Arbeiter:innenmacht

Lützerath, die Umweltbewegung und die Grünen

constantinjäge, CC BY-SA 2.0 , via Wikimedia Commons

Leo Drais, Neue Internationale 269, November 2022

Es gibt Orte, von denen kaum wer wüsste, wären sie nicht zum Schnittpunkt von Umweltzerstörung und Kampf dagegen geworden. Der Hambacher und Dannenröder Wald sind solche Orte. Oder – Lützerath.

Die Hälfte des kleinen Weilers ist bereits geschliffen, der letzter offizielle Einwohner, der Landwirt Eckardt Heukamp, zog Anfang Oktober aus, nachdem er vor Gericht gegen RWE verloren hatte. Gerade mal 50 Meter trennen den Ort noch vom Abgrund des Energieriesen, des Tagebaus Garzweiler II. Und doch ist Lützerath nicht ausgestorben. Mehr als 200 Klimaaktivist:innen halten es besetzt – 10 mal mehr, als der Ort offizielle Bewohner:innen hatte.

Der Artikel könnte also auch heißen: Solidarität mit „Lützi“! Oder: Wie kann Lützerath gehalten werden?

Warum Lützerath?

Die besondere Brisanz Lützeraths ergibt sich aus einer Studie, der zufolge die 1,5-Grad-Grenze  sinnbildlich zwischen der jetzigen Abbruchkante und dem Ort verläuft. Wenn RWE die unter Lützerath liegende Braunkohle verstromt, ist allein dadurch das CO2-Budget, das Deutschland zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens noch zusteht, verbraucht.

Natürlich steht und fällt das nicht allein hier. Selbst wenn das braunschwarze Nichts nicht weiter gefräst wird, wird der deutsche Kapitalismus jedes noch so weit gesteckte Klimaziel verfehlen. Allein die Autoindustrie sorgt schon dafür, früher oder später.

Trotzdem ergibt sich aus der Lage Lützeraths nicht nur eine hohe Symbolwirkung des Protests gegen Umweltzerstörung, sondern auch tatsächlich eine reale ökologische Notwendigkeit, dass der Ort nicht fällt.

Dabei schien es immer wieder so, dass er quasi fast und im Grunde eigentlich schon beabsichtigt werde, gerettet zu werden. In etwa so klangen die Landesregierung von NRW, die Ampel vor gut einem Jahr, der Bundestag noch diesen Sommer. So unverbindlich wie geheuchelt.

Und dann, am 4. Oktober, hauen RWE, NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur (Grüne) zusammen mit Robert Habeck raus, dass Lützerath abgebaggert werde. Seitdem kann jeden Tag der Räumungsbefehl ergehen. Dafür bestrebe man, also sei man dafür, solle auf jeden Fall schon 2030 aus der Braunkohleverstromung ausgestiegen werden. Ja, ja. Der Physik des Klimas ist das egal, nachfolgende Generationen werden‘s danken.

Heuchelei und Lüge – Bündnis ’90/Die Grünen

Wie schon im Hambi und Danni wird der Marschbefehl auf Lützi unter Mitwirkung der Grünen erteilt, als Teil der Landesregierung und der Ampel sowieso. Im Grunde sind sie zur Zeit die konsequenteste, zugleich auch die verlogenste Partei im Interesse des deutschen Kapitalismus.

Denn um diesen geht es den Grünen als bürgerlicher Partei eigentlich. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine trieb sie dazu, konsequenter und offener ihren Klassenstandpunkt zu beziehen. Der rechte Flügel um Habeck, Baerbock, Hofreiter usw. nutzt die Lage, um die Grünen von ökologisch sowieso völlig unzureichenden Prinzipien zu befreien. Der Kampf um die Ukraine, bei dem die Grünen auch gleich mal den letzten pazifistischen Rest ausmisten, erfordere eben „Realpolitik“.

Und das bedeutet, an der Spitze einer Macht wie Deutschland, einem imperialistischen Land eben, auch einen Wirtschaftskrieg gegen den russischen Konkurrenten zu führen. Die Unabhängigkeit vom Menschenrecht verachtenden russischen Gas soll mit Menschenrecht verachtendem saudischen und katarischen erkauft werden (auch wenn der Katar-Deal erstmal platzte), garniert mit Frackinggas aus den USA und eben rheinischer Braunkohle. Auch am AKW-Strom hält man noch etwas länger fest.

Wir stellen hier auch gar nicht in Abrede, dass die Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit Strom und Wärme sichergestellt werden muss. Aber die Politik der Grünen ist diesbezüglich verlogen und geheuchelt.

Solange ein Großteil der Kosten auf die Bevölkerung abgewälzt wird, ohne die Überprofite der Energieriesen anzurühren, solange VW in seinen werkseigenen Kraftwerken Gas verfeuern darf, um eine völlig unökologische und ineffiziente Verkehrsweise zu produzieren, solange der schleifende Ausbau erneuerbarer Energien mit dem Ausbau des Autobahnnetzes gepaart wird und Koalitionsfrieden und kapitalistische „Realpolitik“ das Agieren bestimmen, kann diese Politik nicht anders bezeichnet werden.

Es geht den Grünen um die Konkurrenzfähigkeit der energieintensiven deutschen Industrie und nur zweitrangig um Versorgungssicherheit. Für letztere ist die Kohle unter Lützerath wie überhaupt von Garzweiler, Hambach und Inden kaum erforderlich, schon gar nicht bis 2030.

Und, wir wollen hier auch keine Illusionen erzeugen, dass es irgendwann anders sein könnte. Die Grünen werden auch in Zukunft Wälder roden, E-Auto-Fabriken bauen und Kriege führen lassen und sagen „Wir haben das nie gewollt, wir können nur nicht anders.“ Wenigstens ist der zweite Halbsatz für eine Partei, die glaubt, man könne Kapitalismus entgegen jeder Logik auch auf ökologisch trimmen, tatsächlich ein bisschen ehrlich. Als bürgerliche Partei können sie tatsächlich nicht anders, und alle, die vielleicht motiviert durch Fridays for Future mit ernsthaften Ambitionen in die Partei eintraten und sich jetzt enttäuscht sehen, sind gut beraten, sie zu verlassen.

Luisa Neubauer und das angeblich Radikale

Eine besondere Rolle im geschäftigen Heucheln kommt dabei Aktivist:innen wie Luisa Neubauer zu. Einerseits steht sie mit beiden Beinen fest in den Grünen, ihr Kopf ist aber einer der bekanntesten von Fridays for Future und damit der Klimabewegung in Deutschland. Was hier an Widerspruch erscheint, ist aber eigentlich keiner, nur der (Selbst-)Betrug ist größer.

Denn wenn sie einerseits auf dem Parteitag der Grünen eine noch so vehement vorgetragene Abrechnung über verfehlte Klimapolitik präsentiert (nicht ohne Anerkennung, dass der Krieg kurzfristig mehr andere fossile Energie erfordert, nicht ohne lobende Worte gegenüber jenen in Parlamenten und Regierungen) und dann nach Lützi fährt und für dessen Verteidigung eintritt, versucht sie, eine Schnittstelle zwischen der Praxis einer kapitalistischen Partei und einer radikaleren Protestform der Umweltbewegung zu bilden.

De facto bedeutet das aber nicht, die Grünen zu einer Klimapolitik zu treiben, die ihren Namen verdient. Es bedeutet im Gegenteil, Flankenschutz für Habeck und Neubaur durch alle sich selbst „radikal“ gerierenden Teile der Grünen. Deren angebliche und von manchen bewunderte geringere Korrumpierbarkeit ist schlicht Pseudoradikalität, hinter der Grünen und NGOs bisher letztlich die Treue gehalten wird.

Es ist nicht von ungefähr, dass die mit den Grünen eng verbundene Fridays-for-Future-Spitze schon wenige Monate nach Geburt der Bewegung von deren linkesten Teilen, diplomatisch gesagt, viel Kritik einfing.

Es ist ja der Verdienst von Luisa Neubauer, Jakob Blasel, Carla Reemtsma und Co., dass die Bewegung, die sich so sehr davor fürchtete, von anderen politischen Kräften vereinnahmt zu werden, von Anfang an von bürgerlich-grüner Politik dominiert und undemokratisch diszipliniert wurde. Wenn diese Köpfe jetzt davon sprechen, dass man das System radikaler in Frage stellen müsse und so weiter, dann leiern sie damit nur einen Begriff von Radikalität runter, ähnlich radikal wie ein Klimastreik, der so wirklich nie einer war, wenn dabei die gesamte Arbeiter:innenklasse weiterarbeitet.

Ein radikaler, das Problem an der Wurzel packender Kampf ist das aber nicht.

Tatsächlich Radikales

Viel näher kommen dem die Besetzer:innen von Lützerath. Sie verbinden den Kampf gegen die Klimakatastrophe tatsächlich mit Antikapitalismus, stellen der dystopischen, toten Grube des Konzerns eine kleine Utopie entgegen.

Dabei ist nicht das Mittel Gradmesser der Radikalität. Wenn sich der „Aufstand der letzten Generation“ an der Straße festklebt, aber in seinen Zielen nicht viel mehr als ein Tempolimit auf Autobahnen und ein 9-Euro-Ticket fordert, ist das nicht radikal. Radikal wäre, den Kapitalismus infrage zu stellen. In diesem Sinn ist die Besetzung von Lützi tatsächlich radikal.

Aber sie ist auch Ausdruck zweier Schwächen. Erstens gibt es in Deutschland dreieinhalb Jahre nach FFF keine Millionen Schüler:innen mehr auf den Straßen, ist die Umweltbewegung gespalten in den unvermeidlichen Glauben an die Grünen, denn Glauben wird ja wichtig, wenn man nicht mehr weiter weiß, und in einen kleineren, sich selbst als radikal verstehenden Teil, welcher besetzt und zivilen Ungehorsam leistet. Wobei, wie gesagt, das mit der Radikalität ja so eine Sache ist.

Die zweite, entscheidendere Schwäche ist, dass selbst diese radikaleren Teile der Umweltbewegung außerhalb einer definitiv richtigen Besetzung auch nicht so ganz weiß, wie RWE, ja der ganze Kapitalismus in die Knie gezwungen werden können, was gerade auch der anarchistischen Prägung dieses Teils der Bewegung entspricht.

Aber die direkte Aktion ersetzt keine Analyse, kein konkretes Programm. Diskussion darum gibt es natürlich (darum ja auch dieser Artikel). Wir denken, dass ohne eine Verbindung von Arbeiter:innen- und Umweltbewegung beide zum Scheitern, in gewisser Weise mit der Menschenwelt zum Untergehen verdammt sind. Leider ist diese Verbindung, die im Endeffekt nur ein revolutionäres Programm gegen den Kapitalismus entzünden kann, weit weg, auch wenn die Mehrheit der Beschäftigten bei VW oder RWE sicher nicht den Klimawandel leugnet und es Ansätze von Diskussionen darüber gibt, wie die Industrie umgestellt werden muss, schnellstmöglich.

Das nimmt ihr aber nicht die Notwendigkeit. Ohne Enteignung der gesamten Industrie unter demokratischer Kontrolle, ohne demokratischen Plan zur schnellstmöglichen Umstellung der Produktion sind wir auf das Hoffen und Warten und Druck Machen auf (grüne) Regierungen beschränkt.

Nicht nur kann eine schnellstmögliche Umstellung auf Erneuerbare und die Lösung ihrer Verfügbarkeitsprobleme nur mit dem Know-how der Arbeiter:innenklasse passieren, es kann auch nur durch sie mit Streiks und Betriebsbesetzungen erkämpft werden. Weil aber natürlich weder SPD, LINKE oder Gewerkschaftsführungen für sowas eintreten, braucht es die radikalen Teile der Umweltbewegung, um wenigstens die Debatte darum zu suchen. Es braucht – Klimaklassenkampf!

In diesem Sinne: Solidarität mit Lützi! Gegen jede Räumung und Repression der Besetzung! Für eine Radikalisierung, die die fossile Welt tatsächlich begräbt!

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