Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, 3. September 2015, Neue Internationale 202, September 2015, Revolutionärer Marxismus 47, September 2018
Als Alexis Tsipras als griechischer Premierminister am 20.August zurücktrat, löste er damit mehr aus als nur die Festlegung des Wahltermins zum griechischen Parlament am 20. September. Gemäß der griechischen Verfassung ermächtigte er sich auch, die Liste der KandidatInnen seiner Partei aufzustellen. D.h. er kann die 32 Syriza-Abgeordneten, die mit ‚Nein‘ gestimmt hatten und die 11, die sich der Stimme enthalten hatten, ausschließen. Diese AbweichlerInnen verweigerten im Parlament die Zustimmung zum weiteren „Rettungspaket“, dem damit verbundenen dritten Memorandum und dessen harschen Bedingungen seitens der Eurogruppe und des IWF am 14. August. Ferner verhinderte sein Rücktritt die Einberufung eines Parteitags vor den Wahlen. Es gibt demnach keine demokratische Entscheidung der Syriza-Mitgliedschaft über sein Vorgehen.
Im Gegenzug spalteten sich 25 Abgeordnete, angeführt von Panagiotis Lafazanis von Syriza ab und gründeten die neue Partei Volkseinheit (LAE), die am 20. September zu den Wahlen antreten will. Eine weitere Gegnerin des August-Memorandums, die Parlamentssprecherin Konstantopoulou, hat sich zwar der Volkseinheit noch nicht angeschlossen, wohl aber ihre Bereitschaft zur Kandidatur auf deren Ticket bekundet. Die KOE (Kommunistische Organisation Griechenlands), die 3 Syriza-Abgeordnete stellte, erörtert noch einen Beitritt zur LAE. Obwohl der linke Flügel der früheren Mehrheitsfraktion unter Tsipras, die Gruppe der 53, auch über einen Austritt aus Syriza debattiert, scheint nur eine Minderheit zur Verbindung mit der LAE bereit zu sein. Die neue Partei wird sich also zunächst auf die frühere Linke Plattform und das wesentlich kleinere „Rote Netzwerk“ stützen, das von der deutlich linker stehenden Gruppierung „Internationalistische ArbeiterInnenlinke“ (DEA) gebildet worden war.
Natürlich hat Tsipras´ schändlicher Verrat an den 61% Oxi/Nein-Stimmen bei der Volksabstimmung am 5. Juli gegen die Politik der Eurozone die organisierte Unterstützung für Syriza stark ausgehöhlt, wenn nicht gar aufgelöst. Berichten zufolge verlassen massenhaft Mitglieder Ortsgruppen und treten der LAE bei. Die Jugendorganisation hat sich von Syriza getrennt und aufgelöst. Tsipras hofft jedoch, dass seine Popularität der Partei über die Wahlen hinweg helfen wird. Meinungsumfragen scheinen dies zu bestätigen. Eine davon ergab im Auftrag der Bild-Zeitung im August einen Anteil von Syriza für 28%. Die bürgerliche Nea Dimokratia lag bei 25%, und die Volkseinheit schnitt mit 8% ab. Griechische Umfragen, die nicht gerade für ihre Verlässlichkeit bekannt sind, setzen niedrigere Werte an, doch auch bei ihnen steht Syriza noch an der Spitze, knapp vor der rechtskonservativen Nea Dimokratia, die im unteren 20%-Bereich liegt. Die Volkseinheit wird nur zwischen 3 bis 4,5% gesehen. Trotz Zweifeln an der Objektivität dieser Umfragewerte scheint die LAE doch die 3%-Hürde für den Einzug ins griechische Parlament nehmen zu können.
Das wäre gleichbedeutend mit dem Stand, den Syriza vor 2012 erreicht hatte, und besagt, dass LAE weit davon entfernt wäre, die Geschicke des Landes lenken zu können, legt man Parlamentswahlen als Entscheidungsmaßstab zugrunde. Sicher werden die neuen Kürzungsprogramme und Privatisierungen sowie die zu deren Durchsetzung notwendige Repression ab Oktober Auswirkungen haben, und es könnte sich alles ändern. Daher ist Tsipras´ Vorgehen eine solch empörende Täuschung und Verrat an den Hoffnungen und am Vertrauen, das die GriechInnen in diese Partei gesetzt haben. Die Hauptlehren daraus müssen sein: der Zusammenbruch wurde nicht einfach durch Täuschung und Verrat von Seiten Tsipras´ und seiner Fraktion ausgelöst, sondern steckte als Geburtsfehler in der Partei seit ihrer Gründung. Dieser Geburtsfehler heißt: Reformismus.
Syriza versprach, eine deutliche Senkung der Schuldenlast Griechenlands auszuhandeln. Dieser belief sich 2014 auf 317 Mrd. Euro. Das hielt selbst der IWF als rückzahlbare Summe für unmöglich. Syriza hatte auch versprochen, die Austeritätsbedingungen zu beenden und, nach Tsipras eigenen Worten am Wahltag, dem 25. Januar, „die Troika Geschichte werden zu lassen.“ Er versprach, Privatisierungen aufzuhalten und rückgängig zu machen, v.a. den großen Athener Hafen von Piräus, ferner entlassene ArbeiterInnen des Öffentlichen Dienstes wieder einzustellen, Zwangsräumungen zu beenden und das Wohnungselend anzupacken sowie RentnerInnen und KleinbäuerInnen Erleichterungen zu verschaffen.
Stattdessen unterbrach die Europäische Zentralbank praktisch den Geldzufluss über die Liquiditätsnothilfe ELA an die griechischen Banken, während die griechischen Oligarchen die Kapitalflucht aus dem Land beschleunigten. Völlig in Verhandlungen verstrickt, tat die Regierung nichts dagegen. Währenddessen schoben die europäischen Finanzminister, wie der griechische Finanzminister Yannis Varoufakis bezeugte, auch den Anschein von Verhandlungen beiseite und forderten strikte Unterwerfung von Syriza statt eine Milderung der früheren Memoranden zu gewähren.
Zentraler Zweck dieses Vorgehens war, ein Exempel an Griechenland zu statuieren, um die anderen Schulden-belasteten Staaten der EU einzuschüchtern und Deutschlands Vorherrschaft in der Eurozone zu demonstrieren. Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen haben Tsipras und Varoufakis einen Rauchvorhang aus optimistischen Berichten erzeugt, um die griechische Bevölkerung zu täuschen und sie in Untätigkeit und Schicksalsergebenheit verharrren zu lassen. Das dicke Ende kam dann am 30.Juni, als Griechenland die Rückzahlung an den IWF nicht mehr leisten konnte und sich der Schuldenstand auf 323 Mrd. Euro erhöhte.
Auf einer Nachtsitzung der Führer der Eurozone in Brüssel, bei dem Angela Merkel die Rolle des „bad cop“ und Francois Hollande die des geschmeidigeren Kompagnons spielten, unterwarfen sie Tsipras einem „ausgiebigen mentalen Waterboarding“, wie es ein erfahrener EU-Beamter ausdrückte. Sie forderten, dass die griechische Regierung ein noch drakonischeres Paket von Kürzungsmaßnahmen annehmen sollte und die staatlich-finanzielle Souveränität als Preis für die Vermeidung des Zusammenbruchs des griechischen Bankensystems und der Abtrennung von der gemeinsamen Währung aufgeben sollte. Tsipras wurde gezwungen, eine dritte „Rettung“ von 86 Milliarden anzunehmen.
Es unterstreicht zwar die Glaubwürdigkeit der Linken Plattform, gegen diese „Rettung“ aufgetreten zu sein, auch wenn einige Parlamentsabgeordnete Anfang Juli noch gezögert hatten, aber angesichts der Offensichtlichkeit von Tsipras´ Verrat kann diese Haltung kaum als besonders ehrenhaftes Beispiel sozialistischer Unbeugsamkeit gewertet werden. Sie standen nur zu den Versprechungen, die Syriza zur Zeit der Volksabstimmung ein paar Wochen vorher gemacht hatte, was allerdings alle Abgeordneten der Partei hätten tun sollen.
In dieser Hinsicht bedeutet die Volkseinheit keinen politischen Fortschritt. Das drückt sich in Lafazanis Betonung aus, dass die LAE weiterhin auf dem Thessaloniki-Programm der Partei vom September 2014 steht mit dem Zusatz, dass er das Bekenntnis zum Euro, das Syriza im Wahlkampf Januar 2015 abgelegt hatte, widerruft. Das war ein Abrücken vom früheren Versprechen, dass Syriza für den Euro wäre, „aber nicht um jeden Preis“, d.h. um den Preis der Austerität. Lafazanis sagt richtig, dass dies nicht ein Abrücken vom Anspruch auf Beendigung der Austerität bedeuten würde, geschweige denn als Rechtfertigung für die Annahme noch schlimmerer Kürzungspolitik als die beiden vorauf gegangenen Memoranden dienen könne.
Viele Linke haben gemeint, dass dies zweideutig oder widersprüchlich sei und zu Syrizas Tragödie geführt habe. Das stimmt nicht oder stimmt allenfalls oberflächlich betrachtet. Der tiefere Grund war, dass Syrizas Programm (nicht für sich genommen durchaus korrekte einzelne Reformversprechen) und v.a. ihre Strategie und die Handlungsweise zur Befreiung Griechenlands von Kürzungspolitik und der Herrschaft der Troika reformistisch waren.
Ihre ganze Perspektive steckte in einer Zwangsjacke der Anerkennung des kapitalistischen Privateigentums und des Gehorsams gegenüber den Regeln des bürgerlichen Staates. Syriza stellte sich nichts anderes vor als die Einhaltung der Legitimität ihres Wählerauftrags und die Verlängerung der Verhandlungen mit den Gläubigern der EU und der griechischen Banker als Vertreter der kapitalistischen griechischen Oligarchie. Wolfgang Schäuble ehrt seine Offenheit, als er im Januar anmerkte: „Neue Wahlen ändern nichts an den Abkommen, denen die griechische Regierung beigetreten ist. Jede neue Regierung muss sich an die vertraglichen Vereinbarungen ihrer Vorgänger halten.“ M.a.W., das Vertragsrecht stößt sich an den Rechten der Wählerschaft. Wie Marx einst kurz und bündig bemerkte, gilt unter dem Kapitalismus, dass bei gleichem Recht die Gewalt entscheidet.
Es gab praktisch nur eine Kraft, die das Potenzial hatte, die Gewalt der Eurozonen-Minister und der Aktienmärkte aufzuhalten: die griechische und europäische ArbeiterInnenklasse. Doch Syriza unternahm nicht einmal den Versuch, sie in Gang zu setzen. Erst in letzter Minute und dann in passivster Form wurde ein Referendum angesetzt, dessen Ergebnis dann auch noch sofort mit Füßen getreten wurde. Kurzum, die Syriza-Regierung handelte vom ersten Tag an genau wie jede bürgerliche Regierung, was sie in der Praxis auch wirklich war. Die Linke Plattform hat dies auch nicht grundsätzlich angegriffen. Wenn ihre Führer ernsthaft die Austerität und Griechenlands Knechtschaft gegenüber der Troika hätten beenden wollen, dann hätten sie die Arbeiterklasse aufrufen müssen, um Syriza zu zwingen, wie eine echte Arbeiterregierung zu handeln, die Gewerkschaften und ArbeiterInnen in den Wohnvierteln mobilisieren, den Aufbau von ArbeiterInnenräten und Selbstverteidigungsorganen gegen die repressiven Institutionen des kapitalistischen Staates vorantreiben sollen, dessen Attacken unvermeidlich, aber nicht unüberwindlich gewesen wären. Stattdessen haben sie sich selber an die kollektive Verantwortung der bürgerlichen Klasse gegenüber als Minister gebunden.
Eine solche kämpferische Perspektive hätte ihren Anstoß von dem Wahlsieg nehmen sollen und auf der daraus resultierenden großen Begeisterung aufbauen können, um ArbeiterInnenkontrolle über alle Schlüsselbereiche der Wirtschaft, angefangen bei den Privatbanken, zu errichten. Auf dieser Grundlage hätten die Zahlungen für die Zinsschulden unterbunden werden können wie auch die Kapitalflucht ins Ausland. Die Unternehmungen und Einlagen der Oligarchen in Produktion und Distribution hätten als Druckmittel genommen werden müssen gegenüber ihren Besitzern und hätten unter Arbeiterkontrolle gestellt werden müssen.
Es hätte und konnte von Beginn an klar gemacht werden, dass die Regierung auf keinen Fall die Kürzungspolitik nach den Bedingungen der Eurogruppe durchführen will. Obwohl die Partei wie die Mehrheit der Bevölkerung lange darauf bestand, dass sie in der Eurozone bleiben wollte, statt freiwillig das Risiko der Rückkehr zur Drachme auf sich zu nehmen, hätte klar gemacht werden können, dass die Beendigung der Austerität und die Streichung der Schuldung unbedingten Vorrang genossen. Wenn Griechenland schließlich aus der Eurozone hinaus gedrängt worden wäre, hätte die Schuld auf den Schultern der Verantwortlichen der Eurozone und ihrer Herren, den milliardenschweren Banken gelegen. Ein früher und dringender Aufruf hätte an die ArbeiterInnen Europas ergehen müssen, an ihre Parteien und Gewerkschaften, Griechenland zu Hilfe zu eilen. Praktisch haben jedoch nur ziemlich geringe Kräfte der reformistischen und radikalen Linken Demonstrationen und Proteste organisiert.
Der hohe Grad, zu dem die Linke Plattform Tsipras´ grundsätzliche Methode teilt, wird deutlich an ihrer Passivität während der beinahe sechsmonatigen Scheinverhandlungen. Statt Kampfmaßnahmen der Arbeiterklasse zur Hauptstoßrichtung ihrer Strategie zu machen und damit Tsipras und Co. zu zwingen, ihre Wahlversprechen zu erfüllen, richtete die Linke Plattform ihre Tätigkeit auf lahme Propaganda für ihren Plan B; das gleichermaßen unrealistische Projekt von Verhandlungen mit Wolfgang Schäuble über einen freiwilligen Grexit. Dies erklärt auch ihre fast völlige Lähmung in den ersten Tagen nach Tsipras´ Verrat. Einige enthielten sich der Stimme aus Furcht, die Regierung zu Fall zu bringen, obwohl diese doch den Verrat angezettelt hatte. Nicht einmal riefen sie die ArbeiterInnenschaft auf, sich gemeinschaftlich mit ihren eigenen Maßnahmen wie Streiks und Besetzungen dagegen zu stellen.
Heute sagt Lafazanis: „Die Prinzipien der Partei Volkseinheit, die eine Beendigung der nationalen Unterordnung und die Notwendigkeit beinhalten, einen neuen unabhängigen, souveränen und fortschrittlichen Kurs zu verfolgen.“ Und er fährt fort: „Wenn es notwendig ist, unser Programm durchzuführen, werden wir nicht zögern, die Eurozone in koordinierter Weise zu verlassen und eine nationale Währung wieder einzuführen. Ich glaube nicht, dass diese Aktionen die Hölle für Griechenland bedeuten, wie die Euro-Propagandisten behaupten.“
Konkret bedeutet dies die Verfolgung der Illusion eines weiterhin kapitalistischen Griechenlands außerhalb des Euro. Es beinhaltet, dass dies erreicht werden kann durch Verhandlungen mit denselben Leuten, die Griechenland die Austeritätspolitik auferlegt haben. Lassen wir einmal das Problem beiseite, dass die Drachme wieder hergestellt werden soll, wenn die griechischen Banken vom Kapitalstock der EZB abhängen, um zahlungsfähig zu bleiben. Doch der Glaube, dass Wolfgang Schäuble und Co, sich beteiligen werden an der „Koordinierung“ des Weges von Griechenland zu Liquidität und Souveränität, ist genauso utopisch wie Tsipras´ und Varoufakis´ Glaube, dass sie einen großen Schuldenschnitt bei den europäischen Gläubigern und eine Beendigung der Austerität verhandeln könnten – und all dies zu Bedingungen des Euro, wie von der EZB vorgesehen. Eine solche Perspektive zeigt, dass Syrizas original reformistisches Projekt zur Gewinnung der „Macht“ ausschließlich durch Wahlen immer noch in der Strategie der Volkseinheit ungebrochen herrscht.
Der einzige Unterschied ist, dass Lafazanis und Kouvalakis glauben, dass dies in den Grenzen eines „unabhängigen Griechenlands“, vielleicht mit dem selbstlosen Wohlwollen von Seiten Moskaus oder Pekings bewerkstelligt werden kann. All dies zeigt, dass die Syriza-Linke in einem Schema des Reformismus befangen bleibt. Für sie ist es wirklich unmöglich und unvorstellbar, mit dem Kapitalismus zu brechen. Dies treibt sie aus Zynismus oder Naivität in eine Strategie der Klassenkollaboration und eine Suche nach „fortschrittlichen“ national bewussten Kapitalisten, statt ihr Augenmerk auf international klassenbewusste ArbeiterInnen in Griechenland und ganz Europa zu lenken.
TheoretikerInnen der Volkseinheit wie der Wirtschaftswissenschaftler Stathis Kouvelakis behaupten, die neue Front sei sogar „breiter“ als die Neuzusammensetzung der radikalen Linken. Sie soll „den Gesellschaftskräften, die sich nicht notwendigerweise als Teil der Linken betrachten, aber die Sparpakete, Memoranden und ‚neu aufgelegte Troika-Herrschaft‘ des neuen Memorandums bekämpfen wollen“, Ausdruck geben. Er sagte: „Wir planen, alle Kräfte und gesellschaftlichen Organisationen zu kontaktieren“ außer der neonazistischen Goldenen Morgenröte.
Zusammen mit der bewussten Namenswahl – um die chilenische Unidad Popular der 1970er Jahre zu imitieren – kann das nichts anderes bedeuten als das Verlangen, die Volkseinheit auf rechts von der Linken Plattform stehende Kräfte auszudehnen, also eine Suche nach der klassischen stalinistischen Volksfront. Dies wird unweigerlich Ablehnung antikapitalistischer Maßnahmen zugunsten eines Blocks mit „patriotischen“ Sektoren der Kapitalistenklasse bedeuten. Natürlich wird dies keine einfache Aufgabe werden, sie ist die Suche nach dem Einhorn, aber es verkörpert die Ausrede für das Zurechtstutzen des Volkseinheit-Programms auf das Thessaloniki-Programm plus Plan B.
Wenn die Volkseinheit es fertigbringt, eine Kandidatenliste mit offen bürgerlichen Größen für die Wahlen am 20. September aufzustellen, sollten ArbeiterInnen sie überhaupt nicht unterstützen. Wenn aber die Suche nach einer Kandidatenliste „breiter als die Linke“ scheitert – nicht dass dafür Kouvelakis oder Lafanzanis Dank gebührte – und die Volkseinheit-Liste unabhängig von allen bürgerlichen Parteien oder Einzelpersonen ist, sollten ArbeiterInnen dafür stimmen. Doch eine solche Unterstützung sollte äußerst kritisch erfolgen.
Innerhalb der Volkseinheit selbst müssen nun ihre linken Bestandteile das reformistische, neokeynesianische Programm Lafanzanis‘ aufs Korn nehmen. Viele dieser kleineren sozialistischen Gruppierungen und Strömungen wie die KAI-Sektion Xekinima (Bewegung, Schwesterorganisation der SAV) waren Teil der OXI-Kampagne und sind jetzt Teil von Volkseinheit. Sie müssen die strategischen Fehler vermeiden, die die Linke Plattform in Syriza beging; sie müssen das Programm der Führung herausfordern. Es kann nur eine sozialistische Alternative zu Austerität und Memorandum als Komponente einer sozialistischen Programmalternative für die griechische ArbeiterInnenklasse geben. Andernfalls werden dieselben reformistischen Illusionen, die aus Syriza stammen, nun in der Volkseinheit verbreitet werden. Es ist Pflicht aller sozialistischen oder revolutionären Organisationen, für eine sozialistische und antikapitalistische Perspektive und ein solches Programm inner- und außerhalb der Volkseinheit einzutreten.
Doch noch wichtiger als die Wahlen ist eine Einheitsfront aller linken Parteien, um das 3. Memorandum zu stoppen, die Privatisierungen, Kürzungen und Räumungen mittels direkter Aktion bis zu und einschließlich einem flächendeckenden Generalstreik aufzuhalten. Dazu sollte ein weiterer Versuch angestellt werden, die Kommunistische Partei (KKE) trotz ihres wie gewöhnlich starrköpfigen sektiererischen Standpunktes, Lafazanis unterscheide sich nicht von Tsipras, einzubeziehen.
Die Tiefe der sozialen und wirtschaftlichen Krise, in der Griechenland steckt, wurzelt darin, dass sie das Land wiederholt in revolutionäre Situationen treibt, also solche, in denen revolutionäre Lösungen aufgeworfen werden, die es erfordern, der Kapitalistenklasse die Macht zu entreißen. Das scheiterte jedoch bisher am nichtrevolutionären, ja antirevolutionären Charakter der Führungen der ArbeiterInnenorganisationen, daran, zur Revolution voranzuschreiten. In kritischen Momenten haben sie diese entweder einer Strategie untergeordnet, sich auf Verhandlungen mit dem Klassenfeind zu verlassen (Syriza und Volkseinheit), oder sie haben die kämpferischsten Sektoren der ArbeiterInnenklasse im Zustand sektiererischer Lähmung gehalten (KKE).
Der zunehmende Widerspruch zwischen einer objektiven Lage, die zusehends nach revolutionären Lösungen schreit, und dem aktuellen Stand der griechischen Linken wird immer augenscheinlicher. Die linksreformistische Strategie Syrizas wie auch das ultralinke Sektierertum der reformistischen KKE bilden zwei Seiten derselben Medaille: der Abwesenheit politischer Perspektiven. Mit der Volkseinheit droht eine Wiederholung derselben alten Geschichte, ohne grundlegende Infragestellung der Kernschwächen der Syriza-Strategie.
Das verweist auf den entscheidenden Punkt: in einer Situation akuter politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Krise liegt das Hauptproblem, vor dem die griechische ArbeiterInnenklasse steht, im Fehlen von allem, was auch nur entfernt an eine echt revolutionäre Partei herankommt. Diesbezüglich ist Antarsya, die Antikapitalistische Linke Zusammenarbeit für den Umsturz, die sich abseits von Syriza hielt und sie scharf kritisierte, gleichfalls Teil des Problems. Sie ist sicher einer der aktivsten und kämpferischsten Bestandteile der Protestbewegung gegen das Memorandum. Sie organisiert ein Gutteil der kampfwilligsten KlassenkämpferInnen in Griechenland, was durch die Repression bewiesen wurde, die sie während der Proteste gegen Tsipras‘ Kapitulation erfahren hat. Doch obwohl sie auf gewissen abstrakt-antikapitalistischen Prinzipien gründet, erwies sie sich nicht in der Lage, den notwendigen programmatisch-taktischen Zusammenhalt zwischen ihren Einzelorganisationen herzustellen. Über Jahre hinweg war sie nicht fähig, Differenzen zu solch bedeutenden Themen wie dem Euro, der Frage revolutionärer Strategie und dem Verhältnis zu Syriza zu überwinden. Schlimmer noch, sie scheint kaum ein Problem darin zu sehen. Deshalb verwundert es nicht, dass sie sich in der gegenwärtigen vollständigen Neuformierung der griechischen Linken effektiv gespalten hat.
Selbst Antarsyas „trotzkistische“ Versatzstücke – OKDE-Spartakos (eine der Sektionen der IV. Internationale, Schwesterorganisation von ISL und RSB) und die SEK (Sektion der IST, Schwesterorganisation von Marx 21) – nahmen eine passiv propagandistische Politik an, die sich auf polemische Entlarvung von Syrizas Reformismus beschränkte, sowohl während deren Aufstieg an der Wahlurne ins Amt wie auch der Monate an der Macht. Sie versuchten nicht, die in Syriza gehegten Erwartungen und Hoffnungen seitens großer Massen von Lohnabhängigen und Jugendlichen in Mobilisierungen umzusetzen, um die Perspektive einer ArbeiterInnenregierung hochzuhalten und die reformistischen Spitzen mit militanter und organisierter „Unterstützung“ unter Druck zu setzen, so dass dieser sie hätte zwingen können, weiter zu gehen, als sie wollten, oder den Weg für eine neue Führung frei zu machen. Eine solche Strategie hätte die Aussicht auf eine echte ArbeiterInnenregierung eröffnen können. Diese von der leninistischen Komintern entwickelte und von Trotzki im Übergangsprogramm aufgegriffene Taktik hätte sich als immens wertvoll für RevolutionärInnen dabei erweisen können, das Vertrauen großer Teile von Syrizas Basis zu erobern und Tsipras und Co. hundertmal wirkungsvoller bloßzustellen als durch bloß papierne Deklarationen.
Nun kommt es drauf an, revolutionäre Kräfte um ein Aktionsprogramm herum neu zu gruppieren, das seinen Ausgangspunkt beim Widerstand gegen das Memorandum und die (wahrscheinliche) Links-Rechts-Koalitionsregierung nimmt, die es zu oktroyieren versuchen wird. Es muss den Aufruf zu einer Einheitsfront des Kampfes enthalten, die alle Gewerkschaften auf Orts- und Betriebsebene mit Gemeinde-, Studentenorganisationen und den ArbeiterInnenparteien zusammenschließt. Es muss nicht nur die Probleme im Visier haben, die den einfachen Leuten auf den Nägeln brennen, sondern auch Lösungen dafür, die die Eigentumsrechte der Oligarchen oder Auslandsinvestoren nicht achten, im Gegenteil, ArbeiterInnenkontrolle über sie ausüben und Bedürfnisse auf ihre Kosten befriedigen.
Schlussendlich muss ein solches Programm sich als Ziel eine Regierung stellen, die sich verpflichtet, von Tag 1 an antikapitalistische Maßnahmen einzuführen. Diese würden beinhalten: Rauswurf der EU-Kommissare; Nationalisierung aller Privatbanken; Errichtung eines Außenhandelsmonopols; Verstaatlichung der Unternehmen der griechischen Oligarchen unter ArbeiterInnenkontrolle und Appelle an die Lohnabhängigen in ganz Europa, Aktionen zu starten, um die EU-Oberhäupter an einer Blockade Griechenlands, seinem Hinauswurf aus dem Euro oder einer Verschwörung zum Sturz der ArbeiterInnenregierung zu hindern. Zudem müsste sie auch eine Ersatzwährung für den Notfall vorbereiten.