Arbeiter:innenmacht

Die Regierung hat einen Plan – und die Gewerkschaften?

Helga Müller, Neue Internationale 291, Mai 2025

Deutschland rüstet auf im Kampf um die Neuaufteilung der Welt und die deutschen Gewerkschaften haben nichts anderes zu sagen, als dass sie das sog. Infrastrukturprogramm schon immer gefordert hätten. Deutschland an der Spitze der EU müsse eben aufrüsten, um sich verteidigen zu können, damit Letzter nicht im Kampf um die Vormacht zwischen den drei großen Weltmächten USA, China und Russland zerrieben würde.

Kein Wort, um was es dabei geht: Deutschland als neben Frankreich führende Macht in Europa ist – spätestens seit seiner Positionierung gegen Russland – in der Konkurrenz ökonomisch, militärisch und auch politisch zurückgefallen. Es muss sich beeilen, im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu bestehen, um tatsächlich gegenüber den zwei großen Blöcken nicht noch weiter ins Hintertreffen zu geraten.

Noch deutlicher können die deutschen Gewerkschaftsspitzen ihre servile Unterordnung unter die Politik der Regierung und ihre Durchsetzung der deutschen Kapitalinteressen nicht zur Schau stellen! Mit ihrer Politik der Sozialpartner:innenschaft und Einwilligung in den nationalen Konsens helfen sie letztendlich dem deutschen Kapital, seine Interessen gegen die Millionen von Lohnabhängigen, Arbeitslosen, Rentner:innen, Jugendlichen, Asylbewerber:innen und Migrant:innen durchzusetzen!

Schon im Ersten Weltkrieg haben sich die Gewerkschaftsführungen unter Carl Legien als gute Garantinnen zur Durchsetzung von Kapitalinteressen innerhalb der Arbeiter:innenbewegung erwiesen – durch Streikverzicht und Teilnahme an der Zentralarbeitsgemeinschaft mit den Unternehmensverbänden, ebenso sinnhaft wie kurz als Burgfriedenspolitik bezeichnet! Eine Politik, die sich bis heute durchzieht – auch heute dienen sie dem deutschen Imperialismus genauso wie 1914 als Transmissionsriemen in die Arbeiter:innenbewegung hinein, um diese politisch schachmattzustellen und hilflos dem deutschen Imperialismus auszuliefern!

Ver.di

Schon die Überschrift in der Kurzbewertung von ver.di zum Koalitionspapier von CDU/CSU und SPD „Wichtige Fortschritte und deutliche Versäumnisse“ macht deutlich, dass die ver.di-Spitze das Koalitionspapier nicht als Programm des Generalangriffs auf die Errungenschaften der Arbeiter:innenklasse versteht oder verstehen will.

Auch wenn die SPD einige kleine soziale kosmetische „Verbesserungen“, faktisch nicht mehr als Placebos zur Ruhigstellung der eigenen, schwindenden Basis in der Arbeiter:innenklasse, in den Koalitionsvertrag einschreiben ließ, so dient dieser dazu, Deutschland an der Spitze der EU wirtschaftlich und auch militärisch auf Weltebene konkurrenzfähig zu machen. Genau über diesen Hebel sollen die Gewerkschaften in die Regierung der „nationalen Einheit“ eingebunden werden, und genau diese Aufgabe erledigt auch die Stellungnahme von ver.di.

Selbst bei ihren Kritikpunkten wie der Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf bis zu 48 Stunden, bei der Abschaffung des Bürgergelds und der Wiedereinführung von scharfen Sanktionen bei der Grundsicherung – wie zu Hartz-IV-Zeiten – oder bei der sehr dezenten Kritik an der Abschaffung des Rechts auf Asyl und der Abweisung von Geflüchteten an den Ländergrenzen pocht ver.di lediglich darauf, in den einzurichtenden Kommissionen als gleichberechtigte Sozialpartnerin anerkannt zu werden, anstatt auf die Mobilmachung und Vorbereitung der Kolleg:innen, auf einen Kampf dagegen zu setzen.

Hinzu kommt, dass selbst diese „Kritik“ unglaubwürdig ist. So hat ver.di z. B. in Bezug auf die Wochenarbeitszeit vor kurzem deren „freiwillige“ Verlängerung auf 42 Stunden in einem so wichtigen und großen Bereich wie dem öffentlichen Dienst ohne Tarifkampf zugelassen. Außerdem öffnet ihr Festhalten an der jahrzehntelang eingeübten Sozialpartner:innenschaft in Zeiten, in denen das Kapital nicht mehr willens und auch nicht mehr fähig ist, größere Zugeständnisse zu gewähren, Tür und Tor für Angriffe auf die politischen und sozialen Errungenschaften der Arbeiter:innenklasse. Und genau das will die neue Regierung Merz, und in dieser Situation entwaffnet die Bürokratie die Arbeiter:innenklasse politisch.

Einmal indem sie nicht die Dimension des Koalitionspapiers nennt: Nach zwei Jahren der wirtschaftlichen Rezession soll die deutsche Wirtschaft wieder konkurrenzfähig gemacht werden, indem man die Unternehmen noch weiter steuerlich u. a. bei Abschreibungen entlastet. Deutschland soll als neben Frankreich führende politische Kraft der EU auch militärisch endlich fit gemacht werden, um gegen die USA und China/Russland im Kampf um Ressourcen, Absatzmärkte und Billiglohnländer bestehen zu können und um nicht noch weiter hinter diese zurückzufallen. Und das kann man schon als einen Wechsel der deutschen und europäischen politischen Ausrichtung sehen. Hier geht es darum, ob der deutsche Imperialismus im Wettkampf mit den existierenden Blöcken bestehen kann oder nicht, was durchaus zu einem globalen Krieg führen kann.

Dies alles ist nur möglich, wenn der deutsche Imperialismus in der Lage ist, sein Krisenprogramm der deutschen Arbeiter:innenklasse aufzubürden und ihr eine entscheidende Niederlage beizubringen.

Dagegen wäre es nötig, dass die Gewerkschaften die Kolleg:innen politisch auf einen Verteidigungskampf vorbereiten. Damit wäre es auch möglich, nicht nur denen im Betrieb, sondern auch den Arbeitslosen, Rentner:innen, Jugendlichen und Migrant:innen eine politische Perspektive aufzuzeigen, wer für die Krise verantwortlich ist und wie dagegen gekämpft werden kann.

Dies wäre auch der beste Schutz gegen einen scheinbar unaufhaltsamen Rutsch nach rechts – gerade auch unter den Gewerkschaftsmitgliedern, über den die Gewerkschaftsverantwortlichen auch immer wieder lamentieren! Aber ohne Kampf wird auch diesem Trend nicht entgegengewirkt werden! Aber durch die Verharmlosung und Negierung der neuen Dimension des Koalitionsvertrags entwaffnet man auch die Arbeiter:innenklasse politisch und hilft dem deutschen Kapital in seinen Expansionsplänen!

Revolutionäre Aufgabe

Die Aufgabe von Revolutionär:innen, aber auch von aktiven Kolleg:innen, die diesen Kapitulationskurs der Bürokratie vor Regierung und deutschem Imperialismus nicht mitmachen wollen, muss darin liegen, erst mal in den Betrieben, in Diskussion mit anderen Kolleg:innen, aber auch in Gewerkschaftsgremien aufzuzeigen, um was es heute geht und wie dieser Regierungskurs einzuschätzen ist. Wir alle wissen indes, dass dies – aufgrund der immensen Medienpropaganda und entsprechender Umfrageergebnisse zur Frage der Aufrüstung – nicht gerade leicht ist. Immerhin konnten mit einer solchen Vorgehensweise die Kampagne „Soziales rauf – Rüstung runter“ von ver.di-Kolleg:innen, solchen anderer Gewerkschaften, aus der Friedensbewegung und anderen Initiativen und eine von ihr angeführte Demonstration in der bayrischen Metropole unter diesem Motto letztes Jahr im ver.di-Bezirk München durchgesetzt werden. Diese Kolleg:innen haben sich seitdem regelmäßig getroffen und verschiedene Initiativen in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes und jetzt zum 1. Mai ergriffen.

Auch die vom 2. bis 4. Mai stattfindende Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin unter dem Motto „Gegenmacht im Gegenwind“ muss dazu genutzt werden. Über 2.000 Kolleg:innen haben sich dazu angemeldet. Im Grunde müsste der Generalangriff der neuen Regierung im Zentrum dieser stehen. Auf der Konferenz soll viel von Rechtsrutsch und Kürzungen die Rede sein, aber sehr wenig darüber, um was es heute geht und in welchem Zusammenhang damit die Aufrüstung steht. Hier muss auch klargemacht werden, dass es sich nicht wie üblicherweise auf diesen Konferenzen darum dreht, beispielhaft aufzuzeigen, wo und wie der Kampf gegen Kürzungen, Umstrukturierungen und Entlassungen mehr oder weniger erfolgreich geführt wurde, sondern dass es notwendig ist, um wirklich erfolgreich gegen die Angriffe abzuschneiden, über Branchen und Örtlichkeiten hinweg einen bundesweit sichtbaren Pol aufzubauen, der aktiv gegen die Unterordnungspolitik der Gewerkschaftsbürokratie kämpft, und wie dies praktisch umgesetzt werden kann.

Auch Kolleg:innen aus der Partei Die Linke, die sowohl Gewerkschaftsmitglieder sind als auch in diesen Positionen – ehren- wie auch hauptamtlich – innehaben, müssen in die Verantwortung für den Aufbau einer solchen Kraft gezogen und von ihnen muss ein Bruch mit der Politik der Sozialpartner:innenschaft verlangt werden. Eine Flankendeckung der Politik der Bürokratie von links – wie sie leider viel zu oft von Kolleg:innen der Linkspartei in verantwortlichen Gewerkschaftspositionen betrieben wird – verhindert, eine solche Kraft aufzubauen.

Hier könnte auch ein Anfang gesetzt werden, einen praktischen Kampf und einen Widerstand gegen die kommenden Angriffe der neuen Regierung Merz auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Masse der Lohnabhängigen und gegen Aufrüstung und zunehmende Militarisierung und den damit einhergehenden staatsautoritären Umbau der Gesellschaft aufzubauen. Dieser ist heute dringender denn je, denn die Attacken werden geritten. Was die Fortführung des sozialpartner:innenschaftlichen Kurses und die Konzentration auf einen rein ökonomischen Kampf – ohne die oben beschriebene Einbindung der gesamtgesellschaftlichen Situation – bedeuten, zeigt das Ergebnis der letzten Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Dieses beinhaltet nicht nur einen weiteren Reallohnverlust für die 2,3 Mio. Kolleg:innen dort, sondern auch den Einstieg in die 42-Stunden-Woche und eine Gesinnungsprüfung für neu übernommene Beschäftigte. Dieser Abschluss stellt eine herbe Niederlage für eine so wichtige Branche und eine weitere Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der zukünftigen Regierung und Durchsetzung der Interessen der großen Konzerne dar.

Dies sollte ein Weckruf für alle aktiven Kolleg:innen in den Gewerkschaften sein, sich gegen den ständigen Ausverkauf unserer Interessen durch die Gewerkschaftsbürokratie zusammenzuschließen und einen sichtbaren Pol in den Gewerkschaften aufzubauen, der sich für einen klassenkämpferischen Kurs und eine klassenkämpferische Ausrichtung einsetzt. Beteiligt Euch daher am Aufbau der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, um die antibürokratischen, klassenkämpferischen, oppositionellen Kräfte zu stärken und eine Alternative zur Führung der reformistischen Bürokratie Wirklichkeit werden zu lassen!

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