Wilhelm Schulz, Neue Internationale 260, November 2021
In Berlin haben die Koalitionsverhandlungen am 22. Oktober begonnen. SPD, Grüne und DIE LINKE tagen über den Rahmen kommender Landespolitik. Am 15. Oktober hatten die drei Parteien ihre Sondierungsergebnisse vorlegt. Am 5. Dezember hat die Berliner SPD angekündigt, auf einem Landesparteitag über den Vertrag und somit die Regierungsbildung abzustimmen.
Der Autor selbst ging vor der Wahl davon aus, dass die Orientierung Giffeys (SPD) und ihrer VerhandlungsführerInnen auf eine Deutschland- und nach der Wahl auf eine Ampelkoalition gerichtet ist. Jedoch ließ sich dies innerhalb der Berliner SPD angesichts des Wahlergebnisses und des Drucks der Grünen für eine Fortsetzung der bisherigen Koalition (R2G), unter geänderten Mehrheitsverhältnissen als Rot-Grün-Rot (RGR), nicht durchsetzen.
Doch nicht die Form, sondern der Inhalt ist entscheidend. Hier konnte Giffey durch ihre Drohgebärde, DIE LINKE jederzeit durch die FDP ersetzen zu können und zu wollen, punkten. Dieses Vorgehen reichte aus, um DIE LINKE zu prinzipienlosen Zugeständnissen zu bewegen. In den Sondierungsergebnissen steht beispielsweise zum Volksentscheid Folgendes: „Die neue Landesregierung respektiert das Ergebnis des Volksentscheides und wird verantwortungsvoll damit umgehen. Sie setzt eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens ein.“ (Sondierungspapier Berlin, S. 2). Es wird deutlich, dass viele hohle Phrasen und nicht die Frage des „Wie“, sondern des „Ob“ der Enteignung hier formuliert wurden. Dafür soll eine ExpertInnenkommission eingesetzt werden, die ein Jahr prüfen soll, um dann dem Abgeordnetenhaus einen Vorschlag vorzulegen. Wie das Abgeordnetenhaus im Allgemeinen und RGR im Speziellen damit beabsichtigen umzugehen, wird nicht erwähnt. Diese Durchsetzung trägt Franziska Giffeys Handschrift – in „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ deshalb auch Dolores Umbridge genannt. Dies gleicht einer Verschleppungstaktik, die darauf wettet, dass die MieterInnenbewegung bis dahin aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden und unfähig ist, der Blockade etwas entgegenzusetzen.
Anstelle dessen spricht das Sondierungspapier von Baubündnissen und von „Kooperation statt Konfrontation“ (ebd.) – was angesichts bestehenden Leerstandes, drohender Inflation, auslaufender Sozialbindung von Wohnraum, explodierenden Bodenpreisen, Luxussanierungen und -neubau nichts weiter als eine Nebelkerze ist. Deutsche Wohnen hatte schon vor dem Volksentscheid niedrigpreisige Bauprojekte versprochen. Diese werden nun verspätet fertiggestellt und „müssen“ doch hochpreisig vermietet werden. Von öffentlichen Bauvorhaben wird nicht gesprochen, sondern von Aufstockung im urbanen Bauen, also teuren Dachgeschosswohnungen in den Innenstädten durch zumeist Private.
DIE LINKE wurde also durch die Sondierungstaktik von SPD und in gewisser Form den Berliner Grünen weichgeklopft, sodass sie ihre roten Haltelinien zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ aufgab – hier nur als ein Beispiel. Der außerordentliche Delegiertenparteitag der Berliner Linken am 19.10. stimmte zuerst über die grundsätzliche Frage der Bereitschaft zur Teilnahme an einer Koalition mit SPD und Grünen ab, bevor die inhaltlichen Linien der Koalitionsverhandlungen festgelegt wurden. So erschien der Antrag, dass die Integration eines Vergesellschaftungsgesetzes in einen Koalitionsvertrag Vorbedingung zur Beteiligung der Linken an einer Koalition sei, als reine Makulatur. Darüber hinaus wurde der Antrag durch den geschäftsführenden Landesvorstand so abgeändert, dass eine Ablehnung eines Vergesellschaftungsgesetzes durch SPD und Grüne kein Grund zum Bruch der Koalition sei. Über den Originalantrag wurde nicht mehr abgestimmt.
Dies zeigt mindestens zweierlei. Einerseits versucht die Führung der Linken, um jeden Preis Teil der Regierung zu werden, anstatt sich auf den konsequenten Kampf zur Umsetzung der Interessen ihrer sozialen Basis zu orientieren (Krankenhausbewegung, Mietenvolksentscheid, S-Bahn). Andererseits ist die Opposition innerhalb der Berliner Linken zwar vertreten und sichtbar, stellt jedoch keinen organisierten Pol dar. Die Möglichkeiten dazu sind jedoch gegeben.
Am 20. Oktober legten Teile der Linkspartei-Basisorganisation (BO) Wedding ein Statement gegen den Ausverkauf des Volksentscheids durch ihre Partei vor. Darin steht unter anderem: „Für uns ist klar: Die ins Abgeordnetenhaus gewählten Parteien sind mehrheitlich gegen eine Umsetzung von DWe. Das muss für uns als LINKE bedeuten: Wir müssen aus der Opposition im Schulterschluss mit der Bewegung, für eine Umsetzung der Vergesellschaftung kämpfen“. Auch die Landesvollversammlung der Linksjugend [’solid!] hat sich mehrheitlich gegen eine Fortsetzung dieser Dreierkoalition ausgesprochen.
In der Berliner Linkspartei heißt es derweilen seitens des Vorstands, dass man den Koalitionsvorschlag abwarten solle, da dieser erneut durch einen Landesparteitag bestätigt werden müsse. Die perfiden bürokratischen Manöver auf dem Kleinen Parteitag am 19.10 zeigen, dass das eine Finte ist. Die Linkspartei ist strategisch auf die Regierungspolitik orientiert. Linke in DER LINKEN müssen bereits jetzt gegen eine Regierungsbeteiligung ohne das Ziel der Enteignung großer privater Immobilienkonzerne mobilmachen und sich in der Partei und öffentlich darum organisieren.
Doch nicht nur auf dem Wohnungsmarkt brennt es. Dämmern doch angesichts des Fortbestands der Schäuble’schen schwarzen Null mitten in der dreifachen Krise aus drohendem wirtschaftlichen Kollaps, ökologischer Katastrophe und weltweiter Pandemie andere Problemfelder. Die fiskalpolitischen Spielräume werden immer kleiner. Doch DIE LINKE hält sehenden Auges auf diese Probleme zu, anstatt sich auf die Seite des Widerstandes gegen drohende soziale Kahlschläge zu stellen. An der Landesregierung befände sie sich hier notwendig in einem Widerspruch, einerseits von kapitalistischen Sachzwängen geleitet, das Elend der Krise mitzuverwalten, und andererseits, dem sozialen Widerstand dagegen dadurch das Wasser abzugraben. Und das fortan unter verschärften Bedingungen.
Bereits in der vergangenen Legislatur wurde dieses Problem sichtbar. So „erkämpfte“ DIE LINKE im letzten Koalitionsvertrag, dass die Situation in den kommunalen Krankenhäusern verbessert werden solle, was nur durch eine Streikbewegung in Teilen erkämpft werden konnte. Andererseits setzte sie im Jahr 2020 3.111 Zwangsräumungen mit durch, schob 968 Menschen ab, räumte linke Hausprojekte und Jugendzentren wie u. a. die Liebig34, den Köpi-Wagenplatz, den Drugstore, brachte die Teilprivatisierung der Berliner S-Bahn und Schulen voran. Die Liste ist unvollständig, zeichnet aber ein beachtliches Bild an bereits erfolgreichen sozialen Angriffen von R2G.
Auch für die Umweltbewegung bleibt nicht viel Hoffnung in die neue Regierung, baut diese doch weiter an der A100 oder überlässt die Einhaltung von Klimazielen Förderpaketen für energetische Sanierungen, während die landeseigenen Unternehmen künftig als CO2-neutrale Vorbilder gegenüber der Wirtschaft agieren sollen.
Die Linken in DIE LINKE werden sich fragen müssen, wie weit sie noch den Niedergang ihrer Partei „kritisch“ begleiten wollen. Den Widerspruch, die Parlamentspartei zu verkörpern, die sich am meisten auf solche sozialen Bewegungen stützt, und letztere stets durch die Politik des vermeintlich kleineren Übels vor den Kopf zu stoßen, können sie nur positiv lösen, indem sie nicht weiter immer giftigere Kröten im Interesse der Parteieinheit schlucken. Sie müssen vielmehr einen offenen Kampf gegen die RegierungssozialistInnen führen und dürfen dabei auch vor einem politischen und organisatorischen Bruch nicht weiter zurückschrecken.