ArbeiterInnenmacht-Flugblatt, Infomail 1144, 27. März 2021
Seit letzten Sommer hat es DWE nicht nur geschafft, eine große SammlerInnenstruktur mit ca. 1600 Personen aufzubauen, was zahlreiche Solidarische Orte, lokale Kiez- und Hochschulgruppen einschließt, sondern auch die Zustimmung großer BündnispartnerInnen wie des Berliner Mietervereins und ver.dis, der GEW, IG Metall , IG-BAU- und DGB-Jugend gewonnen. Es gibt Gespräche mit verschiedenen linken Bezirksverbänden der Grünen und der SPD sowie dem Berliner Landesverband der Jusos. Die Linkspartei unterstützt das Volksbegehren ebenso sowie zahlreiche andere linke Initiativen, Vereine, Interessenvertretungen und politische Gruppierungen.
Zusätzlich wurde die Kampagne geographisch erweitert:
Damit hat die Kampagne nicht nur eine starke personelle Ausstattung, sondern eine bis dahin nicht bekannte gesellschaftliche Reichweite in stark unterschiedlichen Milieus und in der organisierten ArbeiterInnenklasse entwickelt.
Aber auch die Gegenseite macht mobil: Eine Woche vor Start der zweiten Phase schikanierte die Polizei mehrere SammlerInnen, beschlagnahmte Material, erstattete Anzeigen wegen Plakatierens ohne Erlaubnis und Sachbeschädigung oder wurde in Treptow ertappt, wie sie selbst Plakate (bspw. in der Baumschulenstraße) entfernte. Innensenator Geisel berät weitere Schritte wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz. Derselbe Innensenator, der 441 Tage für die Freigabe des Volksbegehrens gebraucht hat, beeilt sich anscheinend, jetzt die Kampagne zu stören. Dabei ist politische Werbung zum Zwecke von Volksbegehren nach § 2 Abs. 5, Nr. 2 der Covid-Verordnung ausdrücklich erlaubt. Geisel ist dem rechten und der Immobilienlobby nahen Flügel der SPD zuzurechnen und bereits zuvor mit einer feindlichen Haltung gegenüber Volksbegehren aufgefallen. Die Rate konservativer und neoliberaler Internettrolle steigt an und spammt die Kommentarspalten unter den Artikeln bürgerlicher Zeitungen zu. Und nicht zuletzt will der Immobilienlobbyverband GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen) 1,6 Millionen Euro für eine öffentliche Gegenkampagne bereitstellen, die durch Spenden der Mitgliedsverbände wie beispielsweise des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) und Sonderbeiträge der von der Vergesellschaftung betroffenen Immobilienkonzerne finanziert wird, und damit mit den Mieten der einfachen BerlinerInnen.
Das alles war zu erwarten und zeigt sehr gut, dass Vergesellschaftung zwar in Form des Volksbegehrens eine demokratische Frage ist, aber im Kern eine soziale mit klaren Klassenlinien und Lagern.
Bei allen guten Entwicklungen und optimistischen Aussichten ist das Ziel der Vergesellschaftung jedoch nicht sicher. Erstens weil das Volksbegehren letztlich alle Hoffnungen auf einen legalistischen Prozess setzt, der beim Gesetzgebungsverfahren eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus voraussetzt, also von der Unterstützung von Grünen, SPD und Linkspartei abhängt. Zweitens weil es keine anderen Wege zur Vergesellschaftung aufzeigt, die im Falle einer Niederlage die Kampagne auffangen und umorientieren könnten. Dazu bedarf es einer freien politischen Diskussion über zusätzliche und alternative Wege und einer Strategie, die mittels demokratischer Fragen Massen mobilisiert und organisiert (wie das Volksbegehren es auch erfolgreich tut). Sie müsste dabei jedoch versuchen, die Entscheidungsebene weg von Organen des bürgerlichen Staates (wie den Regierungsparteien, dem Abgeordnetenhaus und den Gerichten) auf eine (Klassen-)Ebene oder ein (soziales) Milieu zu verschieben, wo DWE tatsächlich eine größere Hebelwirkung und Verankerung, hat wie Organe der ArbeiterInnenklasse: Betriebsversammlungen, Gewerkschaften, lokale MieterInnenräte und „die Straße“.
Als Motor und als demokratisches Vehikel ist das Volksbegehren sehr gut geeignet und die Unterstützung durch die Gewerkschaften zeigt das. Unabhängig davon, wie der Kampf ausgeht, hat die Strategie ihr Potential verdeutlicht, eine demokratische Frage in eine soziale Massenmobilisierung zu transformieren. Wie der weitere Weg aussehen soll und sich das Volksbegehren in eine Gesamtstrategie in der Wohnungsfrage einbettet, muss offen diskutiert werden. Warum diese Diskussion um Alternativen und mögliche Negativszenarien wichtig ist, zeigt die aktuelle Sammelphase. Diese ist mit einer Schwierigkeit konfrontiert, die für vorherige Volksbegehren unbekannt war: die Corona-Pandemie und das Sammeln unter Maßnahmen des Infektionsschutzes. Wie stark sich das auf die Unterschriftenzahl letztlich auswirkt, lässt sich aktuell nicht voraussagen. Aber angesichts des starken Starts und der relativ großen Zustimmung unter Lohnabhängigen und WählerInnen von Grünen, SPD und Linkspartei kann man vorsichtig optimistisch sein.
Es kommt aber bis zum Ende auf jede Unterschrift an. Daher:
Denn die erfolgreiche zweite Phase wäre nicht nur ein Sieg für 300.000 MieterInnen. Es gibt Überlegungen, ein größeres Bündnis aufzubauen, was die Frage von Enteignung, Vergesellschaftung, Gemeinwirtschaft, Wirtschaftsdemokratie und demokratische Kontrolle auch in Bezug auf andere gesellschaftliche Bereiche zur Agenda macht. Damit könnten die Linke und die ArbeiterInnenklasse nicht nur nach Jahrzehnten des politischen Rückzugs endlich wieder in die Offensive kommen, sondern auch in Zeiten von Corona, Klimawandel und der kommenden Wirtschaftskrise dringende Sofortmaßnahmen und ein langfristiges Programm auf eine Grundlage stellen, von der die Masse der Menschen profitiert und damit ihr Überleben sichert.
Bürgerliche Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich lediglich gegen „spekulative Auswüchse“, nicht gegen das auch der Wohnungsfrage zugrunde liegende Kapitalverhältnis.
Ein Wohnungsprogramm kann nur entwickelt werden durch Teilnahme an den Erfahrungen und Kämpfen der MieterInnenbewegung. Deshalb wollen wir hier einige Eckpunkte benennen, die solch ein revolutionäres Programm berücksichtigen müsste:
1. Jede Forderung zur Erleichterung und Verbesserung der Lage der MieterInnen und der Einschränkung der privaten Eigentümerverfügungsmacht über Immobilien ist zu unterstützen, auch wenn sie noch so begrenzt erscheint.
2. Dabei ist immer klarzustellen, dass, solange die bürgerliche Staatsmacht besteht, Teilerfolge immer gefährdet sind. Es gibt keine sozialistischen Inseln im Kapitalismus.
3. Der Wohnungssektor ist Teil des kapitalistischen Gesamtsystems. Der Kampf dort muss ausgeweitet werden zu einem Kampf gegen dieses System.
4. Der MieterInnenkampf muss als Klassenkampf geführt werden (z. B. durch Einbeziehung der Gewerkschaften und anderer Organisationen, die sich auf die ArbeiterInnenklasse beziehen).
5. Anzustreben ist die Organisation der Betroffenen (MieterInnen und Beschäftigte der Wohnungswirtschaft) in (räteähnlichen) Strukturen der direkten Demokratie.
6. Forderungen sind zentral, die den Kern des heutigen Wohnungsmarktes angreifen (z. B. entschädigungslose Enteignung und Vergesellschaftung von Grund und Boden, Banken, Finanz- und Baukonzernen unter Kontrolle von Organisationen der ArbeiterInnenbewegung und der NutzerInnen).
Wir schlagen auch ein Programm öffentlicher, nützlicher Wohnungsbau- und Sanierungsmaßnahmen zu Tariflöhnen und bezahlt aus Unternehmerprofiten vor.
Das bedeutet nicht nur Kommunalisierung des Grund und Bodens, sondern Baubetrieb in Staatshand zwecks Neubau wie Altbausanierung, bezahlt aus dem beschlagnahmten Vermögen des entschädigungslos enteigneten Wohnungs- und Baukapitals bzw. einer progressiven Steuer auf alle Unternehmensprofite. Auch macht die enge Verknüpfung des Wohnungskapitals mit dem Finanzkapital es nötig, ebenso bei den Finanzierungsgesellschaften entschädigungslose Enteignungen durchzuführen.
Erst auf dieser Grundlage kann eine echte Selbstverwaltung bzw. Mitsprache der MieterInnen stattfinden, begleitet von ArbeiterInnenkontrolle über das Wohnungsbauwesen.