Alex Zora, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1125, 10. November 2020
Am 2. November, dem letzten Tag vor der Einführung nächtlicher Ausgangsbeschränkungen, hat sich in Wien der erste größere Terroranschlag seit Jahrzehnten ereignet. Ein Anhänger des sogenannten Islamischen Staats (IS) hat am Abend im ersten Bezirk, in der Gegend des Schwedenplatzes, vier Menschen ermordet, viele weitere verletzt und die Stadt in Angst und Schrecken versetzt. Darüber hinaus hat er wieder einmal den reaktionären Charakter des Dschihadismus offenbart, der eine kulturelle und religiöse Spaltung provoziert und in dieser Nacht unschuldige ArbeiterInnen getroffen hat.
Wie mittlerweile bekannt, handelt es sich bei dem 20-jährigen Angreifer, der von der Polizei erschossen wurde, um einen in Österreich aufgewachsenen Jugendlichen. Kein „importierter Terrorist“, wie es spätestens seit der sogenannten Flüchtlingskrise von den Medien und den rechten Parteien immer geheißen hatte. Er hatte sowohl die österreichische als auch die mazedonische StaatsbürgerInnenschaft. Die Tatsache, dass der Täter in Österreich aufgewachsen ist und die österreichische StaatsbürgerInnenschaft besitzt, scheint den meisten etablierten Parteien sauer aufzustoßen. Jetzt sollen Menschen, die sich terroristischen Vereinigungen anschließen, zu „AusländerInnen“ gemacht werden, indem ihnen die österreichische StaatsbürgerInnenschaft entzogen wird. Diese Forderung stellt in der jetzigen Situation die SPÖ auf – eine Forderung, die letztes Jahr noch von der FPÖ kam, und von der Sozialdemokratie damals abgelehnt wurde.
Die genauen Hintergründe der Tat sind noch nicht gänzlich aufgeklärt. Es wirkt so, als ob sich der Anschlag in Wien in eine Reihe von anderen Attacken international einreihen würde. Was alle diese gemein hatten, war, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zentral vom Islamischen Staat geplant und durchgeführt wurden wie noch die Terroranschläge vor einigen Jahren (Charlie Hebdo, Bataclan, LKW-Amokfahrt in Nizza etc.), was in erster Linie daran liegen dürfte, dass der Islamische Staat seine Machtbasis in Syrien und dem Irak verloren hat.
Die Reaktionen auf das Attentat in Wien waren sehr gemischt. Auf der einen Seite gab es den zu erwartenden antimuslimischen Rassismus von Seiten der FPÖ. Auch die Identitäre Bewegung bzw. ihre Tarnorganisation versuchte, die Tat für sich zu nutzen, und veranstaltete am 5. November einen Miniaufmarsch, der aber von aktiven AntifaschistInnen teilweise blockiert und verzögert werden konnte.
Die Regierung versuchte hingegen, eine Stimmung der nationalen Einheit und des nationalen Zusammenhalts zu beschwören. Während wir gegen jegliche Spaltung der Gesellschaft nach Religion oder Herkunft auftreten, kann es für uns keine Einheit mit dem Kapital und seiner Regierung geben, die die kapitalistische Ausbeutung und die imperialistische Abhängigkeit aufrechterhält und täglich für den Tod von Menschen im Mittelmeer verantwortlich ist. Insbesondere im Zuge des verheerenden (Nicht-)Managements der Coronavirus-Pandemie und der kürzlich verschärften Beschränkungen kam ihr der Anschlag vermutlich durchaus gelegen, um von ihrem Versagen abzulenken. Gleichzeitig ist wahrscheinlich, dass von Seiten der Regierung, insbesondere von Innenminister Nehammer, die Situation genutzt wird, um weitere Eingriffe in demokratische Freiheiten umzusetzen. Von Seiten der EU wurde kürzlich schon angekündigt, dass in Zukunft verschlüsselte Kommunikation verunmöglicht werden soll, indem Plattformanbieter wie WhatsApp, Signal oder Telegram dazu gezwungen werden sollen, sogenannte Generalschlüssel zur Verfügung zu stellen, die den Zugang zu verschlüsselter Kommunikation für die Geheimdienste sicherstellen sollen. In Österreich wird auch wieder über Sicherungshaft gesprochen, die ursprünglich geplant war, um „gefährliche Asylsuchende“ ohne besonderen Grund wegzusperren – also Freiheitsentzug ohne Tatverdacht. Dies scheiterte bis jetzt, da sich ein Widerspruch zur Verfassung ergab, wo das Recht auf persönliche Freiheit einen relativ hohen Rang genießt.
Als linke Kräfte müssen wir uns entschieden gegen beide dieser Vorschläge stellen. Abgesehen davon, dass zweifelhaft ist, ob diese Maßnahmen wirklich zum stärkeren Verhindern von Anschlägen führen, fallen sie negativ auf alle zurück, die Opposition gegen dieses System zeigen wollen – also auch auf uns.
Neben diesen reaktionären Gesetzesvorschlägen gab es aber in Wien auch eine Welle der Solidarität, des Antirassismus und der positiven Hervorhebung von migrantischen bzw. muslimischen HelferInnen von Verwundeten. Diese klare Positionierung weiter Teile der Bevölkerung, die genau nicht die Mehrheit der MuslimInnen in Wien und in Österreich mit der Tat identifizieren, ist wichtig und richtig. Denn nicht nur ist es einfach falsch, MuslimInnen mit Terror zu identifizieren, es ist eben auch genau der Wunsch des IS, durch seine Terroranschläge den Rassismus gegenüber MuslimInnen zu verstärken, um leichter AnhängerInnen zu rekrutieren.
Schon kurze Zeit nach dem Anschlag musste die Story der Regierung und insbesondere von Innenminister Nehammer, dass die Behörden so brillant agiert hätten und der Angreifer das Deradikalisierungsprogramm perfide getäuscht hätte, in Zweifel gezogen werden. Doch dazu noch kurz die Vorgeschichte. Der IS-Sympathisant hatte 2018 versucht, über die Türkei nach Syrien einzureisen, wurde aber von ersterer verhaftet und nach Österreich zurückgestellt. In Österreich wurde er wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen und terroristischen Organisation zu 22 Monaten Haft verurteilt. Er wurde Ende 2019 aus der Haft entlassen. Die Rufe, die jetzt laut werden und meinen, dass die frühzeitige Haftentlassung der zentrale Fehler gewesen wäre, verkennen dabei, dass er auch ohne diese im Juli diesen Jahres regulär entlassen worden wäre.
Sehr bald nach dem Anschlag wurde dann bekannt, dass die Slowakei Österreich im Oktober gewarnt hatte, dass der Täter dort Munition kaufen wollte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) hatte aber mit diesen Informationen offensichtlich nichts veranlasst und auch die zuständigen Personen aus dem Deradikalisierungsprogramm sowie die Justiz nicht informiert. Zusätzlich dazu gab es auch schon im Juli eine Warnung an das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) von deutschen Behörden, die meldeten, dass der Wiener IS-Anhänger von amtsbekannten deutschen KollegInnen besucht worden wäre. Von Innenminister Nehammer wird das ganze auf Kommunikationsprobleme zurückgeführt. Die genauen Hintergründe dafür sind noch nicht bekannt.
Die Antwort auf den Terror in Wien kann aber nicht ein allmächtiger Repressionsapparat des kapitalistischen Staates sein, der sich letztlich auch gegen die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung richten wird. Die Antworten müssen lauten: antirassistischer Klassenkampf, internationale Solidarität und Antiimperialismus!