Arbeiter:innenmacht

Die Rote Armee – Befreiungsarmee gegen den Faschismus

Wilhelm Schulz, Infomail 1103, 9. Mai 2020

Am 8. Mai jährt sich zum 75. Mal die Niederlage des deutschen Faschismus gegenüber den Westalliierten und am 9. Mai die Kapitulation der Wehrmacht vor den sowjetischen Streitkräften. Die Rote Armee stellte hierbei eine besondere, gar die bedeutendste Kraft in der Befreiung vom Faschismus dar. Sie kämpfte an der sogenannten Ostfront fast vier Jahre lang. Hier wurden der Wehrmacht die stärksten Verluste zugefügt. Die Sowjetunion hatte mit mehr als 27 Millionen Toten die größten Opferzahlen des Krieges zu beklagen, ein Großteil waren zivile Verluste.

Heute werden die Leistungen der Roten Armee zumeist gegenüber denen der Westalliierten heruntergespielt oder „vergessen“. Deswegen werden wir hier auf diese eingehen und damit verbunden die Sowjetunion als eine außerordentliche Kriegspartei beleuchten.

Die Rote Armee

Sie wurde am 28. Januar 1918 gegründet, um die Errungenschaften der Oktoberrevolution gegen die kapitalistische Weiße Armee zu verteidigen. In der Eidesformel verpflichtete sie sich der internationalen sozialistischen Revolution. Die Rote Armee war die Armee eines proletarischen Staates. Auch wenn sie bestimmte Formen (stehendes Heer) beibehielt, war sie keine bürgerliche Armee. Die innere Hierarchie wurde auf das Nötigste begrenzt, z. B. gab es keine Unterschiede in den Uniformen. Die RotarmistInnen konnten ursprünglich ihre VertreterInnen wählen und es gab demokratische Kongresse. Dies wurde jedoch bereits Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts aufgrund des schweren Krieges gegen die Weiße Armee ausgesetzt. Bis 1925 war Leo Trotzki der Volkskommissar für Kriegswesen. Zu Zeiten des BürgerInnenkriegs gab es auch Kommissarinnen. Ein bekanntes Beispiel ist Larissa Reissner.

Doch mit dem Sieg der politischen Konterrevolution durch Stalins Bürokratie in der Kommunistischen Internationale (KomIntern) und der Sowjetunion (SU) wurden diese Errungenschaften angegriffen. Die Rangzeichen wurden wieder eingeführt. Die Eidesformel wurde so verändert, dass fortan auf das Vaterland statt auf die internationale Befreiung der ArbeiterInnen geschworen wurde. Im Rahmen von Stalins Säuberungen (u. a. Moskauer Prozesse) wurde knapp ein Viertel der Offiziere bis zur untersten Ebene abgesetzt oder ermordet, was für die Rote Armee eine deutliche Schwächung im Kampf gegen den Faschismus bedeutete.

Die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg

In der Zeit von 1928 bis 1933 lehnte die bürokratisierte KomIntern jede Einheitsfrontpolitik mit der Sozialdemokratie ab und verleumdete die SPD als „gemäßigten Flügel des Faschismus“, als dessen „Zwillingsbruder“. Die Folge war eine Isolation der KommunistInnen und der Sieg Hitlers über die deutsche ArbeiterInnenbewegung.

Anstatt daraus eine korrekte Einheitsfrontpolitik als Lehre zu ziehen, arbeitete die KomIntern nach 1933 nicht nur mit der Sozialdemokratie zusammen, sondern auch mit angeblich progressiven Teilen der Bourgeoisie – ohne einen offenen politischen Kampf zu führen. Die proletarische Revolution wurde dem untergeordnet und verraten – einschließlich der Liquidation linker KritikerInnen. Auch das führte zu Niederlagen wie z. B. in Spanien 1939 gegen Franco.

Am 24. August 1939 unterzeichnete die SU den Ribbentrop-Molotow-Nichtangriffspakt, auch bekannt als Hitler-Stalin-Pakt. Dieser verschaffte zwar Zeit bis zu ihrem wirklichen Kriegseintritt, jedoch auf Kosten der Überlassung weiter Teile Osteuropas an den Faschismus, darunter die Aufteilung Polens zwischen der SU und Nazi-Deutschland.

Das NS-Regime überfiel am 22. Juni 1941 die SU und beendete somit den Pakt. Zwei Tage später propagierte die Prawda (sowjetische Tageszeitung) den „Heiligen Krieg“ – später: „Großer Vaterländischer Krieg“ – gegen das „faschistische Böse“. Die Losung der sozialistischen Revolution gegen den Faschismus wurde nicht aufgeworfen.

Bis zum Sieg der Roten Armee in Stalingrad im Februar 1943 befand sich die SU weitgehend in der Defensive, sodass die Wehrmacht kurz vor Moskau stand. Mit dem heldenhaften Sieg in Stalingrad wendete sich das Blatt und die Wehrmacht konnte über die kommenden Jahre bis nach Berlin zurückgedrängt werden. Hier ist auch die Bedeutung der PartisanInnenkämpferInnen hervorzuheben, die in den vom deutschen Faschismus besetzten Gebieten im Widerstand standen und dabei oftmals ganze Divisionen banden.

Die gigantischen Potentiale der Planwirtschaft, selbst in ihrer bürokratischen Abart, zeigte die kurzfristige Reorganisation der Produktion beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Nicht nur wurde sie schnell auf Kriegsmaschinerie umgerüstet, sondern es wurden auch 1.300 Betriebe innerhalb weniger Jahre weg von der drohenden Front in den Osten des Landes verlagert.

Am 8. Mai 1945 kapitulierte die Wehrmacht bedingungslos gegenüber den Westmächten und dann am 9. Mai gegenüber der Sowjetunion. Der imperialistische Vernichtungskrieg kostete 60 Millionen Menschen das Leben. In seinem Schatten fand die verbrecherische industrielle Massenvernichtung politischer GegnerInnen und vor allem von Juden und Jüdinnen in der Shoa (Holocaust) statt.

Rote Armee – eine besondere Kraft

Die Sowjetunion war keine Kriegspartei wie die anderen, kapitalistischen Staaten. Die Politik der anderen Alliierten bestätigt das: Neben dem Sieg über den Faschismus (der in erster Linie eine wild gewordene imperialistische Konkurrenz darstellte) war auch die Schwächung der Sowjetunion ihr Ziel. Die SU war zu dieser Zeit ein sogenannter degenerierter ArbeiterInnenstaat: Die Fabriken und Ländereien waren zwar verstaatlicht und die Bourgeoisie entmachtet, jedoch lag die Kontrolle über die Produktionsmittel nicht in den demokratischen Händen der ArbeiterInnen, sondern in denen einer Bürokratie.

Diese verfolgte ihre eigenen privilegierten Interessen und wurde so zu einem Hindernis in der internationalen Revolution. Vielmehr ging es der Bürokratie um einen Kompromiss mit dem Imperialismus – der Hitler-Stalin-Pakt, aber auch die Zusammenarbeit mit den Alliierten zeigen das. Dies bedeutete einen Verrat an der Losung Lenins der „Umwandlung des gegenwärtigen imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg [, als] […] die einzig richtige proletarische Losung.“ Wir kritisieren dabei nicht die taktisch-militärischen Absprachen an sich, sondern deren politische und strategische Dimension. Letztlich schloss die Bürokratie ihren Frieden mit dem Kapitalismus auf Weltebene.

Im Februar 1946 wurde die Rote Armee in Sowjetarmee umbenannt, was den falschen Frieden der Sowjetunion mit dem kapitalistischen Ausland unterstreicht. Leo Trotzki analysierte in seinem Werk „Die verratene Revolution“ von 1936 die Sowjetunion als einen degenerierten ArbeiterInnenstaat, in dem die Bürokratie der ArbeiterInnenklasse die politische Macht entrissen hat. Die SU verharrte in einem Zwischenstadium zwischen Kapitalismus und Sozialismus und in nationaler Isolation. Dieser Zustand musste entweder zum Sturz der Bürokratie durch eine politische Revolution mit Wiedereinführung einer ArbeiterInnendemokratie und zur Internationalisierung der Revolution führen oder zur konterrevolutionären Restauration des Kapitalismus – die nach 1989 eintrat.

Trotzdem war die Sowjetunion mit dem vergesellschafteten Eigentum eine historische Errungenschaft, die es auch für InternationalistInnen zu verteidigen galt. Deshalb war auch der Kriegseintritt berechtigt und notwendig. Auch als GegnerInnen Stalins traten die TrotzkistInnen für ihren Sieg ein. Dieser führte zur Zerschlagung des Faschismus als Rammbock gegen die ArbeiterInnenbewegung, beendete den Völkermord und erhielt zeitweilig die sozialen Errungenschaften der Oktoberrevolution. Deshalb sagen wir, damals, wie heute: Dank euch ihr SowjetsoldatInnen!

Anhang: Die Rote Armee und die Frauen

Etwa 800.000 Frauen kämpften in der Roten Armee, ob im Heer, in der Luft, zur See oder im Innendienst. Ab 1941 begann die Anwerbung von Frauen, die bis dato die „traditionellen Männerberufe“ an der „Heimatfront“ übernehmen sollten. Zuerst nur in Zuarbeit als Funkerinnen oder Sanitäterinnen, wurde ab 1942 die Ausbildung ausgeweitet. Die Möglichkeit für Frauen, für einen, wenn auch degenerierten, ArbeiterInnenstaat zu kämpfen, ist eine Errungenschaft, die bis zu diesem Zeitpunkt keine andere Armee in dieser Form freiwillig einführte. Es gab aber auch negative Seiten. So mussten sich Frauen vor allem gegenüber den Rotarmisten und deren Vorurteilen durchsetzen. Viele gingen aus Angst vor Vergewaltigungen und Übergriffen „Liebesbeziehungen“ ein. So stellte die Menstruation als auch ihr Ausbleiben im Gefecht eine hohe Gefahr für die Soldatinnen dar. Nach dem Krieg hielten viele ihre Vergangenheit geheim, um weiterhin als heiratsfähig, somit weiblich, zu gelten. Ausführlicher hierzu, aber auch zu Heldinnentaten, können wir „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ von Swetlana Alexijewitsch empfehlen.

Verhalten der Roten Armee gegenüber Zivilistinnen

Es wird geschätzt, dass zwei Millionen Frauen und Mädchen im Zuge der Geländeeroberungen der Roten Armee Vergewaltigungen zum Opfer gefallen sind. Dies ist ein abscheuliches Verbrechen und zeigt die Verrohung der Roten Armee im Krieg. Doch im Nachhinein wurde dies oft als antikommunistisches Argument benutzt, indem es verzerrt dargestellt wird, denn die Gewalttaten der Faschisten und des gesamten imperialistischen Krieges waren unbeschreiblich und haben erst zu dieser Verrohung beigetragen.
Der Umgang unter Rotarmisten mit Frauen ist ein Beispiel für den Bruch mit der alten Eidesformel des Rates der VolkskommissarInnen. Hier hieß es u. a. „Ich verpflichte mich, mich selbst und die Genossen von Handlungen abzuhalten, die die Würde eines Bürgers der Sowjetrepublik herabsetzen, und mein ganzes Tun und Denken auf das große Ziel der Befreiung aller Arbeitenden zu richten.“

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