Arbeiter:innenmacht

Indien: Frauen mobilisieren für „Zurückgewinnung der Nacht“

Dave Stockton, Infomail 1264, 19. September 2024

Als Moumita Debnath, eine 31-jährige Ärztin in der Ausbildung am R. G. Kar Medical College and Hospital in Kalkutta, Westbengalen, am 9. August vergewaltigt und ermordet aufgefunden wurde, gingen in ganz Indien zahlreiche Frauen auf die Straße und protestierten unter dem Motto „Reclaim the Night“ (Rückgewinnung der Nacht). Sie hatte gerade eine 36-Stunden-Schicht hinter sich und schlief in einem Seminarraum, als sie brutal angegriffen wurde.

Zu den Demonstrantinnen gesellten sich rasch zahlreiche männliche Studenten und Ärzte, und auch das medizinische Personal in Krankenhäusern in Westbengalen und anderen indischen Bundesstaaten trat in den Streik. Die Polizei setzte Tränengas ein und schlug die Demonstrant:innen, bevor sie Wasserwerfer gegen sie einsetzte. Ihr und anderen wurde vorgeworfen, den Vorfall vertuschen zu wollen und ihn zunächst als Selbstmord zu melden.

Die BJP (Bharatiya Janata Party; Indische Volkspartei)-Regierung von Narendra Modi verurteilte den Vorfall aufs Schärfste, nutzt ihn aber auf demagogische und zynische Weise, um den Rücktritt von Westbengalens Ministerpräsidentin Mamata Banerjee vom All India Trinamool Congress (AITC) zu fordern, der einzigen weiblichen Regierungschefin eines indischen Bundesstaates. Inzwischen haben Schläger:innen der BJP Demonstrant:innen am Krankenhaus angegriffen.

Der Vorfall in Kalkutta erinnert natürlich an das Ereignis im Jahr 2012, als die 23-jährige Krankengymnastik-Auszubildende Jyoti Singh, die mit einem männlichen Freund in einem Bus in Delhi unterwegs war, von dem Fahrer und sechs Fahrgästen vergewaltigt wurde. Jyoti starb später im Krankenhaus. Der Vorfall wurde sowohl in Indien als auch im Ausland weitgehend verurteilt.

Epidemie der Gewalt

Doch auch 12 Jahre später sind indische Frauen auf der Straße, am Arbeitsplatz und zu Hause noch immer in erschreckendem Maße von sexueller Gewalt betroffen. Das National Crime Records Bureau (Kriminalstatistikbüro) verzeichnete im Jahr 2022 durchschnittlich 86 Vergewaltigungsfälle pro Tag. Die tatsächliche Zahl könnte viel höher sein, da viele Übergriffe nicht gemeldet werden. Die Frauen fürchten Vergeltungsmaßnahmen, das Stigma, das diejenigen umgibt, die mutig genug sind, ihre Meinung zu äußern, sowie ineffiziente und oft korrupte Ermittlungen der Polizei. Vergewaltigungen von Frauen der Dalits (unterste Kaste im Hinduismus), Adivasi (Indigene) und Frauen aus der Unterschicht finden kaum Beachtung und werden nicht verfolgt.

Die für solche abscheulichen Angriffe verantwortlichen Kriminellen müssen gefunden und bestraft werden. Es sollte Sicherheit für Frauen geben, die in Krankenhäusern, Schulen, Fabriken, Büros und auf dem Feld arbeiten. Auch häusliche Gewalt und Vergewaltigung müssen aufgedeckt und bestraft werden.

Frauenbewegung der Arbeiter:innenklasse

Aber der Krieg gegen Feminizid und Vergewaltigung wird nicht von den Kräften des kapitalistischen Staates gewonnen, ja nicht einmal geführt werden. Zumal die Klassengesellschaft auf einer frauenfeindlichen Kultur beruht, die diese hervorbringt und von reaktionären Geistlichen und zynischen Politiker:innen gefördert wird, die die patriarchalischen Werte in allen Religionen zu ihrem Vorteil nutzen.

Die Frauen selbst müssen sich organisieren. Die Arbeiter:innenbewegung in den Städten und auf dem Land muss ihnen helfen, Selbstverteidigungsorganisationen für all diejenigen aufzubauen, die durch solche Angriffe gefährdet sind, einschließlich LGBTIAQ-Personen. Das bedeutet, sich am Arbeitsplatz, auf der Straße, in den Städten und Dörfern zu organisieren. Eine massenhafte Frauenbewegung der Arbeiter:innenklasse kann mit Hilfe fortschrittlicher Männer aufgebaut werden, beginnend in Zeiten von Massenprotesten wie den jetzigen. Andernfalls wird all die berechtigte Wut, die durch solche schrecklichen Ereignisse ausgelöst wird, kein dauerhaftes Ergebnis haben.

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