Sergio Garcia, Infomail 1275, 2. Februar 2025
Dieser Text ist die Präsentation von Sergio Garcia, Herausgeber des Periodismo de Izquierda und Führungsmitglied des MST in der Front der Linken – Einheit (FIT-U), dem IIIº Evento Internacional León Trotsky in Buenos Aires. Der Text wurde ebenfalls in der Novemberausgabe der Alternativa Socialista, des Monatsmagazins der MST, veröffentlicht.
Die systemische Krise des Kapitalismus erfordert eine revolutionäre Strategie, die darauf abzielt, dieses perverse System zu beenden, das das Leben auf den Planeten gefährdet. Eine Strategie, die auf eine sozialistische Gesellschaft abzielt, in der die Arbeiter:innen alles regieren und entscheiden. Dazu haben wir das wertvolle theoretische, philosophische, politische und wissenschaftliche Erbe von Marx und Engels, angereichert durch die große Erfahrung der Russischen Revolution bezüglich der politischen Organisation, Theorie und Praxis, die Lenin und Trotzki uns vermacht haben.
Es war kein Zufall, dass auf diesen revolutionären Vorstoß in den 1920er Jahren revolutionäre Versuche in Deutschland, Italien und anderen Ländern folgten. Diese Welle des Aufschwungs gipfelte in einigen großen Niederlagen und dem Aufkommen eines neuen politischen Phänomens: dem Faschismus mit Mussolini als dessen italienischem Ausdruck und Jahre später dem Aufstieg Hitlers in Deutschland. Die revolutionäre Bewegung brauchte eine Politik, um dem Faschismus zu begegnen. Und sie musste auf ein weiteres regressives Phänomen reagieren: die Konsolidierung eines starken bürokratischen Apparats innerhalb der ersten sozialistischen Entwicklung, die in der Dritten Internationale ihr Gegenstück fand.
Man kann die Ideen von Antonio Gramsci nicht vollständig verstehen, ohne sie in den europäischen Kontext im Allgemeinen und den italienischen im Besonderen einzuordnen, der sein Handeln, seine Schriften und die Essenz seines wichtigsten theoretischen Vermächtnisses bestimmt hat: die Gefängnishefte.
Ausgehend von der leninistischen und trotzkistischen politischen und theoretischen Basis, die wir für gültig halten, werden wir uns kritisch mit Gramscis Ausarbeitungen auseinandersetzen. In einer theoretischen Gegenüberstellung seiner und Trotzkis Ausarbeitungen werden wir Übereinstimmungen und wichtige Unterschiede feststellen. Natürlich gibt es wertvolle Elemente in Gramscis Werk, sowohl in seinen Schriften als auch in seinem Handeln als sozialistischer Führer. Er war ein ehrlicher Kämpfer, der versuchte, eine sozialistische Organisation in Italien aufzubauen, die sich der in Russland und der Dritten Internationale annäherte, der dem Aufstieg des Faschismus entgegentrat, der unter schrecklichen Bedingungen verhaftet und Jahre später wieder freigelassen wurde, als er todkrank war.
In unserer Beschäftigung mit Gramsci werden wir zunächst drei zentrale Phasen kontextualisieren, darstellen und analysieren: die erste von der Russischen Revolution bis nach dem italienischen roten Doppeljahr 1919/20 (Biennio rosso); die zweite während der Debatten in der Dritten Internationale und mit dem Erstarken des Faschismus in Italien. Und im dritten Abschnitt werden wir uns ausführlich mit seinen Gefängnisheften befassen.
Der auf der italienischen Insel Sardinien geborene Gramsci entschied sich schon in jungen Jahren für ein militantes Leben und war für seine literarischen Fähigkeiten bekannt. Es ist kein Zufall, dass er im Laufe der Jahre und in verschiedenen Etappen und unter verschiedenen Namen für die Pressevorhaben sozialistischer Organisationen verantwortlich war oder eine zentrale Rolle dabei spielte. Er erlangte einen Platz, sein Name wurde immer bekannter, doch seine Ansichten hatten ein ungleiches Gewicht in den internen Debatten der Sozialistischen Partei Italiens (PSI), in denen verschiedene Gruppen und Tendenzen über die Richtung der Partei debattierten, mit gemäßigten reformistischen Flügeln und anderen, die die Auswirkungen der Russischen Revolution zu spüren begannen.
In Anbetracht dieser von Russland ausgehenden Veränderungen und der aufkommenden Bewegungen in Italien strebte Gramsci nach Klarheit und kämpferischem Einsatz. Das ist der Grund, warum er 1917 schreibt:
„Sich einer Bewegung anzuschließen bedeutet, die Verantwortung für die Ereignisse, die vorbereitet werden, mitzutragen und selbst zu direkten Architekten dieser Ereignisse zu werden. Ein junger Mensch, der sich der sozialistischen Jugendbewegung anschließt, vollzieht einen Akt der Unabhängigkeit und der Befreiung. Sich zu disziplinieren bedeutet, unabhängig und frei zu werden. …Wer also keine politische Disziplin befolgt, ist Materie in einem gasförmigen Zustand oder durch fremde Elemente verunreinigt: also nutzlos und schädlich. Die politische Disziplin bringt diese Unreinheiten zum Ausscheiden und gibt dem Gedanken sein bestes Metall, eine Vollkommenheit des Lebens, ohne die es nicht lebenswert wäre. Jede/r junge Proletarier:in, der/die die Last ihrer/seiner Klassensklaverei schwer auf sich trägt, sollte den ersten Schritt zu ihrer/seiner Befreiung tun, indem er/sie sich in der ihm/ihr nächstgelegenen sozialistischen Jugendgruppe anschließt.“ (1 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
In diesem Jahr, das bald mit der triumphierenden Russischen Revolution in die Geschichte eingehen sollte, und 1918, als all diese politischen Debatten und Begierden einen sprunghaften Anstieg ihres Niveaus erlebten, verschärfte sich der Kampf innerhalb Italiens und der PSI um den zu befolgenden politischen und praktischen Kurs, mit einem Szenario starker Konfrontation zwischen den gemäßigten und reformistischen Flügeln und anderen, die, die Auswirkungen der Russischen Revolution widerspiegelnd, den Streit von weiter links liegenden Positionen aus führten.
Gramsci ordnete sich dem letztgenannten Lager zu und schrieb über die Debatte: „Wer Lenin für einen Utopisten hält, wer behauptet, dass der Versuch der Diktatur des Proletariats in Russland ein utopischer Versuch ist, kann kein/e bewusste/r Sozialist:in sein. … Utopie ist Spießbürger:innentum, wie Heinrich Heine es verspottete: Die Reformist:innen sind die Philister:innen und Utopist:innen des Sozialismus, so wie die Protektionist:innen und Nationalist:innen die Philister:innen und Utopist:innen der kapitalistischen Bourgeoisie sind.“ (2 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Gramsci spiegelt den Impuls wider, den die russische Revolution bei Tausenden von Arbeiter:innen und Jugendlichen in verschiedenen europäischen Ländern auslöst. Er bewundert die bolschewistische Führung um Lenin und Trotzki, die er nach und nach kennenlernt und denen er auf mehreren Reisen und Treffen persönlich begegnet. Es sind die Jahre, in denen er und andere italienische Führer:innen zwischen Russland und Italien hin- und herreisen, wo sich ein Prozess des Aufschwungs, der Arbeiter:innenorganisation und der Entwicklung von Fabrikräten abzeichnet, an dem die italienischen Sozialist:innen teilnehmen und aus dem Gramsci politische und organisatorische Schlussfolgerungen ziehen wird.
In Italien brachte dieser revolutionäre Impuls Tausende von Arbeiter:innen in die Reihen der Linken, und in den Industriestädten wie Turin löste er einen Sprung in der Organisation und im Kampfgeist der Arbeiter:innenklasse aus. Die Fabriken sind ein politischer und sozialer Brennpunkt, in dem eine breite Arbeiter:innenavantgarde Schritte in ihrer Organisation und Kampfbereitschaft unternimmt, und es kommt immer wieder zu Streiks, Mobilisierungen und Fabrikbesetzungen.
Diese Schritte erfolgten nicht nur im Kampf um Teilerfolge der Arbeiter:innen, sondern standen in direktem Zusammenhang mit dem revolutionären Geschehen in Russland und den dramatischen Folgen des gerade beendeten Ersten Weltkriegs auf dem Kontinent. Das Zusammenspiel dieser Faktoren führte zur Vertiefung einer Erfahrung der Arbeiter:innen, die sich bereits zuvor angebahnt hatte und zwischen 1919 und 1920 die Bosse und italienische Bourgeoisie in Bedrängnis bringen sollte. Um den Prozess zu fördern und Unterstützung in der Bevölkerung zu gewinnen, begann die Wochenzeitung L’Ordine Nuovo, die Gramsci am 1. Mai 1919 zusammen mit Umberto Terracini, Palmiro Togliatti und Angelo Tasca mitbegründete, zu erscheinen.
Von dieser Seite aus und in jeder konkreten Intervention, mit probolschewistischen Positionen, konfrontierte sie die Standpunkte der Mehrheit der PSI, die in diesem Prozess reformistische Positionen einnahm, die den Kampf der Arbeiter:innen um die Macht und eine revolutionäre Perspektive behinderten. Dieser Kampf wird sich in der Hitze der Entwicklung des Klassenkampfes und der Aktionen der Fabrikräte verschärfen.
Bis 1920 wird der Kampf um die Entwicklung und Ausweitung der Räte weitergehen, und Gramsci schreibt in einem Bericht an das Exekutivkomitee der Internationalen:
„Nach dem Ende des imperialistischen Krieges machte die proletarische Bewegung rasche Fortschritte. Die arbeitenden Massen von Turin verstanden, dass die historische Periode, die durch den Krieg eröffnet wurde, sich grundlegend von der Vorkriegsepoche unterschied. Die Turiner Arbeiter:innenklasse spürte sofort, dass die Dritte Internationale eine Organisation des Weltproletariats für die Führung des Bürgerkriegs, für die Eroberung der politischen Macht, für die Errichtung der Diktatur des Proletariats, für die Schaffung einer neuen Ordnung der wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen ist. Die wirtschaftlichen und politischen Probleme der Revolution waren Gegenstand der Diskussion in allen Arbeiter:innenversammlungen. Die besten Kräfte der Arbeiter:innenavantgarde versammeln sich, um eine kommunistisch orientierte Wochenschrift, L’Ordine Nuovo, zu verbreiten. … Die Propaganda für die Fabrikräte wird von den Massen begeistert aufgenommen; im Laufe eines halben Jahres werden in allen Fabriken und allen Metallwerkstätten Räte eingerichtet; die Kommunist:innen gewinnen eine Mehrheit in der Metallgewerkschaft; das Prinzip der Fabrikräte und der Kontrolle der Produktion wird von der Mehrheit des Kongresses und den meisten Gewerkschaften, die der Arbeiter:innenkammer angehören, gebilligt und akzeptiert. … Der Fabrikrat muss sich nach dem Prinzip der Organisation durch die Industrie konstituieren; er muss für die Arbeiter:innenklasse das Modell der kommunistischen Gesellschaft darstellen, die durch die Diktatur des Proletariats erreicht werden wird.“ (3 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Der gesamte Prozess war von heftigen Debatten über den zu verfolgenden politischen Kurs geprägt. Verschiedene Flügel und Sektoren bezogen Stellung gegeneinander. Der zentrale Streit fand innerhalb der PSI statt, die in dem gesamten Prozess eine rückschrittliche Rolle spielte. Wir müssen bedenken, dass die Entwicklung der Fabrikräte das ganze Jahr 1920 hindurch Höhepunkte hatte, sehr harte Klassenkonfrontationen mit den Bossen, sie ertrugen Aussperrungen in verschiedenen Betrieben und verteidigten sich an anderen Tagen gegen Repressionen. Inmitten all dessen wollte die PSI weder die Betriebe verstaatlichen noch unterstützte sie die Fabrikräte. Sie verfolgte eine ihrer Konzeption entsprechende Politik gegen die um die Macht kämpfenden Räte und wies ihnen lediglich Aufgaben für die Anliegen der Arbeiter:innen zu. Aus diesem Grund konnte der Prozess weder national noch in Einheit mit unterdrückten sozialen Sektoren weiter voranschreiten. Und obwohl er Mitte des Jahres einige konkrete Erfolge erzielte, war die Situation von dem Gedanken durchdrungen, nicht weiter gehen zu können.
Die Erfahrung würde zu einem qualitativen Sprung in den politischen Auseinandersetzungen in der PSI führen. Gramsci kritisierte, dass die PSI nicht an wichtigen Treffen der Dritten Internationalen teilgenommen hatte, und übte in einem Text scharfe Kritik an ihrer Politik in Italien:
„Den Arbeiter:innen- und Bauern-/Bäuerinnenverbänden fehlt es an Koordination und revolutionärer Konzentration, weil die führenden Organe der Sozialistischen Partei gezeigt haben, dass sie absolut nichts von der gegenwärtigen Phase der Bewegung verstehen, die die nationale und internationale Geschichte durchläuft, und dass sie nichts von der Aufgabe verstehen, die den kämpfenden Organen des revolutionären Proletariats obliegt. … Die Sozialistische Partei ist eine rein parlamentarische Partei geblieben, die innerhalb der engen Grenzen der bürgerlichen Demokratie unbeweglich bleibt.“ (4 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Trotzki teilte diese Kritik Jahre später an anderer Stelle in einem Brief mit dem Titel Probleme der italienischen Revolution (Problems of the Italian Revolution), in dem er daran erinnerte, dass die Sozialdemokratie die italienische Revolution 1920 verraten hatte und dies wieder tun könnte.
Eine Folge dieses politischen Kampfes war die Gründung der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) im Jahr 1921 auf dem Kongress in Livorno, an deren Spitze Amadeo Bordiga stand, der ihr politische Fehler aufzwang. So begann die Organisation der bis dahin in der PSI organisierten Arbeiter:innen und sozialistischen Aktivist:innen, die eine politische Linie verfolgen wollten, die mehr mit dem Bolschewismus und der Dritten Internationale übereinstimmte, in einer neuen Partei. Es war nicht möglich, eine konsequente sozialistische Politik zu vertreten oder dem Faschismus entgegenzutreten, wenn man an die reformistische Politik der PSI gebunden war. Politische Unabhängigkeit ist unabdingbar, ebenso wie eine Einheitsfrontpolitik gegen Mussolini, ein zentrales Thema der Debatte in Italien und der Internationalen.
Fasst man diese erschütternde Periode der italienischen Geschichte zusammen, so zeigen die Schlüsse, dass es die Zeit war, in der sich Gramsci den wesentlichen Positionen der bolschewistischen Führung, einschließlich Trotzki, am stärksten angenähert hat. Jenseits der damaligen Differenzen und ohne hier eine detaillierte Bewertung aller von Gramsci in jenen Jahren vertretenen Positionen vornehmen zu wollen, ordnete er sich allgemein in eine sozialistische Strategie ein und bemühte sich, die Erfahrungen der Russischen Revolution mit dem italienischen Entwicklungsprozess zu vereinen. Gramsci gewinnt bis 1924 an Gewicht in der PCI. Leider begann er in den folgenden Jahren, schwere politische Fehler zu begehen.
Zum politischen Vormarsch des Faschismus und Mussolinis in Italien und der Niederlage der Revolution in Deutschland hinzu kommt noch der Vormarsch der stalinistischen Bürokratie in Russland und in der Führung der Internationale. Es waren komplizierte Jahre, in denen die linke Opposition unter der Führung Trotzkis unter schwierigen Bedingungen einen wichtigen politischen Kampf innerhalb der Internationale und in Russland führte. Diese Debatten ohne den verstorbenen Lenin waren die wichtigsten der damaligen Zeit und richtungsweisend für die Zukunft. Es waren keine taktischen oder flüchtigen Debatten, sondern es war ein Kampf um die revolutionäre Strategie der ersten sozialistischen Versuche, eingebettet in die Rückständigkeit der allgemeinen Situation und die Erschöpfung der kämpferischen bolschewistischen Avantgarde nach Jahren des Bürger:innenkriegs. Dieser Kontext gab Stalin die Möglichkeit zum Vormarsch und brachte die Opposition in eine schwierige Lage.
Warum sollten wir uns an den ausschlaggebenden Charakter dieser strategischen Auseinandersetzung erinnern? Weil Gramsci in dieser Zeit die Positionen der stalinistischen Mehrheit weitgehend unterstützte und die Trotzkis und der linken Opposition kritisierte. Seine schwerwiegenden politischen Fehler und die Folgen, die sie für seine späteren politischen und theoretischen Ausarbeitungen haben sollten, lassen sich nicht verharmlosen.
1926, als sich die Debatten zuspitzten, stellten sich Gramsci und andere Führer:innen der KPI eindeutig auf die Seite der von Stalin angeführten Mehrheit und schickten einen Brief, in dem sie erklärten:
„Am Vorabend eurer XV. Konferenz haben wir nicht mehr die Sicherheit der Vergangenheit; wir sind unweigerlich besorgt; es scheint uns, dass die gegenwärtige Haltung des Oppositionsblocks und die Schärfe der Polemik der KP der UdSSR das Eingreifen der Bruderparteien erfordern. … Wir sehen, dass sich die Spaltung der leninistischen Kerngruppe, die immer der führende Kern der Partei und der Internationale war, bestätigt und vertieft. Eine solche Spaltung kann, unabhängig von den zahlenmäßigen Ergebnissen der Kongressabstimmungen, die schwerwiegendsten Folgen haben, nicht nur, wenn die oppositionelle Minderheit die Grundprinzipien der revolutionären Disziplin der Partei nicht mit der größten Loyalität akzeptiert, sondern auch für den Fall, dass diese Minderheit in der Art und Weise, wie sie ihren Kampf führt, bestimmte Grenzen überschreitet, die wichtiger sind als alle formale Demokratie. … Der politische Vorstand der KPI hat mit der größten Sorgfalt und Aufmerksamkeit, die unter seinen Bedingungen möglich ist, alle Probleme studiert, die jetzt in der Kommunistischen Partei der UdSSR diskutiert werden. … Wir erklären, dass wir grundsätzlich nur die politische Linie der Mehrheit des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der UdSSR für richtig halten, und dass im gleichen Sinne die Mehrheit der italienischen Partei sich zweifellos äußern wird, wenn es notwendig wird, die ganze Frage aufzuwerfen. … Wir haben wiederholend den Eindruck, dass die Haltung der Opposition die gesamte politische Linie des Zentralkomitees beeinträchtigt und damit das Herz der leninistischen Lehre und der politischen Aktion unserer Partei der Union verletzt. … In gleicher Weise sagen die Reformist:innen nach einem Generalstreik, der den Zusammenhalt und die Disziplin der Massen erhöht, aber durch seine lange Dauer die Arbeiter:innen noch mehr verarmen lässt: ,Wofür war der Kampf? Ihr habt euch erschöpft und verarmt.’ Es ist leicht, auf dieser Grundlage in Demagogie zu verfallen, und es ist schwer, dies nicht zu tun, wenn die Frage vom Standpunkt des Gemeinschaftsgeistes aus gestellt wird und nicht vom Standpunkt des Leninismus, vom Standpunkt der Lehre von der Hegemonie des Proletariats, das sich historisch in einer bestimmten Position befindet und nicht in einer anderen. In diesem Element liegt die Wurzel des Fehlers des Oppositionsblocks und der Ursprung der latenten Gefahren, die in seiner Tätigkeit enthalten sind. In der Ideologie und Praxis des Oppositionsblocks wird die gesamte Tradition der Sozialdemokratie und des Gewerkschaftswesens, die das westliche Proletariat bisher daran gehindert hat, sich als führende Klasse zu organisieren, vollständig wiedergeboren. “ (5 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Die Positionierung von Gramsci und anderen italienischen Führer:innen war eine politische Katastrophe und ein absolutes Missverständnis der Strategien, um die es ging. Damit soll nicht gesagt werden, dass Gramsci zum Stalinismus übergetreten sei. Aber wir meinen, dass er in jenen Jahren dessen schädliche Politik mittrug. In demselben Brief wird deutlich, dass er nicht wusste, was wirklich vor sich ging. Über eine finstere und bürokratische Mehrheit, die anfing, jede Opposition anzugreifen und Jahre später die sowjetische Geschichte mit Repressionen überziehen würde, schreiben sie: „Wir glauben, dass wir sicher sind, dass die Mehrheit des Zentralkomitees der UdSSR diesen Kampf nicht überwachen will, sondern bereit ist, übertriebene Maßnahmen zu vermeiden.“ (5 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Das Verständnis der permanenten Revolution ist einer der größten Irrtümer Gramscis und eine deutliche Meinungsverschiedenheit mit Trotzki. Der Sardinier widmet mehrere Texte der Kritik an der Theorie des russischen Revolutionärs. Er hat den Prozess der permanenten Revolution zutiefst missverstanden, verbunden mit der Bürde der italienischen Niederlage und dem Vormarsch des Faschismus, die ihn auf die eine oder andere Weise der nationalen und rückschrittlichen Theorie des Stalinismus näher brachten.
Unter Bezugnahme auf die Positionen Trotzkis, Stalins und der Mehrheit entwickelt er eine seiner weitgehend irrigen politischen Erklärungen. Gramsci sagt:
„… in der Formulierung ihres Gründers, aber vor allem in den Präzisierungen ihres letzten großen Theoretikers“ (er meint Stalin),„muss die internationale Situation unter ihrem nationalen Aspekt betrachtet werden. Das ,nationale’ Verhältnis ist in Wirklichkeit das Ergebnis einer einzigartigen (in gewissem Sinne) ,ursprünglichen’ Kombination, die in dieser Originalität und Einzigartigkeit verstanden und begriffen werden muss, wenn sie beherrscht und gelenkt werden soll. Die herrschende Klasse ist es nur dann, wenn sie genau diese Kombination, deren Bestandteil sie selbst ist, interpretiert und als solche der Bewegung eine bestimmte Ausrichtung nach bestimmten Gesichtspunkten geben kann. Hier, so scheint mir, liegt die grundlegende Diskrepanz zwischen Leon Dawidowitsch (Trotzki) und Josef Wissarionowitsch (Stalin) als Vertreter der Mehrheit. Der Vorwurf des Nationalismus ist ungeschickt, wenn er zum Kern der Sache vordringt. Betrachtet man die Bemühungen der Mehrheit von 1902 bis 1917, so stellt man fest, dass ihre Originalität darin besteht, den Internationalismus zu bereinigen, ihn von allen vagen und rein ideologischen Elementen (im schlechten Sinne) zu befreien, um ihm einen realistischen politischen Inhalt zu geben. Der Gedanke der Hegemonie ist derjenige, in dem die Forderungen eines nationalen Charakters verwoben sind, und es ist verständlich, dass bestimmte Tendenzen nicht von diesem Begriff sprechen oder ihn nur umschiffen. Eine Klasse mit internationalem Charakter, insofern sie soziale Schichten leitet, die streng national (die Intellektuellen) und oft sogar weniger als national, partikularistisch und kommunalistisch (die Bauern/Bäuerinnen) sind, muss in einem gewissen Sinne ,nationalisiert’ werden, und dieser Sinn ist im Übrigen nicht sehr eng, denn bevor die Bedingungen einer Wirtschaft nach einem Weltplan geformt werden, ist es notwendig, mehrere Phasen zu durchlaufen, in denen die regionalen Kombinationen (von Gruppen von Nationen) verschieden sein können. … Nicht-nationale Konzepte (d. h. die sich nicht auf jedes einzelne Land beziehen) sind falsch, wie man an ihrer letztendlichen Absurdität sehen kann. Diese Konzepte haben zu Trägheit und Passivität geführt. … Die theoretischen Schwächen dieser modernen Form des alten Mechanismus werden durch die allgemeine Theorie der permanenten Revolution verdeckt, die nichts anderes ist als eine allgemeine Prognose, die als Dogma präsentiert wird, und die sich selbst zerstört, weil sie sich nicht faktisch und effektiv manifestiert“. (6 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
In diesen Jahren hat Gramsci in den Debatten in Russland und in der Dritten Internationalen immer wieder falsche Positionen entwickelt und die wirklichen Positionen verwechselt. In seinem Eifer, mit der Opposition und Trotzki zu polemisieren, wirft er ihm vor, dass er angeblich die Notwendigkeit einer Politik für andere Sektoren und die Auseinandersetzung mit dem Faschismus missverstanden habe. In Wirklichkeit war Trotzki einer der Architekt:innen der Einheitsfrontpolitik innerhalb der Internationale und der Verfasser dieser Thesen. Jahre später war es Stalin, der diese Politik auf die Linie der so genannten „dritten Periode“ umstellte, eine ultralinke, kriminelle Politik, die die Einheitsfront ablehnte, den Reformismus an die Seite des Faschismus stellte und den Kampf gegen die Faschist:innen schwächte. Dieser Irrweg war so offensichtlich, dass Gramsci ihn kritisieren musste. Und er musste sich gegen die Brutalität der Mehrheit gegenüber der Opposition aussprechen, von der er bisher geglaubt hatte, dass sie sich nicht rächen würde. Dies brachte ihm später das Misstrauen des stalinistischen Apparates ein, was die zentrale politische Tatsache nicht auslöscht: dass er diese bürokratische Mehrheit in den entscheidenden Jahren begleitet hatte, als die Zukunft der Russischen und der Weltrevolution auf dem Spiel stand. Da hat Gramsci, um ehrlich zu sein, die Prüfung nicht bestanden.
Beim Studium dieser Werke von Gramsci, die sich auf eine Vielzahl von Themen und Ansätzen beziehen, auf die wir hier nicht eingehen wollen, können wir eine Reihe von zentralen Fragen und einen vielfältigen Kontext in seiner theoretischen Ausarbeitung erkennen. In seinem Werk gibt es verschiedene Aspekte, die im Rahmen eines vielseitigen Themas hervorgehoben werden können, das von der Philosophie, der italienischen und europäischen Geschichte im Allgemeinen, der Rolle der Intellektuellen in verschiedenen Gesellschaften oder der Bildung und Kultur als Mittel für die Mehrheiten reicht. Mit diesen Themen werden wir uns in anderen Arbeiten beschäftigen. Hier wollen wir uns auf eine Reihe von Fragen konzentrieren, die für die spätere Anwendung seiner Theorien von zentraler Bedeutung sind: seine Definitionen von Bewegungskrieg und Stellungskrieg, Hegemonie, neuer historischer Block, national-populärer Kollektivwille und passive Revolution.
In dieser Frage wird deutlich, dass Gramsci seine Überlegungen unter dem Eindruck der Niederlage der italienischen Revolution und des Aufstiegs des Faschismus anstellt. Er nahm Elemente der Realität wie die Veränderung der Situation auf, aber er nahm sie in ein schematisches und falsches allgemeines Konzept auf, das für die Perspektiven dessen, was Europa und die Welt mit dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit wurden, entwaffnete. Er theoretisiert, dass es keine Möglichkeit einer revolutionären Umwälzung im Stile Russlands und Osteuropas gibt, eine Umwälzung, die er „Bewegungskrieg“ nennt.
„In der gegenwärtigen Epoche fand der Bewegungskrieg politisch von März 1917 bis März 1921 statt und wurde von einem Stellungskrieg gefolgt, dessen Vertreter, sowohl praktisch (für Italien) als auch ideologisch, für Europa der Faschismus ist.“ (7 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Für diese Analyse stellt er den Übergang von einem Bewegungskrieg zu einem Stellungskrieg als konkrete Aufgabe in den Vordergrund. Und nicht zufällig polemisiert er dabei erneut gegen Trotzki:
„In diesem Fall könnte man sagen, dass Bronstein, der sich selbst als ,Westler’ darstellt, eher ein Kosmopolit war, das heißt, oberflächlich national und oberflächlich westlich oder europäisch. Im Gegensatz dazu war Iljitsch zutiefst national und zutiefst europäisch. Bronstein erinnert sich in seinen Memoiren daran, dass seine Theorie nach fünfzehn Jahren ihre Güte bewiesen haben soll … und er antwortet auf diesen Wortwitz mit einem anderen. In Wirklichkeit war seine Theorie als solche weder fünfzehn Jahre früher noch fünfzehn Jahre später gut, wie es bei den Sturköpfen der Fall ist, von denen Guicciardini (Francesco Guicciardini; ital. Politiker und Historiker, 1483 – 1540; d. Red.) spricht. Bronstein hat im Allgemeinen geraten, das heißt, er hatte Recht, was die allgemeinste praktische Voraussicht anbelangt; das ist so, als würde man einem vierjährigen Mädchen vorhersagen, dass es Mutter wird, und dann, wenn es tatsächlich Mutter ist, schlussfolgern: ,Ich habe es dir ja gesagt’, ohne sich daran zu erinnern, dass sie mit vier Jahren das Kind verblöden wollte, weil sie sicher war, dass es Mutter werden würde. Mir scheint, dass Iljitsch im Gegenteil verstanden hatte, dass es notwendig war, vom Bewegungskrieg, der im Osten im Jahre ’17 siegreich angewandt wurde, zum Stellungskrieg oder Grabenkampf überzugehen, der im Westen als einziger möglich war. … Nur hatte Iljitsch keine Zeit, seine Formel zu vertiefen, abgesehen davon, dass er sie nur theoretisch vertiefen konnte, während die grundlegende Aufgabe national war, das heißt, sie verlangte eine Anerkennung des Terrains und eine Bestimmung der Elemente des Grabens und der Festung, die durch die Elemente der Zivilgesellschaft repräsentiert wurden, usw.“ (8 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Gramsci versucht, Trotzki (Bronstein) und Lenin (Iljitsch) gemäß seinen Hypothesen darüber, was der späte Lenin sagen würde, gegenüberzustellen. Im gleichen Atemzug erläutert er die Auswirkungen seiner Überlegungen auf die politische Ebene:
„Ich gehe vom Bewegungskrieg (und Frontalangriff) zum Stellungskrieg auch auf dem politischen Gebiet über. Dies scheint mir die wichtigste Frage der politischen Theorie zu sein, die die Nachkriegszeit aufgeworfen hat, und die am schwierigsten richtig zu lösen ist. Sie hängt mit den von Bronstein aufgeworfenen Fragen zusammen, der auf die eine oder andere Weise als politischer Theoretiker des Frontalangriffs in einer Periode betrachtet werden kann, in der dieser Angriff allein die Ursache für die Niederlagen ist. … Der Stellungskrieg erfordert enorme Opfer und riesige Bevölkerungsmassen; deshalb erfordert er eine noch nie dagewesene Konzentration der Hegemonie.“ (9 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
In diesen Gramsci’schen Konzepten sehen wir Aspekte der Realität mit einer Mischung aus schlecht gelösten Problemen. In der Tat hatte die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaften im Westen zu dieser Zeit an Komplexität und an neuen Beziehungen zwischen dem Überbau und der Bevölkerung als Ganzes gewonnen: neue Handlungsmöglichkeiten und Druck auf das Bewusstsein, seine Macht zu erhalten. Das Problem ist, dass Gramscis vermeintliche Lösung für diese Komplexität von einer gewissen Skepsis, Einseitigkeit und, einmal mehr, einem Missverständnis der Ansichten Trotzkis geprägt war, den er beschuldigte, ein Verfechter des permanenten Fortschritts zu sein. Tatsächlich begleitete Trotzki Lenin im politischen Kampf gegen ultralinke Auffassungen, insbesondere im Italien der frühen 1920er Jahre:
„Die Reformist:innen fürchten den mächtigen revolutionären Geist der Massen; ihr wertvollster Schauplatz ist die parlamentarische Tribüne, die Büros der Gewerkschaften, die Gerichtshöfe, die Vorzimmer der Ministerien. Im Gegenteil, es geht uns darum, die Reformist:innen aus ihrem Paradies zu reißen und sie vor den Massen auf unsere Seite zu bringen. Mit der richtigen Taktik können wir nur gewinnen. Der/Die Kommunist:in, der/die daran zweifelt oder sich davor fürchtet, gleicht dem/der Schwimmer:in, der/die zwar die Thesen über die beste Schwimmart kennt, aber nicht riskieren will, ins Wasser zu gehen.“ (10 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Für Gramsci ist die Schlussfolgerung seiner Charakterisierung und seines vorrangigen Stellungskrieges die Notwendigkeit einer „noch nie dagewesenen Konzentration der Hegemonie“. Und er vereinheitlicht die Begriffe, indem er sagt: „Der Stellungskrieg ist in der Politik der Begriff der Hegemonie, der erst nach dem Aufkommen bestimmter Voraussetzungen, nämlich der großen Volksorganisationen modernen Typs, entstehen kann.“ (11 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Aber die Welt nach Gramsci war weder linear noch schematisch wie seine Vorhersagen. Es bestand die Notwendigkeit, in den Randbereichen der Gesellschaft an Gewicht zu gewinnen, Kräfte zu bündeln, sich auf die nächsten Momente des Aufbegehrens vorzubereiten: Das war nicht das, was an Gramsci falsch war. Was falsch war, war, die Notwendigkeit der Vorbereitung und des Kampfes für eine Offensive (Bewegungskrieg) zu eliminieren, als es in der Nachkriegszeit, die er nicht miterlebt hat, immer wieder um die Herausforderung und den Kampf um die politische Macht für die Arbeiter:innenklasse und das Volk ging. Wenn dies inmitten verschiedener revolutionärer Prozesse nicht erreicht wurde, so lag das an der verhängnisvollen Rolle der Apparate und Führungen, die sich gegen die Revolution stellten, und am Fehlen revolutionärer Führungen mit Gewicht in den Massen. Die Theorie von Gramsci, die perspektivisch zentral eine defensive Situation im Zusammenhang mit einem Stellungskrieg sah, bereitete nicht richtig auf die gestellten politischen Aufgaben vor.
Gramsci widmet einen großen Teil seiner Schlussfolgerungen der Erklärung, dass in der objektiven Situation, die er sieht, eine neue Hegemonie und ein historischer Block gesucht werden müssen, um sie zu stützen. In seiner Analyse des Gegenstands sehen wir eine allgemeine Entwicklung, ohne genaue Klassendefinitionen, wer wen hegemonisiert. Damit öffnete er über seine Intentionen hinaus die Tür für die Verwendung seiner Kategorien durch verschiedene reformistische Projekte in den letzten Jahrzehnten des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es ist klar, dass das Streben nach Hegemonie durch die Arbeiter:innenklasse für eine sozialistische Strategie sehr notwendig ist; heute, im 21. Jahrhundert, ist diese Notwendigkeit in einem neuen Kontext immer noch gültig. Gramsci war ein kultivierter und ehrlicher Kämpfer und Intellektueller, der versucht hat, theoretisch-politische Definitionen voranzutreiben und der ausdrücklich nicht für ein reformistisches Projekt geschrieben hat. Es ist nur so, dass er bei der Definition von Hegemonie im Allgemeinen eine verwirrende Zweideutigkeit zum Ausdruck brachte, die alle möglichen späteren Interpretationen zulässt.
Dies erklärt, warum einer der ersten Gramsci-Forscher:innen in Argentinien, Juan Carlos Portantiero, Folgendes schrieb:
„Gramsci wird in der Tat klar erkennen, dass das Problem der Einheitsfront viel mehr impliziert als eine kleinliche Abrechnung mit den Parteien der Zweiten Internationale: Der Schlüssel zur Einheitsfront bezieht sich im Grunde auf die Notwendigkeit, die politische Einheit der Volksklassen, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, durch die Schaffung von Massenorganisationen zu schaffen, die in der Lage sind, ideologische Spaltungen zu überwinden.“ (12 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Aus seiner Gramsci-Studie entnimmt er den Vorschlag einer politischen Einheit, die ideologische Spaltungen überwindet, was sich von der sozialistischen Strategie unterscheidet, in der die Einheitsfront für den antifaschistischen Kampf auf der Grundlage der politischen Unabhängigkeit vom Reformismus unerlässlich war.
Ähnliche Probleme haben die Konzepte des historischen Blocks und des national-populären Kollektivwillens. Die allgemeine und ungenaue Ausdrucksweise, die sich manchmal auf die Entwicklung der italienischen Gesellschaft und ihren Prozess der nationalen Einheit zwischen Regionen und Klassen bezieht, war nicht hilfreich. Er sagte:
„… die politische Führung bestimmter Kräfte, die absorbiert werden müssen, um einen neuen historischen wirtschaftlich-politischen Block ohne innere Widersprüche zu schaffen, und da zwei ,ähnliche’ Kräfte nur durch eine Reihe von Kompromissen oder durch Waffengewalt zu einem neuen Organismus verschmelzen können, indem man sie auf eine Bündnisebene bringt oder die eine der anderen durch Zwang unterordnet, stellt sich die Frage, ob diese Zwangskraft zur Verfügung steht und ob es ,produktiv’ ist, sie einzusetzen. Wenn der Zusammenschluss zweier Mächte notwendig ist, um eine dritte zu besiegen, ist der Rückgriff auf Waffen (wenn man diese Möglichkeit wirklich hat) eine rein methodische Hypothese, und die einzige konkrete Möglichkeit ist der Kompromiss, denn Gewalt kann gegen Feind:innen eingesetzt werden, aber nicht gegen einen Teil von ihnen, den man schnell assimilieren will und von dem man ,guten Willen’ und Begeisterung braucht.“ (13 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Nach solchen Definitionen haben alle, von den KPs, die nach der Katastrophe des Stalinismus theoretische Sauerstoffzufuhr brauchten, gesucht, über die postmarxistische Intelligenz des späten 20. Jahrhunderts bis hin zu den verschiedenen reformistischen Varianten des 21. Jahrhunderts. Sie haben in Gramscis Schriften einen theoretischen Leitfaden zur Unterstützung ihrer Strategien gefunden. Um zwei Beispiele zu nennen: García Linera, der intellektuelle ehemalige Vizepräsident von Bolivien, der keine sozialistische und revolutionäre Strategie hat, sagt uns:
„Das ist es, wo die Hegemonie liegen wird, das ist es, wo Gramsci uns hilft, die Entscheidung der Wenigen in eine Entscheidung der Vielen zu verwandeln. Das ist es, was Gramsci die Führungsfähigkeit eines sozialen Blocks gegenüber dem Rest nannte: eine Klasse dominiert nicht, weil sie eine andere vernichtet und an den Rand drängt: eine Klasse dominiert, weil sie in der Lage ist, selbst Entscheidungen zu treffen, die teilweise die Bedürfnisse anderer Klassen befriedigen, die nicht sie selbst sind. Mit anderen Worten: Es handelt sich um Führung, nicht nur um Zwang.“ (14 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Erinnern wir uns daran, dass dieses theoretische Modell in Bolivien zu ständigen Verhandlungen mit der Bourgeoisie und der Suche nach einem Konsens ohne Zwang führte. Und es endete schlecht.
Ernesto Laclau und Chantal Mouffe haben es in ihrem berühmten Buch ebenfalls definiert:
„Das radikal Neue bei Gramsci ist eine Erweiterung des Terrains, das der politischen Neuzusammensetzung und der Hegemonie zugeschrieben wird, mehr als bei jedem anderen Theoretiker seiner Zeit, sowie eine Theoretisierung der Natur der hegemonialen Verbindung, die deutlich über die leninistische Kategorie des ,Klassenbündnisses’ hinausgeht. …. Für Gramsci sind die politischen Subjekte keine ,Klassen’ – im strengen Sinne des Wortes –sondern komplexe ,kollektive Willen’; auch die ideologischen Elemente, die von der hegemonialen Klasse artikuliert werden, haben keine notwendige Klassenzugehörigkeit.“ (15 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Die postmarxistischen Theoretiker:innen schließen diesen zentralen Gedanken ihres Buches mit einem Zitat von Gramsci ab:
„… der kollektive Wille ergibt sich aus der politisch-ideologischen Artikulation der verstreuten und fragmentierten historischen Kräfte. Daraus lässt sich die Bedeutung des ,kulturellen Aspekts’ ableiten, auch in der praktischen (kollektiven) Tätigkeit. Ein historischer Akt kann nur vom ,kollektiven Menschen’ vollzogen werden, und dies setzt die Verwirklichung einer ,kulturell-sozialen’ Einheit voraus, durch die eine Vielzahl von verstreuten Willen mit heterogenen Zielen auf der Grundlage eines gemeinsamen und gleichen Weltbildes um ein einziges Ziel herum geschweißt werden.“ (16 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Jenseits subjektiver Einschätzungen dessen, was Gramsci dachte oder ausdrücken wollte, ermöglichte er mit seinen Schriften diese Art von mit einer echten sozialistischen Strategie ungleichen Ansätzen. Seine moderne Fürstin, die politische Partei, bewegte sich zwischen komplexen und ambivalenten Konzepten.
Auf der Grundlage dieser allgemeinen Aussagen, Unklarheiten und anderen Definitionen haben andere Strömungen ein anderes Ziel verfolgt: den Versuch, mehrere Positionen Gramscis mit denen Trotzkis in Einklang zu bringen. Die Partei der sozialistischen Arbeiter:innen (Partido de los Trabajadores Socialistas, PTS) ist diejenige, die dieses Mittel am fälschlichsten einsetzt, indem sie Gramscis Schriften unter ihre eigenen Interpretationen zwängt, die nur wenig Unterstützung finden, so dass sie als Kontrast zu einigen trotzkistischen Auffassungen erscheinen. Sie machen sich den Irrtum zu eigen, dass Gramscis Hegemoniekonzeption seine aktuelle Form der permanenten Revolution sei, während die unbestreitbare Realität ist, dass Gramsci diese Theorie völlig in Frage stellte und seine Hegemoniekonzeption auf anderen Kriterien beruhte.
Dieser Teil des Trotzkismus sieht sich auch in Gramscis Definition der „passiven Revolution“ wieder, die von dem Historiker Vincenzo Cuoco (italien. Schrifsteller 1170 – 1823; d. Red.)übernommen wurde. Sie sind der Meinung, dass Gramscis Definition in der Nachkriegszeit angewandt wurde: „ […] wir glauben, dass das Konzept der ‚passiven Revolution‘, losgelöst von all dem unzeitgemäßen Gradualismus der Gramsci’schen Möglichkeiten für die Erneuerung des Kapitalismus, sehr produktiv ist, um die Nachkriegsperiode des Zweiten Weltkriegs zu erklären.“ (17 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Auch Juan Dal Maso (PTS) trägt zu diesem Missverständnis und dieser Verwirrung bei, indem er definiert: „In Gramscis Denken ist die permanente Revolution das widersprüchliche Begriffspaar der passiven Revolution, d. h. der Revolution-Restauration.“ (ebd.)
Wie wir bereits in Bezug auf den Bewegungs- und den Stellungskrieg gesehen haben, gab es in der Nachkriegszeit alle möglichen Ereignisse, einschließlich der Veränderungen von oben, die der imperialistische Kapitalismus im Rahmen von Vereinbarungen mit dem Stalinismus durchführte. Aber von der Nachkriegszeit bis heute gab es nicht nur das, und schon gar nicht einen passiven Prozess: Es gab Jahrzehnte voller Krisen, Kriege, Revolutionen und Rebellionen. Es ist daher falsch, sie mit diesem begrenzten und fragwürdigen Konzept zu verbinden.
Mit einer ausgeprägten Skepsis gegenüber der Gegenwart vertieft Juan Dal Maso diese Fehler und sagt: „Die Schwierigkeit, über die ‚gegenwärtige Form‘ der permanenten Revolution nachzudenken, liegt schlicht und ergreifend darin, dass es keine Revolutionen gibt. … Die Kombination aus typischer Formulierung, späterer Spezifizierung/Erweiterung, gegenwärtiger Form und elementaren Formen könnte uns einer flexibleren Sichtweise näher bringen, die es uns erlaubt, die Theorie in der Gegenwart wirksam werden zu lassen, obwohl wir noch weit von ihrer typischen oder tugendhaften Dynamik entfernt sind.“ (18 – Eigene Übersetzung aus dem Spanischen; d. Red.)
Damit zeigt er eine Analyse jenseits dessen, was tatsächlich geschieht, und stellt in der Tat die Aktualität der permanenten Revolution in Frage.
Die Teekesselchen der PTS bringen Gramsci nicht näher an Trotzki heran. Und sie bringen ihn näher an falsche Definitionen von Gramsci, während sie ihn von wesentlichen Punkten des Trotzkismus distanzieren. Wir werden dies in anderen Materialien näher erläutern. Hier geben wir nur ein praktisches Beispiel: Die Weigerung der Genoss:innen der PTS zu versuchen, die Linksfront in etwas qualitativ Besseres umzuwandeln, das Tausende von Militanten organisiert, gemeinsam im Klassenkampf agiert und sich in Richtung eines wirklichen Kampfes um die politische Macht positioniert, ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass sie nicht glaubt, dass es die Bedingungen für dieses strategische Ziel gibt. Sie positioniert sich konservativ, indem sie sich den Gramsci’schen Stellungskrieg zu eigen macht, den sie zu allem Überfluss auch noch mit ihrer starken Wahlpolitik verbindet. Ein großer Fehler, wenn die Realität eine Strategie jenseits des Parlamentarismus braucht, die ihr Zentrum im Klassenkampf, in der Auseinandersetzung um die Führung und in der Strategie des Kampfes um die Macht hat, wozu niemand bereit ist, wenn er an den defensiven Grenzen des Stellungskrieges stehen bleibt.
Wir haben versucht, in verschiedenen Zeiträumen die Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen Trotzki und Gramsci herauszuarbeiten. Man kann sich dem Thema natürlich auch von anderen Ansätzen und Themen her nähern, die aber aus Platzgründen den Rahmen dieses Beitrags sprengen würden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir bei der Frage, ob Gramscis theoretische und politische Beiträge im Wesentlichen richtig oder falsch sind, der Meinung sind, dass in seinen letzten beiden Phasen im Wesentlichen das Falsche oder Zweideutige und damit die Differenzen mit der trotzkistisch-leninistischen Vorstellung und Theorie überwiegen. Und obwohl seine Schriften dialektisch gesehen richtige Elemente und positive Beiträge enthalten, wird eine allgemeine Analyse eines bestimmten theoretischen Werkes durch seine Ganzheitlichkeit und seine politischen Konsequenzen definiert und nicht durch spezifische Fragmente.
Wir berücksichtigen den repressiven und zensorischen Kontext seiner Jahre im Gefängnis, der mehr als einmal bestimmte, was er zu schreiben oder welche Worte er zu verwenden hatte, ohne dabei die praktischen Folgen dieses feindlichen Umfelds aus den Augen zu verlieren. Dennoch müssen wir als Marxist:innen analysieren, was bis heute geschrieben und massiv verbreitet und verwendet wurde. Dazu haben wir einen kritischen Blick, jenseits der Entstehungsbedingungen und der Tatsache, dass es ein militanter Sozialist war, der es geschrieben hat. Die Gramsci’sche Denkstruktur hat sich in ihrer Essenz nicht als richtig herausgestellt und sich oft als nützlich für die Nutzung von nicht-revolutionären Projekten erwiesen. Dies zu leugnen, bedeutet, die Realität zu leugnen.
In diesem 21. Jahrhundert mit kapitalistischer Krise, Polarisierung und zwischenimperialistischen Auseinandersetzungen brauchen wir mehr denn je eine marxistische und klassenbezogene Analyse. Wir müssen versuchen, die Unterstützung der Mehrheit des Volkes für eine Hegemonie der Arbeiter:innenklasse zu gewinnen, die definiert und programmatisch antikapitalistisch und sozialistisch ist – im Rahmen einer internationalistischen Strategie der permanenten Revolution.