Arbeiter:innenmacht

Marx21 und der Faschismus: rechts alles Faschismus, links davon die Verbündeten?

Stefan Katzer/Angelo Drepano, Neue Internationale 291, Mai 2025

Ob der erneute Wahlsieg Donald Trumps, die Erfolge der FPÖ in Österreich, des Rassembelement National in Frankreich oder der AfD in Deutschland: Der Aufschwung des Nationalismus und der (extremen) Rechten stellen ein globales Phänomen und eine reale Bedrohung für die Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten dar. Für die Organisationen der radikalen Linken und der Arbeiter:innenbewegung stellt sich daher immer drängender die Frage, wie der weitere Aufstieg dieser Kräfte verhindert werden kann.

Das Unvermögen der bürgerlichen und reformistischen Kräfte, dem Aufstieg der Rechten etwas entgegenzusetzen, ist in der letzten Zeit noch deutlicher zutage getreten. Der krude Mix aus programmatischer Anpassung und verbaler Abgrenzung hat – wenig überraschend – nicht die erhofften Wirkungen erzielt. Im Gegenteil: Die AfD kann nach der letzten Bundestagswahl vor Kraft kaum laufen. Wer sich im Kampf gegen den Faschismus auf bürgerliche Kräfte verlässt, der ist verlassen, denn sie selbst tragen durch ihre Politik dazu bei, dass der Einfluss rechter Ideolog:innen, die sich als pseudoradikale Alternative zu den bürgerlichen Eliten inszenieren, immer größer wird.

Um den Kampf gegen diese und andere rechte Kräfte erfolgreich führen zu können, ist eine Analyse ihres Programms und ihrer Taktiken unerlässlich. Die Frage etwa, ob es sich bei der AfD um eine faschistische Partei handelt, ist mehr als graue Theorie, da von ihrer Beantwortung die Wahl der taktischen Mittel abhängt, mit denen man diese Kräfte sinnvollerweise bekämpfen kann. Wir wollen uns im Folgenden daher mit dem Faschismusverständnis von marx21 auseinandersetzen. Zunächst sollen einige Texte besprochen werden, in denen es um den Faschismus im Allgemeinen geht. In einem zweiten Teil soll es um die Frage gehen, ob die AfD eine faschistische Partei darstellt. In diesem Abschnitt werden die analytischen Verkürzungen von marx21 besonders deutlich. Zum Schluss werden wir unsere politische Perspektive für den Kampf gegen den Faschismus und die AfD als eine rechtspopulistische Partei darlegen und dabei deutlich machen, dass Letztere anders bekämpft werden muss als genuin faschistische Parteien.

Was ist Faschismus?

In einer Artikelreihe, in der sich der Autor Simo Dorn von marx21 mit dem britischen Autor und Journalisten Paul Mason und dessen Faschismusverständnis auseinandersetzt, gibt er eine Faschismusdefinition, die einige richtige Punkte enthält. So stellt Dorn zunächst fest, dass es keinesfalls sinnvoll ist, Trump einen Faschisten zu nennen, „nur“ weil er sich regelmäßig rassistisch oder migrationsfeindlich äußere. Auch Demonstrationsverbote, Polizeigewalt oder rassistische Migrationspolitik gehörten zum „normalen“ Instrumentarium bürgerlicher Demokratie und seien für sich noch kein Anzeichen für eine faschistische Umgestaltung eines Staates.

Dies ist ein richtiger und wichtiger Punkt, da die inflationäre und unzutreffende Verwendung des Faschismusbegriffs mehr zur Desorientierung als erfolgreichen Bekämpfung der Nazis beiträgt. Nur dann, wenn er als eine analytische Kategorie zum Verständnis politischer Phänomene etwas beisteuert, ist seine Verwendung sinnvoll. Häufig wird der Vorwurf, eine Person oder Partei sei faschistisch, aber nicht analytisch unterfüttert, sondern moralisch vorgetragen, um den/die politische/n Gegner:in zu diskreditieren und die eigenen Anhänger:innen kurzfristig zu mobilisieren. Das Problem daran ist, dass dadurch die reale faschistische Gefahr letztlich verharmlost und in ihrer Besonderheit verkannt wird.

Der Faschismus ist inhaltlich eine Massenbewegung von wild gewordenen Kleinbürger:innen und abstiegsbedrohten Mittelschichten, der sich aber auch verzweifelte Arbeiter:innen anschließen, eine Bewegung, die Gewalt und Terror anwendet, um die Organisationen der Arbeiter:innenklasse zu zerschlagen und eine faschistische Diktatur zu errichten. Er inszeniert sich als pseudorevolutionäre Kraft, die mit dem alten System brechen will. Das Ziel der Faschist:innen ist nicht die Übernahme der Macht innerhalb der bürgerlichen Institutionen, sondern die Beseitigung dieser Institutionen. Um dies erreichen zu können, zielt der Faschismus auch auf die vollständige Liquidierung seiner politischen Gegner:innen, wozu vor allem rassistisch Unterdrückte gehören, aber auch sexuell Unterdrückte und Linke, wobei der Hass und Terror gegen sie auch als ideologische Klammer für die Bewegung fungiert, als Ersatzobjekt für die Pseudorevolution. Faschistische Organisationen müssen daher mit anderen Mitteln bekämpft werden als eine Kraft, die auf einen autoritären Umbau des Staates auf parlamentarischem Weg setzt, wie dies etwa die vielen rechtspopulistischen Parteien tun.

Der Autor von marx21 grenzt den Faschismus korrekterweise auch vom Begriff der Diktatur ab, indem er eben jenen Charakter der kleinbürgerlichen Massenbewegung hervorhebt, der ein wesentliches Merkmal des Faschismus sei. Zwar verkörpert er an der Macht auch eine Form des Bonapartismus und verfolgt keinesfalls ein kleinbürgerliches Programm. Dadurch aber, dass der Faschismus vor der Machtübernahme eine reale Massenbewegung darstellt und sich auf eine reale Bewegung stützt, die ihre politischen Gegner:innen terrorisiert und die Arbeiter:innenbewegung atomisiert, lässt er sich gegenüber anderen Formen der Diktatur abgrenzen. Sein grundlegendes Ziel bleibt die Zerschlagung der organisierten Arbeiter:innenbewegung und aller Elemente der proletarischen Demokratie. Auf dieser Grundlage strebt der Faschismus eine vollständige Reorganisation der Gesellschaft nach dem Modell der „Volksgemeinschaft“ an, in der Klassenwidersprüche angeblich nicht existieren.

Faschismus und kapitalistische Krise

Und genau dieses Merkmal ist es, welches den Faschismus für die herrschende Klasse in schweren gesellschaftlichen Krisenzeiten zu einer annehmbaren Option zur Rettung ihrer Eigentumsverhältnisse werden lässt. Denn gerade dann, wenn die herrschende Klasse ihre eigene Machtposition in Gefahr sieht, wird das, was die faschistische Bewegung von anderen nationalistischen und rassistischen Kräften unterscheidet, für Erstere besonders attraktiv: das gewaltsame Vorgehen gegen Streiks, Proteste und Individuen der organisierten Arbeiter:innenbewegung. Voraussetzung dafür, dass sich die herrschende Klasse für die faschistische Option entscheidet, ist allerdings eine tiefgreifende Krise, welche alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfasst.

Zwar betont auch marx21 den Zusammenhang von kapitalistischer Krise und Aufstieg des Faschismus. Was bei seiner Analyse allerdings zu kurz kommt, ist die zugespitzte internationale Konkurrenz innerhalb der herrschenden Klasse als Treiberin von Nationalismus und Faschismus. Dieser Kampf um die Neuaufteilung der Welt im Gefolge einer Krisenperiode ist aber die wesentliche Ursache für verstärkten Nationalismus und Militarismus und bildet damit auch den Nährboden, auf dem faschistische Kräfte besonders gut gedeihen können. Führt die Krise zu Abspaltungen im bürgerlichen Lager und einer politischen Neuformierung, können auch faschistische Kräfte davon profitieren. Daher kann der Faschismus endgültig nur besiegt werden durch die globale Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise im Zuge einer revolutionären sozialistischen Umwälzung. Auf diesen Aspekt werden wir weiter unten noch ausführlicher eingehen.

AfD, FPÖ – rechts, nationalistisch, faschistisch?

Jetzt wollen wir aber zunächst noch auf die Frage eingehen, ob AfD und FPÖ als faschistische Parteien zu charakterisieren sind. Die Probleme der Faschismusdefinition von marx21 treten hier noch deutlicher zutage.

In dem Artikel „Machtergreifung – damals und heute“ von marx21 geht der Autor davon aus, dass es sich sowohl bei der deutschen AfD wie auch der österreichischen FPÖ um faschistische Parteien handelt, die in einigen Merkmalen der NSDAP ähneln. Parallelen sieht der Autor etwa in der Politik, welche NSDAP und FPÖ an der Regierung ausübten. So schreibt er, dass „das, was die FPÖ in Österreich versucht hat, auf Punkt und Komma das [ist], was die Nazis in deutschen Ländern vor der endgültigen Machtergreifung im Reich als Juniorpartner reaktionärer Parteien auch schon gemacht haben: Innen- und Bildungsressort besetzen, eigene Kader einschleusen, die Politik in diesen Ressorts nach rechts drehen, die Inkonsequenz des konservativen Koalitionspartners bloßstellen, um auf dessen Kosten weiter zu wachsen. Das ist noch nicht die faschistische Diktatur, aber schon schlimm genug, nämlich die erste Etappe zum rassistischen Bürgerkrieg […].“ (1)

Auch die AfD sei letztlich dominiert vom Faschisten Höcke und dessen Flügel, sodass auch sie eine faschistische Gefahr darstelle, die es ernst zu nehmen gelte. Da stimmt auch der Autor des Artikels „Meuthens Austritt: Die dritte Häutung der AfD zur faschistischen Partei“ zu. Er glaubt, an einer Personalentscheidung festmachen zu können, dass sich die AfD endgültig zu einer faschistischen Partei entwickelt hat. Ihre Umwandlung in eine faschistische Partei sei demnach durch die Wahl faschistischer Kandidat:innen in wichtige Parteiämter erfolgt.

Diese Analyse„methode“ ist allerdings höchst problematisch und führt zu falschen Schlussfolgerungen. Zwar spielen in Parteien immer auch einzelne Köpfe eine wichtige Rolle, zumal dann, wenn sie es schaffen, ein Netzwerk von Unterstützer:innen um sich herum aufzubauen, die einen realen Einfluss auf die Entwicklung und Ausrichtung der Partei nehmen können. Doch lässt sich im Umkehrschluss aus der politischen Einstellung einzelner oder selbst relevanter Teile der Partei nicht deren Charakter ableiten. Entscheidend für die Einschätzung ist vielmehr die konkrete Praxis der Partei, d. h., die Art und Weise, wie sie die von ihr aufgestellten Ziele umsetzen möchte und auf wen sie sich dabei stützt, sowie, welche Ziele sie überhaupt anstrebt.

Zwar ist es richtig, dass Björn Höcke selbst ein Faschist ist. Es gibt zudem starke Verbindungen von Teilen der AfD zu faschistischen Gruppierungen, insbesondere jener Teile, die sich innerhalb der AfD um Höcke und dessen Flügel sammeln. Sie wollen tatsächlich nicht innerhalb der bürgerlichen Institutionen Veränderungen herbeiführen, sondern durch eine faschistische Umgestaltung ihr Programm umsetzen.

Die Frage jedoch, ob sich die AfD in die eine oder andere Richtung entwickeln wird, hängt nicht allein von Auseinandersetzungen innerhalb der Partei ab, sondern in stärkerem Maße von der allgemeinen politischen Entwicklung. Welche Rolle sie in Zukunft spielen wird, wird unter anderem davon abhängen, ob es den Deutschen in einer Allianz mit dem französischen Imperialismus gelingt, die EU doch noch zu einem schlagkräftigen, in der internationalen Konkurrenz durchsetzungsfähigen Block zusammenzuschweißen.

Sollte es zu einem Scheitern dieses Projekts und im Zuge dessen zu einer strategischen, nationalistischen Umorientierung der herrschenden Klasse kommen, könnten eine Regierungsbeteiligung der AfD und ein autoritärer Staatsumbau für die Herrschenden immer attraktiver erscheinen. Eine Regierungsbeteiligung der AfD würde jedoch unweigerlich zu einem Aufleben des Konflikts innerhalb der Partei zwischen jenen Kräften führen, die eine solche innerhalb des bestehenden institutionellen Rahmens anstreben, und jenen faschistischen Kräften, die tatsächlich auf einen faschistischen Umbau des Staates orientiert sind. Es wäre möglich, dass sich die in ihr organisierten faschistischen Kräfte, ähnlich wie beim italienischen MSI, von der Partei abspalten und ihren Aufbau außerhalb der Partei weiter betreiben. Dies scheint gegenwärtig jedenfalls die realistischere Variante, im Gegensatz zu der, dass die herrschende Klasse sich dazu gezwungen sieht, auf faschistische Kräfte zurückzugreifen, um durch eine Änderung der Form ihrer Herrschaftsausübung die materiellen Voraussetzungen ihrer Diktatur sichern zu können. Sollte es zu einer Formierung ernsthaften Widerstandes gegen die Angriffe des Kapitals kommen, wäre jedoch auch diese Option attraktiv fürs Kapital.

Es scheint daher durchaus realistisch, dass sich die AfD bei einer weiteren Zuspitzung der kapitalistischen Krise und großen politischen Erschütterungen zu einer faschistischen Kraft entwickelt. Es könnte aber zuvor auch schon zu einer Abspaltung der faschistischen Kräfte kommen, sollte die AfD in der nächsten Zeit Teil einer Regierung werden. Dann würde es ihr wohl so ergehen wie dem MSI oder anderen faschistischen Frontorganisationen, bei denen sich eine Abspaltung der faschistischen Kräfte vollzog, nachdem die Parteien Teil einer bürgerlichen Regierung wurden.

So oder so: Bereits zum jetzigen Zeitpunkt von FPÖ und AfD als faschistischen Kräften zu sprechen, ist angesichts deren aktueller Ausrichtung nicht nachvollziehbar und falsch. Dabei scheint auch dem Autor von marx21 bewusst zu sein, dass diese Parteien das entscheidende Kriterium zur Charakterisierung als faschistische Kräfte gerade nicht erfüllen, nämlich in erster Linie nicht das ruinierte Kleinbürger:innentum und die verarmten Mittelschichten gemeinsam mit demoralisierten Teilen der Arbeiter:innenklasse auf der Straße zu einer gewaltbereiten Bewegung zusammenschweißen, sondern vielmehr durch die Teilnahme an bürgerlichen Wahlen versuchen, auf parlamentarischem Weg einen autoritären Umbau des bürgerlichen Staates vorzunehmen.

Die gewaltbereiten, ja bereits bewaffneten Massen sieht der Autor dafür aber an anderer Stelle: nicht auf der Straße, sondern in den staatlichen (Polizei‑)Behörden und in radikalisierten, terroristischen Vereinigungen, bei Pegida und anderen, auch faschistischen Organisationen im Untergrund, die jederzeit bereit seien, loszuschlagen, sollten sich die krisenhaften Prozesse weiter zuspitzen.

Sicherlich ist die Gefahr, die von den bewaffneten Apparaten des bürgerlichen Staates ausgeht, nicht zu unterschätzen. Zahlreiche „Skandale“ und dutzende „Einzelfälle“ der letzten Jahre haben wiederholt deutlich gemacht, dass es innerhalb der Polizei und anderer bewaffneter Einheiten des bürgerlichen Staates zahlreiche organisierte Rechte und Rechtsradikale gibt, die aus ihrem Rassismus und Antisemitismus und ihrem Hass auf Linke, Queers und Frauen kein Hehl machen. Auch ist es richtig, dass es bewaffnete faschistische Gruppierungen gibt, die sich nicht nur für den Tag X vorbereiten, sondern die bereits jetzt terroristische Anschläge verüben.

Doch daraus den Schluss zu ziehen, dass AfD oder FPÖ bereits jetzt faschistische Kräfte darstellen, verkennt, dass diese in ihrer jetzigen Programmatik eben nicht auf den Aufbau einer faschistischen Kraft fokussieren, sondern in erster Linie Kräfte sammeln, um einen Umbau des Staates in Richtung Autoritarismus und Bonapartismus auf legalem Wege zu bewerkstelligen. Zwar scheint der Autor dies selbst auch so zu sehen, doch hält er es zugleich für möglich, dass diese Parteien auch weiterhin wachsen und parlamentarische Zugewinne erzielen könnten, nur um dann, im richtigen Moment, die Masken fallen zu lassen und zu einer faschistischen Kraft zu mutieren. In den Worten des Autors:

Was spricht eigentlich gegen eine große faschistische Partei, die sich, bezogen auf den Staatsstreich und die Errichtung der faschistischen Diktatur, zurückhält, bis sie wirklich benötigt und gerufen wird?“

Es ist in der Tat nicht auszuschließen, dass sich AfD oder FPÖ unter den Bedingungen einer scharfen gesellschaftlichen Krise mit einer Reihe von Umbrüchen und Umstrukturierungen zu faschistischen Parteien entwickeln werden. Doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass sie es bislang nicht sind und der Kampf gegen sie nicht in erster Linie auf der Straße geführt werden muss. Problematisch ist aber nicht nur die falsche Charakterisierung dieser Kräfte als faschistisch. Problematisch ist auch und vor allem, welche Politik der Autor vorschlägt, um dem Problem zu begegnen.

Ist kein AfD-Verbot auch keine Lösung!?

Zum einen soll ein AfD-Verbot dabei helfen, die „faschistischen“ Kräfte zurückzudrängen. Den Einwänden von links, die eine Verbotsforderung ablehnen, weil dies u. a. zur Stärkung der bürgerlichen Repressionsorgane führe, hält er das Beispiel der Goldenen Morgenröte aus Griechenland entgegen. Deren Führer seien durch ein solches Verbot hinter Gitter gebracht worden. Da das Verbotsverfahren von Streiks und Protesten begleitet und vorangetrieben worden sei, sei an der linken Kritik, dass der Ruf nach einem Verbot faschistischer Organisationen die Bewegung gegen rechts in eine passive Rolle drängen würde, letztlich nichts dran. Sofern ein solches Verbotsverfahren von einer Kampagne der Arbeiter:innenklasse begleitet würde, könne man dieser Gefahr begegnen.

Das Problem an der Verbotsforderung ist aber nicht nur, dass sie nur durch eine Stärkung der bürgerlichen Repressionsapparate umzusetzen wäre, sondern auch die Tatsache, dass bei einem Verbot häufig Nachfolgeorganisationen gegründet werden, in denen sich die alten Mitglieder neu organisieren, und es zudem dem Staat gleichzeitig einen Vorwand zum Bann der Linken liefert.

Der Autor bezieht sich zudem positiv auf die Massenproteste gegen die Remigrationspläne der AfD, die Anfang letzten Jahres in Deutschland Hunderttausende auf die Straße brachten. Mit diesem „neuen Antifaschismus“ der Mitte müssten Sozialist:innen eine Aktionseinheit eingehen – wobei der Autor offen lässt, mit welcher Taktik und mit welchen Forderungen Revolutionär:innen eine solche herstellen könnten. Genau das ist aber jetzt die entscheidende Aufgabe und Problemstellung, die sich Revolutionär:innen stellen müssen. Sie müssen sich fragen, wie sie ihre (revolutionäre) Perspektive in einer Bewegung gegen rechts stärken, mit welchen Mitteln sie die Anhänger:innen reformistischer Organisationen für ihre Forderungen gewinnen können. Das bleibt jedoch der große blinde Fleck der Analysen und Schlussfolgerungen des Autors. Stattdessen versucht er, sozialistische und revolutionäre Kräfte davon zu überzeugen, dass es angesichts der akuten faschistischen Gefahr notwendig ist, mit bürgerlichen und reformistischen Kräften auch dann eine Aktionseinheit einzugehen, wenn diese zahn- und prinzipienlos ist.

Durch ein Verbotsverfahren würden zwar nicht die gesellschaftlichen Ursachen beseitigt, die dem Aufstieg der Rechten zugrunde liegen, lesen wir wiederum in dem Artikel „AfD-Verbot: Forderung mit Fallstricken“. Wahrscheinlicher wäre es, dass sich rasch Nachfolgeorganisationen bildeten und sich die AfD obendrein noch als Opfer inszenieren könnte. Trotz all dieser Einsichten und der Tatsache, dass ein Verbot der AfD eine Stärkung der bürgerlichen Repressionsorgane nach sich ziehen würde, kommt der Autor am Ende seines Artikels dennoch zu dem Schluss, dass man sich einer Verbotsforderung nicht verschließen sollte, wenn diese Forderung von einer Mehrheit der antifaschistischen Bewegung aufgeworfen würde – frei nach dem Motto: Mir nach, ich folge euch!

Sinnvoller sind dagegen Vorschläge, die der Autor an anderer Stelle macht: Kampagnen gegen Rassismus in den Gewerkschaften, Massenmobilisierungen auf den Straßen und der Aufbau gewerkschaftlicher Gegenmacht, um den Kampf gegen Rassismus mit dem gegen Sozialkürzungen, Wohnungsnot und für höhere Löhne und Renten zu verbinden.

Zur SWP

Die Politik von marx21 ist keine Abweichung von der des Cliffismus und seiner Strömung, der International Socialist Tendency (IST). Auch die SWP in Großbritannien, die größte Organisation dieser Strömung, passt sich entsprechend ihrer Position, dass das sozialistische Bewusstsein hauptsächlich spontan im Klassenkampf entstehen würde, an die Gewerkschaftsbürokratie und bürgerliche Kräfte an. Als die National Front ankündigte, durch Tameside im Raum Manchester zu marschieren und die Polizei alle Gegendemonstrationen untersagte, verbündete sich die SWP mit Teilen der Gewerkschaftsbürokratie und Liberalen und bildete mit ihnen die Anti-Nazi League, die das Verbot akzeptierte, anstatt in den Betrieben, den Gewerkschaften und unter Migrant:innen und Arbeiter:innen in den Vierteln zu mobilisieren und so Selbstverteidigungsstrukturen aufzubauen. Anstatt sich den Märschen der NF durch migrantische Viertel in den Weg zu stellen, veranstaltete die SWP Rock-against-Racism-Festivals. Auch heute noch beschränken sich die Aktionen von SUTR (Stand Up to Racism) auf symbolische Kundgebungen, die weit weg von den rechten Aufmärschen stattfinden. Die SWP versucht nicht, ihre Einheitsfrontpartner:innen dazu aufzufordern, zu Aktionen zu mobilisieren, um sie in der Praxis zu entlarven, sondern bringt nur Forderungen und Slogans auf, die von diesen akzeptiert werden. Die SWP deckt somit diese falschen Führer:innen der Arbeiter:innenbewegung, indem sie ihnen die Möglichkeit gibt, sich als Antifaschist:innen zu präsentieren, ohne dass sie in die Pflicht genommen werden, sich an Aktionen zu beteiligen. Das ist das Gegenteil von der Einheitsfrontpolitik, wie sie von der Komintern entwickelt wurde.

Klar ist, dass eine Bewegung gegen rechts nur erfolgreich sein kann, wenn sie die Ursachen des Aufstiegs autoritär-nationalistischer Kräfte versteht. Der Aufstieg der Rechten hängt aber zusammen mit der anhaltenden Überakkumulations- und Verwertungskrise des Kapitals, der Konstituierung neuer Machtblöcke und dem wiederholten Aufflammen des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt. Aufgabe von Revolutionär:innen ist es, diese Zusammenhänge zu verdeutlichen und eine Perspektive aufzuzeigen, welche auf die Befindlichkeiten bürgerlicher Ideolog:innen keine Rücksicht nimmt, sondern klarmacht, dass nur eine weltweite sozialistische Revolution die Bedingungen dafür schaffen kann, dass alle Formen von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus überwunden werden.

Welchen Antifaschismus?

Die Perspektive, gegen Faschist:innen und faschistische Frontorganisationen zu mobilisieren, ist richtig. Allerdings muss es sich hier um eine Einheitsfront der Arbeiter:innenklasse handeln. Das heißt, dass wir die Führungen der Gewerkschaften, der Linkspartei und sogar der SPD dazu auffordern, sich am Kampf gegen den Faschismus zu beteiligen. Hier muss es auch wirklich um einen Appell an ihre Führungen gehen. Es reicht nicht, sich im Sinne einer „Einheitsfront von unten“ nur an ihre Basis zu wenden. Denn diese vertraut nach wie vor ihrer Führung. Es geht darum, Letztere zum Handeln zu zwingen, nicht nur für den benötigten Massenanhang, sondern auch, damit sie sich vor ihrer Basis als unfähig zeigt, den Kampf gegen den Faschismus und die sozialen Angriffe zu führen. Ansonsten wäre ihre Entlarvung eine rein literarische. Diese Arbeiter:inneneinheitsfront darf sich nicht von der Zustimmung bürgerlicher Parteien wie der Grünen abhängig machen. Eine Volksfront „aller Demokrat:innen“ ist Wasser auf die Mühlen der Propaganda von Faschist:innen und ihren Frontorganisationen, die versuchen, sich als Kräfte „gegen das Establishment“ zu verkaufen, und verschleiert die Krise als Ursache des Rechtsrucks, für deren Kosten die Arbeiter:innenklasse aufkommen soll. Deshalb kann die Einheitsfront auch nicht dabei stehenbleiben, eine Aktionseinheit von Revolutionär:innen mit Reformist:innen zu sein. Parteien wie die AfD, die einen starken faschistischen Flügel einschließen, profitieren von der Demoralisierung, die von dem Verrat durch bürgerliche Arbeiter:innenparteien wie SPD und Linkspartei ausgeht und den Rechten das seinen sozialen Abstieg befürchtende Kleinbürger:innentum und Teile der Arbeiter:innenklasse zuführt. Um diese Entwicklung umzukehren, muss es bei einer Aktionseinheit mit diesen bürgerlichen Arbeiter:innenparteien vor allem auch darum gehen, der Unfähigkeit ihrer Führungen, dem Aufstieg der Rechten und den sozialen Angriffen etwas entgegenzusetzen und ihnen die Führung über die Arbeiter:innenbewegung wegzunehmen. Denn Demonstrationen reichen nicht aus. Der Faschismus kann nicht ohne eine Massenbewegung der Arbeiter:innenklasse geschlagen werden. In Zeiten der Krise steht der bürgerliche Staat mit seiner Polizei und seinem Militär (das vor kurzem durch eine Heimatschutzdivision verstärkt wurde, die, was kaum verhehlt wird, Widerstand gegen Armut und Aufrüstung im Inland unterdrücken soll) immer offener auf der Seite des Faschismus. Um ihm etwas entgegenzusetzen, brauchen wir Strukturen für Selbstschutz und Selbstverteidigung, die von den Arbeiter:innen und ihren Organisationen kontrolliert werden und auch Unterdrückte, insbesondere Migrant:innen, miteinbeziehen – etwas, das die Führungen bürgerlicher Arbeiter:innenparteien und die Gewerkschaftsbürokratie nicht wollen. Wir rufen zur Einheitsfront der Arbeiter:innenklasse nicht nur für den unmittelbaren Kampf gegen die AfD auf, sondern sehen die damit verbundene Mobilisierung von Arbeiter:innen auch als Möglichkeit, die notwendige Massenbewegung der Arbeiter:innenklasse zu schaffen, welche den Rechtsruck umkehrt mit Forderungen gegen Rassismus, alle Abschiebungen, für eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche, gegen die Einschränkung demokratischer Rechte etc.

Für diese Aufgabe schlagen wir eine bundesweite Aktionskonferenz gegen den Generalangriff der nächsten Bundesregierung vor und rufen zur Bildung von Komitees gegen den Rechtsruck an Schulen, Unis und in Betrieben auf, um dort den Widerstand zu organisieren. Der Kampf gegen den Faschismus kann nicht isoliert geführt, sondern muss mit dem Kampf für die Machteroberung der Arbeiter:innenklasse verbunden werden.

Endnote

(1) https://www.marx21.de/machtergreifung-damals-und-heute-afd-vergleich-nsdap-rahmenbedingungen-faschismus/

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