Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 289, Februar 2025
Am 19.12. wurde der Kürzungshaushalt im Abgeordnetenhaus verabschiedet. Rund 3 Milliarden Euro Einsparungen wurden von einer Mehrheit aus CDU sowie SPD durchgewinkt – gegen Stimmen von Grünen, Linken und AfD. Die Konsequenzen sind klar: Von den Kürzungen werden vor allem jene getroffen, die eh schon arm sind: Bildung und Soziales (Erhöhung des Sozialticketpreises für den ÖPNV, Verteuerung des Semestertickets, Wegfall des freien Eintritts an Berliner Museumssonntagen, Streichungen von Stellen bei freien Trägern, im Wissenschaftsbetrieb und … (Siehe dazu: https://arbeiterinnenmacht.de/2024/12/13/gegenwehr-organisieren-kuerzungen-verhindern-aber-wie/ und https://arbeiterinnenmacht.de/2024/12/04/zurueck-in-die-2000er-berlin-vor-dem-naechsten-kahlschlag/). Was können wir aus dem Berliner Kürzungshaushalt lernen? Diese Lehren sind für den Rest Deutschlands wichtig.
Perfide ist vor allem die Argumentation für die Kürzungen. So ließ Finanzsenator Stefan Evers (CDU) verlauten, Berlin lebe über seine Verhältnisse, teils wegen Inflation und Tarifsteigerung, vor allem aber wegen der Misswirtschaft der vorherigen rot-rot-grünen Koalition. Unter ihr ist der Haushalt auf 40 Milliarden Euro angewachsen, 2016 waren es noch rund 26 Milliarden Euro. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner sagte am 19.12.: „Aber die wirtschaftliche Lage in Berlin, Deutschland und der Welt lässt ein Weiter so nicht zu.“
Das sollte aufhorchen lassen. Denn während gleichzeitig von Misswirtschaft gesprochen wird, um überwiegend Sozialleistungen und Kultur wegzustreichen, wird ausgeklammert, dass es 1 Milliarden nicht eingetriebene Steuerrückstände gibt. Ebenso liegt die Grunderwerbsteuer niedriger als in Brandenburg. Die Abgeordnetendiäten betragen 7.249 Euro plus steuerpflichtige Kostenpauschale von 3.184 Euro obendrauf – pro Monat.
Im Falle des Berliner Haushalts wäre also Geld theoretisch da. Die Kürzungen bilden aber einen politischen Angriff auf die (kleinen) Errungenschaften der R2G-Koalitionen und stimmen darauf ein, was uns im Bundesgebiet mit neuer Regierung erwartet. Das Motto lautet: Die fetten Jahre sind vorbei. Dass das in Realität für viele von uns lange der Fall ist, bleibt dabei zweitrangig. Genauer trifft die Formulierung: Sie sind für die Herrschenden vorbei und jetzt, wo ihre Profite sinken, wird angefangen, noch mehr zu knausern. Das, was jetzt passiert, ist also nur der Anfang, zeigt aber auf, dass es Zugeständnisse nicht so einfach geben wird. Wenn wir Kürzungen abwehren wollen, brauchen wir also eine hohe Kampfkraft.
Schon Mitte September gab es erste Anzeichen für den Kürzungshaushalt. In gewissen Bereichen wie beispielsweise der Familienberatung sprach sich der Senat für einen Einstellungsstopp aus. Die erste Berichterstattung erfolgte Anfang Oktober über 3sat, das informierte, dass der Kulturbereich zitterte und am 19. September die großen Bühnen Berlins einen offenen Brief verfassten. Auf der Straße erfolgte aber erst wesentlich später Protest. Erste kleine Aktionen gab es Ende November, im Dezember folgten größere. Nennenswerten Protest organisierte das Bündnis „Wir sind #unkürzbar – Ein Berlin für Alle!“ Es beteiligten sich vor allem viele Engagierte aus dem Kulturbereich und gemeinsam wurden 6.000 auf die Straße gebracht. Angesichts der kurzen Zeit ein Erfolg, aber unzureichend. um die Kürzungen abzuwenden. Mit dabei waren die GEW Berlin sowie, besser vertreten, die ver.di-Strukturen Netzwerk freie Träger und Betriebsgruppe Kulturräume. Die gewerkschaftlichen Strukturen mobilisierten bewusster an anderer Stelle. Einmal zu einer kleineren Kundgebung vor dem Roten Rathaus sowie mehrere Tausend zusammen mit den Berliner Hochschulen am Tag der Kürzungen selber. Dies wirft zwangläufig die Frage auf:
Von Anfang an wurde der Protest gespalten. So wurde beispielsweise mit den großen Bühnen verhandelt, während kleinere Projekte dem Kürzungswahn überlassen wurden. Ebenso zeigte sich der Senat bei manchen Bereichen verhandlungswillig. So mussten die Zentral- und Landesbibliothek letzten Endes „nur“ 1,6 statt 4 Millionen sparen. Die Hoffnung dass „der eigene Bereich“ besser wegkommt, wenn man nur genügend Lobbyarbeit machen würde, hilft aber dem Protest gegen das Gesamtpaket nicht. Denn immer wieder wurden Zahlen hin- und hergeschoben, das Resultat bleibt aber an vielen Stellen das Gleiche: Kultur, Bildung und Gesundheit mussten deutliche Abstriche machen, Preiserhöhungen und Einschränkungen alle Bereiche.
Auf der Straße hat man sich ein bisschen gefragt, wo denn all die Menschen sind – und vor allem: die Parteien. Dass die SPD als Kraft in der Koalition und Umsetzerin des Kürzungshaushalt nicht mobilisiert, ist klar. Aber Grüne und Linkspartei waren, wenn überhaupt, nur im Hintergrund sichtbar. Es wirkte so, dass man sich lieber auf das Großereignis der Wahl vorbereitet, als einen Kampf zu führen, den man eventuell verliert.
Ähnliches hier: auf der Endkundgebung am 19.12. blieben die Worte der Berliner GEW-Vorsitzenden in den Ohren klingen, man könne nur „hoffen, dass es für den Haushalt nächstes Jahr dann anders aussieht“. Hoffen, dass der CDU-geführte Senat aufhört, an der sozialen Infrastruktur zu sparen, kann man in der Kirche tun. Das ist dann genauso effektiv wie die gewerkschaftliche Mobilisierung gegen die Kürzungen. Information der Berliner Mitgliedschaft? Zentrale Versammlungen in Betrieben? Gab es nur auf Druck und in Bereichen, die besonders getroffen wurden. Doch diese sind häufig auch jene, die am schlechtesten organisiert sind: Kulturbereich, Mitarbeitende bei den freien Trägern und in der Wissenschaft.
Das als als Chance zu betrachten, dort einen Fuß in die Tür zu bekommen, wurde kaum ausgeschöpft. Hätte man breiter mobilisiert und kampfkräftigere Bereiche wie die BSR (Berliner Stadtreinigung) mit ins Boot geholt, wäre irgendwann die Frage des Streiks gegen die Kürzungen aufgekommen. Doch das wollte die Bürokratie vermeiden und so gibt es nun am 22. Februar nochmal eine Demonstration (usw. usf.?), aber das alleinig gibt jenen keine Antwort, deren Arbeitsbelastung aufgrund der Kürzungen steigt und holt auch keinen der gestrichenen Jobs zurück. Die Frage stellt sich also:
In Berlin wurde der Kürzungshaushalt nun durchgewunken, aber er wird nicht der letzte sein. Er zeigt, was uns in den nächsten Monaten nach der Bundestagswahl bevorsteht und deswegen müssen wir uns in Stellung bringen:
Es besteht die Gefahr, dass in jedem Bundesland vereinzelt Kürzungshaushalte beschlossen werden – und obendrauf von der neuen Bundesregierung. Statt also in jedem Bundesland vereinzelt die gleichen Erfahrungen zu machen, braucht es ein bundesweites Aktionsbündnis, was vor Ort lokale Proteste organisiert, aber eben auch zentrale Mobilisierungen und Aktionen plant. Denn das was kommen wird, sind keine „individuellen“ Probleme einzelner Bundesländer, sondern ein politischer Angriff, der uns alle treffen wird!
Das heißt auch, dass nicht nur die Bereiche, die weggekürzt werden sollen, mobilisieren, sondern wir eine breite, gesamtgesellschaftliche Bewegung aufbauen müssen. Wenn neben den sozialen Trägern, Kultureinrichtungen und Universitäten Bereiche streiken, die mehr wirtschaftlichen Druck aufbauen, ist unsere Kampfkraft größer – und die werden wir brauchen! Das bedeutet auch, dass wir uns dagegen einsetzen müssen, dass „für unsere eigene Stelle“ verhandelt wird, während dann kleinere Projekte und Stellen darunter leiden. Deswegen brauchen wir Materialien wie Flyer, um auf Kolleg:innen, aber auch Besucher:innen und Nutzer:innen (Studierende, Jugendliche der Einrichtungen der Jugendhilfe, Eltern) zuzugehen und diese in den Kampf einzubeziehen, der auch in ihrem Interesse geführt wird. Doch stellt sich die Frage, wie man am besten dagegen kämpft.
Wenn GEW, ver.di, IG BAU und IG Metall gemeinsam zu Aktionen mobilisieren, dann müssen sie auch gemeinsam Veranstaltungen an Unis und Betrieben organisieren und gemeinsame Strategien besprechen und verfolgen. Uneinigkeit und die Weigerung, die Aktionen der jeweils anderen Gewerkschaft zu unterstützen, wie zuletzt beim TV-L, spielt jenen, die kürzen, in die Hände. Dabei ist auch essentiell, in Bereiche, wo es noch keine starke gewerkschaftliche Organisierung gibt, vorzudringen. Das heißt, dass wir Schulungen und Material brauchen, die Fragen beantworten wie: Wie kämpfe ich gegen Kürzungen an meinem Arbeitsplatz, meiner Schule, meiner Uni? Wie sprechen wir mehr Kolleg:innen an? Wie komme ich zu einer Betriebsversammlung?
Es gibt Unwillen und Ängste, überhaupt stark zu mobilisieren oder gar zu streiken. Deswegen müssen wir uns auch politisch organisieren, um in den Gewerkschaften effektiv Druck auszuüben und die Frage des Streiks auf die Tagesordnung zu setzen – gegen die Idee der Sozialpartner:innenschaft und des „Wirtschaftsstandorts Deutschlands“. Demonstrationen und Veranstaltungen werden nicht ausreichen. Das zeigt uns das Berliner Beispiel. Wenn wir unsere Arbeitsplätze jedoch verteidigen wollen, dann müssen wir zum Mittel des Streiks greifen. Dafür ist es nötig, die künstliche Trennung von wirtschaftlichen und politischen Forderungen zu durchbrechen. Wenn der Topf, aus dem meine Stelle bezahlt wird, beispielsweise vom Abgeordnetenhaus beschlossen wird, dann ist die Forderung eine wirtschaftliche, eine tarifliche und damit eine legitime, für die gestreikt werden kann. Gleichzeitig weist jede ökonomische Forderung im sozialen, im Bildungsbereich, aber auch in der Frage der Arbeitszeit einen politischen Bezugspunkt auf. Die Finanzierung des Staatshaushaltes und die Frage, wer welche Steuern zahlt, ist schließlich auch eine politische. Deshalb ist die Vorstellung, es sei nicht legitim, gegen die Einschränkung von Streiks streiken zu dürfen, geradezu absurd! Natürlich darf nicht nur gestreikt werden – es muss!
Es geht nicht nur um die Frage, ob es richtig oder falsch ist, dass Streiks sich ausschließlich auf tarifliche Forderungen beschränken müssen. Es kann sich nicht nur darum drehen, ob Gerichte diese Streiks billigen oder nicht. Die Gerichte verbieten bereits unsere Streiks, obwohl sie „nur“ tariflich sind, wie wir am Kitabeispiel sehen konnten. Solche Entscheidungen werden häufiger, während gleichzeitig der Druck von den öffentlichen und privaten Arbeit„geber“:innen zunehmen wird. Wir müssen dies durchbrechen, wenn wir solche Einschränkungen verhindern wollen.
Wenn wir nicht wollen, dass mehr und mehr weggekürzt wird, müssen wir a) nicht nur gegen die Kürzungen, sondern auch für konkrete Verbesserungen eintreten wie einen höheren Mindestlohn, kürzere Arbeitszeit oder Erhöhung des Personalschlüssels; b) konkret aufzeigen, wer dafür zahlen soll: die Reichen und Unternehmer:innen; und c) sehr deutlich machen, dass wir uns gegen jegliche Form der rassistischen Spaltung, jeden Ausbau der staatlichen Überwachung und Repression und jede Militarisierung stellen.
Denn es sind weder Migrant:innen noch Bürgergeldempfänger:innen und Kolleg:innen mit zu vielen Krankentagen das Problem, sondern der Kapitalismus, genauer gesagt, das Schwächeln des deutschen Imperialismus im Zuge der internationalen Konkurrenz. Der Kampf gegen die Kürzungen bringt unmittelbar die Frage auf den Tisch: Was soll staatlich finanziert werden, in welcher Höhe und zu welchem Zweck? Und vor allem: Wer soll dafür bezahlen? Es ist an uns Revolutionär:innen, dafür einzustehen, dass eine Bewegung zustande kommt und in dieser dafür zu agitieren, dass wir nicht nur „umfairteilen“, sondern gleich das System, was die Kürzungen hervorbringt, beseitigen!