Arbeiter:innenmacht

Linkspartei-Vorstoß zur Vermögensabgabe: Wer zahlt die Corona-Kosten?

Wilhelm Schulz, Infomail 1125, 11. November 2020

Die Pandemie zieht sich sichtbar in die Länge. Auch wenn seit einigen Tagen ermutigende Testergebnisse bei der Entwicklung eines Impfstoffes vorliegen, so deuten eine rasante Zunahme der Fallzahlen im letzten Monat, der laufende Lockdown und eine Reihe von Mutationen des Virus darauf hin, dass wir wohl noch einige Zeit mit dessen Gefahren leben müssen. Eventuell könnte es sich um ein künftig zyklisch wiederkehrendes Phänomen handeln, welches ähnlich der Grippe mit Schutzimpfung in jährlich neuer Zusammensetzung bekämpft werden muss.

Während die Bedeutung auf die unmittelbaren Gefahren und Konsequenzen der gesundheitlichen Krise gelegt wird, fragen sich Millionen Menschen mit wachsender Sorge: Wer zahlt die Kosten von Pandemie und Krise? Nach Monaten des parlamentarischen Tiefschlafes und der faktischen Unterstützung der Regierungspolitik erhebt die Partei DIE LINKE die Forderung nach einer Vermögensabgabe für die Reichen und Superreichen, um die Schulden zu bedienen, die die Bundesrepublik zur Abfederung der Pandemie- und Krisenkosten aufgenommen hat oder plant aufzunehmen.

Das stellt einen Schritt in die richtige Richtung dar. Wir begrüßen diese Initiative. Aber es darf nicht nur bei einem parlamentarischen Vorschlag bleiben. Im Bundestag findet sich beim besten Willen keine Mehrheit für eine Vermögensabgabe. Diese kann nur durch Druck von außen erzwungen werden. Es braucht den organisierten Kampf auf der Straße, in Betrieben und Gewerkschaften, um diese Forderung durchzusetzen.

Worum geht’s?

Laut Handelsblatt vom 4. November nimmt der Bund im laufenden Jahr bereits 218 Milliarden und im kommenden Jahr weitere 96 Milliarden Euro an neuen Schulden auf. Zugleich soll ab dem Jahr 2022 die sogenannte Schuldenbremse wieder greifen, was massive Sparpakete im Anschluss an die kommende Bundestagswahl vermuten lässt. Dass die Schuldenbremse erst nach dieser wieder greifen soll, zeigt, dass die Regierung sich nicht vorher aufs politische Glatteis begeben will.

Hier bieten sich die üblichen fiskalpolitischen Maßnahmen an: entweder die Einnahmen zu erhöhen oder die Ausgaben zu verringern. DIE LINKE wirft diese Frage, wenn auch erst Monate nach Beginn der Pandemie, auf und stellt sie in Zusammenhang mit der sozialen Krisee, indem sie die Reichsten der Bevölkerung zur Kasse bitten möchte.

Der Vorstoß basiert auf einer von der Partei DIE LINKE (PdL) in Auftrag gegebenen Studie, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung unter Federführung des Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi erstellt hat. Das 63-seitige Papier wurde Anfang November dem ARD-Hauptstadtstudio vorgelegt und wird sehr öffentlich diskutiert.

Konkret soll die Abgabe alle Privatpersonen mit einem Nettovermögen von über 2 Millionen Euro und alle Unternehmen, deren Vermögen 5 Millionen Euro übersteigt, treffen. Demnach soll eine Sondervermögensabgabe verabschiedet werden, welche ausschließlich diese reichsten 0,7 % der Bevölkerung zahlen sollen – etwa 580.000 Personen. Jeder Cent über den Freibetrag von 2 bzw. 5 Millionen hinaus soll besteuert werden. Die Linkspartei schlägt außerdem eine Progression für die Abgabe vor, die mit 10 % des Nettovermögens beginnt und bis zu einem Betrag von 100 Millionen Euro auf maximal 30 % ansteigen soll. Als Stichtag gilt hierfür der 1. Januar 2020. Die Abzahlung soll über 20 Jahre hinweg geschehen. Die Abgabe in der Höhe von 10 bis 30 Prozent wird also über diese Zeitspanne anteilig erhoben, beträgt also jährlich selbst für die mit dem größten Vermögen nicht mehr als knapp 1,5 %.

Den Prognosen der DIW nach könnte dies etwa 15,5 Milliarden zusätzlicher jährlicher Steuereinnahmen bedeuten, über 20 Jahre hinweg etwa 310 Milliarden Euro. Die Summe umfasst also die bisherigen und bislang geplanten (!) Kosten der Pandemie in Deutschland. Dazu muss angemerkt werden, dass die aktuellen Wirtschaftsprognosen der Regierung davon ausgehen, dass eine zweite Welle der Pandemie samt Lockdown vermieden werden kann. Auf ein klares bürgerliches Krisenmanagement und Planung kann aber aktuell kein Vertrauen gelegt werden. Die Abgabe erinnert etwas an die Lastenausgleiche nach dem 2. Weltkrieg. Hierbei wurde 1952 im Westen ein Fonds eingeführt. Für diesen wurden bis 1972 insgesamt 42 Mrd. D-Mark erhoben.

Zwar bewegt sich der Vorschlag der Linkspartei auf der Ebene der Vermögensverteilung und nicht auf der Ebene des Eigentums, selbst Grundlage einer ungleichen Vermögensverteilung, spricht aber damit einen richtigen Punkt an. Die Pandemie wirkt auf uns nämlich nicht gleich. Während viele mit Arbeitslosigkeit, Verlust ihrer letzten Ersparnisse, KurzarbeiterInnengeld, Schließungen zu kämpfen haben, haben die Reichsten hierzulande und international ordentlich Schotter aus der Krise angehäuft. Dass allein die von der Linkspartei vorgeschlagene Vermögensabgabe über 310 Milliarden Euro in die Staatskassen spülen könnte, verdeutlicht, wie reich die Reichen mittlerweile sind, welche riesigen Vermögen sie angesammelt haben – und dies ohne auch nur einen Cent des Werts des Kapitalstocks der kapitalistischen Unternehmen einzurechnen!

Und die Reaktionen?

Reagiert wird im Parlament und in der Presse entweder recht verhalten oder ablehnend bis zur Hysterie. SPD und Grüne geben sich verhalten positiv, somit passiv. So sagt der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im Gespräch mit der ARD, dass er die Idee grundsätzlich vorstellbar finde, jedoch erst nach der Krise diese Frage stellen wolle. Das sozialdemokratische Motto läuft auf Vertröstung hinaus: Während der Krise sind Maßnahmen im Interesse der Masse verfrüht. Nach der Krise wird es wohl heißen, dass es zu spät dafür sei und die Wirtschaft zuerst wachsen müsse.

CDU/CSU, FDP und AfD lehnen eine Vermögensabgabe kategorisch ab. Für die offen bürgerlichen Parteien aller Art kommt jede Reform ungelegen, die im Interesse der Lohnabhängigen und in diesem Fall sogar der sonst gern beschworenen Selbstständigen liegt. Die CSU-Finanzpolitik macht sich in der FAZ für ihre Klasse stark, die jetzt Kohle und Hilfe von ihrem Staat und keine Steuern bräuchte: „Die Unternehmen brauchen gerade in der jetzigen Krise eine Stärkung ihrer Liquidität und nicht einen linken kleptomanischen Steuerstaat.“ Wer die vermeintlichen LeistungsträgerInnen auch nur zu einer Abgabe zwingen will, der macht sich der Hetze schuldig: „Es ist der alte Versuch der Linken, mit der Hetze auf Superreiche auf Stimmenfang zu gehen.“

In trauter Eintracht mit den Unionsparteien und der FDP lehnt auch die AfD jede Vermögensabgabe ab. Die Reichen sollten schließlich nicht auch noch für „unnütze“ Corona-Schutzmaßnahmen zahlen müssen.

Parallel dazu labern die MärchenerzählerInnen vom IfO Institut für Wirtschaftsforschung ihren üblichen Nonsens und warnen vor Kapitalflucht und den hart getroffenen kleinen Immobilienbesitzenden. Neben dem TaschenspielerInnentrick, auf jene zu verweisen, die am unteren Rand der Maßnahmen stehen und sicherlich nicht unter den Freibetrag zu fallen drohen, ist anzumerken, dass v. a. die Immobilienbranche trotz zeitweiliger Einfrierung der Mietzahlungen keine finanziellen Rückschläge in der Pandemie erleiden musste.

In der sogenannten Zivilgesellschaft erleben wir mit der Forderung Herbert Grönemeyers nach einer freiwilligen Abgabe durch Reiche von einigen hunderttausend Euro pro Person zwar, dass sie lauter wird, aber dessen Programm noch handzahmer ist.

Was brauchen wir?

Trotz der wichtigen und richtigen Initiative der PdL muss gesagt werden, dass wir keine Hoffnung in den Bundestag und sein Mitleid mit den Unterdrückten und Ausgebeuteten dieses Landes haben dürfen. Die Regierungen in Bund und Ländern versuchen vielmehr, den Forderungen der Unternehmen nach bestem Wissen und Gewissen nachzukommen. Die Fabriktore und Schulen sollen solange wie möglich offen halten, um später als andere Staaten die Produktion ihrer nationalen Bourgeoisie stoppen zu müssen, während gleichzeitig die mögliche Maximalarbeitszeit im Krankenhaus erhöht wird. Die Niederlage in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes zeigt andererseits die Schwachstellen der Gewerkschaften, die sich ebenfalls im sozialpartnerschaftlichen KompromisslerInnentum gefangen sehen und kein Programm des Widerstandes gegen drohende Entlassungswellen anbieten.

Klassenkämpferische Kräfte in und außerhalb der Linkspartei dürfen den aktuellen Vorstoß nicht bloß abnicken oder nur darauf verweisen, dass er an sich das Problem nicht bei seiner Wurzel packt. Eine solche rein kommentierende Haltung führt nicht weiter. Sie müssen vielmehr diese Forderung mit praktischen Vorschlägen verbinden, die die Aktivitäten rund um den Aufbau einer breiten klassenkämpferischen Antikrisenbewegung konzentrieren. Was wir brauchen, sind Aktionskonferenzen der antikapitalistischen Linken, GewerkschafterInnen, sozialen Bewegungen und von reformistischen Parteien wie der PdL oder auch der SPD-AnhängerInnen für eine solche Vermögensabgabe. Bloßen Vorschlägen oder Lippenbekenntnissen müssen Taten folgen. Die Linkspartei und alle anderen, die die Reichen zur Kasse zwingen wollen, müssen in die politische Verantwortung genommen werden. Der Vorstoß der Linken kann und sollte mit dem Slogan „Wir zahlen nicht für Pandemie und Krise“ verbunden werden. Die Initiative kann eine Grundlage für eine gemeinsame koordinierte Aktion auf der Straße und in den Betrieben darstellen.

Als Gruppe ArbeiterInnenmacht haben wir unser Corona-Aktionsprogramm aktualisiert, mit dem wir inhaltlich für den Aufbau einer Antikrisenbewegung kämpfen wollen. Wir sind uns bewusst, dass wir – wie alle anderen kleinen linken Gruppierungen – nicht über die Durchsetzungskraft verfügen, solch eine Initiative alleine zu tragen. Aber ein Zusammenschluss der bestehenden Kräfte, die eine Antikrisenbewegung aufbauen wollen, zu einer gemeinsamen Initiative könnte ein erster Schritt zum Aufbau einer breiten Einheitsfront sein, die auch die Massenorganisationen der Klasse umfassen und zum Handeln zwingen könnte und müsste. Daher müssen DIE LINKE und ihr Vorstoß in dieser Stunde beim Wort genommen und darum herum Taten gefordert werden. So können wir einen Schritt tun, wie wir die Krise positiv auflösen und die Klasse in die Offensive bringen!

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