Arbeiter:innenmacht

Marxistische Filmkritik: die Sissi-Trilogie

Felix Ruga, REVOLUTION, Infomail 1241, 3. Januar 2024

Dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, die Sissi-Trilogie aus den 1950er Jahren, die jedes Jahr im Wohnzimmer meiner Familie zur Weihnachtszeit läuft, mal etwas bewusster zu schauen, und konnte es zunächst kaum verstehen: Wie kann das eigentlich sein, dass gerade dieser Film zu so einem Weihnachtsklassiker geworden ist? Da geht es kein bisschen um Weihnachten! Aber irgendwie fühlt es sich doch stimmig an. Welche Bedürfnisse werden also bedient? Warum gehört der Film zur Weihnachtstradition doch einiger Familien in Deutschland?

Kurzer Überblick

In der Trilogie wird ziemlich frei das junge Leben der Kaiserin Elisabeth von Österreich, genannt Sissi und gespielt von Romy Schneider, nacherzählt. Im Grunde verläuft die Handlung entlang ihrem romantischen Verhältnis zu Kaiser Franz. Sie treffen 1853 zufällig aufeinander, während Sissi noch eine jugendliche Adlige in Bayern ist, und verlieben sich natürlich innerhalb weniger Stunden unsterblich ineinander. Damit beginnen dann die ganzen Konflikte des Films: Was ist mit der bereits arrangierten Ehe von Franz? Hat Sissi als niedere Adelige überhaupt das Zeug dazu, Kaiserin zu werden? Wie gewinnt Sissi das Herz des Wiener Hofs und gerade ihrer herrischen Schwiegermutter? Wie kriegen die beiden die Politik und ihre Liebe unter einen Hut? Kann Sissi die politischen Krisen im großen Kaisertum und Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn mit ihrer Forschheit, Cleverness und ihrem Charme lösen? Und dann wird sie auch noch schwanger! Das alles wird dann verhandelt auf Hofbällen, Ausflügen, dem Schloss oder in den vielen humorvollen bis melodramatischen Dialogen.

Damit hätte man schon den ersten Ansatz, was den Film so passend zu Weihnachten macht: Er ist auf mehreren Ebenen „leicht“. Zum einen wäre da natürlich das Filmische, also dass die Ästhetik kitschig und das Schauspiel übertrieben theatralisch ist, sodass man eigentlich immer sofort versteht, was bei den Charakteren so abgeht. Alle Rollen passen ins Gut-böse-albern-Schema. Zum anderen ist die Stimmung leicht, denn man kann den Film eigentlich gar nicht ernst nehmen. Immer, wenn es mal etwas schwerfälliger werden könnte, trampelt irgendein trotteliger Offizier herein oder der Film schneidet rüber zu den herzlich-komischen Eltern von Sissi. Alles wird getragen von der schnulzigen und reinen Romantik zwischen den Protagonist:innen. Kein Wort über die wahren Verhältnisse in der Ehe zwischen dem Kaiser, der seine damals 16-jährige Cousine heiratete oder Sissis ständiger Flucht vom Hof, Magersucht und „Melancholie“. Und letztendlich sind Sissis Adeligenprobleme für uns moderne Arbeiter:innen doch mehr als fremd und deswegen besonders leicht bekömmlich.

Die guade oide Zeit

So weit, so gewöhnlich. Solche seichte Unterhaltung ist so alt wie das Kino selbst und heute mit etwas anderer Ästhetik immer noch weitverbreitet. Um zu verstehen, was die Sissi-Trilogie für die Deutschen so betörend macht, muss man schauen, unter welchen Vorzeichen diese gedreht wurden. Die 3 Filme kamen 1955, 1956 und 1957 raus und lagen damals voll im Trend, denn da wurde eine Heimatschnulze nach der anderen gedreht. Nach der Befreiung Deutschlands von den Nazis kann man hier die Stimmung ablesen: Zum einen hegten die Deutschen immer noch die ideellen Werte von Heimat, Familie, Autorität und symbiotischer Einigkeit zwischen Volk und Staat, zum anderen wurde man jedoch besiegt, gedemütigt und so manche:r wird mit der eigenen Mitwirkung an den Untaten der Nazis konfrontiert, während ein Großteil gar nicht dran denken will. Heimatschnulzen klemmen sich in diesen Widerspruch besonders gut rein: oberflächlich unpolitisch, unkompliziert und unbeschwert, aber gleichzeitig wird die Romantisierung der ganzen alten Naziwerte betrieben.

Die Sissi-Trilogie hat dieses politische Unpolitisch-Sein gemeistert und das ist sicherlich ein entscheidender Grund, warum sie bis heute so ein großer Erfolg ist. Indem man nämlich in die romantisierte Darstellung einer längst vergangenen Zeit schlüpft, bricht man oberflächlich aus der kapitalistischen Modernität aus. Das wird durch den ganzen Kitsch noch weiter zementiert. Dazu werden antimoderne Wünsche befriedigt: Da wäre zum einen natürlich die fast schon skandalöse Idealisierung des Adels und Verniedlichung seiner Herrschaft. Da in dem Film fast ausschließlich Adelige oder deren unmittelbare Bediensteten auftreten, entsteht der Eindruck einer „Klassenlosigkeit“: kein Wort zu den heftigen Klassenkämpfen und revolutionären Bestrebungen zu dieser Zeit, keine Beachtung des anwachsenden Proletariats, der beraubten Bauern-/Bäuerinnenschaft von ihrem Land, am Rande werden mal die aufsteigenden Nationalbewegungen verhandelt. Vor allem geht es aber um die auf magische Weise wohlhabenden Adligen in ihren prunkvollen Sälen. Das gibt mehr als genug Raum für Eskapismus aus den Mühen des modernen Kapitalismus.

Zum anderen sind da die nationalistischen Gefühle, die dem Film zwar aus allen Poren triefen, aber nicht so plump wie im Nazi-Stil. Denn es geht im Film ja nicht um Deutschland, sondern „nur“ um das Habsburgerreich Österreich-Ungarn, was aber für Deutschnationale eigentlich ja auch nur verlorene Deutsche sind, und zwar genau zu einer Zeit, als dieses noch mächtig und groß war und diverse Länder unterjochen konnte. Dadurch wird die Sehnsucht nach der Zeit bedient, „als wir in der Welt noch wer waren“, ohne es so offensichtlich zu machen, dass man sich damit aktiv auseinandersetzen müsste. Das alles kulminiert in der Schlussszene der Trilogie: Venedig will sich vom Habsburgerreich emanzipieren und protestiert, indem dem Kaiserpaar bei der Ankunft nicht zugejubelt wird. Doch Sissi erwärmt mit ihrem Charme die Herzen der Venezianer:innen und die politische Krise ist abgewehrt. Zur Feier schmettert in voller Länge die deutsche Nationalhymne los. Aber zwinker, zwinker – es ist ja nicht wirklich die bundesdeutsche Nationalhymne, sondern Österreich hatte damals die gleiche Melodie! Ist ja nichts dabei, in Zeiten des geteilten Deutschlands die Nation zu beschwören. Alles nur geschichtliche Sorgfalt, nicht wahr?

Schuldige Unschuld und unschuldige Schuld

Zuletzt sollte man sich noch die ideologische Rolle der namensgebenden Protagonistin Sissi anschauen. Hier kann man die Interpretationen zwischen damals und heute etwas aufteilen. Sissi wird in dem Film als gutherzige, liebenswürdige, volksnahe, jugendlich-unschuldige Frau dargestellt, die zwar eigensinnig, aber doch irgendwie pflichtbewusst in die herrschenden Kreise aufsteigt. Mächtig, beliebt, unschuldig und irgendwie einzigartig in einer fremden Welt. Das ist der ferne deutsche Traum in der Nachkriegszeit und dementsprechend war Sissi damals eine besondere Identifikationsfigur.

Aber auch für das aktuelle Zeitenwende-Deutschland hält Sissi etwas bereit. Überhaupt, als weibliche und starke Protagonistin hat sie etwas Modernes. Sie ist eine Rebellin, aber nicht durch Wut oder Kampfeswillen, sondern weil sie einfach ein gutes Herz hat und ideelle Werte verkörpert und sich nicht an den althergebrachten Machtspielchen beteiligen, aber doch die Weltpolitik mitgestalten will. Eigentlich perfektes Spiegelbild der „wertegeleiteten“ Außenpolitik. Und beide sind doch nur Fassade und im Hintergrund bleibt das Streben nach Ordnung im nationalstaatlichen Interesse.

So lässt sich insgesamt auch erklären, warum der Film so ein Weihnachtsklassiker geworden ist: Er bedient über die historischen Perioden hinweg deutsche Träume, setzt sich dabei aber immer in einen unpolitischen und ungefährlichen Kontext und kann deswegen ganz gedankenlos geguckt werden. Wie immer in den Weihnachtsfilmen werden die guten alten Werte wie Familie, Treue und Nächstenliebe ganz großgeschrieben und das alles wird dann in eine ordentliche Portion Kitsch, Frohsinn und Romantisierung gepackt. Nostalgie dürfte das zentrale Moment des Films sein: Schon in den 1950er Jahren hat er eine nostalgische Vergangenheitsklitterung betrieben, heute ist der Film schon aus der Tradition heraus mit Nostalgie verbunden. Dementsprechend sollte man aber die Ideologie des Films als eine reaktionäre verstehen, denn sie ist rückwärtsgewandt im eigentlichen Sinne, will die modernen Probleme mit der Besinnung auf Altes bewältigen ohne eine kritische Auseinandersetzung mit dessen Konsequenzen. Die Kälte, Konflikte und Widersprüche der kapitalistischen Moderne lassen sich nicht durch solche Beschönigungen lösen, was auch für fast alle weihnachtlichen Vorstellungen gilt. Das kann nur die Überwindung des Kapitalismus schaffen.

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