Mo Sedlak, ursprünglich veröffentlicht auf http://arbeiterinnenstandpunkt.net/, Teil 1, Infomail 1204, 12. November 2022
Die Preise explodieren, nicht nur in Österreich, sondern von Europa bis in die USA. Energie, Lebensmittel und Mieten sind für breite Teile der Bevölkerung nicht mehr leistbar. Für neokoloniale Länder im globalen Süden gehört diese Existenzbedrohung der Arbeiter:innenklasse und der Erwerbslosen schon länger zur Krisennormalität. Aber dass die beschworene Preisstabilität auch in den imperialistischen Zentren wackelt, zeigt, wie gefährlich der weltweite Kapitalismus unter Krieg und Gesundheitskrise taumelt. Das ist mehr als eine spannende Beobachtung: Wenn es nicht gelingt, die Lebenskostenkrise der Arbeiter:innenklasse abzuwehren, droht eine tiefe soziale Krise und eine weitere Schwächung der Linken.
Vor nur zwei Jahren hat das Gegenteil den Zentralbanken und Unternehmensverbänden Kopfweh gemacbereitet. Die jährlichen Preiserhöhungen wollten und wollten nicht an das „Inflationsziel“ von 2 % herankommen. Die Geldmengenpolitik der EZB ging direkt in Aktienblasen statt in die Supermärkte und Firmeninvestitionen.
Beides, sowohl Niedrig- als auch Hochinflation, sind Krisenphänomene des Kapitalismus seit der globalen Rezession 2008. Die Hochinflation ist allerdings deutlich kurzfristiger existenzbedrohend für Arbeiter:innen, Erwerbslose und Arme. Um das effektiv zu verhindern, müssen wir um mutige Forderungen kämpfen, Preise beschränken und die wichtigsten Wirtschaftsbereiche von Heizung bis Lebensmitteln unter demokratische Kontrolle stellen. Und wir müssen verstehen, was sich da eigentlich tut. Eine marxistische Analyse ist zwar anstrengend, aber hilfreich.
„Die Inflation ist zurück“ haben unsere deutschen Genoss:innen von der Gruppe Arbeiter:innenmacht Anfang des Jahres geschrieben. „Inflation is here to stay“ verkündete die US-Zentralbank FED. In der anhaltenden Coronakrise sind dramatische Preissteigerungen in die imperialistischen Zentren zurückgekehrt mit Anstiegen, wie sie zum Beispiel Österreich seit den Ölpreisschocks der 1970er Jahre nicht mehr erlebt hat.
Das hat schon letztes Jahr begonnen. Im September 2021 lagen die durchschnittlichen „Verbraucher:innenpreise“ um 3,3 % über dem Vorjahresmonat. Der durchschnittliche Wocheneinkauf („Miniwarenkorb“) war sogar um 6,8 % teurer. Vor allem die Preise für Energie und Gastronomie sind damals schnell gestiegen, Preise, die im ersten Coronajahr 2020 stark gefallen waren.
Das war kein „Wiederaufholen“ zum Vorkrisenniveau, was die Preisexplosion 2022 klar zeigt. Mittlerweile gehen Wirtschaftsforscher:innen von einer Jahresinflation um die 10 % aus. Die Preise für Heizung und Strom haben sich verdoppelt bis vervierfacht. Wien Energie zum Beispiel hat dieses Jahr schon mehrmals die Preise für Strom, Gas und Fernwärme erhöht. Die „Preisindizes“, an denen sich diese Rechnungen orientieren, haben sich dieses Jahr für Gas vervierfacht (+ 323 %), für Strom mehr als verdreifacht (+ 249 %).
Das ist keine österreichische oder europäische Besonderheit. Auch in den USA liegt die Durchschnittsinflation bei 9 %, in China um die 5 %.
Dazu drei Nebensätze: In den neokolonialen Ländern des globalen Südens sind Hoch- und Hyperinflation nichts Besonderes oder Neues. Auch das soziale Elend, das dadurch zum Beispiel in Venezuela, der Türkei oder Argentinien entsteht, ist nicht geringer oder normaler als in den imperialistischen Zentren. Trotzdem: Wenn es den Imperialist:innen nicht gelingt, solche Entwicklungen vor der eigenen Haustür abzuwenden, liegt einiges im Argen.
Diese Zahlen bilden einen krassen Unterschied zu den letzten 15 Jahren. Nach der Finanzkrise 2008 haben sich die US- und EU-Zentralbanken regelmäßig ein „Inflationsziel“, also durchschnittliche Preissteigerungen von 2 % pro Jahr gesetzt. Und sie sind regelmäßig daran gescheitert, trotz radikaler Maßnahmen wie „Quantitative Easing“, Null-Leitzins und direktem Kauf von Unternehmensanleihen (dazu später mehr).
2022, unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs und anhaltenden Corona-Lockdowns, sind die imperialistischen Staaten aus einer Niedriginflationsphase in allgemeine Teuerungsexplosion übergegangen. So richtig passt es quasi nie.
Das ist nicht egal, sind nicht nur Details der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Ende 2022 werden sich viele Haushalte schwertun, Nahrungsmittel und Heizung zu bezahlen. Die stark angehobenen Mieten (Richtwertmietzins) und noch stärker steigenden Betriebskosten machen Angst vor Zwangsräumung und Wohnungsverlust.
In Österreich droht im Winter eine breite soziale Krise, eine Lebenskostenkrise. Zum ersten Mal seit vielen Jahren werden Hunderttausende schlagartig und massiv an Lebensstandard verlieren.
Der Kreditschutzverband KSV1870 rechnet deshalb 2022 mit massiv steigenden Privatkonkursen. Alltägliche Rechnungen werden sich so auftürmen, dass Haushalte nicht mal hinterherkommen, wenn sie ihre Ausgaben massiv einschränken.[i]
Das heißt konkret: Im Winter 2022 werden sich zehn- oder hunderttausende Haushalte die Heizung nicht leisten können. Wenn die Energieversorger:innen sie ihnen dann abdrehen, frieren sie sich zu Tode. Wenn der Hahn nicht gesperrt wird, schlittern entweder der Haushalt in Schuldenfalle und Konkurs, oder das Unternehmen, oder beide.
Das heißt auch: Im Winter 2022 werden sich zehntausende Eltern zwischen Essen und Heizung im Kinderzimmer, zwischen Waschmaschinenreparatur oder Wocheneinkauf entscheiden. Und wenn die Lebensmittelpreise so weiter steigen wie bisher, dann wird sich keins davon wirklich ausgehen.
Auch die Kreditversicherungsgesellschaft Coface gibt vierteljährlich einen Bericht heraus, der das Risiko von Zahlungsausfällen angibt. Sie berechnet quasi, wie viele Menschen es sich nicht leisten können, ihre Rechnungen zu bezahlen, sowohl Konsument:innen (zum Beispiel Wien Energie-Kund:innen) als auch Unternehmen. Sie geht für 2022 von einem hohen (und dramatisch gestiegenen) Risiko in der Agrar-, Chemie-, Bau-, Metall- und Energiebranche aus.[ii]
Das bedeutet auch: Bei vielen Unternehmen steigen gerade die Produktionskosten und sie wissen nicht, ob ihnen jemand ihre Produkte noch abkaufen kann. Das führt zu Baustoffmangel und stockenden Produktionsketten, aber auch zu Insolvenzen und Arbeitsplatzverlust. Für Unternehmer:innen ist ein Konkurs ärgerlich, für zehntausende Arbeiter:innen, die dabei ihren Job verlieren, ist das existenzbedrohend.
Schon jetzt betrifft die Inflation vor allem Arbeiter:innen, Erwerbslose, Alleinerziehende und prekär Beschäftigte. Bei einer folgenden Rezession oder anhaltenden Stagnation würden wir doppelt draufzahlen.
Inflation ist ein Angstwort. Für normale Menschen, weil sie sich für ihr Geld weniger leisten können, und für Ökonom:innen, weil sie sich schwer tun, sie wirklich zu verstehen, geschweige denn zu erklären.
Inflation bedeutet eine anhaltende und allgemeine Preiserhöhung. Obwohl im Kapitalismus die Produktion immer effizienter, die Arbeitskosten pro Stück immer niedriger, die Transportwege immer perfekter abgestimmt werden, steigen die Preise.
Aber das wird in erster Linie als Durchschnittswert gemessen: Energiekosten-, Verbraucherpreis-, Investitionskostenindex. Das macht Sinn, um die Situation von Betroffenen zu beschreiben, weil sie für den bestehenden Konsum so und so viel Prozent mehr Geld ausgeben müssen.
Wenn es jetzt aber „Ausreißer“branchen gibt (und die gibt es eigentlich immer), steigt auch der Durchschnittswert sofort. Wenn Russland den Ölhahn zudreht, macht das unmittelbar erstmal nichts mit den Ticketpreisen für die Wiener Linien, aber die durchschnittlichen Preise für Verkehr schießen in die Höhe. Umgekehrt haben in den vergangenen Jahren die sinkenden Preise für PCs den Verbraucherpreisindex ordentlich nach unten gezogen, obwohl Nudeln im Supermarkt jedes Jahr fünf Cent mehr gekostet haben.
Allgemeine Preissteigerungen bedeuten, dass so gut wie alle Zeilen auf dem Kassazettel raufgehen. Dafür gibt es zwei Gründe. Wenn der Gaspreis hochgeht, erhöhen sich auch die Energiekosten in der Produktion, das könnte man „Zweitrundeneffekt“ nennen. Und gleichzeitig wären Firmen ja blöd, bei einer sich ausbreitenden Preissteigerung nicht mitzumachen und ein bisschen zu übertreiben (solange Konsument:innen sich das noch leisten können und tatsächlich mehr Geld liegenlassen), das heißt dann „Mitnahmeeffekt“.
Im Moment beobachten wir beides und noch viel mehr. Aber wir sehen auch, dass genau das „Sich- noch-leisten-Können“ bald nicht mehr gegeben sein wird. Viele Haushalte konnten während der Coronalockdowns gar nicht so viel Geld ausgeben wie sonst, weil Beisln geschlossen waren und der Sommerurlaub an der Reisesperre scheiterte. Dieses „zwangsersparte“ Geld ist aber schon aufgebraucht, die Menschen sind nicht mehr flüssig und haben ein Liquiditätsproblem.
Das ist die Ursache der kommenden sozialen Krise und auch die Angst der Unternehmen. Wenn jetzt einzelne Firmen ausscheren, die Preise nicht erhöhen, dann steigen ihre Produktionskosten trotzdem und ihnen geht die Liquidität aus. Schlimmer noch, wenn die direkte Konkurrentin mehr Gewinne macht, kann sie schneller wachsen und in der Konsequenz den Markt dominieren. Und es gibt ja auch keine Belohnung, als einzelnes Unternehmen nicht mitzuschneiden vom großen Kuchen. Das lässt sich dann nur wer andere/r schmecken. Also reiten sie die Welle mit, bis sie bricht und darüber hinaus. Und hoffen, dass der kapitalistische Staat, der so genannte „ideelle Gesamtkapitalist“, Regeln für alle einführen wird, damit man nicht mehr mitziehen muss.
Da hat sich, wie erwähnt, recht rasch etwas geändert. Der weltweite Kapitalismus ist von einer Niedrig- in eine Hochinflationsphase übergegangen. Es ist wichtig zu verstehen, warum es im Kapitalismus überhaupt Inflation, also allgemein steigende Preise gibt, aber auch, warum er zu niedrige Inflation genauso kennt wie explodierende Werte.
Denn eigentlich, und auch dazu später mehr, bedeutet Inflation, dass Unternehmen nicht mehr investieren, obwohl Konsument:innen mehr kaufen wollen und könnten. Firmen entscheiden sich gegen Investitionen, wenn die Profitrate niedriger ist als in anderen Bereichen – dann erhöhen sie zum Beispiel einfach die Preise, fangen so das „verfügbare Einkommen“ auf und legen es in Finanzprodukten an.
Nach der Finanzkrise 2008 befand sich der Kapitalismus in Europa und den USA in einer tiefen Verwertungskrise. Schon Jahre davor hatten Unternehmen lieber in Spekulationsblasen (am Immobilien- und Aktienmarkt) investiert. Dieses zusammenbrechende Kartenhaus riss dann auch Fabriken aus Ziegeln und Stahl mit. Trotzdem folgte eine Phase von sehr, sehr langsam wachsenden Preisen, vor allem bei den Kapitalgütern: Firmenwachstum war billig, und billiger als für Arbeiter:innen, deren Wocheneinkäufe schon teurer wurden. Und das, obwohl die Wachstumsraten von Produktion und Profiten wirklich niedrig waren.
Dafür gab es drei Gründe, wie unser Genosse Markus Lehner von der Gruppe Arbeiter:innenmacht in Deutschland erklärt (seinen Artikel findest du ebenfalls in dieser Ausgabe der flammende):[iii]
„(1) Die Gewichte im Welthandel hatten sich stark zu Gunsten von China verschoben, das als Lokomotive der Weltwirtschaft mit seinen Produktionsketten den Weltmarkt weiterhin mit billigen Herstellerpreisen bedienen konnte; (2) die Antikrisenpolitik in den imperialistischen Ländern fußte weiterhin auf Stagnation der Löhne und Massenkaufkraft; (3) trotz der Politik des billigen Geldes vertraute das globale Kapital aus Angst vor schlimmeren Verlusten in sogar gesteigertem Maße ihr Geld den klassischen imperialistischen Anlagemärkten an. In Folge wurden viele der angeblich aufsteigenden Schwellenländer (z. B. Brasilien, Türkei) durch Kapitalmangel und schrumpfende Weltmarktchancen gebeutelt. In vielen dieser Länder breitete sich bereits Stagflation aus.“
Auch 2020 – 2022 führen die Produktionsunterbrechungen in Coronalockdowns (vor allem die zeitweise Schließung wichtiger chinesischer Häfen) und der russische Angriffskrieg in der Ukraine zu niedrigen erwarteten Profitraten. Firmen wissen nicht, ob sie Vorprodukte kaufen können (oder zu welchem Preis), ob sie überhaupt produzieren können und ob das irgendwer kaufen wird. Jetzt reagieren sie aber genau umgekehrt, indem sie ihre Preise hinaufsetzen und die Produktionsmenge heruntersetzen.
Ein Grund dafür ist die internationale Tendenz zur „Deglobalisierung“ durch Krieg, Sanktionen und Handelssanktionen. Auch der damalige Wirtschaftsmotor China, in den europäische Gewinne profitabel investiert werden konnten, läuft nicht richtig an. Zahlungsausfälle im Immobiliensektor und wiederholte Unterbrechungen in Produktion und Handel beuteln den neuen Imperialismus. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass sich das so schnell ändern sollte.
Um zu verstehen, dass der Kapitalismus unmenschlich und instabil ist, muss man nur die Augen aufsperren. Um zu verstehen, warum das so ist, kann es hilfreich sein, den Blick auf ein bisschen marxistische Ökonomie zu richten. Auch wenn die teilweise unnötig kompliziert geschrieben ist.
Im Kapitalismus arbeiten die Kapitale, die sich in Unternehmen und Banken sowie Interessenverbänden sammeln, gegeneinander. Ein/e Kapitalist:in tut entweder, was notwendig ist, um ihre Investitionen zu vermehren (Kapital zu akkumulieren), oder sie geht im Wettbewerb unter. Das bedeutet, Firmen versuchen vor allem, Profit zu scheffeln, und agieren, wenn sie sich dafür Profit erwarten. Das sind grundlegende Widersprüche, zwischen Unternehmen genauso wie zwischen Unternehmen und Beschäftigten, und diese Widersprüche treiben den Wirtschaftsmotor an.
Solche Widersprüche gestalten den Kapitalismus zu einer grundlegend inflationären Wirtschaftsweise, zu einer Art Produktion, in der Preise weiter und weiter steigen. Das ist eigentlich, Vorsicht Wortwitz, widersprüchlich. Denn im Wettbewerb führen Firmen immer effizientere, günstigere Produktionsweisen ein, unterbieten sich gegenseitig im Preis und steigern die Arbeitsproduktivität. Um den Lebensstandard einer Arbeiter:in aus dem 19. Jahrhundert zu erreichen (Zimmer zu zehnt und ein Stückerl Fleisch am Sonntag), muss man nicht mehr 80 sondern eher 5 Stunden in der Woche arbeiten. Aber man wird halt auch sozial isoliert und stirbt mit ungefähr 45 an Mangelernährung.
Der Schlüssel zur Inflation ist das Geld. Preise ergeben sich aus den produzierten Waren und dem Geld, das dafür ausgegeben wird. Mehr Waren mit gleich viel Geld heißt Deflation, mehr Geld für gleich viele Waren heißt Inflation. Aber gleich viele Waren gibt es genauso selten (nämlich niemals) wie gleich viel Geld.
Geld ist ebenfalls eine Ware, also ein Produkt, das hergestellt wird, damit es auf dem Markt gekauft wird und die Herstellerin Profit erzielt. Marx nennt das „Geldware“, ein Produkt, das gegen alle anderen direkt eingetauscht werden kann. So spart man es sich, für seinen produzierten Tisch genau den/die Abnehmer:in zu finden, der/die den Mantel loswerden will, den man wiederum selber haben will. Und Sparen ist nicht nur eine bürgerliche Tugend, Zeit sparen, effizient sein, ist eine notwendige Voraussetzung für kapitalistisches Wachstum.
Typische Geldwaren sind Kaurimuscheln, Goldstücke oder Silbermünzen. Und auch die werden dann produziert, wenn es Nachfrage gibt. In einer wachsenden Gesellschaft, die immer mehr Waren zum Tausch herstellt, ist eine gewisse Nachfrage nach Geldwaren immer gegeben. Also: Die Geldware hat einen Gebrauchswert, jemand möchte sie haben, und deshalb erst kann sie einen Tauschwert bekommen.
Wie profitabel die Produktion ist, hängt vom Tauschwert und von alternativen Investitionsmöglichkeiten ab. Als zum Beispiel der Goldrausch in Kalifornien auf dem absteigenden Ast war, hat man stattdessen mit Denimhosen mehr Geld gemacht, dachte sich zumindest Levi Strauss, der die Blue Jeans erfand.
Und dann gibt es bei Marx noch Geldzeichen, Fetzen Papier, die versprechen, dass man dafür eine Geldware bekommt. Solange die frei weitergetauscht wird, kann sie wie Geld verwendet werden. Und auch diese Geldzeichen wollen gedruckt werden. Auch das ist ein Produktionsprozess, den sich Kapitalist:innen nur antun, wenn Gebrauchswert, Nachfrage und Profit winken.
Heute sind Geldzeichen vor allem Zeilen im Computer: Banken vergeben Kredite, indem sie einer Firma versprechen, Geld zu überweisen, wenn sie etwas kaufen oder wen anstellen will. Für einen Kredit gibt es Zinsen, für ein bedrucktes Geldzeichen bekommt man ein anderes (nämlich eine Aktie), und für eine mühsam geprägte Silbermünze kriegt man einen Wocheneinkauf oder ein Bussi vom Enkerl. Alles sehr profitabel oder zumindest schön.
Das Herstellen von Geld ist profitabel, weil mit einer wachsenden Warenmenge auch die Nachfrage nach dem Tauschmedium steigt. Und weil viele Firmen, Banken, Prägereien miteinander konkurrieren, stellen sie sogar ein bisschen mehr her, als eine einzelne Firma müsste. Da kommt die Inflation prinzipiell einmal her. Und das genauer zu verstehen, heißt auch zu verstehen, wann die Inflation besonders hoch und niedrig ist.
Die Geldproduktion ist übrigens genau deshalb auch genau reguliert. Staaten kontrollieren in Extremfällen sogar die Preise (zum Beispiel in den Weltkriegen, oder in Österreich früher die Lohn-Preis-Kommissionen der Sozialpartner:innenschaft). Davor gab es die Abmachung, dass weltweit nur so viel Geld in Umlauf sein durfte, wie Goldreserven in Tresoren lagern (der Goldstandard), später dann in Gold und Dollarscheinen mit einem festgelegten Tauschverhältnis (das „Bretton-Woods-System“).
Nach der Hochinflation der 1970er Jahre wurden mit der „neoliberalen Wende“ auch diese strikten Regelsysteme abgeschafft. Aber in schwächerer Form existieren sie immer noch. Zum Beispiel verlangt die Europäische Zentralbank von Einzelbanken, dass sie einen gewissen Prozentsatz der Kredite, die sie ausgeben, mit Reserven decken können. Diese Reserven leihen sie sich von der Zentralbank, die frei entscheidet, wie viel sie davon ausgibt. Nachdem die Kreditvergabe durch Banken der wichtigste Aspekt moderner Geldproduktion ist, bedeuten die Regeln für Banken eine Beschränkung der Geldproduktion.
Das Zusammenspiel von Geldmenge, Geldproduktion und Gebrauchswert der Geldware ist aber nicht alles. Sie sind nur die Rahmenbedingungen, das „Makrosystem“, in die sich konkrete Preisentscheidungen einordnen. Preise steigen nicht, sie werden erhöht.
Ein/e Supermarktkassierer:in pickt einen neuen Preiszettel ins Regal, jemand in der Firmenzentrale gibt eine neue Zahl ins Kassensystem ein, eine Managerin oder ein Manager beschließen: clever Nudeln kosten ab nächstem Montag Euro 1,39, und drei Wochen drauf gibt es eine Sonderaktion, wo sie kurzzeitig auf Euro 0,99 heruntergesetzt werden. Das sind Managemententscheidungen, die Entscheidungen von wirtschaftlich handelnden Personen im Interesse des Kapitals, eingebettet in Wettbewerb und Markt – aber der Markt lässt keine Preise steigen.
Das Verwechseln von Menschen und Waren, von Macht und Markt, ist leider tief in das menschliche Bewusstsein eingefressen – im Kapitalismus. Marxist:innen nennen das Warenfetisch, konkrete Dinge und Lebensverhältnisse mit einem mystischen Markt zu verwechseln. Es ist zwar der/die Personalchef:in, der/die die Entlassungspapiere unterschreibt, der Aufsichtsrat, der die Belegschaft halbiert. Aber oft sprechen wir vom Arbeitsmarkt, von der Auftragslage, oder im falschesten Fall von der Massenzuwanderung, die unser Einkommen auf 55 % Arbeitslosengeld mit begleitenden AMS-Schikanen kürzt.
Konkrete Menschen, Kapitalist:innen und ihre Managementstäbe, entscheiden also, wie viel sie produzieren lassen und für welchen Preis das verkauft wird. Wenn nun die „effektive Nachfrage“ (das heißt, jemand mag das haben und kann es auch bezahlen) steigt, können Kapitalist:innen entweder mehr herstellen oder das Hergestellte teurer verkaufen, um sich den verfügbaren Batzen Geld einzustecken.
In der Tendenz (und diktiert vom Makrosystem, in das alle eingebettet sind) wird dann investiert, wenn die Investition sich auszahlt, wenn dabei ein Profiteuro pro Investitionseuro herausspringt, den man woanders nicht bekommt. Das bevorzugt das Kapital immer: Kapital kaufen, damit produzieren, die Waren verwerten und mit dem Profit neues Kapital anhäufen. Das heißt Kapitalakkumulation, die Triebfeder im Kapitalismus.
Nur manchmal ist es nicht bevorzugt, nämlich wenn die Profitrate nicht stimmt, zu unsicher ist oder eine kleine Bitcoinspekulation (voraussichtlich) mehr einbringt. Der marxistische Ökonom Anwar Shaikh drückt das weniger blumig aus, wenn er von der entscheidenden erwarteten Unternehmensprofitrate spricht. Das ist die Differenz aus erwartetem Profit und Zinssatz, den man fürs Verborgen bekommt (die sichere und vor allem weniger anstrengende Alternative).
Inflation entsteht, wenn Geldproduzent:innen mehr Geldzeichen in Umlauf bringen, diese auch für Käufe verwendet werden, als die Warenmenge steigt. Inflation steigt (ist also bei 10 % statt 2 %) wenn mehr Kapitalist:innen Preise erhöhen, als zu investieren.
Das liegt dann zum Beispiel an gesunkenen Profitraten (die eine Krise ankündigen). Oder an der Unsicherheit, was in den nächsten Monaten passieren wird, ein Anzeichen, dass die Krise schon begonnen hat. Und da stehen wir jetzt.
Im zweiten Teil beschäftigt sich der Artikel mit der Antwort der verschiedenen Klassen auf die Inflation.
[i]https://tirol.orf.at/stories/3164716/
[ii]https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220629_OTS0012/coface-risiko-fuer-zahlungsausfaelle-in-oesterreich-steigt-anhaenge
[iii]https://arbeiterinnenmacht.de/2022/01/19/rueckkehr-der-inflation/
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