für klare, antirassistische Positionen eingetreten werden. So ist die Umweltzerstörung eine der häufigsten Fluchtursachen. Bei der Enteignung von Wohnraum ist es zentral, auch für die Abschaffung von Geflüchtetenunterkünften und für die dezentrale Unterbringung in eigenen Wohnungen einzustehen. Doch insbesondere beim Thema Antirassismus reicht es nicht aus, nur die Angriffe abzuwehren. Wenn ein Protest Erfolg haben und nachhaltig die Situation von Migrant:innen und Geflüchteten ändern soll, dann müssen auch konkrete Verbesserungen erkämpft werden. Das heißt konkret, dass wir nicht nur dafür kämpfen müssen, dass Seenotrettung kein Verbrechen ist, wir nicht nur gegen Abschiebungen eintreten, sondern auch für offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle, damit Geflüchtete nicht ewig in Lagern leiden müssen oder als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Auch ist der Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen gegen die wachsende rechte Gefahr essentiell.

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stoppt alle Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürgerrechte für alle, die hier leben!
  • Gemeinsamer Kampf gegen die sozialen Wurzeln von Faschismus und Rassismus!
  • Für demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees gegen rassistische Angriffe, organisiert von Migrant:innen, Flüchtlingen, Linken und Gewerkschaften!

Nur wenn wir den Kampf gegen (kommende) soziale Kürzungen aktiv mit antirassistischen Forderungen verbinden, können wir Erfolg haben den Rechtsruck etwas entgegenzustellen. Daher müssen alle Linken, die die Maßnahmen der CDU ohne Wenn und Aber ablehnen, in den Gewerkschaften dem Rassismus den Kampf ansagen und für Massenaktionen und Streiks gegen die drohenden Gesetze eintreten. Das betrifft vor allem die Kandidat:innen und Mitglieder der Linkspartei, die sich zumindest als einzige im Bundestag vertretene Kraft nach Aschaffenburg gegen weitere Gesetzesverschärfungen ausgesprochen hat. Es gilt aber auch für die gesamte „radikale“ Linke, ob sie nun selbst zur Bundestagswahl antritt oder zur Unterstützung der Linkspartei aufruft. Sie müssen wie auch die klassenkämpferischen Kräfte die Gewerkschaften auffordern, klar gegen Merz und Co. Stellung zu beziehen, und Versammlungen in den Betrieben organisieren und Streikaktionen vorbereiten. Die laufenden Aktionen in der Tarifrunde öffentlicher Dienst können dazu genutzt werden, den Kampf für höhere Löhne mit dem gegen Rassismus zu verbinden. Letztlich reicht es aber nicht Symptome zu bekämpfen. Wenn wir die Rechten stoppen wollen, verhindern wollen, dass faschistische Kräfte sich stärken, muss dies geschehen, dass wir den Kampf gegen rechts und Krise aktiv mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbinden. 

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