Mo Sedlak, ursprünglich veröffentlicht auf http://arbeiterinnenstandpunkt.net/, Teil 2, Infomail 1204, 15. November 2022
Der erste Teil des Artikels beschäftigte sich vor allem mit den Ursachen der Inflation, im zweiten Teil geht er auf die Antworten der verschiedenen Klassen und ein Programm im Interesse der Arbeiter:innenklasse ein.
Politiker:innen, Wirtschaftsforscher:innen und Kapitalist:innen reagieren auf die scheinbar unaufhaltsam steigenden Preise wie die aufgeschreckten Hühner. Wir, die Betroffenen und die Linke, eh auch. Und zwar zu Recht: Die Preisexplosion droht, zu einer sozialen Krise, zu einer nachhaltigen Schlechterstellung der Arbeiter:innenklasse zu führen (wenn wir uns nicht wehren). Aber: Außerhalb der imperialistischen Zentren schreckt diese Einsicht wenige. Denn in vielen neokolonialen Ländern wurden in den letzten Jahren ausführliche Erfahrungen mit hoher Inflation und deren sozialen Folgen gemacht.
Das liegt vor allem an zwei Umständen: den Kosten der Geldmengenkontrolle und der Auslagerung von Inflation aus den imperialistischen in die neokolonialen Länder.
Erstens ist die Regulierung der Geldwarenproduktion teuer und umso teurer, wenn dabei die Währungen anderer Länder kontrolliert werden sollen. In vielen unterentwickelten Ländern sind Dollar und Euro anerkannte Parallelwährungen, über deren Produktion und Einfuhr die Regierungen kaum Kontrolle haben. Wir verwenden hier die Formulierung des antikolonialen Marxisten Walter Rodney, der mit dem Begriff Unterentwicklung zeigen will, dass dieser Folge einer bewussten, imperialistischen Politik ist.
Zweitens können Firmen aus imperialistischen Ländern auf den Kapitalexport zurückgreifen, wenn Investitionen im „eigenen Land“ nicht profitabel erscheinen. Tausende „Freihandelsabkommen“ und ökonomische Abhängigkeiten stellen sicher, dass Nestlé, OMV und Wienerberger überall investieren können, wo sie wollen und die Profitraten noch höher sind. Zum Beispiel wegen niedrigerer Löhne oder technisch weniger entwickelter Konkurrenz. Das nimmt den Inflationsdruck aus den imperialistischen Zentren heraus. Die Kapitalist:innen in den Neokolonien und Schwellenländern verfügen über diese Möglichkeit so nicht.
Das macht die Inflation bei gleichzeitigem Krieg in der Ukraine auch bedenklich. Durch die neue Blockbildung kommt es zu einer De-Globalisierung. Ein Geflecht aus Sanktionen, Sanktionsumgehungen, Wirtschaftskrieg und unterbrochenen Lieferketten erschwert den Kapitalexport und Produktionsketten. Dieses Gegenmittel gibt es also nicht und die Auslagerung der Profitproduktion nach China ist auch schwerer möglich. Und auch die Klimakrise hat ihren Anteil: Zum Beispiel haben durch Dürre ausgelöste Unfälle in der Halbleiterproduktion Taiwans und Texas‘ 2020 die Lieferketten so beeinträchtigt, dass es bei Auto- und Elektronikpreisen noch heute spürbar ist.
Der Teufel steckt auch hier in vielen Details. Wenn ein Hafen in China eine Woche zusperrt, heißt das, dass Vorprodukte nicht bei Fabriken ankommen. Aber es heißt auch, dass in der nächsten Woche leere Container nicht da sind, weil sie noch voll auf hoher See herumschippern. Was wiederum bedeutet, dass Bananen verfaulen und irgendwelche Müsliriegel nie produziert werden. Was jetzt blöd ist für den/die Zerealienlieferant:in, der /die seine/ihre pünktlich gelieferten Getreidekörner nicht bezahlt bekommt und den anderen Kund:innen deshalb die Preise raufsetztum überhaupt liquide zu bleiben.
Die Inflation sitzt im Kapitalismus wie das Picknbleiben im Beislabend. Aber jetzt werden erprobte Gegenmittel (die auch nicht für alle Länder funktioniert haben) durch den Krieg, die Pandemie und Extremwetter in der Folge des Klimawandels wirkungslos. Das heißt wirklich nicht, dass der Kapitalismus ohne diese Extremerscheinungen nicht inflationär wäre. Aber es kann sein, dass dieses Zusammenspiel zu einer Trendwende führt, von der Niedriginflation auf Kosten der Arbeiter:innenklasse hin zur Hochinflation, die uns auch umgehängt werden soll.
Zentralbanken, Wirtschaftsforscher:innen und Unternehmensverbände sagen deutlich, dass eine Stagflationsphase kommt. Das bedeutet, hohe Inflation mischt sich mit einer Stagnation, also niedrigem Wirtschaftswachstum, Firmenpleiten, Arbeitslosigkeit. So eine Phase gab es bereits nach den Ölpreisschocks in den 1970er Jahren und die Lösung der Herrschenden sollte uns zu denken geben. Es folgte nämlich die neoliberale Wende: Privatisierungen, Zerstörung von vielen sozialstaatlichen Errungenschaften, aber auch Angriffe aufs Arbeitsrecht und brutale Repression gegen die Gewerkschaften.
Auch nach der 2008er Krise war das die Lösung der EU. Griechenland wurde brutal ausgehungert. Das Lohnniveau hat sich bis heute nicht erholt ebenso wenig wie Gesundheitssystem oder Sozialleistungen. Italien, Spanien und Portugal erlebten Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 %, eine Generation an Niedrigstlohnarbeitenden wird diesen Rückstand in ihrem Leben nicht mehr aufholen. Der einzige Grund, warum das deutsche Diktat nicht für sich selbst gegolten hat, war, dass die Hartz-Reformen so einen Niedriglohnsektor schon in den Jahren zuvor geschaffen hatten.
In anderen Worten: Die Herrschenden spielen jetzt noch ein paar Monate mit Einmalzahlungen und Subventionen. Aber wenn klar wird, dass eine Rezession droht, werden sie probieren, die Kosten auf uns abzuwälzen und zumindest die Auswirkungen von Massenarbeitslosigkeit und Preisexplosion nicht mehr abfedern. Es kann der Arbeiter:innenbewegung gelingen, das durch harten Widerstand abzuwehren, die Herrschenden in dieser Situation der Instabilität zurückzudrängen. Das wäre auch gut, weil die Alternative nicht gut für uns ausschaut.
Dass eine neue imperialistische Zuspitzung droht, ist angesichts der Ukrainekriegs sonnenklar. Auch die Konfrontationen in den zehn Jahren davor, Ukraine, Syrien und Taiwan, haben gezeigt, dass sich EU, USA, China und Russland in eine neue Blockbildung und auch eine neue Eskalation begeben. Der imperialistische Krieg ist schon jetzt eine Bedrohung in den Gebieten, wo er geführt wird. Seine Ausweitung bedroht die Mehrheit der Weltbevölkerung.
Seit 2008 waren es auch keine rosigen Jahre für die ärmeren Teile der Arbeiter:innenklasse, Niedrigverdiener:innen, prekär Beschäftigte, Erwerbslose und Alleinerziehende. Die kommende Krise droht aber, breite Teile der Bevölkerung, auch die lohnabhängigen Mittelschichten und das Kleinbürger:innentum, vor echte Existenzangst zu stellen. Das Kleinbürger:innentum im 21. Jahrhundert meint Akademiker:innen und kleine Manager:innen, aber auch Selbstständige und Besitzer:innen kleinerer Firmen.
Das vom Abstieg bedrohte Kleinbürger:innentum stellte seit eh und je die soziale Basis des Faschismus und Rechtspopulismus. Wenn es den Herrschenden und den Hetzer:innen gelingt, die Wirtschaftskrise auf gierige Gewerkschaften oder Minderheiten zu schieben, lässt es sich ganz gut mobilisieren. Das hat sich leider auch bei den verschwörungstheoretischen Coronademonstrationen gezeigt, die einen Grundstock für eine rechte Bewegung in der Wirtschaftskrise darstellen können. Die Geschichte von FPÖ und Identitären über elitäre Verschwörungen und Interessengemeinschaften von weiß-österreichischen Kapitalist:innen mit den Arbeiter:innen sind leider tief verankert in diesen Kreisen. Aber nur eine linke Bewegung, die um Solidarität und radikale Umverteilung kämpft, kann verhindern, dass solche Bewegungen einen Massenanhang bekommen.
Das Problem der Kapitalist:innen beseht darin, dass sie bei steigenden Kosten und unsicherer Profiterwartung nicht wissen, ob sie ihre Warenmenge verkaufen können. Das Problem der Arbeiter:innen ist, dass die Preise so hoch sind. Hohe Preise können aber verhindert werden: kurzfristig durch Preisdeckel, mittelfristig durch die demokratische Kontrolle über Produktion und Preisfestsetzung.
Mal wieder zeigt die kapitalistische Krise, dass der Markt eben nicht „regelt“, sondern der Markt- und Wettbewerbswirtschaft Tendenzen zur Krise innewohnen. Alleine, dass weiterhin günstig produzierter Wasserkraftstrom wegen steigender Gaspreise ebenfalls durch die Decke geht, macht das ein für alle Mal klar.
Aber Preise können auch einfach beschränkt werden. Besonders gerne machen das kapitalistische Regierungen im Krieg, wo die staatliche Nachfrage (nach Waffen und Kriegsproduktion) so in die Höhe geht, dass Mitschneiderei den Kapitalist:innen das Logischste wäre. Aber auch in der Nachkriegszeit, und in Österreich für bestimmte Produkte bis in die 1970er Jahre, wurden Preise immer wieder gedeckelt. Bis heute gibt es Preiskommissionen für Medikamente, einen Richtwertmietzins für Altbauwohnungen. Für Energie, Grundnahrungsmittel und Wohnungen, egal ob alt oder neu, sind solche Preisdeckel jetzt dringend notwendig.
Die Preiskommissionen aus Gewerkschaft und Wirtschaftskammer haben allerdings nicht vor allem die Lage der Arbeiter:innen im Blick gehabt, sondern maximal die schlimmste Verelendung eindämmen wollen. Diesen bürokratischen, sozialpartner:innenschaftlichen Preiskontrollen von oben haftet immer etwas Konservatives, Zurückhaltendes und in der Krise Unzureichendes an. Marxist:innen sind deshalb für tatsächlich demokratische Entscheidungen der Arbeitenden und der Konsument:innen über Preise, Diskussionen und darüber, was wir brauchen und wie teuer es sein darf. Gerade jetzt wird offensichtlich, dass demokratische Kontrolle über die Produktion eine deutlich bessere Alternative ist, als „der Markt regelt“.
Inflation bedeutet aber immer auch eine Kürzung der Reallöhne und realen Sozialleistungen. Also dessen, was Arbeiter:innen und Erwerbslose ausgeben können. Wenn die Preise schneller steigen als die Löhne, ist das eine Umverteilung von unten nach oben. Deshalb fordert der radikale Teil der Arbeiter:innenbewegung schon lange die automatische Inflationsanpassung von Löhnen, Arbeitslosengeld und Sozialleistungen. Dazu würde dann über Lohnerhöhungen verhandelt und gestreikt werden – die Grundanpassung wäre schon vorweggenommen.
Es ist bemerkenswert, dass die türkis-grüne Regierung sich bei einigen Sozialleistungen schon auf diese Maßnahme eingelassen hat, die sonst selbst linke Teile der SPÖ nur zurückhaltend fordern. Es ist auch ein Anzeiger dafür, wie bedrohlich die kommende soziale Krise wahrgenommen wird. Denn generell gilt: bürgerliche Regierungsmaßnahmen mal Zehn ergibt, was notwendig wäre, damit die Lage für uns nicht schlimmer wird.
Stattdessen setzen die Bürgerlichen, also Finanzminister:innen und Zentralbanken darauf, die Geldmenge zu beschränken. Statt auf die konkreten Preisentscheidungen wollen sie auf das Makrosystem einwirken. Durch Zinserhöhungen sollen Banken bewogen werden, selber weniger zu borgen, daher weniger Kredite vergeben zu dürfen (Geld zu produzieren, wie wir oben erklärt haben). Die Nachfrage nach Investitionsgütern und kreditfinanziertem Konsum wird so eingedämmt, die Preise sollten fallen.
Aber: Das hat massive Auswirkungen: Gebeutelte Unternehmen können Zahlungsunfähigkeit nicht durch Kredite überbrücken, gehen insolvent und Arbeiter:innen landen auf der Straße. Verschuldete Arbeiter:innen mit „variablen“ Hypothekenzinssätzen können ihr Haus oder Auto nicht mehr abbezahlen, und generell geht die Konsumnachfrage zurück.
Gleichzeitig ist nicht gesagt, dass das überhaupt wirkt. Die gegenwärtige Inflationsperiode geht nicht auf eine „heißgelaufene“ Wirtschaft, schnell wachsende Löhne und massive Investitionen zurück, sondern auf fallende Profitraten und stockende Lieferketten. Daran ändert der erhöhte Leitzins gar nichts, er droht aber den Rezessionsanteil an einer Stagflation noch zu verschlimmern.
Auch einzelne Sozialdemokrat:innen und Gewerkschafter:innen würden sich zu Zinserhöhungen überreden lassen, wenn sie von einer „nachfrageseitigen“ (also von Investitionen und Lohnerhöhungen) getriebenen Inflation ausgehen. Das verstehen sie teilweise unter verantwortungsvoller, keynesianischer Wirtschaftspolitik. Gleichzeitig fordern sie den Beschäftigungserhalt durch staatliche Subventionen und Absicherung der sozial am schlimmsten Betroffenen. Das bedeutet aber nur, dass die Kapitalakkumulation stockt, Firmen nicht mehr produzieren, während die Auswirkungen aus Steuern beglichen werden. Und die zahlen zu 80 % Arbeiter:innen aus Einkommens- und Konsumsteuern.
Ein anderer bürgerlicher Ansatz wird im Moment mit der lieben Bezeichnung Felbermayr-Deckel diskutiert (der Autor dieser Zeilen muss dabei eher an die Kaffeehausschulden des WIFO-Chefs denken). Der neue Kopf an der Spitze des wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstituts empfiehlt, die Energiekosten abzufedern, indem der Staat einen Höchstpreis festsetzt (klingt schon mal gut) und den Unternehmen die Differenz zum Marktpreis bezahlt (klingt schon mal teuer). Das wäre aber nur ein riesiges Geschenk an die Übergewinne (auch zu diesem Begriff schrieben wir einen eigenen Artikel in dieser Ausgabe der flammenden) der Energiekonzerne. Ein Teil würde aus unseren Steuern kommen, ein anderer Teil durch spätere soziale Kürzungen nachfinanziert werden. Der Vorschlag ist also eher nicht so lieb und auch nicht nur teuer, sondern zu Ende gedacht wirklich reaktionär.
Aber die garantierte Deckung der Grundbedürfnisse ist das Problem, das sich jetzt allen stellt. Für eine Lösung dessen müssen Linke jetzt den Protest sammeln, Kämpfe gewinnen können. Und gerade jetzt ist offensichtlich, dass die kapitalistische Produktionsweise diese Grundbedürfnisse nicht decken kann.
Wir fordern deshalb die Vergesellschaftung von Heizung, Wohnen und Grundnahrungsmitteln. Wir sprechen den Energie-, Immobilien- und Lebensmittelriesen das Recht ab, mit unserer Lebensgrundlage zu spielen. Wir wollen die entschädigungslose Verstaatlichung von OMV, Verbund, BUWOG, Agrana und den weniger bekannten Namen.
Aber das sind teilweise schon verstaatlichte und teilstaatliche Unternehmen, die aber als Aktiengesellschaften nach Marktlogik funktionieren. Das zeigt leider, dass eine Verstaatlichung unter bürgerlichen Regierungen nur die halbe Miete ist. Vergesellschaftung heißt mehr als das, bedeutet auf der einen Seite eben keine Aktienunternehmer:innen unter ÖBAG-Verwaltung, sondern demokratische Entscheidungen durch Kommissionen der Beschäftigten und Konsument:innen – wie ein Wiener Linienfahrgastbeirat, aber ernsthaft, gewählt und mit einer tatsächlichen Entscheidungsmacht.
Wir müssen um diese Forderungen kämpfen. Nicht nur, um der kommenden rechten Mobilisierung den Massenanhang zu verunmöglichen, sondern auch, weil es in den nächsten Monaten um unsere Lebensgrundlagen geht. Aber dazu kommt: Die Krise untergräbt jede Legitimation der bürgerlichen Regierungen, egal ob türkis-grün im Bund, rot-pink in Wien oder die Ampel in Deutschland.
Wir Marxist:innen sind in einer Position der Schwäche. Aber wir sind auch in einer klaren, unmissverständlichen Oppositionsrolle. Akademische, bürgerliche und reformistische Teile der Linken tendieren dazu, den Kapitalismus zu verteidigen. Vor allem wenn die rechten Argumente gegen die Regierung zu sehr an den Haaren herbeigezogen sind, wollen sie beweisen, dass es so arg nun auch nicht ist. Sie begeben sich in die Position der Herrschenden, ohne an der Macht zu sein. Sie machen sich selber zur Zielscheibe des berechtigten Protests, ohne jede Not.
Die Opposition ist die Rolle, in der sich Marxist:innen im Kapitalismus immer befinden. Aber sie ist eine besonders dankbare, wenn die Regierung ihre Legitimation mit jedem Tag mehr verliert. Die Herrschenden sind jetzt schwach und instabil. Sie werden darauf mit Zugeständnissen, aber auch Repression reagieren. Aber sie befinden sich in einer Position, wo sie Kämpfe verlieren werden. Und das kann die Opposition nachhaltig stärken, die Schwäche und den gesellschaftlichen Vertrauensverlust wettmachen, wenn wir im gemeinsamen Kampf siegreich sind.
Das bedeutet die Einheitsfront, das prinzipienfeste Bündnis mit allen Linken und Teilen der Arbeiter:innenbewegung, die jetzt um die richtigen Forderungen kämpfen wollen. Es heißt auch, die „Volksfront“, also das Bündnis mit den Bürgerlichen gegen besonders reaktionäre oder besonders blöde Teile der Rechten zu meiden wie der Teufel das Weihwasser.
Es ist in dem Artikel schon ein- oder zweimal angeklungen: Die Teuerungswelle ist ein internationales Phänomen. Das bedeutet, auch der Widerstand muss international (und international solidarisch) sein. Aktivist:innen außerhalb von Österreich haben sich schon gute Ideen einfallen lassen.
In Sri Lanka ist als Reaktion auf die galoppierende Inflation die Regierung gestürzt worden. Nach einer Besetzung des Präsidentenpalasts traten die Minister:innen zurück. Als die Protestierenden trotzdem dort blieben (und Streiks im ganzen Land vorbereiteten), verschwand auch der rechte Präsident. Die Bewegung hat jetzt große Aufgaben vor sich. Zwischen chinesischem und US-amerikanischem Imperialismus ist wenig Spielraum, die soziale Krise in Sri Lanka sitzt tief und auch die rassistische Unterdrückung der Tamil:innen bietet Potential für reaktionäre Gegenmobilisierungen. Aber der Sturz einer Regierung durch Massenproteste ist mal ein Ansatz der zumindest nicht zu zaghaft ist.
Auch aus Britannien erreichen aufmerksame Social-Media-Nutzer:innen schöne Bilder. Eine Million Flugblätter hat die Initiative „Don’t Pay UK“ gedruckt, und 31.000 Unterstützer:innen und 4.000 Aktivist:innen in Gruppen organisiert. Sie fordern die Kürzung der Energiepreise und wollen ab 1. Oktober ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, wenn sich 1 Million dahinter stellen – Mitte August waren es mehr als Hunderttausend.
Und auch in Deutschland orientieren sich Teile der radikalen Klimabewegung auf die Vergesellschaftung der fossilen Energieunternehmen um. „RWE und Co enteignen“ orientiert sich am an der Stimmenzahl gemessen erfolgreichen Kampf gegen privatisierte Immobilien in Berlin und verbindet die Kritik an Öl und Gas mit einer Forderung nach Energieproduktion im Interesse der Bevölkerung.
Und auch in Österreich nehmen Linke und Gewerkschaften die Teuerung sehr ernst. Der ÖGB hat zu einer Betriebsrätekonferenz mobilisiert und organisiert Teuerungskundgebungen in allen Bundesländern Mitte September. Zwischen radikaler Linker und Zivilgesellschaft formieren sich Bündnisse.
Gleichzeitig stehen im Herbst Lohnverhandlungen an, die mit riesigen Reallohnverlusten umgehen müssen. Die Verhandler:innen stehen unter großem Druck der Belegschaften. Und das ist gut so. Der Kampf um höhere Löhne und niedrigere Preise geht Hand in Hand. Eine starke Bewegung um beide Forderungen verhindert auch ein Einknicken, das beim ÖGB öfter vorkommt. Dazu muss sich eine Teuerungsbewegung aber das Vertrauen der Belegschaften erarbeiten, durch Solidaritätsaktionen in den Verhandlungen, gemeinsame Diskussionen und Aktionskonferenzen und echte tatkräftige Unterstützung ihrer Forderungen.
Dem ÖGB ist immer zuzutrauen, eine große Dampfablass-Aktion zu organisieren, den gesellschaftlichen Druck aber klein zu halten. Die Riesendemo gegen 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche, auf die genau gar nichts gefolgt ist, bleibt uns in bitterer Erinnerung. Aber das muss man der Gewerkschaftsspitze nicht erlauben. Solche breiten Mobilisierungen liefern eine Chance für Aktivist:innen, alle möglicherweise Interessierten zu erreichen und den Druck für konsequente Kämpfe aufzubauen. Eigene, tragfähige Aktionen der Linken erhöhen die Aufmerksamkeit der Gewerkschaftsführung und der Sozialdemokrat*innen und erschweren diesen den Ausschluss der kampfbereitesten Elemente.
Der Herbst 2022 ist ein Krisenherbst. Er muss auch ein Kampfherbst werden. Die Inflation stellt die Arbeiter:innenklasse vor eine reale Existenzbedrohung und die herrschende Klasse vor eine ernsthafte Legitimitätskrise. Die kommende Rezession wird durch massive Angriffe auf uns und weitgehende Planlosigkeit der Regierung geprägt sein.
Denn Preiserhöhungen sind eine Entscheidung der einzelnen Kapitalist:innen, wo die Gegenentscheidung den Einzelnen auch nichts bringt. Weder durch gute Worte noch durch Pressekonferenzen kann der „ideelle Gesamtkapitalist“ türkis-grün daran etwas ändern, bevor es zu spät ist. Und andere Lösungen, die er hätte, gehen nur auf unsere Kosten.
Es ist jetzt an uns Revolutionär:innen und Marxist:innen, das Bündnis mit allen kampfbereiten Teilen der Arbeiter:innenklasse zu suchen. Das notwendige Problembewusstsein über die Teuerung ist da, die Zeit für eine gemeinsame Analyse der tatsächlichen kapitalistischen Ursachen bleibt auch. Durch Massenmobilisierungen, greifbare aber radikale Forderungen und nicht zuletzt die für alle offensichtliche Schwäche bürgerlicher Antworten, kann die Teuerung zurückgeschlagen werden.
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