Arbeiter:innenmacht

USA: Angriffe auf Frauen und LGBTIAQs

Resa Ludivien, Neue Internationale 275, Juli/August 2023

Danke, Trump! Doch auch unter Biden wird’s nicht besser. Ganz im Gegenteil. Das Urteil Roe vs. Wade letztes Jahr wurde unter der Biden-Regierung außer Kraft gesetzt, dank der durch Trump nominierten Richter:innen der Obersten Gerichtshofs. Doch auch überall im Land gibt es nicht nur betroffene Frauen, die bangen, sondern auch eine reaktionäre Basis, die das Urteil als Erfolg feierte.

Derzeit läuft der Wahlkampf für die nächste Präsidentschaftswahl wieder heiß an. Donald Trumps republikanischer Mitbewerber Ron DeSantis, Gouverneur von Florida, will mit einer noch radikaleren Abtreibungspolitik punkten. Erst kürzlich unterzeichnete er einen „sex weeks abortion ban“ – eine Zeitspanne, in der Frauen vielleicht noch nicht einmal gemerkt haben, dass sie schwanger sind, geschweige denn eine gut durchdachte Entscheidung hätten treffen und eine/n der wenigen Ärzt:innen, die Abbrüche durchführen, finden können.

My body, my choice

Keine Frauenkörper heißt keine Kinder. Wer außer „der Frau“, wer außer gebärfähigen Menschen, sollte dann über Schwangerschaft oder einen Abbruch entscheiden? Laut der US-Rechten alle – Männer und der bürgerliche Staat – alle außer sie selbst. Im Bundesstaat Arkansas können Ehemänner und Lebenspartner sogar gegen die schwangere Frau rechtliche Schritte einleiten, wenn sie eine Abtreibung plant.

Wer keine Kinder möchte oder sich nicht in der Lage fühlt, sie zu bekommen und großzuziehen, hat hierfür mannigfaltige Gründe: Krankheit, Suchtprobleme, eine Gewaltbeziehung und … und … und. So lange Frauen von der Zeugung an – denken wir an Vergewaltigungen, Babytrap oder Druck – über die Entscheidung bis hin in die (un)gewollte Mutterschaft bevormundet und diskriminiert werden, werden sie wie Menschen zweiter Klasse behandelt.

Während selbsternannte „Lebensschützer:innen“ die Rechte des Ungeborenen beschwören, erlöschen diese in einer Gesellschaft, in der Kinderziehung wesentlich Privatsache ist, mit der Geburt. Selbst wenn formale Gleichheit herrscht, macht sich die Ungleichheit von Klasse und Herkunft umso deutlicher bemerkbar.

Auch hier zeigt sich die Doppelmoral. Kinder sind kein Statussymbol oder Objekt und haben ein Recht darauf, geliebt und gut behandelt zu werden. Warum also eine Frau zwingen, ein Kind in die Welt zu setzen, wenn sie sich nicht sicher ist, ob sie das kann und möchte? So viel zum moralischen Gebrabbel.

Doch dieser Angriff hat System. Antifeministische Akteur:innen – vor allem männlichen Geschlechts – sind in den letzten Jahren auf dem Vormarsch. Der Krisenmodus, der seit 2008 anhält, hat soziale und politische Unsicherheit mit sich gebracht – auch für die Mittelschichten –, die Rechtsströmungen zu einer politischen Agenda verdichten und so davon profitieren. In ihren extremsten Ausformungen sehen wir das bei rechtspopulistischen oder gar protofaschistischen Regierungen, aber auch antifeministischen, queerfeindlichen und rechtsextremen Anschlägen.

Angriffsziel Flintas

Parallel zu dem massiven Angriff auf Frauenrechte stehen queere Menschen in den USA unter Beschuss. Die Devise „My body, my choice“ (Mein Körper, meine Entscheidung) wird hier ebenso mit Füßen getreten, wenn wir an die Möglichkeiten von trans Personen denken in einem System, welches sie von der Schule bis ins Krankenhaus bekämpft.

Zusätzlich sind es die enormen Gesundheitskosten, die eine Extrahürde darstellen. Arbeiter:innen sind hiervon im Allgemeinen betroffen, doch Frauen und queere Menschen im Besonderen. Durch die ökonomische Diskriminierung und gesellschaftliche Marginalisierung gepaart mit einer fundamentalistischen Ablehnung, die in den USA besonders stark ist, ist ihre ökonomische Beschränktheit in den USA noch viel stärker ausgeprägt als in anderen imperialistischen Ländern, z. B. in Europa.

Wer sind denn nun die Träger:innen an der Basis?

Jede dumme Idee braucht noch „Dümmere“, die sie tatsächlich umsetzen. Oder besser gesagt diejenigen, die das Leben für Frauen jetzt immer weiter zur Hölle machen, sind die radikalen Bauernopfer einer populistischen, letztlich nicht minder kapitalistischen Politik.

Sicherlich gibt es auch den Typ „klassischer“ Frauenschläger, der seinen Frust an ihnen rundum auslässt und, ohne groß darüber nachzudenken, sexistische Sprüche klopft. Allerdings hat es in den letzten Jahren einen weltweiten Backlash gegeben, der zu einer starken Politisierung des Frauenhasses geführt hat. Sicherlich ist geschlechtliche Diskriminierung der Frau dem Kapitalismus inhärent. Das hängt, wie Engels es einst beschrieb, mit patriarchalen Strukturen und der bürgerlichen Familie zusammen. Derzeit jedoch spitzt sich dieses Phänomen zu und wird unter dem Sammelbegriff „Antifeminismus“ gefasst. Hierbei geht es nicht nur gegen Vertreter:innen einer bürgerlichen oder radikal-kleinbürgerlichen Frauenbewegung, sondern gegen sämtliche Errungenschaften der Frauenrechte und Frauen per se.

Die Erosion und Krise der bürgerlichen Kernfamilie – selbst Resultat der Entwicklung des Kapitalismus – unterminiert natürlich auch die scheinbar natürliche Vorherrschaft des (weißen) Mannes. Ideologisch wird dieser Zusammenhang gleich mehrfach auf den Kopf gestellt. Erstens wird die bürgerliche Kleinfamilie selbst als überhistorisches Phänomen idealisiert. Damit werden auch gleich die Stellung des Mannes, die reaktionären Geschlechterrollen und binäre Geschlechtsidentitäten naturalisiert. Zweitens wird daraus gefolgt, dass jeder „Angriff“, jede Reform im Interesse von Frauen, trans Personen, aber im Grunde auch aller unterdrückten Klassen ein Anschlag auf eine natürliche Ordnung wäre, an deren Spitze der weiße Cismann stünde. Auch wenn dieser im globalen Kapitalismus gegenüber den wirklich Herrschenden nicht viel zu melden hat, so kann er wenigstens noch „privat“ nach unten treten.

Gruppierungen des radikalen Antifeminismus

Diese ohnmächtige, aber umso rabiatere und brutalere Wut zeigen auch die Hauptströmungen dieses Antifeminismus in den USA: Extreme Rechte, religiöse Fundamentalist:innen und Incels. Als rechte Populist:innen bis hin zu Faschist:innen sind erstere die radikalste Ausprägung des Kleinbürger:innentums. Eine Schicht, die ständig in der Angst lebt abzurutschen, in der Konkurrenz an die Wand gedrückt zu werden, zugleich aber besonders starr am Privateigentum klebt. Die dazugehörige Ideologie ist dementsprechend radikal frauenfeindlich, gepaart mit einer rassistischen und völkischen Konnotation.

Dabei wird die „Marginalisierung“ und angebliche „Diskriminierung“ der weißen Bevölkerung durch Afroamerikaner:innen, Latinas und Menschen aus Asien herbeiphantasiert. Dies fällt in den USA aufgrund der Sklaverei und Migration auf fruchtbaren Boden, wobei die Geschichte der weißen europäischen Kolonisation ausgeblendet wird. Die rassistische Vorstellung des „großen Austausches“, die sich vor allem gegen Muslime/a richtet – bildet das „europäische“ Gegenstück zu den Vorstellungen der US-Rechten.

Damit erscheinen Antidiskriminierungsgesetze in den USA als Mittel zur Zurückdrängung der „weißen Rasse“. Wie wirkmächtig diese Vorstellung mittlerweile ist, zeigen die jüngsten Urteile des Obersten Gerichts in den USA.

Eine andere radikale, männliche Ausprägung sind sog. Incels (ungewollt zölibatär lebende Männer), die sich in den letzten Jahren u. a. in Internetforen radikalisiert haben. Sie sehen es als ihr Recht an, Sex mit Frauen zu haben, inszenieren sich als Opfer von Frauenrechten und schrecken auch vor Gewalt nicht zurück. Attentate wie das in Atlanta haben das gezeigt. Auch der Trend hin zu Femiziden und die Glorifizierung von sog. „Pickup-Artists“ macht das (Über-)Leben von Frauen und Queers immer schwieriger.

Diese Entwicklungen verbinden sich mit dem wachsenden Einfluss von fundamentalistischen evangelikalen Gruppierungen. Ideologisch begründen sie ihren reaktionären Wahn mit einer biblisch vorgeschriebenen Unterordnung der Frau und faseln vom „Schutz ungeborenen Lebens“. Der Einfluss dieser Gruppe in den USA ist viel zu groß, als dass man sie unterschätzen könnte. An ihnen hängen Kapital und Infrastruktur vom Krankenhaus bis zur Universität und enormer politischer Einfluss.

Das Thema Abtreibung zeichnet in diesen Kreisen eine besonders bittere Note. Von jungen Menschen bzw. allen, die unverheiratet sind, wird oft erwartet, keusch bis zur Ehe zu leben. Gelingt das doch nicht, muss vorher muss geheiratet werden, um den Schein aufrechtzuerhalten. Doch auch ohne dass bereits ein Kind unterwegs ist, ist Sex ein Grund zur Heirat. Kein Wunder also, dass die Menschen früh heiraten und das, ohne wahrscheinlich je aufgeklärt worden zu sein über konsensualen Sex.

Nicht in allen US-Staaten gilt eine Altersgrenze fürs Heiraten. So ist es möglich, dass Mädchen mit Einwilligung der Eltern bereits verheiratet werden. UNICEF hat zwischen 2000 und 2015 mindestens 200.000 Kinderehen in den USA gezählt. Noch schlimmer für die Mädchen ist, dass Gesundheitsrechte in fundamentalistischen Kreisen oft noch eingeschränkter sind oder ihnen ganz verwehrt werden. Der Einfluss der evangelikalen Gruppierungen ist besonders stark im sog. Bible Belt, dessen Kern die ehemaligen Südstaaten bilden.

Der Sturm auf das Kapitol 2021 hat gezeigt, wie präsent, laut und gewaltbereit die US-amerikanische Rechte ist, wie gut vernetzt und wie breit ihr Spektrum. Es ist wahrscheinlich schwer auszumachen, wer genau zu welcher dieser drei Hauptgruppen gehört, da die Überschneidung der Ideologie zu einer Mainstreambewegung geführt hat, v. a. in den USA.

Warum es erstmal schlimmer wird, bevor es vielleicht besser werden kann

Der bürgerliche Liberalismus und die Demokratische Partei Bidens wollen die bürgerliche Familie durch Reform „modernisieren“ und geben sich so als Verteidiger:innen der Frauenrechte, ohne jedoch die gesellschaftlichen Grundlagen ihrer Unterdrückung anzutasten.

Die US-amerikanische Rechte will hingegen das Rad der Geschichte zurückdrehen. Der Kampf gegen das Recht auf Abtreibung und andere Frauenrechte erscheint als „Kulturkampf“, hinter dem sich ein Erzwingungs- und Überlebenskampf des Patriarchats in extremer Ausprägung verbirgt.

Erzwingung insofern, als es den radikalsten Männern schon lange egal ist, ob eine Frau wirklich Interesse an ihnen zeigt oder nicht. Desinteresse wird als Niederlage angesehen – eine, die der weiße Cismann nicht ertragen kann und die es daher eigentlich gar nicht gibt. Kein Wunder also, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur weit verbreitet ist, sondern diese auch zunehmend – in Deutschland jüngst von einem Drittel der befragten Männer – gerechtfertigt wird.

Der Kampf um das Recht auf Abtreibung wird gleichzeitig zum Überlebenskampf von Frauen. Es geht um Selbstbestimmung und ihren Platz in der Gesellschaft. Der Kampf um Abtreibung bildet dabei auch einen zur Verteidigung bzw. Rückeroberung weiblicher Selbstbestimmung.

Zum Kampf gegen Angriffe auf Frauenrechte braucht es allerdings eine Massenbewegung von Frauenorganisationen, der LGBTIAQ- und antirassistischen Bewegung, von Linken und Gewerkschaften. Um konservativen, rechtspopulistischen oder protofaschistischen Kräften das Handwerk zu legen, müssen wir Mittel des Klassenkampfes einsetzen, die notwendigerweise die Machtfrage selbst aufwerfen. Einmal mehr zeigt sich, dass der Kampf gegen Frauenunterdrückung in all ihren Formen untrennbar mit dem gegen den Kapitalismus verbunden ist.

Zur Abwehr weiterer Angriffe auf Abtreibungsrechte, aber auch zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper, welches selbst in Staaten mit liberaler Gesetzgebung bisher eingeschränkt ist, haben wir einige Forderungen aufgestellt, die es zu erkämpfen gilt – national und international.

  • Schluss mit den Angriffen auf Flintas!
  • Für die Aufhebung aller Abtreibungsverbote! Uneingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbruch als Teil der öffentlichen Gesundheitsversorgung! Abtreibungen müssen sicher und von den Krankenkassen/öffentlichen Gesundheitsdiensten finanziert werden!
  • Schluss mit der internationalen Stigmatisierung von abtreibenden Frauen! Raus mit jedweder Religion und „Moral“ aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung!
  • Vollständige Übernahme aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat bzw. die Krankenversicherung!
  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!
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