Arbeiter:innenmacht

Uns fällt die Decke auf den Kopf: Wie die TU Berlin kaputtgespart wurde

Mangan2002 (sv.wikipedia.org), CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

Wilhelm Schulz, Infomail 1265, 30. September 2024

Ende November finden an der Technischen Universität Berlin (TU) die Personalratswahlen statt. Auch die ver.di-Betriebsgruppe wird dazu antreten. Es zeigt sich deutlich, dass sie den Kampf um den Haushalt ins Zentrum der Auseinandersetzung stellen muss. Grund genug, sich die Situation an der zweitgrößten Berliner Universität als Lern- und Arbeitsplatz anzuschauen. Denn unter der Fassade platzt es hier aus allen Nähten. Schätzungen zufolge ist etwa ein Drittel des Betriebes aufgrund der baulichen Situation gefährdet, sollte es keine massive Erhöhung der finanziellen Mittel geben.

Kürzungen der investiven Mittel

Der aktuelle Trend geht aber genau in die andere Richtung. Im Land Berlin und generell im Bundesgebiet stehen massive Kürzungen der öffentlichen Haushalte an. Allein in der letzten Septemberwoche mussten zwei Bezirke (Neukölln und Pankow) Investitionsstopps verhängen, weil die Kassen leer sind – Kürzungen, die auch die Hochschulen treffen werden. Doch beispielsweise die TU ist schon heute kaputtgespart. Natürlich ist das nicht die einzige Baustelle an der Universität im akademischen „Exzellenzcluster“ der Berlin University Alliance. Schließlich handelt es sich ja um eine Elite-Uni, die auf Platz 154 im internationalen Hochschulranking steht und damit auf Platz 8 in Deutschland.

Die kommunalen Zeitungen berichten schon seit etwas mehr als einem Jahr über die verschiedenen alarmierenden Bekanntmachungen aus der TU. Im Juni 2023 meldete sich das TU-Präsidium selbst zu Wort. Auch wenn in den letzten Monaten eher die offenen Briefe von Hochschulbeschäftigten zu den Solidaritätsprotesten mit Palästina auf dem Campus Bekanntheit erlangten, so ist der meist unterzeichnete Brief an der TU sicherlich der zur Gebäudesituation. Dieser wurde vom Präsidium der Universität verfasst und richtet sich an den regierenden Senat. Etwa 2.000 TU-Mitglieder unterzeichneten das Schreiben. Darin bitten sie um Investitionen, um den Lehr- und Forschungsbetrieb aufrechterhalten zu können.

Was ist passiert?

Über kaum ein Gebäude kann gesagt werden, dass es sich in einem guten Zustand befindet. Im April 2023 entstand im Mathe-Gebäude nach der scheinbar mutwilligen Verstopfung von Abwasserleitungen bei aufgedrehten Wasserhähnen eine Überschwemmung. Nach anfänglicher Teilschließung musste das Gebäude zwischen Juni und Oktober völlig geschlossen werden. Grund dafür war der Ausfall der Brandmeldeanlage und der Gebäudenotbeleuchtung. Allein durch diese Sperrung gingen sieben Hörsäle, viele Seminar- und Büroräume, eine Bibliothek, ein PC-Pool, Labors und insgesamt 2.700 Plätze für Studierende verloren. Auch im Chemie-Gebäude kam es Mitte Juni 2023 zu einer Havarie nach einem Wasserrohrbruch. 19 Räume mussten gesperrt werden. Im HFT-Gebäude kam Ende Juni 2024 wahrhaftig die Decke herunter und zerstörte den Raum völlig; nur 30 Minuten zuvor wurde ein Seminar im Raum beendet.

Die beiden Umspannwerke der Uni sind alt und es droht permanent ein Stromausfall, der beide Seiten des Campus (Nord und Süd, geteilt durch die Straße des 17. Juni) beträfe. Die Sanierungspläne der Gebäude HF und TK wurden durch das Land abgelehnt. Das Physik-Gebäude ist in einem derartig schlechten Zustand, dass absehbar ist, dass es geschlossen werden muss, bevor ein Ersatz gebaut werden kann.

Seit Mitte April 2024 ist das Telefunken-Hochhaus auf unbestimmte Zeit geschlossen. Hier entstand ein Wasserschaden, der gravierende Beeinträchtigungen an der Bausubstanz hinterließ und die Erneuerung der Löschanlage im gesamten Gebäude erzwingt. Nachdem im 14. Stock ein Wasserrohrbruch stattgefunden hatte, wurden vier darunterliegende Stockwerke überschwemmt. Die Bibliothek des Zentrums für Antisemitismusforschung, eine Cafeteria, Verwaltungseinheiten, große Teile der Fakultät IV (Elektrotechnik und Informatik) müssen neu untergebracht werden. Das sind Büros und Arbeitsräume auf 20 Stockwerken. Auch der Gebäudekomplex Seestraße am TU-Campus im Wedding ist seit bereits zwei Jahren geschlossen, der Standort soll aufgegeben werden.

Allein die durch den Sanierungsstau erzeugten Kosten der dringend notwendigen Maßnahmen belaufen sich auf 2,4 Milliarden Euro. Dabei hat die TU einen Flächenbedarf, der über die bestehenden Kapazitäten hinausgeht. Um diesen zu kompensieren, werden aktuell die personalbezogenen Flächenkapazitäten reduziert – anders gesagt: Es wird verdichtet.

Unterschiedliche Institute haben bereits Räume „zurückgegeben“ oder diskutieren über etwaige Maßnahmen. Über der Uni schwebt seit längerer Zeit das Damoklesschwert eines sogenannten Shared-Desk-Systems, bei dem sich Kolleg:innen Arbeitsplätze im Schichtsystem teilen sollen. Eine Entwicklung, die tendenziell die Homeofficearbeit anteilig steigern wird, somit die Vereinzelung der Kolleg:innen fördert und Kosten auf sie ablädt.

Doch der Senat kürzt nicht nur die Mittel, er streicht auch die haushälterischen Rücklagen. Mitte Juli wurde bekanntgegeben, dass er an allen Hochschulen des Landes Einsparungen vornimmt. Für die TU Berlin sind das jährlich 10 Millionen Euro, zusätzlich wurden Rücklagen in Höhe von 30 Millionen Euro gestrichen, die für eigene Bauvorhaben und Gebäudekäufe genutzt werden sollten, um sie mittelfristig weniger zur Mieterin der genutzten Gebäude verkommen zu lassen.

Perspektive

Die Frage des Haushalts ist natürlich keine auf die TU Berlin beschränkte, sondern wirft grundsätzlich die Frage auf, wer und in wessen Interesse die Kontrolle darüber ausübt. Unmittelbar ist es die Schuldenbremse, die hier als Hindernis erscheint. Wobei wir als Marxist:innen sagen müssen, dass auch Schulden wesentlich auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung abgetragen werden und deshalb nicht nur die Aufhebung der Schuldenbremse, sondern vor allem die Forderung nach progressiver Besteuerung von Reichen und Konzernen erhoben werden muss. Die Frage der Ausfinanzierung, von Neueinstellungen zu tariflichen Bedingungen und der Kontrolle baulicher Maßnahmen durch die Beschäftigten muss ins Zentrum gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen gestellt werden, was an den lebendigen Problemen der Kolleg:innen ansetzt. Denn sie und die Studierenden wissen am besten, welche Räume in welchem Zustand sind.

Die ver.di-Liste bei der Personalratswahl muss die Auseinandersetzung daher als eine politische behandeln. Das heißt, offen damit anzutreten, keinem Kürzungsplan zuzustimmen und den betrieblichen Frieden herauszufordern, solange die Kolleg:innen unter Bedingungen arbeiten müssen, bei denen ihnen im wahrsten Sinne des Wortes jeden Moment die Decke auf den Kopf zu fallen droht.

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