Ernst Ellert, Infomail 1165, 5. Oktober 2021
Das Neue Deutschland (ND) vom 4. Oktober gibt einen Einblick in die Stimmungen unter den Streikenden nach fast 4 Wochen Vollstreik. „Sie haben es ausgesessen“, „Gleichzeitig versucht man, uns Sand in die Augen zu streuen, indem man sagt, die Klinikleitungen würden in Tarifverhandlungen nicht den Vorgaben des Senats folgen“, „Aber die Geschäftsführungen agieren auch deshalb so unangebracht hart, weil sie von übertariflichen Gehältern profitieren und deshalb das Lohndumping des Senats verteidigen“, so Charité-Krankenpfleger Markus F. Er vergaß hinzuzufügen: Während für jede/n klar ist, was mit unliebsamen Beschäftigten in Konzernen passiert, deutet das Handeln des Senats gegenüber den Klinik- und Töchtergeschäftsführungen auf gegenseitiges Einvernehmen hin.
Der Vorwurf des Bruchs mit dem Koalitionsvertrag der letzten Legislatur wird unter Streikenden laut. Im Jahr 2016 hieß es, dass in Landesunternehmen zügig Tarifverträge (TV) abgeschlossen werden sollten mit dem Ziel der Angleichung an den TVöD. Zudem sei sich der Senat seiner Investitionsfinanzierung gemäß dualer Krankenhausfinanzierung bewusst. Im Dezember 2018 beschloss das Abgeordnetenhaus eine Tarifstruktur für Vivantes, inklusive einer Gleichbezahlung für alle Beschäftigten. Abweichende Regelungen zum Mutterkonzern seien auszuschließen.
Es geht hier also vorrangig um den TVöD für die ausgegliederten Betriebsteile (VSG, Labor Berlin). In den bisherigen Verhandlungen erweist sich das als die härteste Nuss. Im Wahlkampf wies die grüne Spitzenkandidatin, Bettina Jarasch, darauf hin, dass SPD-Finanzsenator Kollatz gesagt habe: „Verhandlungen ja, Geld nein.“ Er und seine Vorgänger hätten die Unternehmensberatung McKinsey zu Vivantes geschickt, um beim Personal zu sparen. Die Klinikleitungen könnten aber ohne zusätzliches Geld vom Senat gar nicht erfolgreich verhandeln.
Ausnahmsweise hat sie mit allem recht – „vergaß“ aber, die Rolle ihrer Senatspartei dabei zu erwähnen, deren Rolle sich noch mehr als die von DIE LINKE mit dem Begriff passive Duldung erschöpfend skizzieren lässt.
Es war ein gravierender Fehler von ver.di-FunktionärInnen und auch der Vertreterin der Linkspartei, auf der Auftaktveranstaltung zur Streikrunde im Unionstadion an der alten Försterei Anfang Juli so getan zu haben, als finanziere sich zumindest der TV Entlastung für mehr Personal in der Pflege von allein dadurch, dass seit Anfang 2020 letztere aus den Fallpauschalen (DRGs) rausgenommen worden sei. Die Rückkehr zum alten Finanzierungssystem vor Einführung der DRGs bedeutet mitnichten eine automatische Kostendeckung durch die Krankenkassen, sondern das vorherige sog. Kostenerstattungswesen sah langwierige Budgetverhandlungen mit diesen und einem entsprechenden Spardruck vor. Und für die ausgelagerten Bereiche bedeutet dies aktuell vergeblichen Trost, denn sie fallen ja nicht darunter.
Tobias Schulze (DIE LINKE) räumt ein, dass die Investitionen, obwohl in der abgelaufenen Legislaturperiode gesteigert, zur Ausfinanzierung nicht ausreichten und deshalb wolle seine Partei in den kommenden 5 Jahren jährlich weitere 100 Millionen in den Haushalt einstellen und widme diesem Thema höchste Priorität in den Koalitionsverhandlungen.
SPD-Landesvorsitzende und designierte Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey, erklärte die Krankenhausfinanzierung denn auch zum Thema der Sondierungsgespräche mit allen Parteien und schlug den ehemaligen Brandenburger Ministerpräsidenten, Matthias Platzeck (SPD), als Konfliktvermittler vor.
In den Tochterunternehmen hat sich ver.di-Streikleitung auf eine Moderation durch Platzeck eingelassen, betont aber, dass im Unterschied zu einer Schlichtung der Streik nicht ausgesetzt werden soll.
Zurecht sieht Sylvia Bayram von der „Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht“ eine Schlichtung kritisch. Die sog. Vermittlung stellt letztlich nur einen ersten Schritt in diese Richtung dar. Welche negativen Konsequenzen bei einer Moderation oder Schlichtung durch Platzeck zu befürchten sind, zeigt seine Rolle bei der Charitétochter CFM. Der von ihm vermittelte seinerzeitige Tarifabschluss unterläuft das Ziel „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Deswegen befindet sich die CFM im Unterschied zur VSG und Labor Berlin heute nicht im Streik. Und deswegen muss auch die Übernahme eines besseren Ergebnisses für CFM per Landesgesetz zur Forderung der aktuell Streikenden an die eingehende Landesregierung werden!
40 Streikende von Charité und Vivantes erklärten kürzlich in einer Videobotschaft: „Man nimmt uns in den Verhandlungen nicht ernst.“ Wie wahr! Nach Ablauf des im Mai an den Senat gestellten Ultimatums, nach dreitägigen Warnstreiks, der Urabstimmung und 26 Tagen im Vollstreik können wir feststellen, dass sich die klammheimliche Hoffnung der ver.di-Spitze und vieler Streikender auf einen Abschluss vor den Wahlen genauso zerschlagen hat wie auf ein Eingreifen „der Politik“ zu ihren Gunsten. Diese steht zumindest überwiegend aufseiten des Managements und die Streikenden sind fast ganz allein auf ihre Kraft und Solidarität angewiesen.
Daher müssen die Streikenden eine Schlichtung unter vorgeblich neutraler Vermittlung kategorisch ablehnen. Sollte es dennoch zu einer Schlichtung kommen, was wir in Anbetracht der ausgesandten Signale befürchten, darf deshalb der Vollstreik nicht eingestellt oder vermindert, sondern muss eher verstärkt werden. Des Weiteren müssen wir dafür eintreten, dass die anstehende Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder (TVöD-L) die beiden Anliegen des Berliner Streiks (Entlastung, TVöD-Angleichung) in ihre Forderungen für die diesbezüglichen Länderbeschäftigten (Uni-, psychiatrische Landeskliniken und deren Tochterunternehmen) aufnimmt.
Auch die Beschäftigten bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Berlin und in den an die große, private Klinikkette Asklepios verscherbelten ehemaligen 3 Brandenburger Psychiatrieeinrichtungen kämpfen für Angleichung an den TVöD und müssen in der anstehenden Tarifauseinandersetzung mit an Bord genommen werden. Schließlich darf es bei Charité, Vivantes, der VSG sowie der VSG-Sparte Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und beim Labor Berlin nur zu einem gemeinsamen Abschluss kommen, der keinen Betriebsteil im Regen dastehen lässt. Dieser soll per Landesgesetz auf die von Platzecks Schlichterspruch enttäuschten und betrogenen CFM-KollegInnen, die schließlich einen mehrjährigen, beispielhaften Kampf für ein besseres Ergebnis geführt hatten, übertragen werden.
All das wird uns eine Vermittlung durch Platzeck oder sonst jemanden nicht bringen. Nein zur Schlichtung!