Bruno Tesch, Infomail 976, 4. Dezember 2017
Angesichts des Scheiterns der Regierungsverhandlungen konnte sich die AfD beruhigt und weithin unbehelligt von den anderen Parteien, die im Augenblick vor allem mit sich selbst beschäftigt sind, der Abhaltung ihres Parteitags widmen. Auch die mittlerweile wieder hoch gehandelte Neuauflage der GroKo aus den beiden großen WahlverliererInnen würde einen Rückschlag für die ArbeiterInnenklasse bedeuten, denn eine solche Regierungsbildung würde wieder große Teile der Klasse v. a. über die Gewerkschaftsbürokratie zum Stillhalten bei einem verschärft arbeiterInnenfeindlichen Programm und gesteigerten Offensiven der Bosse veranlassen.
Letztlich würde diese fortgesetzte Politik weitere Kreise der Lohnabhängigen enttäuschen und das Wählerpotenzial für die AfD erhöhen können. Eine etwaige Minderheitsregierung der Union würde die Instabilität erhöhen und das traditionelle Politmanagement der Bourgeoisie und dessen Handlungsfähigkeit noch deutlicher in Frage stellen, so dass scheinbar unverbrauchtere Kräfte Nutzen daraus ziehen und ihren Vorschlägen zur Krisenlösung mehr Gewicht in der öffentlichen Diskussion verschaffen könnten. In dieser Hinsicht ist die jetzige Lage eine Win-win-Situation für die AfD, die in der Opposition ihr rassistisches neo-liberales Programm mit einem guten Schuss Chauvinismus „sozial“ drapieren kann.
Ernsthafte Kopfschmerzen mussten dem nunmehr rechten Flügel des Parlaments auch nicht die inneren Auseinandersetzungen bereiten, die noch am Wahlabend nach außen traten, denn diese haben ihrem Status keinen Abbruch getan.
Auch die AfD ist selbst ein Spiegelbild der Krise der bürgerlichen Gesellschaft und als Partei noch längst kein einheitlicher Block. Der Parteitag sollte nach dem erstmaligen Einzug in den Bundestag einen wichtigen Beitrag leisten, die Fronten zu klären und die Marschrichtung der Partei festzuzurren.
Die „gemäßigte“ Richtung war nach dem Austritt der mittlerweile fraktionslosen Frauke Petry ohnedies längst erledigt. Ihrem Beispiel war kaum jemand gefolgt. Den „Blauen“ blüht wohl dasselbe Schicksal wie der wirtschaftskonservativen Lucke-Gründung „Alfa“, von der inzwischen niemand mehr spricht. Der „gemäßigte“ Flügel ist aktuell vereinzelt. Zwar gründete Beatrix von Storch Anfang Oktober die „Moderaten“ mit knapp 160 Teilnehmenden, jedoch formieren sich diese aktuell weit unterhalb vergangener Größe. Die Bahn schien also frei gemacht für die rechtsnationalistischen ParteistrategInnen, die auf Mobilisierung von in der Grundrichtung reaktionär gesinnten Elementen der Gesellschaft setzen.
Inhaltlich hat sich seit den 7 Monaten nach der Kölner Programmformierung zwar nicht viel verändert. Die programmatischen Anträge der ostdeutschen Landesverbände, die mehr „soziales“ Profil der AfD einfordern, wurden vertagt und in eine Strategiekommission ausgelagert. Aber das darf nicht über die Verschiebung der Kräfte in der AfD hinwegtäuschen.
Die personellen Entscheidungen auf dem Parteitag am 2. Dezember verdeutlichen, dass ohne den rechtsnationalistischen Flügel keine Position mehr durchsetzbar ist. Bei der Wahl der zweiten Spitze neben Jörg Meuthen ergab sich in zwei Wahlgängen keine Entscheidung zwischen dem neuerdings als „nur konservativ“ geltenden früheren Bundesgeschäftsführer Georg Pazderski und seiner von der völkisch geprägten Seite stärker favorisierten schleswig-holsteinischen Landessprecherin Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein.
Alexander Gauland, der selbst stark auf rechtspopulistische Mobmobilisierungen setzt, „rettete“ schließlich die Situation und ließ sich zum zweiten Bundessprecher wählen. Zweifellos stellt er nun den eigentlichen Parteivorsitzenden dar. Sein Co-Vorsitzender Meuthen ist wohl nur wegen seiner politischen Biegsamkeit weiter im Amt.
Auch wenn die Wahl zu den stellvertretenden Vorsitzenden und zu den BeisitzerInnen relativ ruhig über die Bühne ging, so ist eindeutig, dass gegen den rechts-nationalistischen Flügel – selbst eine Allianz aus extrem-nationalistischen, völkischen und faschistischen Kräften – in der AfD nichts geht. Natürlich will die Mehrheit der AfD längerfristig an die Regierung, aber, wie es Gauland formulierte, nur auf „gleicher Augenhöhe“, ähnlich der FPÖ in Österreich. Als Juniorpartner fürchten die Rechten verschlissen zu werden wie vor einigen Jahren die FDP.
Die GegnerInnen einer raschen Regierungsoption umfassen jedoch zwei Lager. Gauland und seine AnhängerInnen orientieren sich klar am FPÖ-Vorbild. Das Rechtsaußen-Lager um Leute wie Tillschneider will die Regierung erst übernehmen, sobald die AfD die Mehrheit stellt – ob per Wahl oder Putsch, lässt es dabei offen.
Daher wird die AfD in den nächsten Monaten und Jahren weiter nach rechts gehen, noch mehr auf Rassismus, auf „Heimat“, Volk und Boden setzen. Sie wird sich weiter Bewegungen wie Pediga „öffnen“, denen die Tore der Partei ohnedies nie verschlossen waren. Zugleich wird sie aber auch an ihrer eigenen „Normalisierung“ arbeiten – sei es in den Kommunen, wo erste Bündnisse mit „respektablen“ bürgerlichen Kräften nur eine Frage der Zeit sind, oder in einzelnen Landtagen, wo sie eine Zusammenarbeit mit der CDU gerade in Fragen wie „klassischen“ rechts-konservativen Themen suchen wird, von Abschiebungen, „Kriminalitätsbekämpfung“ bis hin zum Feindbild „Linksextremismus“.
Beunruhigt hätte die AfD einzig und allein durch eine massive Widerstandswelle werden können, die sie als zugespitztesten Ausdruck des Rechtsrucks in Frage stellte.
Der 2. Dezember 2017 in Hannover übertraf zwar mit an die 10.000 TeilnehmerInnen den Aufmarsch gegen den Parteitag im November 2015 sowohl in den Widerstandsformen wie auch in der Anzahl der Menschen, die sich gegen die reaktionäre Provokation in Bewegung setzte. Er blieb aber mengenmäßig um ein Drittel hinter dem Protest gegen den Hagida-Haufen im Januar 2016, ebenfalls in Hannover, zurück. Natürlich war der Staatsapparat bestens vorbereitet und tat unter Einsatz von rund 5000 PolizistInnen, also etwa 15 % des Aufgebots beim G-20 Gipfel in Hamburg, alles, um dies zu verhindern.
Im Vorwege wurde das Zoo-Viertel zu einer Festung ausgebaut. Straßenbahn- und Busverkehr in der Nähe wurden gesperrt und Halteverbotszonen für PKWs eingerichtet.
Trotzdem versuchten rund 1500 Menschen mit vier Blockaden seit dem frühen Morgen, den 600 Delegierten den Weg zu ihrem Parteitag zu versperren. Ein zusätzlicher unangekündigter fünfter Finger war ebenfalls präsent und wurde massiv angegriffen. Immerhin konnten die Blockaden erreichen, dass der AfD-Parteitag um eine Stunde verspätet starten musste. Mehr war aber angesichts der Kräfteverhältnisse an diesem Tag auch nicht möglich.
Die Polizei räumte einzelne Blockaden, wobei mittels Wasserwerfern gegen die DemonstrantInnen vorgegangen wurde, wobei es etliche Verletzte gab. Mehrere Personen wurden in Gewahrsam genommen.
Die Blockaden hätten jedoch auch effektiver sein können, wenn sie auch größere Kräfte unterstützt hätten. So wurden sie vor allem von Gruppierungen der radikalen Linken, anti-rassistischen und anti-kapitalistischen Kräften getragen.
Die Verantwortung dafür liegt eindeutig beim reformistischen und kleinbürgerlichen Teil der VeranstalterInnen der Protestaktionen. Einige ihrer SprecherInnen schmusten sich regelrecht als gehorsame StaatsdienerInnen an. Sie hatten anders als beim Parteitag im November 2015 die Demoroute in umgekehrte Richtung, also vom AfD-Tagungsort weg, verlegt. Hannovers DGB-Bezirkschef Reiner Eifler meinte ganz stolz: „Wir hoffen auf deeskalierende Wirkung.“
Die Zusammensetzung und politische Ausrichtung der Bewegung offenbarte jedoch auch ihre Schwächen. Wie schon die Erfahrung der Proteste gegen G-20 lehrt, genügt es nicht, Bündnisse zu haben, die jetzt zwar allenthalben entstanden sind und sich als buntes Farbenspektrum zur Schau stellen, aber nur zu bestimmten Anlässen und gegen die gröbsten Auswüchse von Reaktion und Rassismus zu Felde ziehen. Auch überlagern oft Diskussionen über die Mittel des Widerstands, wo die Frage der „Gewaltfreiheit“ endlos rauf und runter dekliniert wird, das Geschehen und drängen Erkenntnisse über politische Zusammenhänge und perspektivische Schlussfolgerungen an den Rand.
In Hannover stellten linke Organisationen und Bewegungen das Gros der Demonstration. Außer den Refugees, die aber nicht festgefügt auftraten, hatten von den politischen MigrantInnenorganisationen nur kurdische Gruppen eine größere Abordnung zur Stelle. Die Linkspartei verfügte auch über ein recht ordentliches Aufgebot. Von den Gewerkschaften, obwohl offizielle Anmelderinnen, war weit weniger zu beobachten. KirchenvertreterInnen erhielten Rederecht, traten jedoch beim Marsch ebenso wenig wie NGOs in Erscheinung – Zerrbild dessen, welche Kräfte wirklich zum Kampf gegen Rassismus bereit sind.
Nicht nur die RednerInnenliste, auch die Inhalte der Kundgebungen blendeten den Bezug zum Klassenkampf fast völlig aus. In den Beiträgen wurden sowohl der verhängnisvolle ideologische Gleichklang der gewerkschaftlichen Standortlogik mit dem Programm der AfD wie auch die Unternehmerangriffe (Siemens, Thyssen/Krupp und Pflegenotstand) ebenso wie die Notwendigkeit der Wappnung gegen unweigerliche Attacken einer kommenden Regierung mit Folgen der Ausweitung des Prekariats unterschlagen.
Zum Kampf gegen Rassismus gehört auch ein Eintreten für gewerkschaftliche Organisierung von MigrantInnen.
Dirk Schulze (IGM-Metall) äußerte völlig korrekt: „Die AfD ist eine arbeitnehmerfeindliche Partei. Sie stellt die gewerkschaftliche Mitbestimmung in Frage und hat sich für längere Lebensarbeitszeit und Kürzung der Rente ausgesprochen.“ (nach: Neue Presse Hannover). Aha – aber trifft das nur auf die AfD zu? Wäre eine Regierung, an der die AfD ja nicht beteiligt sein wird, nicht ebenso gefährlich, weil sie mindestens einige Punkte davon umsetzen könnte? Wenn dies zu „roten Haltelinien“ erklärt wird, müsste dann der Protest nicht noch massiver und massenhafter gegen eine arbeiterInnenfeindliche und rassistische Politik – nicht nur der AfD – mobilmachen?
Diese Fragen wären Ausgangspunkte für die ArbeiterInneneinheitsfront und müssten auch Gegenstand einer Aktionskonferenz sein, die ein gemeinsames und nachhaltiges Handeln gegen Regierung und Rassismus beschließen sollte.