Kapitel 3, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017
Die aktuelle Krisenperiode ist jedoch nicht nur eine wirtschaftliche. Sie ist eine des Gesamtzusammenhangs des imperialistischen Weltsystems.
Die strukturelle Überakkumulation bildet aber ihre ökonomische Basis. Sie inkludiert auch, dass noch so wohlmeinendes Regierungshandeln, noch so umsichtige Reform den Karren nicht aus dem Dreck ziehen kann. Innerkapitalistisch gesprochen, gibt es für die herrschenden Klassen keinen anderen Ausweg, als die Kosten der Krise auf die Massen abzuwälzen. Damit einher geht auch eine weitere Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, die ökologische Katastrophe. Mit beiden werden wir uns später beschäftigen.
Die Weltwirtschaftskrise und globale Rezession bildete den Ausgangspunkt für eine Krise der gesamten globalen „Ordnung“, wie sie noch in der Globalisierungsphase unter US-Hegemonie reproduziert worden war. Anders als bei einer rein ökonomischen, zyklischen Krise, die auch den Ausgangspunkt für eine Neubelebung darstellt, hat 2007/2008 nur eine Periode begonnen, die selbst von wachsender Instabilität und dem Kampf um die Neuaufteilung der Welt geprägt ist.
Gerade weil die Überakkumulation von Kapital ökonomisch die Basis für die Verwerfungen abgibt, steht immer auch die Frage im Raum, wessen Kapital, global betrachtet, vernichtet werden muss, welche Kapitalfraktionen überleben. Das ist aber keine rein ökonomische Frage, keine der reinen Marktkonkurrenz, sondern wird auch staatlich ausgetragen, weil Staaten auch Mittel haben, ihre Unternehmen, ihren Markt zu „schützen“ oder die Kosten der Krise auf andere abzuwälzen. Diese verschärfte Konkurrenz finden wir auf allen Ebenen. So ist – das schon vorweg – jeder „Weltklimagipfel“ immer auch eine Arena im Kampf darum, wer die Kosten des Klimawandels zu tragen hat. Dasselbe trifft auf andere ökologische Veränderungen zu. Auch die Fragen des Freihandels, der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind immer auch solche, wer welche Waren zu welchen Bedingungen wohin verkaufen kann. Auch wenn sich die europäischen Länder oder China neuerdings gern als Freunde des freien Handels geben und Protektionisten wie Trump schelten, so ändert das natürlich nichts daran, dass auch sie ihre Länder oder Wirtschaftsblöcke vor Produkten der Konkurrenz abschotten. So klagen die Länder des „globalen Südens“ immer wieder über Hemmnisse beim Export in die „freien Märkte“ des Westens.
Klagen über die „Übervorteilung“ durch andere und Bekenntnisse zu „Partnerschaft“ und „Zusammenarbeit“ prägen stets Verhandlungen über zwischenstaatliche Handelsabkommen. Wie bei jedem Geschäft ist es auch auf dem Weltmarkt so, dass sich jede/r als rechtschaffene/r VerkäuferIn/KäuferIn darstellt, während dem/r anderen KäuferIn/VerkäuferIn unlautere Motive unterstellt werden.
In der letzten Dekade können wir jedoch generell eine Veränderung der globalen Entwicklung feststellen. Anfang der 1990er Jahre waren die Zeichen der Weltwirtschaft auf eine Ausdehnung des Freihandels gestellt. Das damals geltende GATT (General Agreement on Tariffs and Trade = Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) wurde durch die Welthandelsorganisation (WTO = World Trade Organization) abgelöst. Grundlegendes Ziel war es, eine der kapitalistischen Globalisierung entsprechende Welthandelsordnung durchzusetzen. Real betrachtet, handelte es sich dabei um Normen, die v. a. allem den Vorstellungen der USA und der anderen G7-Länder entsprachen. Abbau von Handelshemmnissen, Subventionen, Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung waren Maximen ihrer Ausrichtung. Die WTO schien mit dem Beitritt Chinas 2001 zu einer zentralen Lenkungsinstanz der Weltwirtschaft zu werden, auf einer Höhe mit IWF und Weltbank. Aber dem Erfolg folgte, wie so oft, die Ernüchterung. Die zunehmende Konkurrenz erschwert substanzielle Übereinstimmung, zumal die WTO für ihre Beschlüsse eine Zweidrittelmehrheit der 164 Mitgliedsstaaten braucht, und trieb und treibt die verschiedenen Staaten eher zu regionalen Abkommen. Dass selbst diese angesichts zunehmender Gegensätze fragil sind, zeigt das Scheitern von TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) und TPP (Transpazifische Partnerschaft) unter der Präsidentschaft Trumps. Aber auch vor dem neuen US-Präsidenten stand TTIP – allerdings eher wegen der Kritik aus Frankreich und anderen europäischen Ländern – kurz vor dem Aus.
Das spiegelt die zunehmende Konkurrenz wider. Diese tritt uns nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft, sondern auch auf politischem und militärischem entgegen. Heute erscheint es vielen so, als wäre Trump der erste US-Präsident gewesen, der für eine Entspannung im Verhältnis zu Russland eintrat. In Wirklichkeit versprach auch Barack Obama 2009 einen „Neustart“ in den Beziehungen.
Dieser scheiterte daran, dass die außenpolitische Doktrin des US-Imperialismus letztlich nicht von Versprechungen eines Präsidenten abhängt, sondern längerfristigen geo-strategischen Zielen folgt.
Seit Ende der 1990er Jahre, grob gesagt, nachdem sich der russische Imperialismus unter der bonapartistischen Herrschaft Putins wieder stabilisieren konnte, entwickelt sich das Verhältnis zwischen den USA und Russland als eines von Gegnern. Die USA wollten Russland zu einer Regionalmacht herabdrücken, im Grunde zu einer Halbkolonie des Westens, die zwar in der Region noch etwas zu sagen hat, deren Wirtschaft und Politik jedoch über pro-westliche Parteien und Gruppierungen bestimmt werden. Mit Putin und der Reetablierung einer russischen Staatsbürokratie, die die Interessen des Gesamtkapitals mit despotischen Mitteln wahrnimmt, konnte Russland dem weiteren Vordringen der USA, diversen pro-amerikanischen Umsturzversuchen usw. mehr entgegensetzen. In der Ukraine eskalierte der Konflikt. Die EU und v. a. Deutschland wollten eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu ihren Gunsten, wenn auch am liebsten eine ohne blutigen Umsturz, und bauten über die Adenauer-Stiftung und EU-Gelder sogar eine eigene Partei um Klitschko auf. Die auch unter Obama von den Neo-Konservativen bestimmte US-Politik wollte mehr. Russland sollte ganz verdrängt werden – dazu war auch eine blutige Machtübernahme mit Faschisten und Nationalisten als Sturmtruppen recht.
Der „Neustart“ wurde zum Neubeginn eines Kalten Krieges, zur Etablierung eines pro-westlichen rechten Regimes in Kiew, zum Beginn eines Bürgerkrieges. Russland konterte auf der Krim und durch die Unterstützung der „Volksrepubliken“ im Donezbecken. Der Konflikt geriet mehr und mehr zum Stellvertreterkrieg. Unter Trump setzte sich das Spiel fort. Trotz Russland-Tapes und fragwürdigen Geschäftsbeziehungen bestimmt letztlich die etablierte Riege des imperialistischen Staates die Russland-Politik, nicht das Kabinett.
Dies ist in der Geschichte des Imperialismus nichts Neues. Im Grunde verfügen alle imperialistischen Staaten über einen Stab, der die Parameter und Ziele der eigenen Außen- und Sicherheitspolitik, die strategischen Ziele usw. festlegt. In krisenhaften Perioden können natürlich auch diese neu definiert werden (bzw. kann dies erzwungen werden). Die konfrontative Politik der USA gegenüber Russland ist jedoch kein Zufall oder „Sturheit“, sondern erklärt sich durchaus folgerichtig aus den Ansprüchen beider Staaten. Hinzu kommt, dass die USA ein Interesse haben, die EU in einen dauerhaften Konflikt mit Russland hineinzuziehen. Dieses Beispiel soll nur illustrieren, dass sich die inner-imperialistischen Gegensätze in der aktuellen Periode gefährlich zuspitzen.
Global betrachtet, ist hier sicherlich jener zwischen den USA und China an erster Stelle zu nennen. Es ist der zentrale Gegensatz der aktuellen Weltordnung. Die USA sind noch immer die größte Nationalökonomie der Welt, ihr Dollar die wichtigste Währung. Aber die US-Wirtschaft kann sich wesentlich nur über eine Niedrigzinspolitik über Wasser halten. Die US-Konzerne haben sich zwar in einigen Bereichen gefestigt, sie drohen aber, weiter gegenüber europäischer, chinesischer oder japanischer Konkurrenz zurückzufallen. Trumps Ruf nach „besseren Deals“ reflektiert dieses Zurückfallen der USA.
Anders als ihre KonkurrentInnen müssen die USA auch ihre Stärke global bei praktisch jedem Konflikt demonstrieren. Während China oder die EU-Länder, erst recht Russland und Japan, auf einige Regionen konzentriert sind oder andere vor allem mit Export von Kapital und Waren beglücken, müssen die USA ihre Rolle als Weltpolizist spielen. Dass die USA von den „Verbündeten“ mehr Vasallentreue und mehr Geld fordern, ist von ihrer Warte aus verständlich. Umgekehrt sind jedoch die „Verbündeten“ selbst imperialistische Mächte, die wie Deutschland oder Frankreich vor der Frage stehen, ob sie ihre langfristigen Ziele mit den USA oder gegen diese durchsetzen müssen.
Während die EU mehr den Versuch, einen imperialistischen Block zu formieren, darstellt, von inneren Gegensätzen gekennzeichnet und auf kurze Frist sicherlich mehr auf ihre eigene Stabilisierung konzentriert sein wird, ist China für die USA ein dynamischer Konkurrent, der in wenigen Jahren zu einer führenden Industrienation aufstieg.
Anders als Länder wie Indien, die in bestimmten Bereichen zwar ein fieberhaftes Wachstum zu verzeichnen hatten, insgesamt jedoch vom imperialistischen Finanzkapital bestimmt werden, entwickelt sich in China auch eine imperialistische Nation. Neben riesigen Konzernen, die in verschiedenen Branchen um die Weltmarktführerschaft ringen, versucht die Staatsbürokratie, einem Finanzkapital als Geburtshelfer zu dienen, die soziale Struktur und die Infrastruktur des Landes so zu entwickeln, dass sie denen eines imperialistischen Staats entsprechen. Natürlich wird auch dann China noch von enormen inneren Gegensätzen, von einer Ungleichzeitigkeit der Entwicklung geprägt sein. Aber es hat nicht nur die Möglichkeit, sich als eine imperialistische Macht zu etablieren, es kann auch gar nicht anders, wenn das schon entwickelte nationale Kapital weiter expandieren soll.
Es kann dies nur, indem es mehr und mehr Anteil nimmt am Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Das Projekt einer „neuen Seidenstraße“, ein gigantisches Investitionsvolumen von über 900 Milliarden US-Dollar, ist daher nicht nur ein Wirtschaftsprogramm, sondern geht auch einher mit militärischen Zielen, Hochseehäfen, der Aufrüstung der Marine etc. In Ländern wie Pakistan – lange ein Vasall der USA – zeigt sich der zunehmende Einfluss Chinas und ein Umschwenken des Militärs und politischen Establishments zu einer anderen „Schutzmacht“ deutlich.
Dass die europäische Union oder Japan im Moment eher angeschlagen sind, soll nicht bedeuten, dass sie beim Kampf um die Neuaufteilung der Welt schon abgehängt sind. Aber es ist sehr deutlich, dass sie im Gegensatz zu China, aber auch den USA über keine globale Ausrichtung oder Strategie verfügen. Für die EU kommt hier noch das zusätzliche Problem hinzu, dass sie als Staatenbund auch ein Block imperialistischer Staaten mit unterschiedlichen Interessen ist. Die Konkurrenz zwischen den USA und China, aber auch deren Initiativen werden die EU und auch den deutschen Imperialismus in der nächsten Periode zu einer Neubestimmung ihrer globalen Strategie zwingen. Wenn Merkel davon spricht, dass Europa sich mehr auf „seine eigenen Kräfte besinnen“ müsse, so artikuliert sie dabei, wenn auch vorsichtig, die Notwendigkeit einer strategischen Neubestimmung, ob nun im Verbund mit der ganzen EU und Eurozone oder durch den Fokus auf ein Kerneuropa mit Frankreich.
Diese Neuausrichtung wird durch den Austritt Britanniens aus der EU offensichtlich leichter. Eine deutlicher deutsch-französische EU könnte sowohl zu einem eigenständigen Aufrüstungsprojekt, als auch deutlicher weltpolitisch als Absicherung vor allem der deutschen Exportinteressen dienen. Sichtbar wird dies bereits an den offen aufbrechenden strategischen Differenzen zu den USA im Nahen und Mittleren Osten. Während die USA unter Trump wieder verstärkt auf die traditionellen Bündnispartner Saudi-Arabien und ägyptisches Militär im Verbund mit ihrem israelischen Stützpunkt setzen, wird die EU – eventuell auch im Verbund mit Russland und China – weiter versuchen, zu einem Ausgleich mit dem Iran zu kommen. Unter dem Deckmantel der “Friedenspolitik” wird hier beinhart versucht, die eigene Stellung in dieser weltpolitisch entscheidenden Region nach einer “Befriedung” in Syrien und dem Irak zu sichern. Ein klares Indiz für die zunehmende Konkurrenz zeigt sich in jedem Fall auf militärischem Gebiet – und zwar nicht nur bei den imperialistischen Kernländern der G20. Praktisch alle Staaten rüsten massiv auf – ob nun aus „eigenem Antrieb“ oder weil sie sich dazu gezwungen sehen.
Die Regierung Trump erhöht den Militäretat, der ohnedies schon der weitaus größte der Welt ist, und auch jenen für die innere Sicherheit. Die EU-Staaten wie Deutschland rüsten auch auf. So soll der Verteidigungshaushalt bis 2024 auf 2 Prozent des BIP erhöht werden – um rund zwei Drittel!
Insgesamt betrugen 2016 die weltweiten Militärausgaben 1,69 Billionen Dollar. Davon entfielen auf die USA 611 Milliarden, auf China 215. Dahinter folgt Russland mit einem Respektabstand und 69,2 Milliarden. Deutschland liegt mit 41,1 Milliarden Dollar auf Rang 9. (Ranking der 15 Länder mit den weltweit höchsten Militärausgaben im Jahr 2016 in Milliarden US-Dollar)
Auch wenn solche Statistiken nur unzureichend die militärische Stärke oder Schlagkraft wiedergeben, weil vorhandene Bestände oder Kampferfahrungen nicht in sie eingehen – so ist es kein Zufall, dass sich praktisch alle wichtigen imperialistischen Länder unter den ersten 15 finden.
Ein anderer Indikator für die Zuspitzung der Gegensätze ist die zunehmende Anzahl von Interventionen, Besatzungseinsätzen und Kriegen. Wichtiger noch ist, dass sich ihre Qualität verändert. In Syrien, aber auch im Jemen, in der Ukraine und vor allem bei den Drohungen in der Südchinesischen See haben wir es mit Stellvertreterkriegen oder auch mit direkten Drohungen seitens imperialistischer Mächte zu tun. Die US-Aggression gegen Venezuela, aber auch gegen Nordkorea ist ebenso in diesem Kontext zu betrachten wie die Interventionen europäischer Staaten, vor allem Frankreichs, in Afrika, die auch dazu gedacht sind, den Einfluss Chinas zurückzudrängen.
Die G20 sind ein Austragungsort des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt wie jede andere „globale“ Institution, ob nun die UN, IWF/Weltbank, Klima- oder auch Friedenskonferenzen.
Anders als z. B. unter den G7 finden sich unter den G20-Staaten aber keineswegs nur imperialistische Länder. Zu dieser Kategorie gehören neben den G7 (USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada) Russland, China, Australien. Südafrika konnte sich zwar in den 60er Jahren unter besonderen Umständen als imperialistisches Land etablieren, ist heute aber immer weniger in der Lage, diese Stellung zu halten. Wir rechnen es im Folgenden nicht zu den imperialistischen Teilen der G20. Zur EU gehören außerdem noch eine Reihe weiterer schwächerer imperialistischer Länder wie auch Halbkolonien.
Betrachten wir den imperialistischen Kern der G20, so vereint dieser rund 70 Prozent ihres BIP. Allein das drückt das enorme ökonomische Gewicht dieser Länder aus.
Noch deutlicher wird ein Blick auf die großen Unternehmen. Bis um die Jahrhundertwende waren die großen Konzerne der Welt, ob nun im industriellen, im Finanz- oder Handelssektor, auf die sog. Triade (USA, Japan, Westeuropa) konzentriert. An diesem Bild hat sich mit wenigen Ausnahmen nur eines geändert: China. Ein Blick auf verschiedene Rankings der 100 oder 500 größten Unternehmen in verschiedenen Branchen zeigt, dass auch diese unter den imperialistischen Staaten der G20 – nicht unter allen gleichermaßen! – konzentriert sind. Natürlich versuchten in den letzten Jahren die Länder des „Südens“, teilweise an einem Strang zu ziehen. Aber grundsätzlich ist es irreführend, ein gemeinsames Interesse dieser Länder im Gegensatz zu den imperialistischen zu unterstellen.
Erstens werden zu dieser Gruppe auch imperialistische Staaten wie China, teilweise sogar Russland, mitgezählt.
Zweitens bleibt die Tatsache zu wenig berücksichtigt, wenn überhaupt, dass auch die vom Imperialismus beherrschten, halb-kolonialen Länder Klassengesellschaften sind und die Bourgeoisie vor allem am Erhalt ihrer politischen Herrschaft interessiert ist. Sie steht in einem viel tieferen Gegensatz zur ArbeiterInnenklasse und zur Bauernschaft als zu den imperialistischen Mächten, auch wenn diese ihr Land brutal ausplündern.
Selbst wenn es immer Konflikte zwischen links-bürgerlichen Regierungen und dem Imperialismus gibt, so bedeutet das keinesfalls, dass es eine über die Grenzen reichende Solidarität der halbkolonialen Bourgeoisien gibt. Im Gegenteil, diese sind nationale Klassen, die in der Regel ihren Nachbarstaat mindestens als ebenso großen Konkurrenten wie als Verbündeten betrachten. Die grenzübergreifende Einheit des Bürgertums oder Kleinbürgertums ganzer Kontinente oder gar „des Südens“ ist ein Mythos. Das zeigt die reale Erfahrung der Kämpfe seit dem 19. Jahrhundert – eine Erfahrung, die die marxistische Analyse verständlich machen kann, weil für sie der Imperialismus auch nur eine Stufe kapitalistischer Entwicklung, also zuerst ein Klassenverhältnis darstellt.
Betrachten wir die halb-kolonialen Länder, die am G20-Gipfel teilnehmen, so zeigt sich, dass sie allesamt um eine bessere Position innerhalb der bestehenden Weltordnung kämpfen. In dem Sinn nehmen sie – vor allem auf regionaler Ebene – auch Einfluss auf Akteure im Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Die zunehmenden Konflikte unter den imperialistischen Staaten eröffnen ihnen dabei durchaus auch Spielraum für eigene Ambitionen, aber sie erhöhen auch die Gefahr von Kriegen zwischen diesen Ländern. So mischen im Krieg in Syrien nicht nur Regierung und Opposition, Russland, EU-Staaten und USA, sondern auch Türkei, Iran, Saudi-Arabien eifrig mit und nehmen dabei durchaus auch eine Verschärfung der Lage in Kauf. Dennoch sind diese Länder nach wie vor nicht vom eigenen Großkapital, sondern vom imperialistischen Finanzkapital, dem Kapitalexport, Profitabzug, von Finanzströmen aus den Zentren bestimmt. Das trifft selbst auf Indien, das mit Abstand stärkste unter diesen Ländern, zu. Zweifellos können diese Staaten auch als „Regionalmächte“ beschrieben werden. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie keine imperialistischen oder „sub“imperialistischen Mächte, sondern vom Imperialismus dominierte Staaten darstellen, oft als Verbündete von bestimmten Großmächten.
So organisieren die USA gemeinsam mit Japan ein Bündnis zur Eindämmung Chinas, bei dem Indien eine zentrale Stellung einnimmt. Ebenso versuchen die USA unter Trump, ihre Beziehungen zu Saudi-Arabien nachhaltig zu festigen wie auch jene zur Türkei wieder zu bessern, den Einfluss Russlands und der EU zurückzudrängen. In Lateinamerika haben die USA selbst in Zusammenarbeit mit der politischen Rechten Macri in Argentinien und den Temer-Putsch in Brasilien unterstützt.
Die G20 stehen realiter nicht im Zeichen des Gegensatzes Nord-Süd, sondern in dem der imperialistischen Blockbildung. Der veränderte Kurs der USA unter Trump bedeutet, dass sich die Fronten bewegen können. Dabei werden die USA sicher nicht nur „isoliert“ sein. Länder wie Großbritannien, Brasilien (sofern Temer nicht gestürzt wird), Türkei und Saudi-Arabien, aber auch Japan und Indien, können durchaus mit den USA an einem Strang ziehen. Umgekehrt zeichnet sich ein Gegenblock ab, der auch alles andere als frei von Widersprüchen ist. Mögen die EU-Staaten und China gegenüber der US-Regierung Freihandel und Klimaschutzabkommen auch gemeinsam verteidigen, so sind zahlreiche Fragen zwischen diesen auch ungelöst – insbesondere auch das Verhältnis zu Russland. In jedem Fall kann damit gerechnet werden, dass alle Seiten den Gipfel zum Schaulaufen für die eigenen Interessen nutzen wollen. Die deutsche Bundesregierung hatte ursprünglich sicher gehofft, sich an der Seite von Hillary Clinton als „Partnerin auf Augenhöhe“ für die „freie Welt“ inszenieren zu dürfen. Der Traum ist ausgeträumt.
Ein anderes verlogenes „Narrativ“ soll nun von der Bundesregierung und ihren Verbündeten in die Welt gesetzt werden: jenes des aufrechten demokratischen Eintretens für „Freiheit“ und „Partnerschaft“ – die Freiheit des Welthandels, des Kapitalverkehrs (natürlich mit kosmetischen Kontrollen). Keine Freiheit gibt es hingegen für die Geflüchteten, keine Bewegungsfreiheit für die globale Masse von ArbeitsmigrantInnen. Natürlich sollen auch die Pressefreiheit und Demokratie verteidigt werden – vornehmlich außerhalb der EU, während im Inneren die demokratischen Rechte im Namen der „Bekämpfung des Terrorismus“ abgebaut und die Überwachung und Repression ausgebaut werden. „Partnerschaft“ soll es geben – vom Klima bis zur „Flüchtlingspolitik“. Mit den afrikanischen Ländern soll mehr Kooperation stattfinden, was vor allem bedeutet: mehr Öffnung ihrer Märkte und Festhalten aller Flüchtenden in Afrika. Mit China soll eine Partnerschaft als „Klimachampions“ gestartet werden. Denn Partnerschaft und Freiheit ist gerade für den deutschen Imperialismus die Freiheit des Exports, die Freiheit des Handels und von Investitionen. Da kann ein Öko-Siegel für den deutschen Imperialismus nur hilfreich sein.