Jan Hektik, Neue Internationale 231, September 2018
Die Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) in Bayern ist vielen bekannt und hat ziemliche Aufmerksamkeit erregt. Weniger Menschen wissen, dass dies keine Ausnahme darstellt, sondern im Rahmen einer bundesweiten Entwicklung stattfindet, die ihren Anfang mit der Verschärfung des BKA-Gesetzes im Sommer 2017 nahm.
Die Verschärfungen weisen in den Bundesländern zwar Unterschiede auf, vor allem aber einige Gemeinsamkeiten. Alle laufen auf eine Ausweitung der Überwachungsmöglichkeiten durch die Polizei und das Verlagern auf die möglichen Maßnahmen vor dem Begehen einer Straftat (sogenannte GefährderInnen bzw. die sogenannte drohende Gefahr) hinaus. Alle führen zu einer massiven Aufrüstung, einer regelrechten Militarisierung der Polizei. In einigen Ländern werden Maßnahmen wie Fußfesseln eingeführt, Haftmöglichkeiten und ähnliche freiheitsbeschränkende Maßnahmen insbesondere für „GefährderInnen“, also Personen, die noch gar keine Straftaten begangen haben, ausgeweitet.
Im Einzelnen sollen nun einige Beispiele für diese Verschärfungen angeführt werden. Im Grün-Schwarz regierten Baden-Württemberg etwa wurde schon im November beschlossen, dass die Polizei künftig Software zum Mitlesen verschlüsselter Chats auf den Geräten der Betroffenen installieren, elektronische Fußfesseln als Präventivmaßnahme einsetzen oder in Ausnahmefällen Handgranaten verwenden darf.
Die Befugnisse der bayerischen Polizei wurden bereits umfassend erweitert: Online-Durchsuchungen inklusive Datenveränderung und -löschung, der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware auf Demonstrationen, die erweiterte DNA-Analyse oder das Abfangen von Paketen gehören künftig dazu. Vor allem aber ist mit dem Konstrukt der „drohenden Gefahr“ eine rechtliche Kategorie geschaffen, die der Polizei ermöglicht, künftig auch ohne konkrete Verdachtsmomente aktiv zu werden.
Andere Länder planen ähnliche Verschärfungen. Laut Zeitungsberichten plant das Dresdner Innenministerium außerdem, die Panzerfahrzeuge der Polizei mit Maschinengewehren auszustatten. Zusätzlich sollen, wie in vielen anderen Bundesländern, sogenannte GefährderInnen mit Aufenthalts- und Kontaktverboten und einer Fußfessel belegt werden können, ohne jemals eine Straftat begangen zu haben. Außerdem ist das Abhören und Unterbrechen von Handyverbindungen geplant. Innerhalb eines 30-Kilometer-Korridors entlang der Grenze zu Tschechien und Polen soll es möglich sein, SchwerverbrecherInnen mittels Gesichtserkennung über stationäre Anlagen zu ermitteln. Die Einrichtung stationärer Systeme zur Kennzeichenerfassung ist folglich auch Teil des Entwurfs.
Diese Maßnahmen reihen sich ein in eine bundesweite Tendenz: die automatische Erfassung von Gesichtern, Kennzeichen und sonstigen Identifikationsmerkmalen voranzutreiben, eine Aufrüstung der Polizei (z. B. mit Maschinengewehren) und geheimdienstlichen Mitteln (z. B. Staatstrojaner und andere digitale Überwachungsmaßnahmen) sowie eine Vorverlagerung des Zeitpunktes zum Eingreifen, da für eine Überwachung in vielen Bundesländern keine Straftat mehr notwendige Voraussetzung ist, sondern eine drohende Gefahr oder eine Einschätzung des Opfers der staatlichen Überwachung als GefährderIn ausreicht.
In Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt sowie im Saarland gingen die Gesetzesänderungen bereits durch die Landtage. Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Niedersachsen wollen bald nachziehen. Veränderungen stehen auch in Schleswig-Holstein, Hamburg und Berlin an. Hier sind bislang aber kaum Details bekannt. In Brandenburg ist nur klar, dass das Polizeirecht verschärft werden soll. Bremen und Hessen sind Sonderfälle. In Bremen liegt eine von der SPD geplante Verschärfung nach Intervention der grünen Koalitionspartnerin gerade auf Eis. In Hessen ist zwar keine Polizeigesetz-Novelle geplant, dafür sollen die Befugnisse des Verfassungsschutzes ausgeweitet werden. Thüringen gibt an, sein Gesetz nur „geringfügig anpassen“ zu wollen. Also verschärfen eigentlich alle!
Die Proteste in Bayern und auch in Nordrhein-Westfalen haben zumindest eines gezeigt: Es besteht ein großer Unmut in der Bevölkerung und eine Bereitschaft, gegen die Verschärfungen auf die Straße zu gehen. Doch bisher wurden die Angriffe nur in den einzelnen Ländern bekämpft.
Das ist genau der Holzweg, auf den sie uns führen wollen, indem sie die (im Grunde gleichen) Änderungen in den Bundesländern einzeln und nacheinander durchführen. So besteht die Gefahr, dass der Protest auf die einzelnen Bundesländer und verschiedene Zeiträume beschränkt bleibt.
Wir brauchen eine bundesweite Protestbewegung gegen die Verschärfung aller Polizeigesetze – egal ob ASOG (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz) oder PAG (Polizeiaufgabengesetz) – und die Rücknahme aller bereits erfolgten Verschlechterungen, einschließlich der Verschärfung des BKA-Gesetzes.
Dazu ist zunächst eine Vernetzung der einzelnen Inititiativen und Bündnisse gegen die jeweiligen Gesetze notwendig. Im Berliner Bündnis, welches gegen die Verschärfung des ASOG kämpfen möchte, treten wir deshalb für die Koordinierung, Absprache und gemeinsamen Kampf aller dieser Bestrebungen ein. Dasselbe trifft für unsere GenossInnen in anderen Bundesländern zu.
Außerdem wird es notwendig, die Gewerkschaften und alle Organisationen, die sich auf die arbeitende Klasse stützen, einzubinden und einen gemeinsamen Kampf zu führen. Die Polizeigesetze richten sich schließlich nicht nur gegen Demos und Aktionen auf der Straße, sondern können und werden auch gegen Arbeitskämpfe und Streiks eingesetzt werden.