Arbeiter:innenmacht

Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) – bedingungslos gut?

Martin Suchanek, Infomail 1103, 10. Mai 2020

Ein wichtiger Bestandteil einer kommunistischen Gruppierung besteht auch in der theoretischen, ideologischen, programmatischen Auseinandersetzung und Klärung. Nur auf Basis einer revolutionären Theorie ist letztlich eine revolutionäre Praxis überhaupt möglich.

Daher setzten wir uns im Rahmen unserer wöchentlichen Online-Veranstaltungen am 7. Mai mit dem bedingungslosen Grundeinkommen auseinander.

Seit über zwei Jahrzehnten wird diese Forderung immer wieder in sozialen Bewegungen diskutiert, aber auch von bürgerlichen Kräften als Mittel zur „Reform“ der Sozialsysteme in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung ins Feld geführt.

Daher wollen wir hier den Vortrag vom 7. Mai vollständig unseren LeserInnen zur Verfügung stellen. Wir freuen uns über Beiträge, Kommentare, Diskussionen.

Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) – bedingungslos gut?

Auf den ersten Blick scheint das eine einfache Frage zu sein, zumal wenn wir an dieser Stelle von den sehr verschiedenen Vorschlägen absehen, wie es finanziert werden soll oder es begründet wird.

Das Grundeinkommen verspricht schließlich eine Reihe unmittelbarer Verbesserungen für Menschen ohne Arbeit, mit geringen Einkommen, Menschen, die unter Schikanen der Ämter zu leiden haben.

Grundsätzlich versprechen alle Modelle für Grundeinkommen eine staatliche Transferleistung, die Personen – unabhängig davon ob sie eine Bedürftigkeit vorweisen können oder nicht – erhalten sollen. D. h. es sollen ALLE kriegen, ob nun Obdachlose, prekär Beschäftigte, FacharbeiterInnen, ProfessorInnen oder KonzerneigentümerInnen. Staffelungen sind zumeist nur bei Kindern und Jugendlichen vorgesehen, früher auch bei manchen Modellen für gering Qualifizierte. Eine Reihe von Modellen – das vorweg – beschränkt die Bezugsberechtigung allerdings nur auf StaatsbürgerInnen, schließt also einen großen Teil der MigrantInnen und alle Flüchtlinge aus.

Alle Modelle versprechen zudem, reale Probleme zu lösen: Arbeitslosigkeit, Umstrukturierung der Arbeitswelt, den Zwang, Billigjobs anzunehmen, die gesellschaftliche Abwertung nicht entlohnter Beschäftigung wie z. B. von privater Hausarbeit.

Und alle versprechen mehr Selbstständigkeit und Freiheit des Individuums, weil dieses mit einem garantierten Einkommen abgesichert sei, da es ein Grundeinkommen von 800–1500 Euro/Monat ohne Bedingungen zur freien Verfügung hätte und sich dann auch noch etwas „dazuverdienen“ könne oder auch nicht.

Im Vortrag wollen wir zuerst auf direkt bürgerliche Modelle eingehen; daran schließt eine erste Kritik an. Daraufhin beschäftige ich mich mit linken, in der Regel kleinbürgerlichen Modellen. Abschließend folgen deren Kritik und die klassenpolitische Alternative zum BGE.

1. Bürgerliche Modelle

An dieser Stelle komme ich auf einige Modelle offen bürgerlicher ÖkonomInnen, PolitikerInnen oder von UnternehmerInnen zu sprechen, also auf Vorschläge, die keinerlei antikapitalistischen Anspruch haben, wohl aber mehr Selbstbestimmung und Freiheit versprechen.

Hier sei zuerst die sog. negative Einkommensteuer erwähnt. Sie geht auf Milton Friedman, einem der Begründer des Neo-Liberalismus, zurück und bildet die Grundlage verschiedener Modelle des Bürgergeldes, aber auch etlicher Finanzierungsmodelle des BGE. Der Staat sichert praktisch jedem/r einen festzulegenden Geldbetrag, der in Friedmans Vorstellung mit der Einkommensteuerschuld verrechnet wird. Für Menschen mit keinen oder geringen Steuern ergibt sich daraus ein Plus, daher auch der Terminus negative Einkommensteuer.

Friedman koppelt seinen Vorschlag – auch das kommt in verschiedenen Spielarten  bürgerlicher Modelle immer wieder vor – an die Abschaffung anderer staatlicher Transferleistungen, verspricht Bürokratieabbau samt Einsparung der in der Sozialverwaltung Beschäftigten, …

Das ist auch etlichen, in der BRD diskutierten, Modellen ähnlich. So dem sog. „Althaus-Modell“, benannt nach dem ehemaligen Thüringer CDU-Ministerpräsidenten. Dieses wurde von der Adenauer-Stiftung schon vor gut 10 Jahren für Beträge von 800 bzw. 400 Euro berechnet und als „kostenneutral“ befunden. Warum? Weil es mit der Abschaffung der Sozialversicherung für Alter und Krankheit einhergeht, diese müsste also privat bezahlt werden. Daher wäre es auch durch Bürokratieabbau und massive Reduktion der sog. Lohnnebenkosten, also eigentlich von Lohnbestandteilen, gegenfinanzierbar.

Götz Werner, Gründer der Drogeriemarktkette dm, spricht sich auch für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus, in der Höhe von zuerst 900,-, dann ansteigend auf 1500,- Euro. Auch er will zugleich Sozialabgaben und andere Transferleistungen abschaffen. Finanziert werden soll sein Modell durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 48 %, also v. a. Massensteuern. Auch dies soll kostenneutral sein.

Werner verspricht außerdem, dass sein Modell den Zwang zur Annahme niedrig entlohnter Arbeit abschaffen würde. Die Unternehmen würden vielmehr zur Rationalisierung und zum Ersetzen unqualifizierter Arbeit durch Maschinen gezwungen. Die Durchsetzung von „Angebot und Nachfrage“ würde, so verspricht er, gar zu höher qualifizierten Angeboten für Beschäftigte führen. Zugleich hat er auch eine frohe Botschaft für das Kapital – die Gewerkschaften würden überflüssig, weil die Menschen nur noch die Arbeit annehmen müssten, die sie annehmen wollten.

Dies ist jedoch selbst bei seinem Modell albern. Ein BGE von 1500,- Euro verbliebe unter der Höhe des von vielen Gewerkschaften geforderten Mindestlohns. Zieht man private Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge und Mieten ab, so kommt man rasch ans untere Ende der Reproduktionskosten, also der Kosten, die notwendig sind, um die Ware Arbeitskraft zu erhalten und auch zukünftige Generationen auszubilden. Wenn wir die durchschnittlichen Kosten für Lebensmittel, Wohnung, Miete, Bildung, Kindererziehung, Betreuung von Angehörigen usw. in Rechnung stellen, bleibt bei den 1500,- Euro gerade genug zum Überleben.

2. Kritik an den bürgerlichen Vorschlägen

Faktisch laufen alle diese Modelle auf Kombilohn hinaus, also darauf, dass die Menschen zum BGE „dazuverdienen“ müssen. Der Zwang, die Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, bleibt also bestehen.

Es ändert sich aber doch einiges. Die KapitalistInnen werden bei diesen Modellen von den sog. Lohnnebenkosten befreit. Da diese in Wirklichkeit nur als Arbeit„geber“Innenanteile verklärte Lohnbestandteile darstellen, sinken also faktisch die Lohnkosten. Zweitens ermöglicht das Modell eine Ausweitung von schlecht bezahlter Arbeit, Mini-Jobs usw., gerade weil ein Teil der Reproduktionskosten schon staatlich ausbezahlt wird.

Natürlich werden schon jetzt bestimmte Teile des Arbeitslohns über Transferleistungen – Versicherungen – bestritten bzw. wird ein Teil der Reproduktionskosten durch staatliche Einrichtungen (Schulen, Jugendfreizeiteinrichtungen … ), also über Steuern, finanziert, von denen ohnedies einen immer größeren Batzen die Lohnabhängigen bezahlen.

Mit dem Grundeinkommen oder BürgerInnengeld soll das vereinfacht werden, sollen also die Verwaltungskosten gespart werden. Alle kriegen das BGE, dafür entfallen möglichst alle Formen der Transferleistung und damit auch die Rechtsansprüche auf diese Leistungen. Der neo-liberale Trend zur Privatisierung und Individualisierung von Vorsorgeleistungen, staatlicher Ansprüche wie Bildung, Kita, … könnte so der privaten Wahl der EinkommensbezieherInnen überlassen werden.

Ideologisch wird das aber als Zugewinn von Freiheit und Selbstbestimmung verbrämt.

In Wirklichkeit wird der Zwang zum Verkauf der Ware Arbeitskraft jedoch nur in andere Formen gegossen.

Außerdem wird eine mehr oder minder große Reservearmee der ArbeiterInnenklasse (also von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung) dauerhaft in Rechnung gestellt. Seit Jahrzehnten wird in vielen Analysen das angebliche Verschwinden der Arbeit, die mehr oder minder vollständige Ersetzung menschlicher Arbeitskraft beschworen. Diese Behauptungen haben sich nicht nur empirisch als fragwürdig, ja falsch erwiesen, gerade wenn wir das Wachstum der globalen ArbeiterInnenklasse in den letzten Jahrzehnten betrachten. Die Freisetzung menschlicher lebendiger Arbeit wird zudem als eine unvermeidliche „natürliche“ Entwicklungstendenz dargestellt, als „Sachzwang“ und Automatismus, nicht als Folge der Kapitalakkumulation, also eines gesellschaftlichen Verhältnisses.

Akzeptiert man aber die Verklärung zur unvermeidlichen, „natürlichen“ Entwicklung, so erscheint das BGE als humanere Alternative zu Hartz IV alternativlos.

Das BGE bildet somit ein bürgerliches Programm, das nur auf eine andere Form der Verwaltung der Erwerbslosen und prekär Beschäftigten hinausläuft. Am meisten wird das vom Anthroposophen und Humanisten Götz Werner verkleistert. Leute wie Althaus, die CDU-AnhängerInnen von BürgerInnengeld oder Friedman machen das nicht. Sie sind gewissermaßen ehrlicher, jedenfalls offener bezüglich ihrer Klassenziele, aber auch realistischer, was die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus betrifft.

Aus dem Gesagten wir auch schon deutlich, dass das BGE an grundlegenden Verhältnissen nichts verändert:

  • Das betriff zuerst die Struktur der gesellschaftlichen Arbeit, der Arbeitsteilung, das Verhältnis von Beschäftigten und Arbeitslosen, die Verteilung über die Branchen, aber auch das Verhältnis von Mann und Frau. All das bleibt vom BGE grundsätzlich unberührt, eventuell verstärkt es z. B. die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sogar.
  • Die Ungleichheit zwischen StaatsbürgerInnen und NichtstaatsbürgerInnen wird verfestigt. Alle bürgerlichen Modelle und auch viele andere, die Transferleistungen durch BGE ersetzen wollen, würden die Lage nichtdeutscher Menschen massiv verschlechtern, weil diese vom BGE ausgeschlossen wären.
  • Als Gesellschaftsmodelle verfestigen, ja verschärfen sie somit die Spaltung der ArbeiterInnenklasse – insbesondere auch zwischen Beschäftigten und Unbeschäftigten. Sie laufen nämlich auf eine Umverteilung des Einkommens innerhalb der Klasse hinaus. Ein mehr oder minder großer Teil der Finanzierung würde nämlich durch Lohnabhängige für Lohnabhängige über Steuern oder andere Mittel erbracht werden.
  • Alle BGE-Modelle setzen voraus, dass die Zahl der Beschäftigten von den Akkumulationsbedürfnissen des Kapitals bestimmt wird.

Es geht einzig um eine Umverteilung von Einkommen, die möglichst „kostenneutral“, also ohne Kosten für das Kapital, vonstattengehen soll. Die Verteilung der Produktionsmittel in der Gesellschaft, deren Besitz von der KapitalistInnenklasse monopolisiert ist, bleibt außen vor.

3. Linke Modelle

Neben den Modellen von offen Bürgerlichen gibt es zahlreiche, im weitesten Sinn linke Modelle. Z. B. präsentiert Ronald Blaschke, Mitstreiter von Katja Kipping und Vertreter im Rat des „Netzwerk Grundeinkommen“, im Oktober 2017 eine Übersicht über 14 Modelle. Sicher gibt es weit mehr. Bei der Finanzierung streben die meisten – im Gegensatz zu Althaus oder Friedman – eine Umverteilung von oben nach unten an. So sollen manche auch über Steuern – einschließlich einer Teilfinanzierung über Vermögensteuer – finanziert werden, andere über Änderung der Sozialabgaben usw. Die vorgeschlagene Höhe des BGE reicht von 1000,- bis 1500,-, etliche machen dazu auch keine Angaben. Politisch kommen sie von Teilen der SPD, Grünen, Kirchen, Sozialinitiativen/Verbünden, attac, Linkspartei. Außerdem wird das BGE von Gruppierungen und TheoretikerInnen des Post-Autonomismus (z. B. Negri und Hardt im „Empire“) favorisiert und zu einem Mittel zur Schaffung einer anderen, postkapitalistischen Gesellschaft stilisiert.

Die linken Modelle – auch hier gibt es eine ganze Reihe – versuchen, die Defizite der bürgerlichen zu überwinden, indem sie die Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen an bestimmte Ziele binden:

a) Es soll wirklich bedingungslos sein – d. h. wirklich keine Form der Bedürftigkeitsprüfung inkludieren (d. h. es gibt natürlich auch Geld für Reiche, die aber insgesamt mehr einzahlen als erhalten).

b) Es muss unabhängig von der Staatsangehörigkeit allen zukommen, die hier leben. Bei manchen wird es auch als „globales soziales Recht“ gefordert.

c) Es soll armutsfest sein – daher auch eine Mindesthöhe haben, die zum Leben in Würde reicht.

Da der Begriff der „Würde“ ökonomisch vage und unbestimmt ist, so dient er mehr als Wunsch, denn als reale Bestimmung. Im Grund sollen auch die linken BGEs die Reproduktionskosten decken, genauer das notwendige Minimum, um unter gegebenen Bedingungen die Kosten für Grundbedürfnisse einer Person (Essen, Wohnen, Ausbildung, Freizeit) sowie auch zukünftiger Generationen zu sichern.

Was die Höhe betrifft, unterscheiden sich die linken Modelle also nicht substantiell von den Vorschlägen eines Götz Werner. Ihr Unterschied liegt wohl eher in den zahlreichen Heilsversprechen, die zur Begründung des BGE herhalten sollen und in ihrer Gesamtheit kein schlüssiges Modell darstellen, wohl aber dem kleinbürgerlichen Klassenstandpunkt ihrer VertreterInnen entsprechen. So verweist das „Netzwerk Grundeinkommen“ darauf, dass folgende Argumente für ein BGE sprechen würden:

  • „mehr Autonomie für Unternehmerinnen und Unternehmer durch deren Befreiung von der Verantwortung als ‚Arbeitgeber‘,
  • mehr Autonomie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die grundsätzliche Möglichkeit der Nichterwerbstätigkeit bzw. einer sinnvollen Tätigkeit außerhalb der Erwerbsarbeit,
  • mehr Autonomie für alle durch die Sicherung von Existenz und Beteiligung am gesellschaftlichen Leben ohne Wenn und Aber,
  • größere Unabhängigkeit bei der Suche nach einem Erwerbseinkommen,
  • größere Verteilungsgerechtigkeit,
  • Anreiz zu größerer Wertschöpfung und Rationalisierung,
  • Flexibilität des Arbeitsmarktes,
  • größere Effizienz des Sozialstaates,
  • Wahrung der Würde aller Menschen und die Beseitigung von Stigmatisierungen vor allem bei den gegenwärtig Erwerbslosen und Sozialhilfebeziehern,
  • Humanisierung der Arbeit,
  • Förderung der Bildung,
  • Stärkung der Familien,
  • Förderung von Existenzgründungen wie auch von ehrenamtlichen Tätigkeiten,
  • Förderung von Kreativitätspotenzialen durch die Möglichkeit der Muße.“

Dieser politische Gemischtwarenladen entspricht der zumeist kleinbürgerlichen Ausrichtung der Initiativen. Er zeigt aber außerdem, dass auch die „linken“ Initiativen keineswegs unbedingt  fortschrittliche Begründungen anführen.

Vor allem ist hier nichts von einem bestimmten, proletarischen Klassenstandpunkt zu merken; im Gegenteil, das BGE wird auch in vielen linken Varianten als „Menschheitsmodell“ angepriesen, das allen Klassen, Beschäftigten wie UnternehmerInnen zugutekommen und zugleich den schrittweisen Aufbau eines nicht auf Lohnarbeit basierenden Sektors erlauben würde.

Bei den linkesten Modellen/Initiativen verknüpft sich das mit bestimmten ideologischen Zielen/Werten, die mit dem BGE durchgesetzt würden:

  • Entkoppelung vom Zwang zur Lohnarbeit oder gar vom „Arbeitszwang“; Einstieg in eine neue Form der Vergesellschaftung,
  • Kritik an der Arbeitsgesellschaft, Umbewertung der Nichtlohnarbeit,
  • verbunden mit Anspruch auf Änderung geschlechtsspezifischer Teilnahme.

Diese werden aber nicht als Kampfziele formuliert, sondern als quasi automatische Folge des BGE suggeriert.

4. Kritik an „linken“ Vorstellungen

Schon sehr früh in der Debatte wurde dagegen von sozialistischen, feministischen, operaistischen linken Strömungen massiver und oft auch richtiger Widerspruch eingelegt. Die Kritik bezog sich sowohl darauf, dass das BGE seine Versprechen nicht einlösen könne, wie auch auf die negativen Folgen der zugrundeliegenden politischen Zielvorstellungen.

Wir wollen hier auch unsere wichtigsten Einwände darstellen:

1. Die Modelle des BGE werden als sozialpolitische staatliche Reformmodelle vorgetragen.

Sie erscheinen nicht als Kampfziele in der Auseinandersetzung gegensätzlicher Klassen, sondern als Abfederungsmittel gegen negative Auswirkungen des kapitalistischen Systems selbst. „Gerechtigkeit“ wird als Rechenaufgabe, weniger als Kampfauftrag verstanden. Das BGE soll gewissermaßen alle Klassen, abzüglich ihrer „uneinsichtigsten“ Teile, glücklich machen. Es ist daher kein Zufall, dass sich die Kritik der VertreterInnen des BGE nicht nur an staatlichen Zwangsmaßnahmen festmacht und gegen die GegnerInnen ihrer Konzepte in der Bourgeoisie richtet, sondern auch gegen große Teile der organisierten ArbeiterInnenbewegung und die sozialistische Linke.

2. Im Grunde wird die Existenz einer industriellen Reservearmee als feststehendes Faktum nicht nur akzeptiert, sondern auch schöngeredet, indem unterstellt wird, dass die weniger repressive oder „repressionsfreie“ Alimentierung des Arbeitslosengeldes, von Hartz IV usw. zu einer schrittweisen, wenn nicht gar automatischen Überwindung des Systems der Lohnarbeit führen würde.

3. Die Ursachen von Armut usw. werden als Verteilungsproblem aufgefasst. Es wird daher auch bei allen Modellen eine Lösung vorgestellt, die Einkommen der Gesellschaft einfach nur umzuverteilen. Damit würden die Auswirkungen der Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, … nicht nur vermindert. In den scheinbar radikalsten Begründungen wird auch behauptet, dass so das Privateigentum an Produktionsmitteln immer nebensächlicher werde, weil ja mehr im Sektor geschaffen würde, der nicht durch das Verhältnis von Lohnarbeit zu Kapital geprägt wäre. Andersrum: Wozu sich noch der Mühe unterziehen, das Kapital zu enteignen, wenn im BGE-Sektor ohnedies „neue“ Formen des Zusammenlebens aufgebaut werden?

4. Die verschiedenen Einkommensarten der Klassen (Lohn, Profit, Grundrente) erscheinen beim BGE nur als Mehr oder Weniger an Geld, also rein quantitativ verschieden. Sie sitzen damit dem Schein der bürgerlichen Gesellschaft auf, wie er sich auf der Ebene der Warenzirkulation aufdrängt. Ob das Geld aus Lohnarbeit oder Profit, aus Erbschaft oder Lottogewinn stammt, sieht im keine/r an. Daher erscheint es auch als nebensächlich, ob Menschen als LohnarbeiterInnen beschäftigt oder freigesetzt sind und die gleiche Summe als BGE beziehen. Dabei verkennen die BGE-AnhängerInnen aber das Spezifische des Arbeitslohns im Unterschied zu anderen Einnahmequellen.

5. Der Arbeitslohn ist bekanntlich nichts anderes als die Erscheinungsform des Werts der Ware Arbeitskraft, ihr Tauschwert, genauer dessen Preisform.

Hinter dieser Erscheinungsform verschwindet jedoch das Spezifische der Ware Arbeitskraft im Kapitalismus, nämlich ihr Gebrauchswert, Mehrwert für das Kapital zu schaffen.

Auf der gesellschaftlichen Oberfläche, in der alltäglichen Wahrnehmung und damit auch im spontanen Bewusstsein aller Klassen erscheint die Mehrwert schaffende Arbeit als eine Tätigkeit unter vielen anderen. Die Lohnabhängigen stellen auf dieser Ebene nur eine besondere Gruppe von EinkommensbezieherInnen dar.

Daher kann es auch so erscheinen, als würde eine Umverteilung der Einkommen, also eine immer größere Einkommensangleichung auch zur graduellen Abschaffung der Zwangsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft führen können, insbes. auch zur Abschaffung des Zwangs zum Verkauf der Ware Arbeitskraft.

Das ist reine Illusionsmalerei – und auch insofern gefährlich, als die realen gesellschaftlichen Verhältnisse verkannt und auf den Kopf gestellt werden. Im Kapitalismus bestimmt die Produktionssphäre die Verteilung, nicht umgekehrt. Aus ihrer Eigendynamik heraus muss ein BGE also gerade zum gegenteiligen Resultat führen als dem, das von den BGE-VertreterInnen angestrebt wird. Das BGE tendiert unter kapitalistischen Verhältnissen nämlich immer zum Kombilohn. Insofern ist es kein Zufall, dass sich in Zeiten von Krisen Teile der Bourgeoisie und bürgerliche Regierungen zu „Reformmodellen“ mit dem BGE entschließen. So wird dies z. Z. in Spanien und Irland erwogen.

Die „linken“ VertreterInnen des BGE erweisen sich hier als blauäugig, utopisch, weil sie selbst der Oberflächenerscheinung der gesellschaftlichen Ungleichheit aufsitzen, diese wesentlich als ungerechte Verteilung auffassen und darauf verkürzen.

6. Dabei bestimmt in Wirklichkeit die Produktionssphäre – die Sphäre der Mehrwertproduktion – die Verteilung des Reichtums. Lohn, Profit, Grundrente sind unterschiedliche Einkommensquellen gesellschaftlicher Klassen, die durch ihre Stellung im Produktionsprozess bestimmt werden. In der Geldform erscheint dieser qualitative Unterschied jedoch ausgelöscht, nur als ein quantitativer Unterschied. Die ungleiche Verteilung folgt aus den Verhältnissen in der Produktionssphäre, stellt also einen vom Gang der Kapitalakkumulation abhängigen Faktor dar.

7. Das ist auch ein Grund, warum andere Formen der Ungleichheit und der Unterdrückung durch bloße Veränderungen an der Einkommensverteilung allenfalls zeitweilig abgemildert, doch nicht überwunden werden können. Das Kapitalverhältnis stellt nämlich das wesentliche gesellschaftliche Verhältnis dar, weil es alle anderen in ihren Ausformungen unterordnet, bestimmt. Marx selbst weist darauf bei der Analyse der Reproduktion des Kapitals, also der Akkumulation, im ersten Band des „Kapital“ hin.

8. Dort macht er auf den Unterschied aufmerksam, ob wir das Kapitalverhältnis nur vom Standpunkt des/r einzelnen KapitalistIn zum/r einzelnen ArbeiterIn betrachten oder als Verhältnis zwischen Klassen. Solange wir es als Verhältnis zweier Individuen analysieren, erscheint die Zeit außerhalb der Arbeitszeit als „frei“. Betrachten wir Kapital und Arbeit jedoch als Gesamtklassen, so zeigt sich, dass selbst die Sphäre der Reproduktion und der individuellen Konsumption der Arbeitenden noch vom Kapital bestimmt wird – und damit natürlich auch die Reproduktion der Lohnabhängigen, die ihrer Arbeitskraft nicht verkaufen können, unabhängig davon, ob diese ALG 1, Hartz IV, BGE oder gar nichts kriegen.

9. Die Bewegung des Gesamtlohns der ArbeiterInnenklasse in seinen verschiedenen Bestandteilen (Nettolohn,  indirekte Lohnbestandteile, staatliche Transferzahlungen …) hängt dabei maßgeblich von der Akkumulationsbewegung des Kapitals ab. Sie reguliert die Höhe des Gesamtlohns je nach konjunkturellen und längerfristigen strukturellen Profitabilitätsbedingungen. Daher findet darin auch die Höhe des BGE der LohnarbeiterInnen – als eine Form des Gesamtlohns betrachtet – ihre Grenzen.

10. Im Rahmen des Kapitalismus gibt es nur eine Weise, wie die ArbeiterInnenklasse die Höhe des Arbeitslohns verteidigen oder ausdehnen kann – durch organisierten betrieblichen, gewerkschaftlichen und politischen Kampf.

11. Die Zahl der Arbeitslosen – der industriellen Reservearmee – ist dabei eine zentrale Größe für die Erfolgsaussichten der Klasse. Je größer der Anteil der Beschäftigten, desto größer die Kampfkraft, die ins Feld geführt werden kann. Je größer die Anzahl der Arbeitslosen, umso schwieriger wird die Verteidigung der Einkommen, Lebensbedingungen usw.

12. Den Kampf auf ein BGE zu konzentrieren und dieses gar zu einem Allheilmittel für eine andere Gesellschaft zu stilisieren, bedeutet bestenfalls, den Kampf auf die Sicherung der Existenz der Reservearmee zu konzentrieren. Es bedeutet auch, sich dauerhaft mit einer Millionenmasse von Arbeitslosen oder Unterbeschäftigten, also einer weniger kampfstarken Klasse abzufinden. Es schwächt sie letztlich – und ein BGE, das die Existenz sichert, wird so auch nicht aufrechterhalten werden können.

13. Hier kommt eine weitere zentrale Schwäche aller linken VertreterInnen des BGE ins Spiel. Die Frage, wie die Klasse zu einer kämpfenden Klasse werden kann, wie sie sich als ArbeiterInnenklasse überhaupt konstituiert, wie sich Klassenbewusstsein bildet, existiert für sie erst gar nicht. Bestenfalls bestehen die Lohnabhängigen als eine Gruppe schlechter verdienender EinkommensbezieherInnen neben anderen. Die VertreterInnen des BGE verfolgen daher auch keine klassenpolitische Ausrichtung, sondern stellen vielmehr eine kleinbürgerliche Strömung dar, die die zentrale Bedeutung des Klassenkampfes für das Erringen von Verbesserungen wie für eine andere Gesellschaft durch Hoffnungen in den Selbstlauf eines Reformmodells ersetzt.

14. Der Klassenkampf kann und muss jedoch geführt werden und auch im Zentrum unserer politischen Perspektive stehen, wenn Erwerbslosigkeit, Entlassungen und damit weitere Verschlechterungen für beschäftigte und unbeschäftigte LohnarbeiterInnen verhindert werden sollen. Dass die Gewerkschaftsführungen den Kampf nicht oder nur auf extremer Sparflamme führen, heißt nicht, dass er nicht geführt werden kann. Es bedeutet aber, dass wir selbst eine klassenkämpferische Bewegung aufbauen müssen – in den Betrieben, aber auch unter den nicht beschäftigten Teilen der ArbeiterInnenklasse.

15. Für Arbeitslose, RentnerInnen, StudentInnen usw. treten wir für eine Mindesthöhe ihrer Leistungsbezüge ein – und zwar in der Höhe des Mindestlohns und ohne Schikanen, Zwang vom Arbeitsamt, irgendeine Arbeit anzunehmen usw. Zur Zeit wären das mindestens 1600 Euro/Monat. Dies soll für alle Betroffenen dieser Gruppen unabhängig von ihrer StaatsbürgerInnenschaft gelten. Das scheint manchen einem bedingungslosen Grundeinkommen nahezukommen – aber es unterscheidet sich grundsätzlich durch die politische Stoßrichtung, die damit verbunden wird.

16. Beim BGE bildet nämlich die Verteilung der Transferleistungen den Hauptaspekt. Für uns steht hingegen der Kampf für folgende Forderungen im Zentrum, die unmittelbar das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital berühren:

  • gegen alle Entlassungen und Schließungen;
  • für Arbeitszeitverkürzung, um alle beschäftigen zu können. Der Kampf für eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich stellt einen wichtigen ersten Schritt dar;
  • für Mindestlohn von 13,50 Euro/Stunde; Erhöhung der Tariflöhne.

17. Diese Losungen verbinden wir mit der Forderung nach Enteignung der Unternehmen, die mit Kürzungen, Massenentlassungen, Schließungen drohen; mit dem Kampf für Fortführung und Reorganisation der Produktion und Dienstleistungen unter Kontrolle der Arbeitenden und für die Umstrukturierung der Produktion gemäß den Bedürfnissen der Gesellschaft und ökologischer Nachhaltigkeit.

18. Wenn wir nämlich, wie manche linke AnhängerInnen des BGE proklamieren, das System der Lohnarbeit und den Kapitalismus überwinden wollen, wird das nicht dadurch geschehen, dass BGE-BezieherInnen scheinbar selbstbestimmt in Nischen alternative Produkte schaffen, sich um andere kümmern usw. Dabei mögen nützliche Dinge produziert werden, aber die Gesellschaft verändert das nicht. Vielmehr müssen die schon geschaffenen sachlichen Produktionsmittel, die heute Eigentum der KapitalistInnenklasse bilden und für deren Profitzwecke produzieren, unter die Kontrolle der ProduzentInnen, also der Gesellschaft gestellt werden. Das ist jedoch nur möglich, wenn die ArbeiterInnenklasse über eine möglichst große Kampfkraft und Bewusstheit verfügt, um die Herrschaft des Kapitals zu brechen und selbst die politische Macht zu erringen. Nur so ist es möglich, die Gesellschaft grundsätzlich umzustrukturieren und erste Schritte zu einer sozialistischen Planwirtschaft zu machen.

19. Wenn wir das BGE kritisieren, so kritisieren wir Konzept und Absichten seiner bürgerlichen und auch vieler kleinbürgerlichen VertreterInnen. Die linken VertreterInnen des BGE kritisieren wir nicht wegen ihrer proklamierten Ziele, sondern weil ihr Konzept den eigenen fortschrittlichen Zielen letztlich zuwiderläuft. Mit einer revolutionären Klassenpolitik ist das BGE nämlich auch in seinen linken Varianten unvereinbar. Gegen die Krise braucht es vielmehr eine Strategie, ein Programm, das den Kampf gegen Entlassungen, Schließungen, für Mindestlohn und Einkommen ins Zentrum rückt und mit dem Kampf für die Enteignung des Kapitals verbindet.

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