Yorick F., Infomail 1270, 3. Dezember 2024
Nach über einem Jahr Diskussion hinter verschlossenen Türen hat die Ampelregierung gemeinsam mit der CDU-Fraktion die Resolution „Nie wieder ist jetzt – jüdisches Leben in Deutschland schützen bewahren und stärken“ dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt. Sie wurde am 7.11. verabschiedet. Dafür stimmten SPD, FDP, Grüne, Union und AfD. Die Linkspartei enthielt sich, nur das BSW stimmte geschlossen dagegen. So richtig und notwendig eine Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in der BRD in der Tat wäre, so wenig kommt diese diesem Ziel nach. Vielmehr ist sie Teil eines weiteren autoritären Staatsumbaus und der von der Ampel proklamierten „Zeitenwende“, nach außen wie, in diesem Fall vorrangig, nach innen.
Die Resolution startet mit einigen Bemerkungen, wie wichtig die Bekämpfung von Antisemitismus und wie dankbar die Unterzeichnenden in der BRD dafür seien. Ebenso wird konstatiert, dass Antisemitismus insbesondere nach dem 7.Oktober 2023 massiv angestiegen sei. Dies sei Ergebnis des Anwachsens rechtsextremer Kräfte, aber vor allem durch „Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens, in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, auch aufgrund islamistischer und antiisraelischer staatlicher Indoktrination, verbreitet sind.“ Diese altbekannte rassistische Mär vom „importierten Antisemitismus“ zieht sich durch die gesamte Resolution. Zwar wird einige Absätze später beteuert, dass Antisemitismus in allen Teilen der Gesellschaft vorkommen würde, praktische Konsequenzen folgen daraus jedoch nicht. Stattdessen: erneutes Zementieren der Staatsräson durch Formulierungen wie „Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“ Dies führt in Kombination mit dem ebenfalls umstrittenen „3D-Test“ (Israel dämonisieren, delegitimieren, doppelte Standards anlegen) dazu, dass diese Definition de facto mehr dazu verwendet wird, jegliche Form der Kritik an Israel und den Aktionen seiner Regierung, Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf sowie Antizionismus unterschiedslos mit tatsächlichem Antisemitismus gleichzusetzen.
Die Resolution – obwohl nicht rechtlich bindend – wird dennoch politische Konsequenzen nach sich ziehen. So heißt es: „[Zum von der Resolution proklamierten Kampf gg. Antisemitismus] gehört es unter anderem, Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen.“ Schon in der Vergangeheit wurde die IHRA-Antisemitismusdefinition zu der Legitimation der Repression gegen Palästinaproteste, dem Verbot von Demonstrationen und nicht zuletzt auch von Samidoun, dem palästinensischen Gefangenensolidaritätsnetzwerk, herangezogen. Die Bereiche, in denen sich dies besonders auswirkt: Straf- sowie Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht. Schon jetzt zeigen die massiven Wellen an Repressalien gegenüber der Palästinasolidaritätsbewegung, Entlassungen und Hausdurchsuchungen, wie die Staatsräson waltet. Nun werden Abschiebungen, Aberkennung von Staatsbürger:innenschaften und die Zustimmung zum Existenzrecht Israels, um die deutsche Staatsbürger:innenschaft zu erlangen, möglich gemacht. Auch in Kultur und Kunst soll sichergestellt werden, dass der Staat keine antisemitischen Personen oder Projekte unterstützt wird, insbesondere Verbindungen von Künstler:innen mit BDS. Diverse Künstler:innen und Kultureinrichtungen kritisieren dies zu Recht als einen nicht erst seit dem 7. Oktober bestehenden Maulkorb für israelkritische Stimmen. Und bezüglich palästinasolidarischer Proteste an diversen Unis wird betont, dass auch hier repressive Mittel ausgeschöpft werden sollen: vom Hausrecht über Mittelkürzungen bis zur Exmatrikulation, als sei das nicht bereits gang und gäbe. Dies soll auch im Bereich der Studiencurricula und Lehrstuhlbesetzung gelten.
Zusammengefasst kann gesagt werden: Grundrechte wie Meinungs-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit werden durch die Bundestagsresolution massiv eingeschränkt. Dies ist auch vom Standpunkt vieler bürgerlicher Jurist:innen aus enorm fragwürdig, da damit praktisch grundlegende demokratische Rechte weiter ausgehöhlt werden. Besonders perfide ist dabei, dass versucht wird, Jüd:innen in Deutschland für einen weiteren autoritären Staatsumbau und eine immer weiter verstärkte rassistische Abschottungs- und Abschiebepolitik zu instrumentalisieren und zu unterstellen, dies läge in ihrem Interesse.
Insgesamt erfüllt die Resolution ihre selbstgestellte Aufgabe ganz explizit nicht: jüdisches Leben in seiner Vielfalt anzuerkennen. Jüd:innen werden in der Resolution von der BRD vor ihren Karren gespannt und dabei auch zu einer völlig anonymen, homogenen Masse erklärt. Jene, die sich an palästinasolidarischen Protesten beteiligen, antizionistisch positionieren oder eine linke Kritik am Staat Israels haben, werden ignoriert, besonders unliebsame Stimmen zum Schweigen gebracht und selbst mit Repressionen überzogen. Jüdisches Leben ist in Deutschland also nur willkommen, wenn es in das Narrativ der Staatsräson passt. Das kritisiert auch die „Jüdische Stimme“ in ihrem Reaktionsstatement vom 6.11.
Wie wenig es um Antisemitismusbekämpfung und wie viel stattdessen um rassistische Hetze geht, zeigt sich auch daran, dass die antisemitische Gewalt vor 5 Jahren in Halle mit nicht einer Silbe erwähnt wird, aber dafür in ganzen Absätzen zu Antizionismus konkrete Beispiele wie BDS und palästinasolidarische Demos in Berlin genannt werden. Die Resolution erfüllt also nicht nur die Funktion, Abschiebungen, Abschottung, rassistische Polizeirepression und Waffenlieferungen für den Genozid in Gaza zu legitimieren. Sie tut dies eben, indem sie von tatsächlichem deutschen Antisemitismus abzulenken versucht. Dies ist der BRD seit Staatsgründung schon immer ein wichtiges Anliegen gewesen: Antisemit:innen waren bzw. sind immer die anderen, weil man doch durch besonderen Beistand für Israel seine Läuterung vom Antisemitismus gezeigt habe.
Nicht nur Gruppen und Personen aus der radikalen Linken erhoben gegen die Resolution das Wort: Als Reaktion auf das Bekanntwerden der Inhalte im Entwurf der Unterzeichner:innen regte sich auch im bürgerlich-intellektuellen Lager Unmut. Am 23.10. wurde in der FAZ ein Gegenvorschlag von diversen Jurist:innen und Soziolog:innen veröffentlicht. Dieser, explizit als Sammlung von „Formulierungsvorschläge[n]“ bezeichnete Text, ist zwar durchaus das kleinere Übel, aber doch nicht grundverschieden vom Original. Dieser Vorschlag wurde auch von der Linkspartei dem Bundestag vorgelegt. Dies zeugt nicht zuletzt auch von einer enormen Schwäche der PdL, sich konsequent antiimperialistisch und antirassistisch zu positionieren.
Auch er schafft es nicht, zwischen Antizionismus und Antisemitismus glaubhaft zu differenzieren. Darüber hinaus verkennt er, vor welchem gesellschaftspolitischen Hintergrund eine solche Resolution geschrieben wird und damit, dass das Problem an der Bundestagsresolution nicht in erster Linie darin liegt, dass sie dem Kampf gegen Antisemitismus nicht gerecht wird, sondern dieser gar kein Anliegen der unterzeichnenden Parteien ist und lediglich vorgeschoben wird, um eine rassistische Politik im Interesse des deutschen Imperialismus zu legitimieren. Eben hierfür ließe auch bei all seiner Vagheit der alternative Textvorschlag, wenn auch nicht ganz so rabiat, verwenden.
Die Resolution verdeutlicht besonders: Beim Kampf gegen Antisemitismus kann man sich nicht auf den Staat verlassen! Mehr noch: Dieser muss hier explizit gegen ihn und besonders seine Staatsräson geführt werden, welche den Antisemitismusbegriff missbraucht und damit nicht nur massiv verwässert, sondern auch vom tatsächlichen Antisemitismus, welcher im Zuge des Rechtsruck Fahrt aufnimmt, ablenkt.
Dieser stellt für Jüd:innen eine reale Gefahr dar und muss, wie alle Unterdrückungsformen, von Revolutionär:innen mit aller Härte und Entschlossenheit bekämpft und in Deutschland vor allem gegen den Rechtsruck aller Parteien wie auch das Erstarken faschistischer Kräfte geführt werden. Auch die sogenannte Mitte der Gesellschaft lässt sich zunehmend rassistisch mobilisieren. Diese richtet sich in der Konsequenz gewaltsam sowohl gegen Muslim:innen als auch vermehrt gegen Jüd:innen und jüdische Einrichtungen und Gedenkorte, wie erst kürzlich das Entfernen von Stolpersteinen in Halle in der Nacht vor dem 09.11. zeigt, derselben Stadt, in welcher sich 5 Jahre zuvor der antisemitische Anschlag auf eine Synagoge ereignete.
Antisemitismus ebenso wie den allgemeinen Rechtsruck können wir nur nachhaltig bekämpfen, indem wir diesen den Boden entziehen: Wir brauchen eine bundesweit gut vernetzte und lokal verankerte Bündnisstruktur aus allen Linken und Organisationen der Arbeiter:innenklasse. Unabhängig von inhaltlichen Differenzen muss eine solche Einheitsfront gemeinsam und massenhaft Widerstand auf allen Ebenen organisieren, auch durch militante Selbstverteidigungsstrukturen. Auf den Staat und seine Behörden, wie Polizei oder Verfassungsschutz, ist dabei kein Verlass. Im Gegenteil, diese sind selbst von faschistischen Netzwerken durchzogen, welche u. a. die Tat in Halle in internen Chatgruppen feierten.
Wir fordern:
Bundestagsresolution:
https://dserver.bundestag.de/btd/20/136/2013627.pdf
Alternativ Resolution FAZ:
Jüdische Stimme für gerechten Frieden zur Resolution