Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1167, 19. Oktober 2021
Die Gemeinderatswahlen in Graz brachten für viele eine große Überraschung: Die KPÖ ist mit 28,84 % (+ 8,5 %) stärkste Kraft und löst damit die ÖVP mit 25,91 % (- 11,88 %) unter Bürgermeister Siegfried Nagl ab. Nach der schwarz-blauen Koalition folgen nun Sondierungsgespräche über Rot-Rot-Grün. Herrscht ab jetzt in Graz der Kommunismus?
Die KPÖ in Graz bildet in Österreich eine Ausnahme. In keiner anderen bedeutenden Gemeinde ist die Kommunistische Partei so stark. Die Wurzeln für diesen Erfolg liegen in den 1990er Jahren, als sich die damals langjährig regierende SPÖ immer unbeliebter machte (mittlerweile bei 9,53 %), während die KPÖ mit einer bodenständigen und ehrlichen Kommunalpolitik punktete. Vor allem ihr unermüdlicher Einsatz für die Ärmsten in der Gesellschaft, ihr Fokus auf die immer brisanter werdende Wohnungsthematik und die Tatsache, dass KPÖ-MandatarInnen nur ein Einkommen in der Höhe eines durchschnittlichen FacharbeiterInnenlohns beziehen und den Rest spenden, haben der Partei Anerkennung gebracht. So konnte sie schon 1998 mit Ernst Kaltenegger als Wohnbaustadtrat einen Sitz in der Grazer Proporzregierung einnehmen.
Aber natürlich gehört zu einer Gewinnerin auch der Beitrag der Verliererin. So hat die ÖVP gezeigt, dass sie keine Lösung für die steigenden Wohnkosten hat, sondern diese nur durch Prestigeprojekte für InvestorInnen steigert, während sie gleichzeitig die Verschuldung hochtreibt.
Der Wahlsieg hat natürlich breite Begeisterung in der österreichischen Linken ausgelöst. Tatsächlich eröffnet dieser Wahlerfolg die Möglichkeit, dass linkere Kräfte über Graz hinaus wieder ernster genommen werden und ebenfalls profitieren können. Dazu müsste aber auch die KPÖ Graz tatsächlich ein gutes Beispiel als gestaltende Kraft abgeben, was ihr nur gelingen kann, wenn sie ihre angestrebte Sozialpolitik auf die Macht der organisierten ArbeiterInnenklasse stützen würde. Dazu müsste sie über ihre kommunalpolitische, wohltäterische und elektorale Strategie hinausgehen und eine klassenkämpferische im allgemeinpolitischen Sinn einschlagen.
Hinter der kommunalpolitischen Strategie der KPÖ Graz steht eigentlich ein althergebrachtes Fehlkonzept. Zum einen ist die Orientierung auf das Kommunale und Lokale ein Ausdruck der Schwäche, quasi das, wo man zumindest ein bisschen etwas bewirken kann, wenn auch nichts Entscheidendes. Zum anderen verkörpert die KPÖ Steiermark mehr als die Bundes-KPÖ die stalinistischen Überbleibsel der Partei. Dazu gehörte eigentlich immer schon ein Sich-gut-Stellen mit der österreichischen Bourgeoisie im Interesse der „demokratischen“ österreichischen Nation, was man heute noch an der Offenheit für eine Zusammenarbeit mit der ÖVP sehen kann. An diesem Problem des Sich-Abfindens mit dem kapitalistischen System ändert auch nichts die Selbstbezeichnung von Elke Kahr als Marxistin oder die neue mediale Debatte um Kommunismus, in der man die Selbstdiffamierung des Antikommunismus erblickt.
Den altbekannten Reformismus der KPÖ Graz erkennt man eigentlich schon sehr gut, wenn man sich ihr Wahlprogramm zu Gemüte führt. Schon der Form nach ist es dem gewöhnlicher bürgerlicher Parteien nachempfunden, als Ansammlung von Themenblöcken, in denen allgemeinpolitische Floskeln mit Auflistungen von kleinen Reförmchen gespickt werden. Inhaltlich vermisst man bitter die Analyse der politischen Klassenverhältnisse (inkl. Geschlechterverhätlnisse u. v. a.) in der gegenwärtigen Phase des Kapitalismus, aus der eine konkrete Strategie zur Befreiung der ArbeiterInnenklasse formuliert wird. Das würde eine marxistische Partei auszeichnen. Nun könnte man einwenden, dass es sich hierbei um das Programm für eine Gemeindewahl handelt. Aber selbst wenn man eine ernsthafte linke Kommunalregierung stellen möchte, ist die Machtfrage zumindest perspektivisch aufgeworfen, schon durch den Konflikt, der sich mit der Zwangsgewalt des kapitalistischen Zentralstaates ergeben würde. Und dafür sollte man zumindest erwarten, dass die Kommunalpolitik in einem allgemeineren Kontext behandelt wird. Der Schlüssel läge auch schon im Kleinen darin, die Macht der KapitalistInnen, ihr Vermögen und ihr Eigentum zu konfrontieren und dabei die massenhafte Organisierung der Lohnabhängigen in Stadtteilen und Betrieben voranzutreiben.
Trotz der offensichtlichen Grenzen der kommunalreformistischen Politik der KPÖ begrüßen wir ihren Wahlerfolg selbstverständlich. Er gibt allen fortschrittlichen AktivistInnen Kraft und Mut und hoffentlich eine bessere Ausgangslage für den Klassenkampf in Österreich. Soll er aber weitere Erfolge nach sich ziehen, dann muss schon jetzt eine Debatte gestartet werden, wie der nächste linke Wahlkampf auf Bundesebene aussehen soll. Wir sprechen uns für eine gemeinsame, klassenkämpferische Wahlkampagne links von SPÖ und Grünen aus. Die akute Regierungskrise aufgrund der Inseratenaffäre um Sebastian Kurz mag zwar überwunden sein, aber die Regierung Schallenberg stellt nur ein Intermezzo zu einem neuen politischen Kräfteverhältnis in Österreich dar.