Arbeiter:innenmacht

Zurück in die 2000er: Berlin vor dem nächsten Kahlschlag

Oda Lux, Neue Internationale 288, Dezember 2024 / Januar 2025

Drei Milliarden Euro müssen eingespart werden – das verkündete die Berliner Landesregierung unter Führung Kai Wegners (CDU) im November. Ganze 10 Prozent des gesamten Haushalts werden damit ersatzlos gestrichen. Gespart werden die drei Milliarden Euro natürlich bei sozialen Einrichtungen, Schulen und Universitäten, im Bereich Verkehr und … Erste Proteste zogen bereits vor das Rote Rathaus. Doch wir brauchen eine geeinte und starke Bewegung gegen die Sparmaßnahmen!

Ein kurzer Überblick

Während die Senatsverwaltungen Justiz, Arbeit und Soziales, Finanzen sowie Inneres und Sport von Einsparungen um die zwei bis vier Prozent betroffen sind, wird woanders der Rotstift kräftiger angesetzt. Allein aus dem Budget der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr und Umwelt sollen rund 660 Millionen Euro gekürzt werden. Das sind rund 18,5 % des Etats – der größte Einzelposten bei den Einsparungen. Danach folgt die Senatsverwaltung Jugend und Familie. Dieser werden „nur“ 7 % gekürzt – die Einsparungen belaufen sich jedoch auf stolze 369 Millionen Euro, gefolgt von den Senatsverwaltungen Wissenschaft, Gesundheit und Pflege sowie der Stadt, die beide über 200 Millionen Euro verlieren. Bezeichnend bei den geplanten Sparmaßnahmen ist also, dass die Bereiche wie Inneres und Justiz nur geringfügig weniger Geld bekommen, während den meisten anderen im großen Stil Zuwendungen gestrichen werden. Man kann sagen: Diese Politik hat System und der Rotstift, den der Senat verordnet hat, trifft in erster Linie, diejenigen, die jetzt schon wenig Geld haben.

„Arm, aber sexy“: Dit is Berlin!?

Dieses berühmte Zitat des ehemaligen Berliner Bürgermeisters Wowereit (SPD) sollte in den 2000ern von den verheerenden Auswirkungen ablenken, während die Stadt ausblutete. Das Image der „armen Hauptstadt“ hat sich seitdem gehalten. Doch der Sparkurs des Berliner Senats hat damit wenig zu tun. Vielmehr ist er Ergebnis einer schwächelnden deutschen Gesamtwirtschaft, die sich auch in Berlin widerspiegelt. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Geld etwa für das Sondervermögen der Bundeswehr da ist. Ebenso werden die Profite der Bosse mal wieder nicht angegriffen, wie wir an den Massenentlassungen bei VW sehen. Das Geld muss dort eingetrieben werden, wo es liegt – von Wannsee bis zum Müggelsee und hoch nach Prenzlauer Berg. Es ist lediglich der Unwillen der bürgerlichen Parteien, Menschen ihrem Reichtum angemessen zu besteuern und die Produktion zu enteignen. Stattdessen holt man das Geld lieber bei den Armen. Doch was droht uns eigentlich genau?

Damit die Armen noch ärmer werden …

Seit Jahren wird mehr sozialer Wohnraum versprochen. Anstatt umzuwidmen, zu enteignen oder zu bauen fällt dem Senat nichts Besseres ein, als 170 Millionen weniger für die Wohnraumförderung auszugeben. Für viele von uns bedeutet das, dass die Mieten weiter steigen werden, weil die Konkurrenz größer wird. Am Ende dieses Prozesses warten Wegzug oder Obdachlosigkeit. Das besonders Tolle: Ob Krankenwohnungen für Wohnungslose oder Ambulanz am Berliner Bahnhof Zoo – auch die sind ebenfalls von anteilig größeren Kürzungen betroffen. Wenigstens könnte man dann noch mobil sein in der schönen Hauptstadt, möchte man meinen – aber nein. Das ohnehin „zu teure“ 29-Euro-Ticket soll wieder abgeschafft werden. Wer kein Auto besitzt, hat das Nachsehen, denn es wird im Gegenzug nicht mehr in den ÖPNV investiert, Fahrradwege werden auch auf Eis gelegt.
Auch die Berliner Kulturszene ist geschockt von dem Ausmaß der Kürzungen, die auf sie zukommen. Man könnte meinen, die Streichung des eintrittsfreien Museumssonntags sei zu verkraften, doch auch hier wird sichtbar, wen die Kürzungen in erster Linie treffen: die Arbeiter:innenklasse. Denn es sind nicht Kinder von Professor:innen oder Bosse, die sich den Eintritt in immer teurer werdende Museen, Theater oder Konzertsäle nicht mehr leisten können. Es sind Arbeiter:innen, denen der Zugang verwehrt wird. Auch ist der Ärzt:innen- oder Lehrer:innenmangel vor allem in ärmeren Bezirken groß, während es andernorts einen Überschuss gibt. Die Arbeiter:innenklasse ist daher dauerhaft unterversorgt, denn die Reichen können sich private Gesundheitsversorgung oder teure Privatschulen leisten. Insgesamt ist also durch die Sparmaßnahmen eine Kultur des Elitären und Autoritären in der Mache.

Selbst die bereits komplett überlasteten und unterfinanzierten Krankenhäuser sind ins Visier der Schwarzen-0-Jünger:innen geraten. So soll die Charité 2.485.800 Euro einsparen. Ver.di appelliert daher in einer Pressemeldung vom 18.11.: „Bei Charité und Vivantes sind CDU und SPD in der Pflicht, die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen und die Tarifflucht durch Outsourcing zu beenden.“ Ob sie das tun, ist fraglich. Denn bereits die schlechte gesamtdeutsche Wirtschaftslage wird bei den laufenden Tarifverhandlungen genutzt, um den Kampf um mehr Lohn im Keim zu ersticken. Die Antwort darauf liegt auf der Hand: Streik!

Sparmaßnahmen auch bei demokratischen Rechten

Doch so einfach wird das nicht werden. Es sind nicht nur Kürzungen, die uns bevorstehen, sondern auch ein Abbau demokratischer Rechte. Im September wurde den Kita-Beschäftigten Berlins untersagt, ihr Recht auf Streik im Rahmen von Tarifauseinandersetzungen auszuüben. Ein Streikverbot ist eine neue Stufe und geht einher mit anderen autoritären Entwicklungen der letzten Monate, die uns aufhorchen lassen sollten wie beispielsweise die Wiedereinführung der Zwangsexmatrikulation, die rassistischer und klassenfeindlicher Sparpolitik gleichermaßen nützt. Dort wo eigentlich Gewaltenteilung herrschte, wird es immer offensichtlicher, wie politische Interessen des Senats die Gerichtsurteile beherrschen. Das sehen wir nicht nur beim Streikverbot, sondern auch an den Prozessen gegen die Palästinasolidarität an Hochschulen.

Perspektiven auf #unkürzbar

Unter dem Titel #unkürzbar haben GEW, AWO und andere Akteur:innen wie der Paritätische zu Kundgebungen aufgerufen. Etwa 1.500 Menschen zogen daraufhin zum Abgeordnetenhaus. Schneller Protest ist gut, aber um die Kürzungen erfolgreich zurückzuschlagen, braucht es eine großflächige Mobilisierung von Kitas, Krankenhäusern, Schulen, Unis, die die gesamte Stadt in Bewegung setzen! Denn Erfolg kann es nur geben, wenn man die Kämpfe der betroffenen Bereiche zusammenführt und sich hinter einem Aktionsproramm vereint. Die Gewerkschaften müssen nun Stärke zeigen und sich gemäß ihrer Aufgabe, der Verteidigung der Arbeiter:innenklasse, verhalten. Hierbei müssen Differenzen zwischen ver.di und GEW, die in der Vergangenheit Kämpfe geschwächt haben, beigelegt werden. Wir sagen daher: Wir sind nicht unzufrieden. Wir haben keine Angst. Wir sind wütend. Und das müssen wir am 11.12. um 16:30 Uhr vor dem Roten Rathaus zeigen.

Mit Programm auf die Straße:  Betriebe, Schulen, Unis und Theater!

Wir müssen uns gegen diesen massiven Angriff organisieren, denn er hat direkte Auswirkungen vom ersten bis zum letzten Atemzug. Innerhalb unserer Klasse werden es besonders migrantisierte, von Rassismus Betroffene, aber auch andere diskriminierte Gruppen wie Frauen und Queers sein, die die Kürzungen als Erste und am härtesten treffen. Es sind soziale Projekte, aber auch Freiräume in der Kultur, die Orte, die Betroffenen von Sexismus, Rassismus, Antisemitismus oder zum Empowerment in der Vergangenheit einen zeitweiligen Zufluchtsort gewährt haben. Schon allein deswegen müssen all diese Orte verteidigt werden und nicht weiter verschlossen oder der Bourgeoisie überlassen, sondern geöffnet und demokratisiert werden!

Der Verteilungskampf, den die Berliner Regierungsparteien losgetreten haben, ist Öl ins Feuer beim aktuellen Rechtsruck. Wenn wir erfolgreich dagegen vorgehen wollen, brauchen wir nicht nur breite Mobilisierungen sowie Streiks als Antwort, sondern müssen den Kampf auch bundesweit ausweiten – gegen Schuldenbremse und die kommende Regierung. Denn vor allem mit der CDU als stärkster Kraft können wir auch hier mit dem sozialen Kahlschlag rechnen. Jetzt ist der Moment gekommen, um eine linke, antikapitalistische und internationalistische Perspektive zu kämpfen. Dabei muss für uns als Revolutionär:innen klar sein, dass es nicht nur darum geht, die Kürzungen abzulehnen, sondern auch für konkrete Verbesserungen für die Arbeiter:innenklasse insgesamt einzutreten – finanziert durch die Besteuerung und Enteignung der Reichen!

Wir fordern:

  • Kampf den Kürzungen: Gemeinsam auf die Straße – für ein großes Aktionsbündnis und flächendeckende Mobilisierungen der Gewerkschaften!
    Lasst uns im Betrieb, an Schule und Uni Streikkomitees aufbauen!
  • Wir zahlen ihre Krise nicht: Für die sofortige Wiedereinführung der Vermögensteuer! 115 Mrd. Euro jährlich durch progressive Besteuerung!
  • Hauptstadtzulage statt Einsparungen, massive Investionen in soziale Infrastruktur statt 100 Mrd. für den deutschen Kriegskurs!

Keine Bildung für die Massen?

Seit Jahren ächzen Schul- und Unigebäude in Berlin unter dem Sanierungsstau, sodass uns nicht nur wortwörtlich die Decke auf den Kopf fällt. Wer wissen will, wie es sich anfühlt, wenn das passiert, kann das hier nachlesen: https://arbeiterinnenmacht.de/2024/09/30/uns-faellt-die-decke-auf-den-kopf-wie-die-tu-berlin-kaputtgespart-wurde/. Die TU Berlin ist dabei kein Einzelfall. Zahlreichen Fachgebieten droht heute schon das Aus aufgrund der Gebäudesituation und fehlender Investitionen. Dem Studierendenwerk soll die Hälfte der Gelder gestrichen werden. Weitere Einsparungen gefährden das Berliner Wissenschaftssystem. Mittel- und langfristig hat dies auch Auswirkungen auf andere Bereiche, denn an den Universitäten wird nicht nur an Lösungen für die Klimakatastrophe, Heilung von Krankheiten oder etwa zur politischen Einschätzung Chinas oder Russlands geforscht, sondern auch Lehrer:innen, Ärzt:innen, Sozialarbeiter:innen und viele andere Berufe ausgebildet, die zentral für das Funktionieren der Gesellschaft sind.

Doch das allein reicht nicht, um die 370 Millionen im Bildungsbereich – die zweithöchste Kürzung –  reinzubekommen. Diese sollen vor allem bspw. beim Lohn der Angestellten und Wohl der Schüler:innen eingespart werden. So schreibt der rbb am 17. 11, dass diskutiert wird, den beitragsfreien Hort, kostenloses Essen an Grundschulen sowie Lernmittelfreiheit zu streichen. Das wird ergänzt von Streichungen bei der freien Jugendhilfe. Hier wird stark gekürzt, dafür ist „kein Geld vorhanden“. Sozialarbeiter:innen verlieren ihre Jobs, aber auch Anlaufstellen und Beratungsstellen stehen vor dem Aus. Das ist ein Skandal!

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